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„Eine der wichtigsten demokratischen Innovationen“

Von Simon Pfanzelt und Alexander Ziegler

/ 4 Minuten zu lesen

Nelson Dias berät Kommunen auf der ganzen Welt dabei, Bürgerhaushalte zu etablieren. Ein Gespräch über das rückständige Europa, wahre Partizipation und störrische Politiker.

(© David Watkis on Unsplash)

Herr Dias, Bürgerhaushalte wurden in Brasilien erfunden, in Europa sind sie noch ein recht neues Phänomen. Warum sind wir so spät dran?

Nelson Dias: Weil wir Europäer denken, dass wir die Besten sind. Das ist unser größtes Problem. Wir denken, dass wir vom globalen Süden nichts lernen können. Ich habe schon viele portugiesische Politiker eingeladen, sich Beispiele für gelungene Bürgerhaushalte in Brasilien anzusehen. Aber die wollen das nicht. Diese Einstellung ist der Grund dafür, dass wir in Europa so spät dran sind. Und jetzt, da die Idee langsam auch hier Fuß fasst, sind wir dabei, das Prinzip Bürgerhaushalt zu verwässern.

Wie meinen Sie das? In zahlreichen deutschen Kommunen gibt es mittlerweile Bürgerhaushalte.

Nelson Dias: Ja, aber sie haben alle nur eine beratende Funktion. Die Bürger können ihre Meinung abgeben, aber entscheiden können sie nichts. Aus meiner Sicht sind deutsche Bürgerhaushalte falsch konzipiert. Den deutschen Politikern geht es nur um Information. Und dafür bezahlen sie eine Menge Geld. Manche Kommunen geben eine Million Euro aus nur um den Menschen zu erklären, dass sie übrigens kein Geld haben.

Warum kämpfen Sie so leidenschaftliche für Bürgerhaushalte? In Europa sind Haushaltentscheidungen demokratisch legitimiert.

Nelson Dias: Bürgerhaushalte sind eine der wichtigsten demokratischen Innovationen weltweit. Es gibt in Europa zwar keine Diktaturen, aber das ist nicht die entscheidende Frage. Es geht mir um die Qualität der Demokratien, die wir haben. Bürgerhaushalte sind ein Mitbestimmungsinstrument, das Demokratien verbessern kann. In Ländern wie Portugal oder Deutschland haben wir eine hohe Lebensqualität, aber das führt zu egoistischen Gesellschaften. Junge Menschen interessieren sich nicht für die Gemeinden, in denen sie leben. Sie sehen keine Notwendigkeit, sich vor Ort zu engagieren. Bürgerhaushalte können auch dazu beitragen, junge Menschen zurück in die öffentliche Debatte zu holen.

Bürgerhaushalte bedeuten für gewählte Politiker allerdings einen Machtverlust. Wie überzeugen Sie Politiker von Bürgerhaushalten?

Nelson Dias: Ich versuche, ihre Sprache zu sprechen. Politiker haben eine andere Sprache als normale Menschen. Mittlerweile verstehe ich auch, wie Politiker denken. Ich sage ihnen dann: Ihr könnt mit Bürgerhaushalten sogar an Macht gewinnen.

Das werden sie Ihnen kaum abnehmen.

Nelson Dias: Natürlich werden sie das. Politiker wissen doch, dass die Menschen sie nicht mögen. Bürgerhaushalte wirken dem entgegen, weil sie Nähe zwischen Politikern und Wählern schaffen. Politiker haben so viele Versprechen in ihren Wahlprogrammen. Aber sie haben oft nicht das Geld, alle umzusetzen. Deshalb müssen sie auf die Bürger hören, denn die wissen genau, welche Projekte am wichtigsten sind. Ich sage Politikern auch, dass sie ihre demokratische Legitimation erhöhen, wenn sie einen transparenten Beteiligungsprozess schaffen. Das verstehen natürlich nur wenige von ihnen.

Sie beraten auch Kommunen in Mosambik. Auf was für Probleme treffen Sie dort?

Nelson Dias: Die Bürger von Maputo, der Hauptstadt von Mosambik, haben entschieden, zwei Ortsteile mit einer Straße zu verbinden. Das sollte am Anfang zwei Millionen kosten, am Ende waren es 156 Millionen. Sie können sich vorstellen, welche Probleme die hatten. Sie konnten die Straße nicht bauen. Die Weltbank hat der Kommune dann ermöglicht, dass ich sie kostenlos berate. Ich bin dort, um mit den kommunalen Politikern über eine neue Art von Bürgerhaushalt, über eine neue Methode nachzudenken.

Ihr Arbeitgeber ist in vielen Ländern nicht sehr beliebt.

Nelson Dias: Ich werde von der Weltbank bezahlt, aber in meiner Arbeit bin ich völlig unabhängig. Das ist sehr wichtig, eben weil die Weltbank keine sehr beliebte Institution ist. Als ich in Maputo anfing, dachten die Leute vor Ort: Er ist die Weltbank. Deshalb war es meine erste Aufgabe, Vertrauen herzustellen.

Ein Land wie Mosambik gilt laut Index von Transparency International als sehr korrupt. Glauben Sie, dass Bürgerhaushalte Korruption vorbeugen können?

Nelson Dias: Ja. Wenn Haushalte transparenter werden und die Menschen über Budgets entscheiden können, wirkt das Korruption entgegen. Klar ist aber auch, dass Bürgerhaushalte nur einen Teil der Haushalte betreffen. Sie sind kein Allheilmittel. Bürgerhaushalte können nicht alle Probleme lösen.

Welche Bildkorrektur würden Sie sich wünschen?

Nelson Dias: Das Bild, das wir Europäer vom globalen „Süden“ haben. Dass der „Süden“ nur arm und korrupt ist. Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass eine eurozentrische Perspektive die beste ist. Heute funktioniert die Welt doch nach dem Prinzip: Wenn sie von Südamerika nach Afrika fliegen wollen, müssen Sie über Europa fliegen.

(aus dem Englischen und Portugiesischen übersetzt von Karen De Freitas Silva und den Autoren)

Wir haben das Gespräch im Rahmen der "Bildkorrekturen"-Konferenz für Nachwuchsjournalistinnen und –journalisten zu Korruption und Transparenz in Politik und Wirtschaft geführt. Die Konferenz fand vom 22. bis 24. November 2012 im Internationalen Bildungszentrum der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Feldafing statt.

Fussnoten

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