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Inklusion und Teilhabe als Aufgabe der Medien

Ingo Bosse

/ 15 Minuten zu lesen

Medien haben eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung einer inklusiven Gesellschaft. Sie können dazu beitragen, die Situation von Menschen mit Behinderung zu verbessern. Welche Rolle spielt Inklusion in den Angeboten und Programminhalten?

Die Sky-Reporterin Anna Schmalhofer steht an einer Kamera. Welche Rolle spielt Inklusion in den Angeboten und Programminhalten? (© picture-alliance/dpa, Felix Hörhager)

Digitalisierung als soziales und kulturelles Phänomen

In Interner Link: demokratischen Systemen spielen die Medien für die Meinungsbildung eine große Rolle, das gilt insbesondere, wenn zu Themen und Personen wenig persönliche Berührungspunkte bestehen. Beim Thema Interner Link: Inklusion vermitteln Medien Wissen, setzen Themen auf die Tagesordnung (Interner Link: Agenda-Setting) oder betonen bestimmte Aspekte eines Themas (Interner Link: Framing) und sie erzeugen einen Eindruck vom vorherrschenden Meinungsklima. In einer mediatisierten Gesellschaft durchdringen Medien alle Lebens- und gesellschaftlichen Teilbereiche. Immer mehr gesellschaftliche Prozesse verlagern sich ins Internet. Dies wird auch als Kultur der Digitalität bezeichnet. In einer Kultur der Digitalität stellen Medien einen wesentlichen Zugang zur Welt dar, der Teilhabe am öffentlichen und kulturellen Leben ermöglicht – dieses soziale und kulturelle Phänomen geht deutlich über die rein technischen Innovationen der Digitalisierung hinaus.

Dieser gesellschaftliche Wandel zur Kultur der Digitalität betrifft Menschen mit Beeinträchtigungen wie alle Bürgerinnen und Bürger. Menschen mit Beeinträchtigungen sind aber keine einheitliche Gruppe. Für einige von ihnen sind Medien in der Lage, dazu beizutragen, bestimmte Einschränkungen in der Alltagsbewältigung zu überwinden oder auszugleichen. Für andere ist der Zugang zu und die Nutzung von Medien häufig mit verschiedenen Barrieren verbunden.

Es ist ein erklärtes Ziel der Medienpolitik und Medienaufsicht, die Voraussetzungen für eine selbstbestimmte und chancengleiche Mediennutzung für Alle zu schaffen. Um diesen Anspruch umsetzen zu können, ist seitens der Medienanbieter differenziertes Wissen über die medienbezogenen Bedürfnisse von Menschen mit Beeinträchtigungen und über die sich bei der Mediennutzung ergebenden Zugangs- und Nutzungsbarrieren erforderlich. Seitens der Nutzerinnen und Nutzer ist Externer Link: Medienkompetenz unabdingbar.

In der Interner Link: Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen werden Medien und Technologien eine Querschnittsfunktion bei der Umsetzung „gleichberechtigter Teilhabe und Inklusion“ zugewiesen, die sich u.a. in folgenden Artikeln zeigt:

  • Artikel 8 – Bewusstseinsbildung,

  • Artikel 9 – Zugänglichkeit,

  • Artikel 21 – Zugang zu Informationen,

  • Artikel 24 – Bildung,

  • Artikel 29 – Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben und

  • Artikel 30 - Teilhabe am kulturellen Leben sowie an Erholung, Freizeit und Sport.

Es werden damit drei Ebenen angesprochen, die eng miteinander verwoben sind: Teilhabe IN Medien, Teilhabe AN Medien und Teilhabe DURCH Medien.

  • Teilhabe IN Medien – mediale Darstellung: Medien haben einen erheblichen Einfluss auf die kulturelle und soziale Inszenierung von Behinderung und damit verbundenen Exklusions- oder Inklusionstendenzen. Gleichzeitig war es noch nie so niedrigschwellig möglich, dem durch Massenmedien vermittelten Bild von Behinderung der Öffentlichkeit die Eigensicht von Menschen mit Behinderung gegenüber zu stellen, z. B. über Blogs und soziale Netzwerke.

  • Teilhabe AN Medien – mediale Zugänglichkeit: Die vollständige Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von Informationen und Kommunikation ist eine Frage der demokratischen Meinungsbildung. Dafür sind Medien grundlegend. Barrierefreie Angebote wie Untertitelung, Gebärdensprachdolmetschung, Audiodeskription und verständliche, einfache Sprache sind dafür unbedingt notwendig.

  • Teilhabe DURCH Medien – inklusive Medienbildung: Neben barrierefreier Zugänglichkeit und Nutzbarkeit ist eine entsprechende Medienkompetenz eine wichtige Voraussetzung, um am gesellschaftlichen Leben teilnehmen zu können. Dazu bedarf es einer Medienbildung, welche Differenzen in den Zugängen und Nutzungsweisen berücksichtigt. Aktive Medienarbeit als Kernstück inklusiver Medienbildung schafft gemeinsame Erfahrungs-, Handlungs- und Kommunikationsräume.

Seitdem diese Dreiteilung erstmals im Jahr 2016 bei der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen ist, hat sie die Medien- und Inklusionspädagogik geprägt. Eine Zweiteilung der Diskussionen um Teilhabe und Inklusion im Kontext der Medien lässt sich aber ebenso gut ableiten:

Dabei wird einerseits die Frage verfolgt, wie Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen (auch der „nichtdigitalen Welt“) mit digitalen Medien unterstützt werden kann, sowie welche Barrieren dem entgegenstehen. „Teilhabe mit digitalen Medien“ zielt also auf die Assistenzfunktion digitaler Medien und schaut auf die individuelle Ebene von Inklusion. Es geht um den Nutzen für Individuen.

Andererseits wird in dieser Systematik die Frage verfolgt: Wie lässt sich die Teilhabe aller Menschen in digitalen Medien und der digitalen Gesellschaft unterstützen? Hier geht es um die gesellschaftliche Ebene, die mehr umfasst als nur die Thematisierung von Behinderung in den Medien.

Inklusion und Teilhabe in, an und durch Medien: sozial gerecht?

Wie jeder Transformationsprozess verlangt auch die Digitalisierung Ressourcen. Diese Ressourcen werden auch als verschiedene Kapitalsorten bezeichnet: soziales Kapital, kulturelles Kapital und finanzielles Kapital. Auf dieser Grundlage lassen sich Zusammenhänge zwischen digitalen Ungleichheiten und sozialen Ungleichheiten erklären: Wer in der analogen Welt besonders von sozialer Ungleichheit betroffen ist, ist häufig auch in der digitalen Welt benachteiligt.

Zitat

Mit der Steigerung der Komplexität neuer Technologien droht sich dieser Trend zu verstärken und damit nicht nur bestehende Benachteiligungen zu verfestigen, sondern auch neue gesellschaftliche Gräben zwischen Digitalisierungs-Profiteuren*innen und -Verlierer*innen aufzureißen.

Pelka 2024.

Mit der zunehmenden Digitalisierung scheint sich eine Verschiebung von Benachteiligungen zu vollziehen: einige Gruppen können besonders vom Digitalisierungstrend profitieren und technische Entwicklungen für sich gewinnbringend nutzen, während bei anderen Gruppen die Gefahr besteht, noch weiter abgehängt werden, da die dafür notwendigen Geräte nicht für sie zugänglich oder nicht umfänglich nutzbar sind. Dies wird auch als Digital Divide oder Digitale Kluft bezeichnet. Die Auseinandersetzung mit digitalen Ungleichheitsmechanismen ist für Fachkräfte bedeutsam, um diese nicht in Einrichtungen und der eigenen Arbeit zu reproduzieren.

Die Forschung zum digital divide hat den Zusammenhang zwischen sozialer und digitaler Ungleichheit in Bezug auf Zugang (First Level Divide) und Nutzung von digitalen Medien (Second Level Divide) hinlänglich nachgewiesen. Dabei sind vier zentrale Faktoren wirksam: Neben dem technischen Zugang (First Level Divide) sind dies Unterschiede in der Autonomie der Nutzung, der Verfügbarkeit von Unterstützung, den individuellen Fähigkeiten und dem Zweck der Internetnutzung. Alle vier Faktoren lassen sich auch in Bezug auf Behinderung beobachten, sodass Forschende von einem Digital Disability Divide sprechen. Dabei entsteht diese „Behinderungs-Kluft“ nicht per se durch die Beeinträchtigungen, sondern durch Barrieren auf verschiedenen Ebenen: technologische, soziale, finanzielle und motivationale. Alle vier Dimensionen von Barrieren hängen miteinander zusammen und beeinflussen sich gegenseitig.

Teilhabe in Medien: Sensibilisierung und Bewusstseinsbildung

Geht es bei digitalen Ungleichheiten für die drei Ebenen der Zugänglichkeit, Nutzbarkeit und der aus der mit digitaler Kompetenz resultierenden Lebenschancen im Kontext des „Digital Disability Divides“ immer auch um Fragen der Nutzung von Medien und Technologien, so geht es bei Fragen zu digitaler Ungleichheit und sozialer Gerechtigkeit auch immer um die Frage, wie vulnerable Gruppen, also Gruppen, die besonders verletzlich sind, auf den „Marktplätzen der Meinungsmacher“ vorkommen.

Ein aktueller Beitrag zur „Interner Link: Darstellung von Menschen mit Behinderungen in Medien in Deutschland“ findet sich mit den Schwerpunkten Fernsehen sowie soziale Medien und Blogs bei der Bundeszentrale für politische Bildung.

Es ist davon auszugehen, dass die enorme Popularität von Anwendungen der künstlichen Intelligenz (KI) einen zunehmenden Einfluss auf die Darstellung ohnehin benachteiligter Gruppen in den Medien haben wird. Was in der Textwelt ChatGPT ist, ist in der Bildproduktion die „KI Midjourney“. Sie kann aus eingegebenen Texten Bilder generieren. Inzwischen sind die Ergebnisse so realistisch, dass man sie kaum noch von echten Fotografien (also Bilder, die mit Kameras und mit echten Menschen vor und hinter der Kamera erzeugt wurden) unterscheiden kann. Dadurch öffnet sich eine ganz neue Welt für Fotograf*innen, Designer*innen und Co, aber es ergeben sich auch viele neue Fragen. Denn die Bilder, die Midjourney erzeugen kann, sehen je nach eingegebenen Prompts unglaublich realistisch aus (ein Prompt ist eine Texteingabe bzw. ein Befehl, der eine KI zu einer bestimmten Aktion auffordert). Was passiert jedoch, wenn man Begriffe jenseits des „Mainstreams“ rund um das Thema Behinderung in diese Programme eingibt? Dann ändert sich im wahrsten Sinne des Wortes sofort das ganze Bild. So werden zum Beispiel Hilfsmittel zumeist in stereotyper Form dargestellt. Rollstühle sehen aus wie aus dem Krankenhaus, haben zum Beispiel Armlehnen oder sind viel zu groß. Nur mit vielen zusätzlichen Begriffen, wie Rollstuhlmarken, „aktiv“ und „ohne Armlehnen“, die man dem Generator mitgeben muss, werden die Personen aktiv dargestellt.

Zitat

Wir müssen auch lernen, Bilder zu lesen. (…) Was ist der Unterschied zwischen einer passiven oder aktiven Darstellung von Protagonist*innen? Wie beeinflusst die Perspektive das Machtverhältnis in einem Bild? (…) Es gibt unzählige Punkte, die ein Bild und die Rezeption beeinflussen und gerade bei der Darstellung von vermeintlichen Minderheiten ist es umso wichtiger, keine einfachen Stereotype zu reproduzieren und somit an den Lebenswelten vorbeizufotografieren.

Weiland 2023.

Teilhabe an Medien: Zugänglichkeit und Nutzbarkeit

Bei der Zugänglichkeit von Informationen geht es darum, alle Bürger*innen in die Lage zu versetzen, sich Informationen selbstständig zu beschaffen. Alle Träger öffentlicher Gewalt in Deutschland sind verpflichtet, ihre Angebote barrierefrei zu gestalten. Geregelt wird Barrierefreiheit im Behindertengleichstellungsgesetz (Externer Link: BGG). Hier wurde das Ziel gesetzlich verankert, alle öffentlich zugänglichen Informations- und Kommunikationssysteme so zu gestalten, dass sie für alle Menschen unabhängig von ihrer Hardware, Software, Sprache, Kultur, ihrem Ort, und physischen oder kognitiven Fähigkeiten nutzbar sind. Novellierungen haben für die Barrierefreiheit der Medien öffentlicher Träger einige Verbesserungen ergeben. Diese Regelungen gelten bisher nicht 1:1 für die Privatwirtschaft.

QuellentextMediale Zugänglichkeit

„Bildungsmedien unterstützen inklusives Lernen. Sie stellen eine inklusive Gesellschaft als anzustrebenden Normalzustand dar. Barrierefreiheit und Inklusion sind Themen, die nicht nur Menschen mit Behinderung angehen: Ein Aufzug im Schulgebäude hilft auch Schüler/innen, die wegen eines gebrochenen Beines vorübergehend nicht laufen können. Menschen, die dabei sind, Deutsch zu lernen, profitieren von den Grundsätzen der Didaktik der 'Leichten Sprache', auch für komplizierte Sachverhalte.“

Quelle: Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, Staatliche Koordinierungsstelle zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention 2016, o. S.

Internetangebote

Die barrierefreie Informationstechnikverordnung (Externer Link: BITV) ist in Deutschland die wichtigste gesetzliche Grundlage für die Barrierefreiheit im Internet. Die BITV ist die deutsche Umsetzung der internationalen Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), die von einem internationalen Konsortium zur Barrierefreiheit im Netz, Externer Link: W3C genannt, erstellt und fortlaufend aktualisiert werden. Die WCAG enthält folgende Grundprinzipien für die Barrierefreiheit:

Grundprinzipien für die Barrierefreiheit (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

  1. Wahrnehmbarkeit: Inhalte müssen so zur Verfügung gestellt werden, dass sie auf verschiedenen Wegen wahrgenommen werden können – beispielsweise auch mithilfe von Vorlesesoftware, Hochkontrast-Einstellungen, Untertitelung oder Gebärdensprache.

  2. Bedienbarkeit: Die Komponenten und die Navigation müssen handhabbar sein, auch ohne Mausklick. Ist die Bedienbarkeit mit der Tastatur sichergestellt, ist i.d.R. auch die Bedienbarkeit mit diversen technologischen Hilfsmitteln gegeben (z. B. Switch, Mundmaus, Eye Tracking, Sprachsteuerung).

  3. Verständlichkeit: Handhabung und Information müssen verständlich sein. Die Verständlichkeit auf Grund komplexer Sprache stellt für Menschen mit Lernschwierigkeiten aber auch z. B. für Migranten eine hohe Hürde dar. Um Informationen auch für diese Nutzergruppen zugänglich und nutzbar zu machen, haben sich unterschiedliche Unterstützungssysteme etabliert. Eine einfach umzusetzende Möglichkeit ist der Einsatz von Vorleseprogrammen, wie z. B. ReadSpeaker. Die Komplexität der angebotenen Informationen bleibt damit aber erhalten. Daher hat sich für Menschen mit Lernschwierigkeiten die Verwendung von Externer Link: Leichter Sprache bzw. einfacher Sprache durchgesetzt.

  4. Robustheit: Die Inhalte müssen funktionieren, interpretierbar sein und standhalten, auch wenn z. B. technologische Hilfsmittel zugreifen.

Zur Umsetzung der Barrierefreiheit im Netz gibt es drei Externer Link: Konformitätsstufen: A – AA – AAA, die in ihrem Anforderungsniveau steigen.

Audiovisuelle Angebote

Die wichtigsten Instrumente zur Schaffung von Barrierefreiheit sind für gehörlose Fernsehzuschauer die Untertitelung und der Einsatz von Gebärdensprachdolmetschung. Für Menschen mit starker Sehbehinderung oder Blindheit ermöglichen akustische Bildbeschreibungen, sogenannte Audiodeskriptionen, dass sie Filme genauso genießen können, wie das sehende Publikum. An dem komplexen Entstehungsprozess der Audiodeskriptionen sollte unbedingt immer eine geschulte blinde Person beteiligt sein. „Da Kinder über weniger Lebenserfahrung und einen kleineren Wortschatz verfügen, bestehen hinsichtlich der Audiodeskription Unterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen. In Bezug auf Audiodeskription für Kinder hat sich der Deutsche Blinden- und Sehbehindertenverband gemeinsam mit den Sendern ARD, ZDF, ORF und SRF auf wesentliche Eckpunkte verständigt (Hörfilm, 2019). Diese Richtlinien ergänzen die allgemeinen Richtlinien für Audiodeskriptionen.“

Fernsehen besteht immer aus Ton und Bild. Für gehörlose Menschen besteht ausschließlich die Möglichkeit, gesendete Informationen mit den Augen aufzunehmen. Wesentliche Informationen fehlen demnach. Die Barriere besteht dennoch nicht in dem fehlenden Ton, sondern in der fehlenden Tonsubstitution. Durch die Visualisierung akustischer Informationen in Form von Untertiteln oder der Einblendung von Gebärdendolmetschern ist es möglich, barrierefrei am Fernsehprogramm zu partizipieren. Dauerhafte Live-Gebärdensprachdolmetschung wie sie in fast allen anderen Ländern der Europäischen Union und auch weltweit üblich ist, ist im deutschen Fernsehen weiterhin nicht vorgesehen. Damit bleibt ein Teil der Gehörlosenkultur im Fernsehen unsichtbar.

Im aktuell gültigen Medienstaatsvertrag von 2020 werden die Rundfunkveranstalter dazu aufgefordert „über ihr bereits bestehendes Engagement hinaus im Rahmen der technischen und ihrer finanziellen Möglichkeiten barrierefreie Angebote aufnehmen und den Umfang solcher Angebote stetig und schrittweise ausweiten.“ ARD und ZDF sowie das Deutschlandradio erstatten ihren Gremien spätestens alle drei Jahre über die Fortschritte Bericht, die privaten Rundfunkanbieter den jeweils zuständigen Landesmedienanstalten.

ARD

Die ARD baut ihr untertiteltes Angebot kontinuierlich aus. Bei den Erstausstrahlungen im Ersten waren 2021 knapp 98 Prozent mit Untertiteln versehen, bei den dritten Programmen lag der Anteil zwischen 75 und 91 Prozent. Über Interner Link: HBBTV lassen sich individuelle Einstellungen vornehmen (z. B. Schriftgröße oder Schriftfarbe). Da es inzwischen zahlreiche Künstliche-Intelligenz-Anwendungen gibt, die Echtzeit-Untertitelung in guter Qualität bieten, ist davon auszugehen, dass sich die Angebote sehr schnell weiterentwickeln. Ebenfalls über HBBTV lassen sich Live-Gebärdensprachübersetzungen zuschalten, z. B. für die „ARD Brennpunkte“ oder „Hart aber Fair“. Auch die Politmagazine sind mit Gebärdensprachdolmetschung abrufbar. Von besonderer Bedeutung sind Angebote für Kinder, die noch nicht schnell genug lesen können, um Untertiteln zu folgen. Dazu gehören Sendungen wie „Die Sendung mit der Maus“, „Wissen macht Ah!“, die neuen Folgen der „Sesamstraße“ oder der „Sandmann“. Das Angebot an Audiodeskription wird kontinuierlich ausgebaut. 53 Prozent der Erstausstrahlungen im Ersten waren im Jahr 2021 in einer Hörfilmfassung verfügbar. Zu besonderen Ereignissen, vor allem im Sport, wie den Olympischen Spielen oder Fußball Welt- und Europameisterschaften werden zudem Live-Audiodeskriptionen angeboten. Der NDR wie auch der MDR bieten Angebote in Leichter Sprache an. Der Wochenüberblick Nachrichtenleicht.de ist ein inzwischen fest etabliertes Angebot, welches auch von Menschen mit Migrationsgeschichte sehr geschätzt wird. Ein Meilenstein war 2024 die Einführung der Externer Link: „Tagesschau“ in einfacher Sprache.

ZDF

Auch das Zweite Deutsche Fernsehen baut sein Angebot an barrierefreien Sendungen kontinuierlich aus. Für alle Sendungen, die ab 16 Uhr ausgestrahlt werden, lassen sich Untertitel über den Teletext zuschalten, diese finden sich auch später mit Untertiteln in der Mediathek. Ein Angebot mit Audiodeskription gibt es für Serien, den Samstagskrimi und den Fernsehfilm der Woche. Ausgewählte Live-Sendungen werden über die Mediathek mit Deutscher Gebärdensprache angeboten. Neben den heute Nachrichten sind dies z. B. Talk Sendungen („Maybrit Illner“) und Magazine („37 Grad“, „Frontal 21“).

Auch das ZDF hat über sein Programm Externer Link: ZDFtivi Sendungen mit Audiodeskription, Untertiteln und Gebärdensprache für Kinder im Angebot. Die barrierefreien Versionen sind über das Internet sowie über HBBTV nutzbar. Einige Angebote wie die „Märchenperlen“ oder „Löwenzahn“ sind mit allen drei Zusatzdiensten verfügbar. Andere Sendungen haben nur ein oder zwei Formen barrierefreier Umsetzung wie die Kindernachrichten „Logo“ oder die Quizzshow „1,2 oder 3“.

ARD und ZDF haben seit 2022 einen neuen Service: Externer Link: Klare Sprache, auch Clear Audio genannt. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz wird der Ton in Sprache und Hintergrund getrennt und wieder in einem neuen Mischungsverhältnis zusammengefügt. Dieser Tonkanal wird je nach Fernsehhersteller unterschiedlich benannt.

Um gleichberechtigte Mediale Teilhabe zu erreichen, setzen sich die Medienanstalten als Aufsichtsgremien der privaten Rundfunkanbieter in Deutschland für Barrierefreiheit ein und führen ein Externer Link: jährliches Monitoring durch, um die Fortschritte zu dokumentieren. War das Monitoring zunächst freiwillig, so ist es inzwischen im Medienstaatsvertrag gesetzlich verankert. Das elfte Monitoring für das Jahr 2023 kam zu folgenden Ergebnissen:

RTL Gruppe

Die RTL Gruppe hat ihr barrierefreies Angebot kontinuierlich ausgebaut. So stieg die Quote an Untertitelung von 9 Prozent im Jahr 2017 auf 21 Prozent im Jahr 2020. Seit dem Jahr 2023 stagniert diese Entwicklung. Die Quote an Untertitelung liegt wie auch im Jahr 2022 im Durchschnitt bei 23 Prozent (RTL, RTL ZWEI, VOX, Super RTL und Nitro). Vor allem Fiktion-Formate mit großer Reichweite werden untertitelt.

Zwischen den einzelnen Sendern der Sendergruppe gibt es dabei erhebliche Unterschiede. RTL II hat einen Anteil von einem Drittel an untertitelten Angeboten. Die Reportage-Reihe „Armes Deutschland – Stempeln oder abrackern?“ wird mit Untertiteln (und Audiodeskription) ausgestrahlt wie auch die Vorabendserien „Köln 50667“ und „Berlin – Tag & Nacht“. Die Dating Show „Love Island“ wird mit Live-Untertiteln produziert.

Für Ende 2024 sind automatisch erzeugte Untertitelgeneratoren angekündigt, die auf Künstlicher Intelligenz beruhen. Sie sollen vor allem für Live-Untertitelung und Video on Demand eingesetzt werden. Es ist zu erwarten, dass diese Tools zu einer deutlichen Erhöhung des Anteils an untertitelten Angeboten führen werden.

Audiodeskription (AD) ist nur einzelne Formate auf den Sendern RTL, RTL ZWEI und VOX verfügbar. Die Sendergruppe plant in den nächsten Jahren für einzelne Live-Sportevents das Angebot von Live-Audiodeskriptionen auszubauen.

Angebote mit Gebärdensprache und in Leichter Sprache sind nicht vorhanden. RTL gibt jedoch an, in technischer Vorbereitung von HBB TV für den Splitscreen-Einsatz von Gebärdendolmetscher*innen zu sein und den Einsatz von Leichter Sprache zu prüfen.

ProSieben/ Sat 1 Gruppe

Im Vergleich zur RTL Deutschland GmbH hat die ProSiebenSat 1 Media SE ein deutlich größeres Angebot an barrierefreien Sendungen (Barrierefreiheit bei ProSieben: Untertitel, Audiodeskription und mehr). Angebote mit Untertitelungen gibt es bei der Sendergruppe bereits seit dem Jahr 2000. Der Anteil untertitelter Sendungen lag im Jahr 2023 bei 37 Prozent und damit um 4 Prozentpunkte höher als im Jahr 2022 (Sat.1, ProSieben, kabel eins, sixx und ProSieben Maxx). Zu den Angeboten gehören internationale Serien wie „Two and a half Men“, „Big Bang Theory“ und „How I met your Mother“. Auch alle Folgen von „Germany`s next Topmodel“ sind mit Untertiteln verfügbar.

Eine kontinuierliche Steigerung lässt sich auch bei den Angeboten mit Audiodeskription feststellen (Sat.1, ProSieben und ProSieben Maxx). Neben zahlreichen Filmen werden Formate wie „Wer stiehlt mir die Show“, „The masked Singer“ und „Schlag den Star“ mit Audiodeskription angeboten.

Ebenso wurde das Angebot an Sendungen mit Gebärdensprache (Sat.1 und ProSieben) erhöht. Diese finden sich sowohl in der Mediathek wie „Germany`s next Topmodel“ oder der „Deutsche Fernsehpreis 2023“. Einzelne Sendungen werden auch im Livestream mit Gebärdensprache angeboten.

Im Jahr 2023 waren auf ProSieben und Sat 1 erstmals Untertitel in Leichter Sprache über den Teletext verfügbar. Weiterhin waren Sendungen die neu in Leichter Sprache vertont wurden, in der Mediathek abrufbar. Umfänglich wurde die Berichterstattung zu den Special Olympics mit Leichter Sprache angeboten.

Ein weiterer Ausbau des barrierefreien Angebots ist geplant. Für 2024 hat sich die Sendergruppe das Ziel gesetzt, die Anzahl der Sendungen mit Untertitelung um 10 Prozent zu steigern. Für Angebot mit Audiodeskription und Gebärdensprache ist eine Steigerung um 30 Prozent geplant. Die Anzahl von Sendungen in Leichter Sprache soll von zwölf auf 24 Sendungen verdoppelt werden.

Formate der Arbeitsgemeinschaft Behinderung und Medien (Externer Link: abm inklumedia) wie das Jugendmagazin „YOIN – Young Inclusion“, die in der Sendergruppe ausgestrahlt werden, verfügen über das umfänglichste Angebot an Barrierefreiheit im deutschen Fernsehen. So wird z. B. das Jugendmagazin „YOIN – Young Inclusion“ mit Untertitelung, Audiodeskription, Gebärdensprachdolmetschung und Leichter Sprache angeboten. Diese Zusatzdienste lassen sich nicht über das lineare Fernsehen, sondern über den Abruf über das Internet, vor allem YouTube, nutzen.

Da bisher bei keinem Sender das Ziel umfassender Barrierefreiheit erreicht ist, um einfach überall mitreden zu können, was in den Medien passiert , sind Informationen darüber notwendig, welche Medienangebote barrierefrei verfügbar sind. Sendetermine lassen sich über die Textversionen einiger Programmzeitschriften abrufen oder bei der Deutschen Hörfilm GmbH. Die Online Programmzeitschrift Externer Link: TV für alle des Vereins Sozialhelden in Zusammenarbeit mit ARD und ZDF sowie dem Verband der privaten Rundfunkanbieter und den Medienanstalten zeigt fortlaufend alle barrierefreien Angebote.

Teilhabe durch Medien: Digitales Empowerment

Das Internet und soziale Medien haben die Struktur von Öffentlichkeit wesentlich verändert. Formen der medienvermittelten und der persönlichen Kommunikation verschränken sich, die direkte Kommunikation mit Gleichgestellten („peer-to-peer“) gewinnt als Quelle der Information und Orientierung an Bedeutung. „Für die politische Bildung ist zudem das Empowerment-Potenzial wichtig, das in der stetigen Entwicklung von Medien steckt. Im Internet ist eine neue Art von Disability Culture online mit einer Vielzahl von persönlichen Geschichten, Erfahrungen und Aktivismus entstanden. Die sozialen Medien haben der Entwicklung einer positiven Identität von Behinderung sowie neuer Formen der Selbstvertretung eine ganz neue Dynamik verliehen. Für viele Menschen mit Behinderung sind die Onlinemedien eine wichtige Möglichkeit der Partizipation, weil Versammlungen, Demonstrationen und andere Formen von Präsenzveranstaltungen für sie schwerer zugänglich sind (Haage 2020).“ Digitale Ermächtigung und Selbstbestimmung („Empowerment“) haben das Potenzial, die Teilhabe an unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen wie Bildung, Wirtschaft, Arbeit und Kultur zu fördern. Stellt für die Teilhabe AN der Mediennutzung die Barrierefreiheit der Zugänge eine Grundvoraussetzung dar, so ist eine Grundbedingung der Teilhabe DURCH Medien der Erwerb von Medienkompetenz.

Fazit: Wie ermöglichen und fördern Medien Inklusion und Teilhabe?

Artikel 29 der UN-Behindertenrechtskonvention „Teilhabe am politischen und öffentlichen Leben“ macht deutlich, dass der Rechtstradition der Exklusion von Menschen mit Behinderung von politischen Entscheidungen nicht weiter gefolgt wird. Die UN-Konvention weist darauf hin, dass Partizipation für Menschen mit Behinderungen notwendig ist, damit sie – wie alle Menschen – ein selbstbestimmtes Leben führen können.

Der weiterhin sehr schnelle technologische Wandel im Bereich der Medien, der derzeit insbesondere durch Entwicklungen im Bereich der Künstlichen Intelligenz bestimmt wird, bietet Chancen für die Medien „einen Beitrag zu einer inklusiveren Gesellschaft leisten.“ Mit jeder neuen technologischen Entwicklung gehen zugleich neue Risiken der Exklusion einher. In Deutschland wird diesen Risiken durch die gesetzlichen Verpflichtungen zu barrierefreien Angeboten begegnet und die Fortschritte regelmäßig der Öffentlichkeit präsentiert. Damit ist zu erwarten, dass die Medien sich ihrer Aufgabe, zu Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen beizutragen, dauerhaft verpflichtet fühlen.

Weitere Inhalte

Dr. Ingo Bosse ist Professor für ICT for Inclusion an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik (HfH) in Zürich. Er leitet dort die gleichnamige Fachstelle und hat die fachliche Co-Leitung für das ALL4all – Sign Language and Access Technologies Lab. Er ist Sprecher der "Fachgruppe inklusive Medienbildung" der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur und publiziert seit vielen Jahren zu Digitalisierung und Inklusion.