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Was ist Medienpolitik im digitalen Zeitalter?

Manuel Puppis

/ 9 Minuten zu lesen

Medienpolitik befasst sich traditionell mit Massenmedien, die publizistische Inhalte produzieren und öffentlich vermitteln. Doch Öffentlichkeit wird nicht länger nur von Medien hergestellt. Auch Onlineplattformen spielen heute eine zentrale Rolle. Folglich hat sich auch der Gegenstand der Medienpolitik verändert.

Logos verschiedener Medien- und Digitalunternehmen. Traditionell befasst sich Medienpolitik mit Massenmedien. Jedoch spielen Onlineplattformen heute eine zentrale Rolle. Daher hat sich auch der Gegenstand der Medienpolitik verändert. (© picture-alliance/dpa, Christoph Soeder)

Digitaler Strukturwandel der Öffentlichkeit

Die Herstellung von Öffentlichkeit ist für demokratische Gesellschaften von zentraler Bedeutung und wurde seit der Entstehung moderner demokratischer Nationalstaaten durch Interner Link: Massenmedien sichergestellt. Medien tragen zur Meinungs- und Willensbildung der Bürger*innen bei. Sie bieten ein Forum für Debatten über gesellschaftliche Probleme und konkurrierende politische Lösungsvorschläge. Und nicht zuletzt nehmen sie gegenüber Eliten in Politik und Wirtschaft eine Kritik- und Kontrollfunktion wahr.

Wie und welche Inhalte von Medien aber produziert und distribuiert werden, hängt maßgeblich von Medienstrukturen ab, also von der Funktionsweise von Medienorganisationen und der Beschaffenheit des Mediensystems. Diese Medienstrukturen werden durch Medienpolitik gestaltet, beispielsweise durch die Einrichtung eines öffentlichen Rundfunks oder die Beschränkung von Medienkonzentration. Mit dieser Gestaltung von Medienstrukturen wird folglich indirekt auf die publizistische Leistung der Medien eingewirkt, indem vorteilhaftere Bedingungen für Qualität und Vielfalt geschaffen werden. Aufgrund der Medienfreiheit wäre eine direkte Einflussnahme des Staates auf Medieninhalte in einer Demokratie auch nur begrenzt zulässig. Medienstrukturen werden also durch Medienpolitik gestaltet – und Medienpolitik ist wiederum das Ergebnis eines politischen Prozesses, auf den zahlreiche Akteure mit unterschiedlichen Interessen und ideologischen Vorstellungen Einfluss zu nehmen versuchen, und der je nach politischem System anders abläuft.

Medienpolitische Prozesse und Akteure

Zahlreiche Akteure versuchen, ihre Interessen und ideologischen Vorstellungen in der Medienpolitik durchzusetzen. Neben Parteien, Verbänden und zivilgesellschaftlichen Akteuren sind auch die Medienunternehmen, welche von Medienpolitik betroffen sind, selbst wichtige medienpolitische Akteure. Eine neutrale Berichterstattung über Medienpolitik ist aufgrund der Eigeninteressen von Medienunternehmen potenziell gefährdet. Denn Medien können nicht nur mit ihren Lobbying- und PR-Aktivitäten, sondern auch durch Nicht-Berichterstattung („Media Policy Silence“) oder verzerrte Berichterstattung („Media Policy Bias“) Einfluss auf die Medienpolitik ausüben.

Doch Medien und Öffentlichkeit haben sich stark verändert. Die Grenzen zwischen vormals getrennten Mediengattungen haben sich aufgelöst. Und neben die Massenmedien sind mit Plattformen neue Vermittler (oder Interner Link: Intermediäre) getreten, weshalb auch von einem digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit die Rede ist. Plattformen wie Suchmaschinen (z. B. Google), soziale Netzwerke (z. B. Instagram) oder Video-Sharing-Dienste (z. B. YouTube) produzieren anders als Medien keine eigenen Inhalte, sondern sie bringen Anbieter*innen von Inhalten, Nutzer*innen von Inhalten und Werbetreibende miteinander in Kontakt. Plattformen haben die Möglichkeit, die während ihrer Nutzung anfallenden Daten zu sammeln und auszuwerten, was ihnen die algorithmische Personalisierung von Inhalten und Werbung erlaubt. Entsprechend ist eine hybride Öffentlichkeit entstanden, in der Medien und Plattformen neben- und miteinander existieren. Damit hat sich auch der Gegenstand von Medienpolitik verändert.

Gegenstand: Von Massenmedien zu Vermittlung

Traditionell beschäftigt sich Medienpolitik mit Massenmedien (und insbesondere mit dem Rundfunk), die publizistische Inhalte produzieren und verbreiten. Gängige Definitionen fokussieren auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Entscheidungen über Medienorganisationen und die von diesen produzierte und verbreitete öffentliche Kommunikation. Neben Medienpolitik ist auch der Begriff der Kommunikationspolitik gebräuchlich, der entweder als Synonym verwendet wird oder als der Medienpolitik übergeordnet und damit auch die Telekommunikationspolitik beinhaltend verstanden wird.

Doch angesichts des digitalen Strukturwandels der Öffentlichkeit stoßen solche Definitionen an ihre Grenzen. Öffentlichkeit wird nicht mehr länger nur von Massenmedien hergestellt. Statt mit den Medienorganisationen die Vermittler als Gegenstand von Medienpolitik zu fassen, kann deshalb auch auf die von verschiedenen Vermittlern erbrachte Leistung fokussiert werden, nämlich die öffentliche Vermittlung von Kommunikation.

Zitat

So verstanden geht es bei Medienpolitik nicht mehr allein um Medien, sondern um sämtliche Organisationen, Kommunikationstechnologien und Inhalte, welche die Beschaffenheit der Öffentlichkeit beeinflussen.

In diesem Sinne gestaltet Medienpolitik den kommunikativen Raum, in dem öffentliche Diskurse über gesellschaftliche Probleme und Lösungen stattfinden können, womit Medienpolitik eine Voraussetzung für das Funktionieren demokratischer Gesellschaften ist.

Zitat

Medienpolitik ist also nicht jene Politik, die sich mit Massenmedien befasst, sondern mit der öffentlichen Vermittlung von Kommunikation.

Puppis (2023: 41)

Dieses Verständnis ist anschlussfähig an die Diskussionen über den digitalen Strukturwandel der Öffentlichkeit, in welchen ein Nebeneinander von Medien und Plattformen betont wird.

Insbesondere in der bundesdeutschen Debatte findet auch der Begriff der Netzpolitik Verwendung. Darunter wird die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Entscheidungen über technische und inhaltliche Aspekte des Internets verstanden. Netzpolitik und Medienpolitik weisen Überschneidungen auf, wenn es um die Bedeutung des Internets für die öffentliche Vermittlung von Kommunikation geht (bspw. Kommunikationsinfrastruktur, Plattformregulierung). Doch die klassischen Bereiche der Medienpolitik wie öffentlicher Rundfunk oder Zulassung von Privatrundfunk bleiben bei Netzpolitik außen vor; und viele Internetthemen, die keinen Bezug zu Kommunikation in der Öffentlichkeit haben, gehören dazu. Insofern ist Netzpolitik eher als Querschnittsthema zu verstehen, das viele gesellschaftliche Bereiche berührt, aber Medienpolitik als Politikfeld mit eigenen Themen und Akteuren nicht ersetzt.

Instrumente: Von Government zu Governance

Nicht nur der Gegenstand, auch die Instrumente zur Erreichung medienpolitischer Ziele verändern sich. Traditionell wird hierzu auf staatliche Medienregulierung (oder Government) gesetzt. Während Medienpolitik sich breit mit medienpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Akteuren mit unterschiedlichen Interessen und ideologischen Vorstellungen über wünschenswerte Medienstrukturen beschäftigt, ist Medienregulierung ein engeres Konzept. Staatliche Medienregulierung bezeichnet den intentionalen Versuch der Beeinflussung von Handeln oder Bewältigung von Risiken mittels Geboten/Verboten, ökonomischen Anreizen und der Bereitstellung von Information. Dabei umfasst Medienregulierung neben der Festlegung von Regeln für die öffentliche Vermittlung von Kommunikation auch die Aufsicht über die Einhaltung der Regeln und die Sanktionierung von Regelverstößen.

Instrumente staatlicher Regulierung

Mit Geboten/Verboten, ökonomischen Anreizen und Information stehen dem Staat drei verschiedene Typen von Instrumenten zur Verfügung, um das Handeln von Akteuren zu beeinflussen oder Risiken zu bewältigen. Gebote und Verbote sind Regeln, die bestimmte Handlungen vorschreiben oder verbieten. Ökonomische Anreize machen es günstiger (Subventionen) oder teurer (Steuern), bestimmte Handlungen zu vollziehen. Informationen schließlich sollen Akteure von bestimmten Handlungen überzeugen oder abbringen.

Medienpolitische Ziele lassen sich aber nicht immer und nicht nur mit staatlicher Medienregulierung realisieren. Der Begriff Media Governance verweist darauf, dass es auch andere Formen der sozialen Ordnungsbildung gibt:

  1. Media Governance umfasst sämtliche Formen der kollektiven Regelung, also nicht nur staatliche Medienregulierung, sondern auch die internationale Zusammenarbeit von Staaten auf europäischer und globaler Ebene sowie Regulierung durch nicht-staatliche Akteure auf Branchenebene (Selbstregulierung ) und Formen der Zusammenarbeit von Staat und Branche (Co-Regulierung). Diese horizontale und vertikale Ausweitung von Government zu Governance findet oftmals in Kombination statt (transnationale Zusammenarbeit).

  2. Media Governance umfasst neben Formen der kollektiven Regelung durch Staat und Branche auch die Regelsetzung durch einzelne Medien- und Plattformorganisationen (Selbstorganisation ). Durch die allgemeinen Geschäftsbedingungen und „Community Standards“ von Plattformen haben solche von Organisationen erlassenen Regeln Auswirkungen für Nutzer*innen weltweit.

  3. Media Governance umfasst nicht nur formelle Regeln, sondern auch informelle Normen und das Design von Technologie, die ebenfalls handlungsprägende Wirkung entfalten. Mit der Formulierung „Der Code ist das Gesetz“ hat Lessig auf den Punkt gebracht, dass technische Systeme wie Algorithmen das Handeln und Denken von Akteuren beeinflussen.

Die Governance-Perspektive hilft zu verstehen, dass die öffentliche Vermittlung von Kommunikation nicht durch den Staat allein gestaltet wird – dieser wäre dazu weder in der Lage, noch würde dies der Meinungsäußerungs- und Medienfreiheit ausreichend Geltung verschaffen.

QuellentextEmpfehlung des Europarats zur Media Governance

Der Europarat, dem 46 europäische Länder angehören, hat in einer Empfehlung von 2022 „Media and Communication Governance“ definiert als sämtliche Arten formeller Regeln wie staatliche Regulierung, Co-Regulierung, Selbstregulierung und Selbstorganisation, informelle Normen und technische Lösungen, die die Produktion, Verbreitung und Nutzung von Inhalten in der Öffentlichkeit gestalten. Damit bringt er zum Ausdruck, dass Medienpolitik sich aufgrund des digitalen Strukturwandels von Öffentlichkeit nicht auf Massenmedien beschränken kann und zur medienpolitischen Zielerreichung verschiedenste Instrumente einsetzen muss. In der Empfehlung werden darauf aufbauend fünf prozedurale (wie wird Governance entwickelt und umgesetzt) und zehn substanzielle (welchen Themen muss sich Governance annehmen) Prinzipien formuliert, die Medien und Plattformen betreffen und die sich an Staaten und private Akteure richten.

Quelle: Recommendation Externer Link: CM/Rec(2022)11 of the Committee of Ministers to member States on principles for media and communication governance

Bereiche der Medienpolitik

Medienpolitik umfasst heute also mehr als die Beschäftigung mit Presse und Rundfunk. Wird die öffentliche Vermittlung von Kommunikation als Gegenstand von Medienpolitik gesetzt, so können entlang des Kommunikationsprozesses verschiedene konvergente Bereiche der Medienpolitik unterschieden werden, zu deren Bearbeitung unterschiedliche Formen von Governance zum Einsatz kommen:

  • Marktzugang und Wettbewerb: Noch vor der Produktion von Inhalten sowie deren Verbreitung und Nutzung beschäftigt sich Medienpolitik mit Marktzugang und Wettbewerb. Im Rundfunksektor benötigen private Radio- und Fernsehsender traditionell eine staatliche Zulassung. In Deutschland sind hierfür die Landesmedienanstalten und – für bundesweite Sender – ihre gemeinsame Externer Link: Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) zuständig. Für Medien- und Plattformmärkte gilt zudem das allgemeine Wettbewerbsrecht, das die Gewährleistung eines funktionierenden ökonomischen Wettbewerbs und die Verhinderung des Missbrauchs von Marktmacht zum Ziel hat. Um auch publizistischen Wettbewerb zu erhalten und den Missbrauch von Meinungsmacht zu verhindern, findet sich in vielen Ländern zudem eine Externer Link: Regulierung von Medienkonzentration.

  • Produktion: Medienpolitik zielt stark darauf ab, die Produktion publizistischer Inhalte durch Medienorganisationen sicherzustellen. In fast allen europäischen Ländern wurde ein öffentlicher Rundfunk eingerichtet, der einen Programmauftrag zu erfüllen hat und dafür hauptsächlich mit öffentlichen Geldern finanziert wird. In Deutschland werden die Interner Link: öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (in der ARD zusammengeschlossene Landesrundfunkanstalten, ZDF und Deutschlandradio) aus dem Rundfunkbeitrag finanziert. Aber auch private Medienorganisationen können mit öffentlichen Geldern unterstützt werden. Eine solche Medienförderung existiert in vielen europäischen Ländern für die Presse und ihre Onlineangebote. In Deutschland beschränkt sich die Unterstützung auf indirekte Formen wie einen reduzierten Mehrwertsteuersatz, während andere Länder wie Österreich auch eine direkte Unterstützung von Medienhäusern implementiert haben. Mit Blick auf professionelle journalistische Grundsätze und Sorgfaltspflichten kommen hingegen eine Selbstregulierung durch Presseräte und die Selbstorganisation einzelner Medienhäuser zum Tragen.

  • Inhalte: Medieninhalte und Inhalte im Internet werden aufgrund der Meinungsäußerungs- und Medienfreiheit nur zurückhaltend reguliert. Für Rundfunksender gelten einige inhaltliche Mindestanforderungen; für audiovisuelle Angebote und Games kommen Selbst- und Co-Regulierung im Rahmen des Jugendmedienschutzes zum Einsatz. Im Internet gilt in der EU für sogenannte Vermittlungsdienste (Internetprovider, Hostingdienste, Plattformen) ein Haftungsprivileg, d. h. sie sind für die von ihren Nutzer*innen hochgeladenen Inhalte nicht verantwortlich, außer sie haben von deren Illegalität Kenntnis. Plattformen haben für ihre Nutzer*innen im Sinne der Selbstorganisation eigene Regeln aufgestellt. In der EU müssen sie aber durch neu eingeführte Co-Regulierung Meldesysteme zur Beanstandung von Inhalten einrichten, Entscheidungen begründen und eine Beschwerdemöglichkeit anbieten.

  • Verbreitung: Mit Blick auf die Verbreitung befasst sich Medienpolitik mit der elektronischen Kommunikationsinfrastruktur, auf die Kommunikationsdienste, Rundfunk und Internet angewiesen sind. Vielfach wird der Ausbau der Infrastruktur in weniger dicht bevölkerten Gegenden subventioniert. Zudem werden marktmächtige Unternehmen (bspw. Telekommunikationsunternehmen und Plattformbetreiber) zusätzliche Pflichten auferlegt, damit von ihnen abhängige Unternehmen nicht benachteiligt werden können. Auch die Bevorzugung von als relevant erachteten Medienangeboten (z. B. auf der Benutzungsoberfläche von Smart-TVs) oder Vorschriften zur Erklärbarkeit algorithmischer Empfehlungssysteme existieren.

  • Nutzung: Auf der Seite der Nutzer*innen umfasst Medienpolitik u.a. Maßnahmen zur Förderung von Medienkompetenz.

Medienpolitik steht vor der Herausforderung, die für ein bestimmtes medienpolitisches Problem geeigneten Instrumente auszuwählen. Hierbei können Ansätze der „Governance Choice“ helfen. Gemäß diesen Ansätzen ist zuerst zu analysieren, ob eine bestimmte Form von Governance zur Lösung des identifizierten Problems angemessen ist, und später zu prüfen, ob das Problem auch tatsächlich gelöst wird und Governance damit zur Verwirklichung des öffentlichen Interesses beiträgt.

Fazit: Demokratiegerechte Reform von Medienpolitik

Trotz aller Veränderungen in Gegenstand und Instrumenten – das Ziel von Medienpolitik bleibt gleich: Durch die Gestaltung von Medienstrukturen soll eine funktionierende Öffentlichkeit gewährleistet werden, die eine Voraussetzung für die Demokratie ist. Bleibt die Frage, ob die praktische Medienpolitik diesem Anspruch gerecht wird.

In der Tat kann kritisch hinterfragt werden, inwiefern die von Medienpolitik gestalteten Medienstrukturen wirklich dem öffentlichen Interesse entsprechen. Medien und Plattformen sind zumeist kommerziell institutionalisiert und verfolgen in erster Linie ökonomische Ziele, was sich auf die Produktion und (algorithmische) Selektion von Inhalten auswirkt. Zudem sind Medien- und Plattformmärkte oft hoch konzentriert, was mit Blick auf ihre Markt- und Meinungsmacht problematisch ist. Dennoch werden in der Medienpolitik kaum Alternativen zu einer kommerzialisierten und vermachteten – also von wenigen Medien- und Plattformunternehmen geprägten – Öffentlichkeit vorangetrieben. Das liegt auch daran, dass Medienpolitik ein Politikfeld ist, das von Unternehmen und ihren Verbänden, Parteien und den Akteuren des politisch-administrativen Systems dominiert wird. Das Publikum hingegen hat wenig Einfluss.

Entsprechend bedarf es einer Demokratisierung des medienpolitischen Prozesses. Einerseits kann qualitative Forschung über Bedürfnisse und Perspektiven des Publikums dabei helfen, medienpolitische Ziele zu formulieren und Folgen medienpolitischer Entscheidungen für verschiedene Bevölkerungsgruppen besser zu verstehen. Andererseits lassen sich die Partizipationsmöglichkeiten der Nutzer*innen in der Medienpolitik verbessern, beispielsweise durch die Vertretung in Gremien von Medienorganisationen und Regulierungsbehörden oder die Berücksichtigung zivilgesellschaftlicher Vorschläge im Rahmen von Konsultationsverfahren. Eine stärkere Beteiligung des Publikums stellt auch eine Chance dar, gesellschaftliche Diversität adäquater abzubilden.

Eine Demokratisierung von Medienpolitik bietet letztlich die Chance auf eine Reform bestehender Medienstrukturen, ohne die sich an der von Medien und Plattformen erbrachten Vermittlungsleistung nichts ändern wird. Baker bringt dies prägnant auf den Punkt: „The mass media will continue to fail us without change to the structure that induces these failures.“ (Die Massenmedien [und Plattformen] werden uns auch weiterhin hängenlassen ohne eine Änderung der Strukturen, die dieses Versagen verursachen.)

Quellen / Literatur

Zum Weiterlesen



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Fussnoten

Fußnoten

  1. Habermas (1990 [1962]); Imhof (2006).

  2. Burkart (2021: 358–363).

  3. Puppis (2023: 19–23).

  4. Freedman (2008: 1); McChesney (2008: 135); Puppis (2023: 29–31).

  5. Ali & Puppis (2018); Freedman (2010); Puppis (2023: 50–51, 61–63).

  6. Eisenegger (2021); Habermas (2021).

  7. Van Dijck, Poell & de Waal (2018: 31–37).

  8. Picard (2020: 8), Puppis (2010: 34–35); Schatz, Habig & Immer (1990: 332).

  9. Kleinsteuber & Thomaß (2009).

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  15. Puppis (2023: 107–121).

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  17. Just & Latzer (2017).

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  19. Verordnung (EU) 2022/2065.

  20. Latzer, Saurwein & Just (2019).

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  23. Hasebrink (2011).

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  26. Puppis (2023: 369–377).

  27. Baker (2007: 202).

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Weitere Inhalte

Prof. Dr. Manuel Puppis ist ordentlicher Professur für Medienstrukturen und Governance am Departement für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung DCM der Universität Freiburg (Schweiz). Seine Forschungsinteressen sind Medienpolitik, Medienregulierung und Media Governance, Mediensysteme in vergleichender Perspektive, die Digitalisierung und Plattformisierung von Öffentlichkeit, Medienorganisationen und Journalismus sowie Medienökonomie und Kritische Politische Ökonomie.