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Politische Bildung und Bürgerhaushalt

Christa Widmaier

/ 5 Minuten zu lesen

Politische Bildung soll dazu beitragen, das demokratische Bewusstsein in der Bevölkerung zu fördern, die Bürger zu motivieren am politischen Leben teilzunehmen.

(© Trac Vu on Unsplash )

Politische Bildung soll dazu beitragen, das demokratische Bewusstsein in der Bevölkerung zu fördern, die Bürger zu motivieren und befähigen, mündig aktiv und kritisch am politischen Leben teilzunehmen. Dadurch werden Kenntnisse, Einblick und Verständnis in gesellschaftliche Zusammenhänge politischer, sozialer, kultureller, ökonomischer und ökologischer Prozesse vermittelt.

Der Prozess des Bürgerhaushaltes birgt Potentiale und Ansätze poltischer Bildung in sich, zum Beispiel wenn ein Bürgerhaushalt als weiterer Baustein in Richtung einer Bürgerkommune konzipiert ist und damit Grundlagen für ein neues Verhältnis zwischen Bürgerinnen, Bürgern, Verwaltung und Politik geschaffen werden sollen. Gemeinsame Anstrengungen aller beteiligten Akteure mit dem Ziel, Vorschläge zur Lösung der Probleme der Kommune zu entwickeln, können zur Bildung einer neuen Partnerschaft zwischen Bürger/innen, der lokalen/regionalen Politik und ihrer Verwaltung beitragen. Um Prozesse politischer Bildung in diesem Kontext zu fördern, müssen bestimmte Rahmenbedingungen bei der Durchführung des Bürgerhaushaltes gegeben sein.

Die Kommune als direkter Lebensraum der Bevölkerung bietet per se ideale Bedingungen, um Interesse, Motivation und Engagement ihrer Bewohner/innen zu fördern. Bürger/innen sind direkt betroffen von den Lebensbedingungen ihres Sozialraums wie zum Beispiel das Angebot und die Qualität der Infrastruktur im öffentlichen Nahverkehr, Schulen, Kindertagesstätten und Kindergärten, Kultur- und Freizeitangeboten, Grünflächen, Spielplätzen, Jugendzentren, Einkaufsmöglichkeiten etc. Themen wie die persönliche Mobilität und Sicherheit im öffentlichen Bereich spielen ebenfalls eine wichtige Rolle.

Daraus kann jedoch nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass bei den Bürger/innen quasi automatisch das Interesse besteht, sich in ihrer Kommune zu engagieren – geschweige denn, sich mit dem Haushalt ausführlich zu befassen. Wie wir aus verschiedenen Studien und Theorieansätzen wissen, ist direkte Betroffenheit ein wichtiger Faktor, der zu Engagement und Bürgerbeteiligung führen kann, keinesfalls können wir von einem Automatismus ausgehen. Diskussionen über städtische Finanzen sind hochkomplex und in der Regel nur für wenige Bürgerinnen und Bürger attraktiv. Um mit ihnen über den städtischen Haushalt und die Auswirkungen von Mittelverschiebungen ins Gespräch zu kommen, muss die Stadtverwaltung deshalb Informationen in allgemein verständlicher Form zusammenstellen und gegebenenfalls für verschiedene Bevölkerungsgruppen spezifisch aufbereiten.

In den Anfängen der ersten Bürgerhaushalte in Deutschland ging man von drei Phasen des Beteiligungshaushaltes aus, nämlich der Information der Bürgerschaft, der Konsultation und Beteiligung sowie der Rechenschaftslegung. Die Erfahrungen zeigten, dass an erster Stelle die Sensibilisierung und Mobilisierung der Bürger/innen stehen sollte um einen erfolgreichen Prozess mit einer breiten Beteiligung der Bevölkerung zu erreichen. Hierfür und um das Potential politischer Bildung „auszuschöpfen“, ist es notwendig, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen differenziert nach den unterschiedlichen Interessensgruppen und deren Charakteristika z.B. Alter, Geschlecht, Herkunft, Bildungsstand, Einkommen etc. anzusprechen und zu mobilisieren.

In allen Phasen ist es deshalb erforderlich, unterschiedliche Methoden anzuwenden, die den verschiedenen Bevölkerungsgruppen und ihren Bedürfnissen gerecht werden. Die Stadt Freiburg hat mit ihrem Projekt „Jugend im Haushalt“ erste Erfahrungen mit Jugendlichen gemacht. Im Rahmen des Freiburger Beteiligungshaushaltes 2009/2010 hat sich eine Initiative gegründet, die sich zum Ziel gesetzt hatte, auch Jugendliche in den Prozess des Beteiligungshaushaltes aktiv einzubinden - zumal die Zielgruppe im städtischen Gesamtprozess anfangs fast vergessen wurde. Gemeinsam wurden Strategien entwickelt und Aktivitäten durchgeführt: Info-Weblog für Jugendliche, Jugendworkshop, Infostände, Seminare für Jugendliche sowie ein Training für die Teilnahme an der Stadtkonferenz. Die Initiative basierte auf ehrenamtlichem Engagement vieler unterschiedlicher Akteure und Akteurinnen.

Es war ein Projekt, das unterschiedliche Interessensgruppen für ein gemeinsames Ziel mobilisiert hatte. Jugendinitiativen haben sich in einem Netzwerk zusammen geschlossen, Jugendliche wurden zielgruppengerecht informiert und haben ihre eigene Befragung bekommen. Sie wurden damit Teil des Beteiligungshaushaltes. Hierbei hat sowohl ein wichtiger Prozess der politischen Bildung als auch des persönlicher Kompetenzgewinns stattgefunden. Das Projekt "Jugend im Haushalt" zeigt, wie Jugendliche für das Thema "städtische Finanzen" interessiert und mobilisiert werden können Grundsätzlich ist dieses Konzept der Jugendbeteiligung auf alle Kommunen übertragbar, die Bürgerbeteiligung im Rahmen der Haushaltsdebatten fördern.

Der Prozess des BHH erfordert demzufolge neue Formen des Zusammenspiels zwischen Bürgerinnen und Bürgern, kommunaler Politik sowie der Verwaltung. Bei erfolgreicher Durchführung des Bürgerhaushalts-Prozesses (unter Berücksichtigung der verschiedenen Beteiligungsphasen) nehmen Bürger/innen eine neue Rolle ein:

Durch adäquates Vorgehen von Verwaltung und Politik werden sie motiviert, sich kundig zu machen, sich einzumischen, sich zu informieren, Vorschläge zu erarbeiten und unterbreiten, Akzente und Prioritäten zu setzen. Lernprozesse über Stadtentwicklung, Haushaltsplanung, das Funktionieren der Verwaltung können stattfinden. Bürgerinnen und Bürger identifizieren sich mit ihrer Stadt und üben ihr Recht aus, über die Entscheidungen von Politik und Verwaltung zur Umsetzung der Vorschläge adäquat informiert zu werden und idealerweise an der Gestaltung und Anwendung entsprechender Evaluierungs- und Monitoringprozesse teilzunehmen.

Politische Bildung verstanden als Förderung der aktiven Teilnahme an Entscheidungen im direkten Lebensumfeld fördert Bewusstsein und Kompetenzen für demokratisches Handeln und politische Partizipation. Die Mitgestaltung von politischen Entscheidungsprozessen bedeutet Demokratie aktiv und konkret zu „lernen“ und erfahrbar zu machen. Das gegenseitige Kennenlernen von Mitgliedern der Verwaltung, Politik und den Bürger/innen kann dazu beitragen, Vorurteile abzubauen, gegenseitiges Vertrauen zu bilden, Prozesse transparenter zu machen und bei allen beteiligten Akteuren Grundlagen zum Verständnis über Prozesse politischer Sachverhalte und Meinungsbildung in der Kommune zu legen.

Politische Bildung und Bürgerhaushalt – dieser Prozess bezieht Empowerment-Strategien ein. Empowerment ist ein Handlungskonzept, das an den Stärken und Kompetenzen der Menschen ansetzt und sie dabei unterstützt, eigene Stärken zu entdecken und Ressourcen zur Problemlösung zu entwickeln.

Empowermentstrategien und –maßnahmen streben an, den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen oder Gemeinschaften zu erhöhen, ihre Gestaltungsspielräume und Ressourcen wahrzunehmen und zu nutzen und es ihnen zu ermöglichen, ihre Interessen eigenmächtig, selbstverantwortlich und selbstbestimmt zu vertreten und zu gestalten. Im Mittelpunkt steht dabei die Stärkung der vorhandenen Potentiale der Menschen. Empowerment wird deshalb auch als eine Voraussetzung für die Nachhaltigkeit von Projekten angesehen.

Politische Bildung, gemeinsame Lernprozesse, gelebte Demokratie, Nachhaltigkeit - es gibt also viele gute Gründe für Bürgerhaushalte.

Fussnoten

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Soziologin, Bonn