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"Bürgerhaushalte und junge Zielgruppen" Interview mit Jürgen Messer

Redaktion Netzwerk Bürgerhaushalt

/ 6 Minuten zu lesen

Freiburg will mit "Jugend im Haushalt" junge Menschen fürs Mitbestimmen begeistern. Jürgen Messer, Ansprechpartner des Projekts, teilt seine Methoden und Erfahrungen mit uns.

(© Jeremy Thomas on Unsplash)

Jürgen Messer ist Mitarbeiter des Jugendbildungswerk Freiburg. Er betreut das Projekt "Jugend im Haushalt", in dem gezielt an das Thema Haushalt und Bürgerhaushalt herangeführt werden. Dabei wird unter anderem gemeinsam erarbeitet, was ein kommunaler Haushalt ist, an welchen Punkten dieser ihr Leben berührt und welche Möglichkeiten es in Freiburg gibt, auf den kommunalen Haushalt einzuwirken. In diesem Projekt können sich die Jugendlichen auch am Bürgerhaushalt der Stadt beteiligen.

Die Redaktion von buergerhaushalt.org hat deshalb Jürgen Messer gesprochen, um mehr über das Projekt, seine Methoden und Ergebnisse zu erfahren.

Was macht das Jugendbildungswerk Freiburg im Programm "Jugend im Haushalt"?

Das Jugendbildungswerk ist eine große außerschulische Bildungseinrichtung in Freiburg. Wir haben ein sehr umfangreiches Kursangebot aus verschiedenen Bereichen, das sich an Jugendliche, Kinder und Familien wendet. Eine Einrichtung des Jugendbildungswerks ist das Jugendbüro Freiburg, das für die kommunale Jugendbeteiligung zuständig ist. Und als Jugendbüro innerhalb des Jugendbildungswerks führen wir das Programm "Jugend im Haushalt" durch.

Welche Veranstaltungen und Aktionen finden im Rahmen des Programms "Jugend im Haushalt" statt?

Freiburg hat einen Doppelhaushalt, der zuletzt 2015/2016 aufgestellt wurde, jetzt wird es wieder einen für 2017/2018 geben. Jeweils zu Beginn dieses Haushalts, in der Phase, in der die Fraktionen im Gemeinderat diskutieren und die Entscheidungen durch den Gemeinderat laufen, gehen wir vom Jugendbüro an Schulen. Dort arbeiten wir hauptsächlich mit 8. und 9. Klassen zusammen, da diese schwerpunktmäßig das Thema "Demokratie in der Kommune" behandeln. Wir fragen zum Beispiel Lehrerinnen und Lehrer für Gemeinschaftskunde an, ob Interesse an einer vom Jugendbüro gestalteten Unterrichtseinheit besteht – so entsteht eine Win-Win-Situation.

Dazu kommt, dass Freiburg einen sogenannten Online-Beteiligungshaushalt hat. Nachdem der Oberbürgermeister den Haushalt eingebracht hat, wird eine Plattform im Internet freigeschaltet, auf der man sich registrieren und eigene Themen vorschlagen kann. Außerdem gibt es die Möglichkeit, von Anderen eingestellte Themen zu bewerten oder über diese zu diskutieren.

Die Gemeinderätinnen und Gemeinderäte bekommen wöchentlich von der Pressestelle der Stadt Freiburg eine Auswertung der Onlineplattform auf den Tisch. Das ist nichts, woran sie sich zu halten haben, aber etwas, woran sie sehen, in welche Richtung die Bürgerschaft gerade diskutiert.

Wie schaffen Sie es, Schülerinnen und Schüler für das eher trockene Thema "Haushalt" zu begeistern?

Wir versuchen das Thema spielerisch anzugehen. Uns ist es wichtig, dass für die Jugendlichen erfahrbar wird, was der städtische Haushalt mit ihrer eigenen Lebenswelt zu tun hat. Wir bitten die Schülerinnen und Schüler beispielsweise einige Stationen aus ihrem Alltag aufzuschreiben. Dann versuchen wir gemeinsam herauszufinden, ob diese etwas mit dem städtischen Haushalt zu tun haben. Von Busfahren (öffentliche Verkehrsmittel) bis Zähneputzen (Wer stellt das Wasser zur Verfügung?) kommen wir auf eine Vielzahl von Verknüpfungen. Auf diese Weise kann das abstrakte Thema spielerisch auf die eigene Lebenserfahrung und Lebenswelt heruntergebrochen werden.

Und dann gibt es eine ganz spannende Geschichte: In der Stadt wird vor Beginn der Haushaltsphase eine Bürgerbefragung durchgeführt. Gefragt werden die Teilnehmenden, wofür sie gerne mehr bzw. weniger Geld im städtischen Haushalt ausgeben würden. Das gleiche bereiten wir mit den Schülerinnen und Schülern auch vor. Zu sehen, inwieweit die Positionen der Jugendlichen von denen der Durchschnittsbürger abweichen oder sich überschneiden, ist immer sehr interessant.

Nachdem die Jugendlichen auf diese Weise an das Thema herangeführt wurden, kommt die Gemeinderätin/der Gemeinderat, die/den wir dabei haben, ins Spiel. Die Jugendlichen haben an dieser Stelle die Möglichkeit, mit jemandem aus der Praxis zu diskutieren. Schülerinnen und Schüler mögen es immer, wenn die Praxis von außen Einzug in ihren Unterricht erhält.

Wir haben am Schluss immer eine kleine Auswertung gemacht. Eine Frage dabei ist: "Glaubst du, dass du deiner Familie erklären könntest, was es mit dem Haushalt auf sich hat?" Etwa 80 Prozent haben gesagt: "Ja, könnte ich. Ich habe ein Verständnis dafür, was das ist." Mehr als zwei Drittel der Schülerinnen und Schüler haben angekreuzt, dass die Stunde sich inhaltlich für sie gelohnt hat und dass sie es spannend fanden, sich mit diesem Thema zu beschäftigen.

Können sich die Schülerinnen und Schüler denn auch an dem Online-Dialog beteiligen?

Sie können sich beteiligen, das ist ein ganz wichtiger Bestandteil unserer Unterrichtseinheit. Wir schauen uns zusammen mit den Jugendlichen und dem Gemeinderat/der -rätin an, wie die Plattform funktioniert. Dabei proben wir, wie sie selbst eine eigene Idee beziehungsweise einen Vorschlag einbringen und wie sie einen anderen Vorschlag bewerten können.

Wir bringen immer Zugangscodes für die Klasse mit, sodass die Schülerinnen und Schüler sich hinterher vielleicht auch in einem anderen Fach nochmal Gedanken machen können, was sie inhaltlich für diesen Beteiligungshaushalt beitragen möchten. Die Gemeinderätin/der Gemeinderat, die dabei sind, sagen zu, ihre Klasse im Nachhinein ein wenig im Auge zu behalten und zu unterstützen, wenn diese Fragen zu dem Beteiligungshaushalt hat.

Sie sagten "Zugangscodes" – kann sich in dem Onlinehaushalt jeder selbst anmelden?

Es kann sich jeder selbst anmelden, weil das eine personalisierte Plattform ist. Für Klassen haben wir von den Betreibern der Seite Zugangscodes bekommen (Namen und Passwort), die geben wir dem Fachlehrer oder der Fachlehrerin mit. Aus datenschutzrechtlichen Gründen gibt es eine Art Klassenkonto.

Wenn aus den Klassen heraus das Interesse besteht, einen Eintrag auf der Plattform zu erstellen, dann machen wir das auch wirklich vor Ort live über PC und Beamer.

Wie werden die Beiträge der Schülerinnen und Schüler in den Bürgerhaushalt integriert?

Die Beiträge werden bei der wöchentlichen Auswertung dem Gemeinderat vorgelegt. Dieser überlegt dann, ob das Anliegen der Jugendlichen wirklich in die Haushaltsdebatte eingebracht und mit Geld ausgestattet wird oder ob es eventuell in einen großen Topf mit einem anderen Anliegen gesteckt wird.

De facto ist es so, dass da keinerlei Verbindlichkeit besteht. Das ist auch ein Kritikpunkt, der ganz allgemein an den Bürgerhaushalt in Freiburg herangetragen wird. Im Prinzip sind das Anregungen, welche die Fraktionen im Gemeinderat unterschiedlich wohlwollend aufnehmen, je nachdem, ob sie jetzt in ihre Konzepte passen oder nicht. Das ist mitunter schwierig, den Jugendlichen zu vermitteln.

Gibt es Beispiele für Ideen von Schulklassen, die tatsächlich auch aufgenommen wurden?

Von einer Schulklasse kann ich das jetzt nicht sagen, aber wir haben in Freiburg eine Jugendinitiative, die nennt sich Skatement (Skaten + Statement). Diese hat sich über einen langen Zeitraum kontinuierlich dafür eingesetzt, dass es in Freiburg einen Skateplatz gibt. Die Jugendlichen haben die Online-Plattform genutzt, um ihr Anliegen nach einem Skateplatzbau in Freiburg publik zu machen. Der Beitrag lag ganz weit vorne im Ranking der Themen in diesem Beteiligungshaushalt.

Dass die Jugendlichen mit ihrer Forderung so weit vorne lagen, ist natürlich ein Erfolg gewesen, doch es hieß leider auch: "Das sind ja Jugendliche, die kennen sich mit der Technik aus, das ist nicht repräsentativ!" An dieser Stelle müssen dann diejenigen, die die Seite politisch auswerten, sagen: Wir stellen so ein Instrument zur Verfügung, dann nehmen wir den Output auch ernst.

Aber es zeigt sich leider sehr oft, dass Jugendlichen ihre Internetaffinität eher als Manko entgegengehalten wird – die Älteren sind da eben nicht so fit mit. Das war eine Erfahrung, die den Jugendlichen und uns vom Jugendbüro ziemlich bitter aufgestoßen ist. Dennoch hat die Stadt den Skateplatz im letzten Jahr - nach über zehnjährigem Engagement der Jugendlichen - tatsächlich eröffnet.

Es gibt ja auch den Freiburger Schülerhaushalt – gibt es da Anknüpfungspunkte? Warum gibt es da zwei unterschiedliche Strukturen?

Da gibt es keine Anknüpfungspunkte, weil es – wie Sie sagen – zwei völlig unterschiedliche Strukturen sind. Das eine ist ein städtischer Haushalt für die Allgemeinheit, der nach bestimmten Verwaltungsvorschriften usw. verhandelt wird; der Schülerhaushalt hingegen ist ein Angebot seitens der Stadtverwaltung an Schülerinnen und Schüler bestimmter Schulen. Diesen wird ein Budget zur Verfügung gestellt, das sie für bestimmte Themen und Anliegen demokratisch verwalten können.

Wenn wir in unseren Schulbesuchen über den städtischen Bürgerhaushalt sprechen, weisen wir die Schülerinnen und Schüler darauf hin, dass sie mit dem Schülerhaushalt im Kleinen die Möglichkeit haben, so etwas für sich einmal praktisch durchzuspielen.

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