Schon während seiner ersten Amtszeit sagte US-Präsident Donald Trump Externer Link: im September 2019 vor der UN-Generalversammlung, die Zukunft gehöre nicht den Globalisten, sondern den Patrioten. Und tatsächlich ist derzeit ein tiefgreifender Wandel der globalen Wirtschaftsordnung zu beobachten, der stark durch geoökonomische Fragmentierung (aus dem Lateinischen „Splitter“) und sogar Abschottung gekennzeichnet ist.
Während die Jahrzehnte nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs von zunehmender wirtschaftlicher Verflechtung und multilateraler Zusammenarbeit geprägt waren, zeichnet sich seit den frühen 2010er Jahren eine gegenläufige Entwicklung ab. Getrieben durch geopolitische Spannungen, zunehmenden Protektionismus in den Handels- und Investitionsstrategien und die Neuausrichtung globaler Wertschöpfungsketten gewinnen wirtschaftliche Eigenständigkeit und die Regionalisierung von Wirtschaftsbeziehungen an Bedeutung.
Ökonomische Fragmentierung ist nicht zwangsläufig negativ. Im Gegenteil kann sie unter Umständen sogar erwünscht sein. So war einst die Verteilung der Produktionsprozesse entlang der Wertschöpfungsketten auf verschiedene Länder und Regionen die direkte Folge der sich intensivierenden Globalisierung ab dem 18. Jahrhundert. Sie wurde getrieben von der industriellen Revolution, die mit Eisenbahn, Dampfschifffahrt und Telegrafennetz bedeutende Fortschritte für Kommunikation und Verkehr gebracht hatte. Die reduzierten Transportkosten ermöglichten es Unternehmen nicht nur, neue Märkte zu erschließen, sondern auch, Produktionsprozesse geografisch zu verteilen, um Rohstoffe und Arbeitskräfte effizienter zu nutzen.
Effizienzgewinne durch internationale Arbeitsteilung
Die zunehmende Verbreitung von Freihandelsabkommen wie dem Interner Link: Cobden-Chevalier-Vertrag zwischen Großbritannien und Frankreich im Jahr 1860 begünstigte die Spezialisierung einzelner Länder auf bestimmte Produktionsschritte. Der Welthandel wuchs rasant, internationale Lieferketten bildeten sich heraus.
Der Umstand, dass „Segmente (Produktionsblöcke) in verschiedenen geographischen Gebieten, vielleicht in verschiedenen Ländern, angesiedelt sind und von verschiedenen Unternehmen ausgeführt werden können“, ist mit der Globalisierung kompatibel und Teil des Internationalisierungsprozesses. Die geografische Verteilung der Produktion ist darauf zurückzuführen, dass internationale Arbeitsteilung zu Effizienzgewinnen führt.
Denn unterschiedliche Länder haben Kostenvorteile in bestimmten Produktionsprozessen – sei es durch günstigere Arbeitskosten, bessere Infrastruktur oder eine höhere Expertise in bestimmten Industriezweigen. Indem Unternehmen Teile der Produktion dorthin verlagern, wo sie am besten – am effizientesten – durchgeführt werden können, lassen sich Kosten senken und die Produktivität steigern.
Darüber hinaus können Unternehmen durch Spezialisierung und damit durch die Verteilung der Produktion auf verschiedene Regionen flexible und skalierbare Wertschöpfungsketten aufbauen. Dadurch ist es möglich, Rohstoffe in einem Land zu beschaffen, Halbfertigprodukte in einem anderen zu produzieren und die Endmontage in einer Region mit optimalem Marktzugang durchzuführen. Auf diese Weise können multinationale Unternehmen durch eine dezentralisierte Produktion große Stückzahlen zu geringeren Kosten herstellen und somit die Vorteile der sogenannten Skaleneffekte genießen, also geringerer Stückkosten der Herstellung bei größeren Mengen. Gleichzeitig verbessern sie ihre globale Reichweite, weil sie näher an den Endmärkten produzieren. Das spart Transportkosten und reduziert Lieferzeiten, was insbesondere in Just-in-Time-Produktionsmodellen entscheidend ist, bei denen nur nach Bedarf produziert wird.
Von ökonomischer zu geoökonomischer Fragmentierung
Die Bedeutung der Fragmentierung hat sich in jüngster Zeit jedoch grundlegend gewandelt. Gegenwärtig wird der Begriff der geoökonomischen Fragmentierung intensiv diskutiert. Gemeint ist damit "eine politisch motivierte Umkehrung der globalen wirtschaftlichen Integration, die häufig von strategischen Überlegungen geleitet wird". Dadurch kommt es zur Teilung der Produktionsprozesse, und zwar nicht entlang globaler Wertschöpfungsketten, die Spezialisierungsvorteile ermöglichen würde, sondern zwischen voneinander abgeschotteten Wirtschaftszonen. Infolgedessen werden gleiche Güter an verschiedenen Standorten parallel produziert, was zu einer intensiveren Ressourcennutzung führt und die Vorteile der Spezialisierung (teilweise) wieder aufhebt. Damit gehen Effizienzverluste einher. Die Produktion wird teurer, auch weil sich Ressourcen und Kapazitäten (Arbeit) verknappen.
Die Kräfte dieses Fragmentierungsprozesses wurden zunächst unmittelbar nach der globalen Finanzkrise von 2008/09 deutlich: Sowohl der internationale Handel als auch die Investitionsströme waren damals von finanziellen und wirtschaftlichen Turbulenzen stark betroffen und haben sich seither nicht wieder erholt.
Diese Trendumkehr wurde entscheidend durch spätere Ereignisse wie den EU-Austritt Großbritanniens 2016, den Handelskonflikt zwischen den USA und China ab 2018 sowie die Corona-Pandemie weiter verfestigt. Hinzu kommen geoökonomische und technologische Rivalitäten, die zu einer Neuausrichtung industriepolitischer Zielsetzungen vieler Regierungen mit Fokus auf strategische Industriezweige führten und eine zunehmende Entkopplung in Bereichen wie Halbleiterproduktion, Rohstofflieferketten und digitale Infrastrukturen verursachten.
Nicht selten hatten die industriepolitischen Eingriffe das Ziel, den politischen und wirtschaftlichen Rivalen zu schaden. Die Intensität dieser Art von Regierungsinterventionen hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Während im Jahr 2010 insgesamt 104 neue Eingriffe weltweit registriert wurden, waren es am bisherigen Höhepunkt im Jahr 2023 1.125 Einzelmaßnahmen. Zu den am weitesten verbreiteten Interventionen zählen neben klassischen protektionistischen Instrumenten wie Einfuhrzöllen auch verschiedene Arten der staatlichen finanziellen Unterstützung, etwa in Form von Subventionen, staatlichen Darlehen oder der Handelsfinanzierung.
Schließlich markierten die russische Invasion in der Ukraine im Jahr 2022 sowie die erratische Handelspolitik des US-Präsidenten Donald Trump ab Anfang 2025 weitere entscheidende Zäsuren.
All diese Entwicklungen beschleunigten die geoökonomische Fragmentierung der Weltwirtschaft. Immer deutlicher werden wirtschaftliche Machtzentren zu konkurrierenden Blöcken, die sich nicht nur durch gemeinsame Handelsinteressen, sondern auch durch strategische und sicherheitspolitische Zielsetzungen voneinander abgrenzen. Der transatlantische Block aus EU und den USA setzt dabei zunehmend auf „friendshoring“ und technologische Souveränität – er geriet jedoch durch die Politik der US-Regierung zunehmend unter Druck. Wegen der Spannungen mit Washington denken nicht wenige Regierungen in Europa bereits über ein De-Risking gegenüber den USA nach. China und Russland vertiefen dagegen ihre wirtschaftliche Kooperation im Rahmen eines eurasischen Gegengewichts. Gleichzeitig streben Länder des globalen Südens, insbesondere die sogenannten BRICS-Staaten, nach einer stärkeren Eigenständigkeit gegenüber westlich dominierten Strukturen.
De-Risking-Strategien auf dem Vormarsch
Die zunehmenden geopolitischen Unsicherheiten in der Weltwirtschaft haben die Sensibilität für sicherheitsrelevante Abhängigkeiten erhöht und die Notwendigkeit eines schrittweisen Abbaus wirtschaftlicher Verwundbarkeiten in Handels- und Investitionsbeziehungen deutlich hervorgehoben. Diese Entwicklungen haben in vielen – doch vorwiegend in den westlichen – Staaten zu einem strategischen Umdenken geführt, das sich in der Umsetzung sogenannter De-Risking-Strategien äußert. Ziel dieser Ansätze ist es nicht, wirtschaftliche Verflechtungen grundsätzlich zu beenden, sondern sie in den Bereichen zu verringern, wo übermäßige Abhängigkeiten von geopolitisch instabilen oder rivalisierenden Partnern als sicherheitspolitisch riskant eingestuft werden. Das verdeutlicht einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel in der internationalen Wirtschaftspolitik – weg von einem vor allem effizienzgetriebenen Globalisierungsverständnis hin zu einer stärkeren Berücksichtigung geoökonomischer und geopolitischer Widerstandsfähigkeit.
Ein markanter Wendepunkt in der Verankerung von De-Risking-Strategien in der Europäischen Union ist das im März 2019 veröffentlichte Externer Link: Grundlagendokument „EU-China – A Strategic Outlook“. Darin wurde China erstmals als „systemischer Rivale“ bezeichnet – aber auch als „Wettbewerber“ und „Kooperationspartner“. In den Folgejahren verdeutlichten sowohl die Corona-Pandemie als auch der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine die strukturelle Verwundbarkeit globaler Lieferketten und machten die Abhängigkeit Europas von externen Akteuren in zentralen Bereichen wie Energie, Medizin und Technologie sichtbar. Die EU reagierte schrittweise mit Maßnahmen wie der Einführung eines EU-weiten Kontrollmechanismus für ausländische Direktinvestitionen, der Verschärfung von Exportkontrollen, der Diversifizierung von Beschaffungsmärkten und dem Aufbau strategischer Reserven. Parallel dazu wurden Bemühungen um den Abschluss und die Vertiefung regionaler Handelsabkommen intensiviert – etwa mit dem südamerikanischen Handelsbündnis Mercosur, Indien und der asiatischen Staatengemeinschaft ASEAN – um alternative Partnerschaften aufzubauen und wirtschaftliche Resilienz auszubauen.
Der Umbau der EU-weiten Lieferketten zeichnet sich in den Handelsströmen bereits ab. Ein anschauliches Fallbeispiel für diese veränderten Handelsbeziehungen stellt der europäische Energiesektor dar. Während die Abhängigkeit der EU von externen Energiequellen insgesamt relativ konstant geblieben ist, haben sich die Quellen der EU-Energieimporte deutlich verschoben. Nach dem Einmarsch Russlands in der Ukraine hat die EU ihre direkten Importe von russischem Gas erheblich gesenkt. Während die EU 2021 beinahe 45 Prozent ihres Erdgases aus Russland importierte, sank dieser Anteil 2024 auf 19 Prozent. Dieser Rückgang wurde einerseits durch einen starken Anstieg der Gaseinfuhren aus Norwegen und den USA und andererseits durch einen Rückgang des Gasverbrauchs in der EU – von 334 Milliarden Kubikmeter 2021 auf 273 Milliarden Kubikmeter 2024 – ermöglicht.
Kein Ende der Globalisierung in Sicht
Die Globalisierung steht nicht vor ihrem Ende, sondern vielmehr inmitten einer tiefgreifenden Veränderung. Die geopolitische Neustrukturierung der Weltwirtschaft hat die bisherigen Dynamiken von Handels- und Investitionsströmen bereits grundlegend verändert. Einerseits führt die gezielte Reduktion strategischer Abhängigkeiten gegenüber geopolitisch instabilen oder rivalisierenden Staaten – etwa im Rahmen von De-Risking-Strategien – zu einer messbaren Verlangsamung transnationaler Wirtschaftsverflechtungen. Besonders in sicherheitsrelevanten Sektoren wie der Halbleiterindustrie, bei kritischen Rohstoffen oder digitalen Infrastrukturen wird der globale Austausch zunehmend politisiert und reguliert. Andererseits entstehen im Zuge dieser Reorientierung neue Handels- und Investitionsbeziehungen, etwa zwischen gleichgesinnten Staaten („like-minded countries“), die auf politischer Verlässlichkeit und gemeinsamen Normen beruhen. Diese Neuausrichtung könnte mittel- bis langfristig zu stabileren und zugleich stärker diversifizierten Wirtschaftsbeziehungen führen. Hinzu kommt eine zunehmende Regionalisierung wirtschaftlicher Aktivitäten, insbesondere durch die Stärkung regionaler Produktionsnetzwerke und Freihandelsabkommen. Auch technologische Entwicklungen wie Digitalisierung und Automatisierung wirken als strukturelle Treiber einer veränderten Globalisierung, da sie neue Wertschöpfungsketten ermöglichen und Standortentscheidungen verändern.
Angesichts der allgemeinen Vorteile durch die internationalen wirtschaftlichen Integrationsprozesse ist nicht von einem Ende der Globalisierung auszugehen. Vielmehr dürfte sie sich in ein neues Modell wandeln, das stärker auf Resilienz gegenüber Schocks, geopolitisch motivierte Partnerwahl („friendshoring“) und technologische Unabhängigkeit ausgerichtet ist.