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Bürgerhaushalte und ihre Evaluation

Volker Vorwerk

/ 5 Minuten zu lesen

Die Evaluation, die Untersuchung oder das Monitoring von Bürgerhaushalten und ihrer Ergebnisse dient der Effizienz- und Qualitätskontrolle. Sie ermöglicht Lernprozesse und Anregungen für die Gestaltung dieser innovativen politischen Institution. Exemplarisch werden hier einige evaluative Aspekte, Studien und Daten benannt. Die Neuheit, die Co-Evolution von Bürgerhaushalt und E-Partizipation sowie die zunehmende Verbreitung führen zu einer großen Vielfalt von Verfahrensansätzen. Mögliche Fragen für eine Evaluation sind: Wann kann ein Beteiligungsprozess als Bürgerhaushalt bezeichnet werden? Wie können die Verfahren verbessert werden? Hat der Bürgerhaushalt den gewünschten Einfluss auf die Haushaltsaufstellung? Wie setzen sich die Teilnehmenden zusammen? Wie beurteilen die Teilnehmenden das Verfahren?

Was ist Evaluation?

Weit gefasst kann Evaluation als Sammlung von Informationen über einen Prozess und seine Ergebnisse verstanden werden, um Verbesserungen zu bewirken. Dieser gestalterische Aspekt unterscheidet die Evaluation von theorieorientierter Forschung. Die Informationen können Erfahrungsberichten, direkten und indirekten Beobachtungen, Befragungen, (Online-)Daten- und Dokumentenanalysen entstammen und von Verfahrensbeteiligten, Forschenden, Vertretenden der Presse oder in Blogs formuliert werden.

Die Unendlichkeit möglicher Informationen erfordert Relevanzkriterien, um Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Das Wissen um die Herkunft der Information hilft, diese einzuordnen. Wissenschaftliche Studien sind aber kein Garant für ungefärbte Informationen. Letztlich filtern alle Informationen nach Maßgabe eigener Interessen, Vorannahmen oder Heuristiken. Die Ergebnisse jeder Evaluation sind daher mit einer kritischen Distanz zu betrachten. Die Vielfalt evaluierender Studien kann an Hand einiger Leitfragen gruppiert werden, wobei hier nicht alle Möglichkeiten betrachtet werden:

  • Wer (Teilnehmende, Verwaltung, externe Forschende, Beratende etc.) beobachtet

  • was (ein oder mehrere Verfahren, Prozess, Ergebnis, Teilnehmende etc.),

  • wann (vor, während, nach dem Verfahren),

  • wie (mit welchen Mitteln, Methoden und Theorien, anhand verfahrensinterner oder externer Kriterien),

  • warum (mit welchem Auftrag, mit welchen Zielen),

  • für wen oder was (für Verfahrensverantwortliche, für Stiftungen, für eine Abschlussarbeit usw.),

  • mit welchen Folgen (für das untersuchte oder andere Verfahren)?

Wer evaluiert?

Hier erfolgt die Zuordnung der Studien nach den beiden Fragen: Wer evaluiert? Was? Die Quellen einer Evaluation können fünf Gruppen zugeordnet werden: (1) Forschende, (2) Verfahrensbeteiligte, (3) Gremien des Verfahrens, (4) automatisch erzeugte Kennzahlen innerhalb des Verfahrens und (5) Berichte in Presse, Rundfunk, Blogs und anderen Medien.

(1) Der Einsatz einer wissenschaftlichen Beobachtung ist der übliche Zugang und verspricht einen umfassenden unabhängigen Blick auf die Verfahren. Beispiele hierfür sind die Untersuchung zum zunächst schleppend verlaufenden Bürgerhaushalt in Potsdam (Franzke et al. 2006), zum Bürgerhaushalt Berlin-Lichtenberg (Klages and Daramus 2007), mit aufwändig durchgeführten Beobachtungen und Befragungen, oder zum Bürgerhaushalt Jena (Lautenschläger and Seiffert 2010). Eine wichtige Quelle sind zudem Diplom- (Herzberg 2001) und Doktorarbeiten (Röcke 2009) oder umfassendere Berichte, die mit Drittmitteln gefördert wurden (Sintomer et al. 2009).

(2) Eine zweite wichtige Quelle der Evaluation sind Verfahrensbeteiligte, wie externe Beratende, Mitarbeitende der Verwaltung oder Teilnehmende, die insbesondere im Rahmen der Verfahrensdokumentationen bewertende Informationen liefern. Diese haben den Vorteil, über Detailkenntnisse und internes Verfahrenswissen zu verfügen. Beispiele sind die Dokumentationen zu den Bürgerhaushalten in Bergheim (Vorwerk 2008), Freiburg (Stadt Freiburg 2008) oder Trier (Stadt Trier 2010). Das Bezirksamt Berlin-Lichtenberg veröffentlicht regelmäßig Daten zum Bürgerhaushalt, die einen zeitlichen Vergleich ermöglichen (Bezirksamt Berlin-Lichtenberg 2009). Eine hilfreiche Quelle sind zudem Vorträge von Verfahrensbeteiligten bzw. Tagungsdokumentationen (Vorwerk 2009).

(3) Viele Bürgerhaushalte verfügen über begleitende Gremien oder Beiräte (zum Beispiel Trier, Köln oder Berlin-Lichtenberg), die den Verfahrensablauf diskutieren und das Konzept für das Folgejahr maßgeblich beeinflussen. Hier fließen bewertende Informationen der Teilnehmenden, wichtiger Interessengruppen, der durchführenden Verwaltung, der beschließenden Politik und externer Beratender zusammen.

(4) Bei Online-Verfahren können einige Kennzahlen, wie die Zahl der Teilnehmenden, der Vorschläge oder der Kommentare, in Echtzeit auf der Plattform abgebildet werden. Entsprechendes gilt für die Umsetzung der Vorschläge. Über Fragen (Trier) oder Lob- und Kritik-Foren (Köln, Berlin-Lichtenberg) werden zudem Rückmeldungen der Nutzenden gesammelt und für Anpassungen des Verfahrens genutzt.

(5) Zeitungsberichte, Blogs oder andere Medienberichte enthalten oft bedeutende Hinweise und beeinflussen das öffentliche Meinungsbild. Für die Evaluation sind sie vor allem als Maß der öffentlichen Aufmerksamkeit und als sekundäre Quelle von Interesse.

Was wird evaluiert? Einzel- oder vergleichende Studien

Bei evaluierenden Studien kann zwischen Einzelfallstudien, die das Gros bilden, vergleichende Studien mehrerer Fälle sowie Zeitreihen unterschieden werden. Bei Einzelfallstudien steht der Vergleich mit vorher gesetzten Zielen oder die Beurteilung anhand von (ad hoc) Kriterien im Vordergrund. Sie haben den Vorteil, dass sie offen sind für Kriterien, die erst während der Untersuchung entdeckt werden, und mehr in die Tiefe gehen können. Gerade bei neuen Verfahren oder Konzepten ist ein eher explorativer Ansatz hilfreich. Die Studie zu Berlin-Lichtenberg (Klages and Daramus 2007) ermöglicht beispielsweise den Vergleich der Bedeutung von Bürgerversammlungen, Fragebögen und Online-Dialogen und umfasst Beobachtungen, Befragungen von Teilnehmenden, Vertretenden des Bezirksamtes und der Bezirksverordnetenversammlung. Allerdings fehlen bei Einzelfallstudien oft Bezüge zu anderen Verfahren, so dass die Ergebnisse nur schlecht vergleichend eingeordnet werden können.

Zeitreihen wie in Berlin-Lichtenberg und vergleichende Studien zum Beispiel zu Bürgerhaushalten in Berlin und Brandenburg (Herzberg and Cuny 2007) oder in Großbritannien (SQW Consulting 2010) bieten hier Abhilfe. Der Vergleich von Verfahren im Zeitverlauf oder von mehreren Verfahren ermöglicht insbesondere eine bessere Einordnung quantitativer Daten. Es ist auch ein Vergleich von Bürgerhaushalten mit anderen Verfahren der Bürgerbeteiligung oder anderen Formen der Haushaltsaufstellung denkbar, wenn zum Beispiel interessiert, ob Bürgerhaushalte den Schuldenabbau fördern. Die Nutzung quantitativer Daten ermöglicht anschauliche Vergleiche. Wichtig ist, korrekte Bezugsgrößen zu wählen und die Besonderheiten der jeweiligen Verfahren zu berücksichtigen. So ist die absolute Zahl der Teilnehmenden wenig aussagekräftig, besser ist es, die relative Zahl bezogen auf die Wahlberechtigen anzugeben.

Beispielhafte Daten: Teilnehmende

Im Vordergrund einiger Evaluationen stehen Befragungen der Teilnehmenden und Verfahrensanalysen, zum Beispiel: Wer hat am Verfahren teilgenommen? Ist das Verfahren fair verlaufen? Wie beurteilen die Beteiligten die Durchführung? Anhand einiger Daten über Teilnehmende werden beispielhaft einige Ergebnisse diskutiert.

Häufig werden Beteiligungsverfahren dann als erfolgreich betrachtet, wenn die Zahl der Teilnehmenden besonders hoch ist, deren Zusammensetzung repräsentativ für die Bevölkerung ist und wenn nicht die „üblichen Verdächtigen“, sondern möglichst viele „normale“ Bürgerinnen und Bürger beteiligt werden. Die Zahl der Beteiligten liegt in Deutschland zwischen 0,1 (Bonn 2007, Bürgerversammlungen) bis 1,8 Prozent (Trier 2009, Internet) der Wahlberechtigten. Ähnliche Zahlen finden sich in Spanien (Ganuza 2010). Durch das Internet scheinen insbesondere in Deutschland Viele erreicht zu werden.

Zumindest bei den ersten Durchgängen der Bürgerhaushalte sind zumeist Männer im Alter zwischen 25 bis 45 überproportional vertreten. In Berlin-Lichtenberg ist hingegen der Anteil der Frauen leicht höher, was in Spanien für Verfahren gilt, die bereits mehrere Jahre durchgeführt wurden; anfangs sind auch dort mehr Männer vertreten. In brasilianischen Bürgerhaushalten zeigt sich, dass der Frauenanteil bei Gremien mit gewählten Delegierten geringer ist als bei den Stadtteilversammlungen (Serageldin et al. 2003:10).

In Lichtenberg könnte sich auf den Frauenanteil positiv auswirken, dass mit der Bezirksbürgermeisterin eine Frau an der Spitze der Verwaltung steht und über das Bezirksamt und die Stadtteilmanagerinnen besonders viele Frauen das Verfahren betreuen. Eine Zufallsauswahl der Teilnehmenden, die in Bergheim und in Steinfurt für Bürgerversammlungen genutzt wurde, kann eine ausgewogene Beteiligung hinsichtlich Alter und Geschlecht bewirken.

Aber, soll die statistische Repräsentativität ein wichtiger Maßstab sein? Ist es nicht wichtiger, wenn die Menschen mitmachen, die wichtige Beiträge liefern wollen? Reicht die faire Möglichkeit zur gleichberechtigten Teilnahme? Ist die Qualität der Ergebnisse ein wichtigeres Kriterium? Die Ergebnisse von Online-Prognosemärkten zeigen zumindest, dass trotz einer nicht-repräsentativen Zusammensetzung ähnliche und sogar bessere Prognosen über den Ausgang von Wahlen möglich sind, als durch repräsentative Befragungen (Surowiecki 2005).

Quellen / Literatur

  • Bezirksamt Berlin-Lichtenberg. 2009. Daten und Fakten zum Bürgerhausahlt 2010. Berlin Externer Link: http://www.buergerhaushalt-lichtenberg.de/site/pictures/daten-und-fakten... (Heruntergeladen am: 2.12.2009).

  • Franzke, Jochen/Kleger, Heinz (Hrsg.). 2006. Kommunaler Bürgerhaushalt in Theorie und Praxis am Beispiel Potsdams. Universitätsverlag Potsdam. Ganuza, Ernesto. 2010. Participation and deliberation in participatory budgeting: who participates and how. Berlin.

  • Herzberg, Carsten. 2001. Der Bürgerhaushalt von Porto Alegre. Wie partizipative Demokratie zu politisch-administrativen Verbesserungen führen kann. Lit-Verlag.

  • Herzberg, Carsten/Cuny, Cécile. 2007. Herausforderungen der technischen Demokratie: Bürgerhaushalt und die Mobilisierung von Bürgerwissen. Eine Untersuchung von Beispielen in der Region „Berlin-Brandenburg". Berlin: Centre Marc Bloch Externer Link: http://www.buergerhaushalt-europa.de/documents/Artikel_buergerwissen_Her.... (Heruntergeladen am: 20.3.2010).

  • InWEnt gGmbH, Ed. 2008. 6. Netzwerktreffen Bürgerhausahlt - vom Projekt zum Programm. Dokumentation vom 24.09.2008. Bonn: InWEnt.

  • Klages, Helmut/Daramus, Carmen. 2007. Bürgerhaushalt Berlin-Lichtenberg: Partizipative Haushaltsplanaufstellung, -entscheidung und -kontrolle im Bezirk Lichtenberg von Berlin. Begleitende Evaluation. Deutsches Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung Speyer.

  • Lautenschläger, Arndt/Seiffert, Monika. 2010. Bürgerhaushalt in Jena. Auswertung der Bürgerbefragung 2009. Externer Link: http://www.jena.de/fm/41/Anlage%203%20Auswertung%20FH%20Vollversion.pdf (Heruntergeladen am: 20.3.2010).

  • Röcke, Anja. 2009. “Democratic Innovation through Ideas? Participatory Budgeting and Frames of Citizen Participation in France, Germany and Great Britain.” Florenz: European University Institute.

  • Serageldin, Mona et al. 2003. Assessment of Participatory Budgeting in Brazil. Harvard: Center for Urban Development Studies Graduate School of Design - Harvard University Externer Link: http://www.iadb.org/sds/doc/ParticipatoryBudget.pdf (Heruntergeladen am: 20.3.2010).

  • Sintomer, Yves/Herzberg, Carsten/Röcke, Anja. 2009. Der Bürgerhaushalt in Europa - eine realistische Utopie?: Zwischen Partizipativer Demokratie, Verwaltungsmodernisierung und sozialer Gerechtigkeit. 1. ed. Vs Verlag. SQW Consulting. 2010. National Evaluation of Participatory Budgeting in England Interim Evaluation Report Externer Link: www.communities. Interim Evaluation Report. Department for Communities and Local Government. Externer Link: http://www.communities.gov.uk/documents/communities/pdf/1509753.pdf (Heruntergeladen am: 25.03.2010).

  • Stadt Freiburg. 2008. Geschlechtersensibler Beteiligungshaushalt Freiburg 2009/2010. Ergebnisse. Externer Link: https://freiburg.more-rubin1.de/show_pdf.php (Heruntergeladen am: 20.11.2009).

  • Stadt Trier. 2010. Rechenschaftsbericht für den Bürgerhaushalt 2010 und Festlegung des Verfahrens für den Bürgerhaushalt 2011. Externer Link: https://info.trier.de/bi/do027.asp (Heruntergeladen am: 3.10.2009).

  • Surowiecki, James. 2005. Die Weisheit der Vielen. München: Bertelsmann.

  • Vorwerk, Volker. 2008. Bergheim Bürgerbeteiligung Haushalt 2008/09. Verfahren und Ergebnisse Internet – Fragebogen – Bürgerforum. Externer Link: http://www.haushalt-bergheim.de (Heruntergeladen am: 23.03.2010).

  • Vorwerk, Volker, Hrsg. 2009. Bürgerhaushalt und Gender Budgeting – (wie) geht das zusammen? Dokumentation zum Symposium im Kölner Gürzenich am 05.06.2009. Köln: Stadt Köln. Externer Link: http://www.buergerwissen.de/pdf/2009-gender-bhh-bericht-web.pdf (Heruntergeladen am: 12.10.2009).

  • Weise, Sebastian. 2007. Bürgerhaushalt in Berlin: Das Bürgerhaushaltsprojekt des Bezirkes Lichtenberg. Lit Verlag.

Fussnoten

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