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Vorform oder "echter" Bürgerhaushalt?

Redaktion Netzwerk Bürgerhaushalt

/ 4 Minuten zu lesen

Betrachtet man die Entwicklung der Bürgerhaushalte in Deutschland, stellt man fest: Das Spektrum der vorhandenen Typen von Beteiligungsverfahren ist bunter geworden. Oftmals unterscheiden sich die einzelnen Verfahren stark in Hinblick auf ihre Diskussionsintensität und die Art und Weise der Rechenschaftslegung. Diese beiden Aspekte sind jedoch wichtig, um ein Verfahren als Bürgerhaushalt bezeichnen zu können oder nicht.

In Beiträgen des Netzwerks Bürgerhaushalt wird der Begriff des Bürgerhaushaltes klar definitorisch eingegrenzt. Als Orientierung dient dabei die Interner Link: Definition von Herzberg et al., wonach Bürgerbeteiligungsverfahren fünf Bedingungen erfüllen müssen, damit sie als Bürgerhaushalte bezeichnet werden können:

  • Im Zentrum der Beteiligung stehen finanzielle Angelegenheiten, es geht um begrenzte Ressourcen.

  • Die Beteiligung findet auf der Ebene der Gesamtstadt oder auf der eines Bezirks mit eigenen politischen und administrativen Kompetenzen statt. Ein Stadtteilfonds allein, ohne Partizipation auf der gesamtstädtischen bzw. bezirklichen Ebene, ist kein Bürgerhaushalt

  • Es handelt sich um ein auf Dauer angelegtes und wiederholtes Verfahren. Ein einmaliges Referendum zu haushalts- oder steuerpolitischen Fragen ist kein Bürgerhaushalt.

  • Der Prozess beruht auf einem eigenständigen Diskussionsprozess, der mittels Internet oder Versammlungen bzw. Treffen geführt wird. Eine schriftliche Befragung allein ist demnach kein Bürgerhaushalt. Ebenso nicht die bloße Öffnung bestehender Verwaltungsgremien oder Institutionen der repräsentativen Demokratie.

  • Die Organisatoren müssen Rechenschaft in Bezug darauf ablegen, inwieweit die im Verfahren geäußerten Vorschläge aufgegriffen und umgesetzt werden.

Insbesondere die letzten beiden Bedingungen werden allerdings in der Praxis nicht immer erfüllt; auch Verfahren, die keine Diskussionsmöglichkeiten unter den Teilnehmenden bzw. mit Verwaltungsmitarbeitern bieten, werden in einigen von den Kommunen selbst als "Bürgerhaushalt" bezeichnet. Gleiches mit der Rechenschaftlegung: Aus dem Externer Link: Statusbericht 2014 geht klar hervor, dass viele als Bürgerhaushalte bezeichnete Verfahren keine umfassende Rechenschaftslegung machen.

Davon abgeleitet stellt sich die Frage, wie streng die Definition von Herzberg et al. genommen werden sollte. Würden allen Bürgerhaushalte, die keine gesonderte Rechenschaft ablegen, die Bezeichnung "Bürgerhaushalt" verwehrt, so wäre die Landschaft der Bürgerhaushalte laut Statusbericht um rund 22 Bürgerhaushalt-Kommunen ärmer. Die Redaktion von buergerhaushalt.org hat für die jährliche Recherche für den Statusbericht daher einen pragmatischen Ansatz gewählt und das Kriterium Rechenschaft lediglich als anzustrebende Charakteristik ausgelegt (nicht aber als Ausschlusskriterium). Daneben hat die Redaktion für den Statusbericht 2014 erstmalig den Status "Vorform" definiert. 41 Kommunen wurden bei der letzten Recherche dieser Kategorie zugeordnet:

"Das derzeit durch die Kommune durchgeführte Verfahren zur Bürgerbeteiligung am Haushalt entspricht noch nicht einem vollwertigen Bürgerhaushalt . Dazu bedarf es insbesondere erweiterter Interaktionsformen mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Verwaltung und/oder Politikerinnen und Politikern. Diese könnten bspw. in Form einer Online-Beteiligungsplattform oder in Form von Bürgerversammlungen eröffnet werden. Konstitutiv für einen Bürgerhaushalt ist die Möglichkeit eines öffentlichen Diskurses über den Haushalt. Besteht hingegen nur die Möglichkeit via E-Mail oder mit Hilfe von Online-Formularen Vorschläge für den kommunalen Haushalt an die Verwaltung zu schicken, so wird der Kommune der Status "Vorform (V)" zugeordnet. Beteiligungsverfahren mit dem Status V bieten keine interaktiven Diskussionsmöglichkeiten über den Haushalt. Zur Beteiligung in Form von Rückmeldungen (s.o.) wird jedoch explizit und sichtbar von der Kommune aufgerufen. Der Status V wird an Kommunen vergeben, die die von ihnen durchgeführte Bürgerbeteiligung am Haushalt selbst als „Bürgerhaushalt“ bezeichnen (auch wenn dieser de facto noch keiner ist)."

Ist diese Abgrenzung zwischen Vorformen und Bürgerhaushalten sinnvoll?

Nimmt man begriffliche Abgrenzungen vor, so ist dies immer einer diskussionswürdiger Schritt, der begründet werden sollte. Abstrakt gesprochen dient eine Definition dazu, das Spezifische eines Gegenstandes herauszugreifen und soweit wie möglich exakt zu erfassen. Auch Bürgerhaushalte stellen im Gegensatz zu tradierten Bürgerbeteiligungskanälen, wie etwa Wahlen, eine Besonderheit dar. Denn sie bringen nicht nur alle Akteure, das heißt Bürgerinnen und Bürger, Politikerinnen und Politiker sowie die Verwaltung in einen neuen Dialog miteinander, sondern sie verleihen durch ihren hohen Grad an Transparenz und Öffentlichkeit diesem Dialog eine neue Qualität von Verbindlichkeit. Sichtbar etwa während der Rechenschaftsphase von Bürgerhaushalten, in der Verwaltungen und Politik dezidiert öffentlich begründen, warum Vorschläge umgesetzt wurden oder nicht. Diese Spezifika sind es schließlich, die aufzeigen, warum es notwendig ist, dieser Form von Bürgerbeteiligung einen eigenen Begriff zuzuordnen.

Diese besonderen Eigenschaften begründen auch die Metaeffekte, die Bürgerhaushalten als neue Formen der Bürgerbeteiligung zugesprochen werden. Im Raum stehen Aspekte wie Demokratieförderung, Verständnissteigerung für Abläufe der Verwaltung oder auch die positivere Wahrnehmung der Wirksamkeit eigener politischer Partizipation. Obwohl diese Effekte nur in Teilen nachzuweisen sind, fußen sie auf Dialog und Rechenschaft und damit auf den zentralen Elementen von Bürgerhaushalten. Das bedeutet: Will man diese Effekte diskutieren, ist es notwendig, Verfahren in den Blick zu nehmen, die genau über diese Elemente verfügen. Ein Grund mehr, die Abgrenzung zu Vorformen an dieser Stelle zu vollziehen.

Schließlich empfiehlt sich aus pragmatischen Gründen eine Differenzierung zwischen "Bürgerhaushalten" und "Vorformen". In einer sich stark ausdifferenzierenden Bürgerhaushaltslandschaft in Deutschland ist es sinnvoll das Verständnis von Bürgerhaushalten auf die zentralsten Elemente zu beschränken, um einer Verwässerung des Begriffs sowie Missverständnisse zu vermeiden. In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung des Redaktionsteams, den Aspekt der Rechenschaft nicht als zwingend notwendiges Kriterium für die Bezeichnung "Bürgerhaushalt" zu sehen, durchaus diskutabel.

Doch sind Vorformen nun die schlechteren Beteiligungsverfahren?

Vorformen sind nicht zwangsläufig "schlechte" Verfahren, im Gegenteil. Häufig stellen sie einen ersten Schritt auf dem Weg zum Bürgerhaushalt dar. Durch die Einrichtung von Online-Kontaktformularen oder Frage-Antwort-Stunden mit der kommunalen Politik, öffnen sie bestehende Gremien in Verwaltung und Politik für die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger. Sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch die kommunale Politik und Verwaltung können diese Strukturen nutzen, um sich in direkter Bürgerbeteiligung auszuprobieren. Schritt für Schritt können beide Seiten sie dann in einem gemeinsamen Lernprozess weiterentwickeln, hin zu mehr Dialog und Rechenschaft und damit zum Bürgerhaushalt.

Fussnoten

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