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Wo Trump Recht hat

Trump und die deutschen Merkantilisten

Heiner Flassbeck

/ 7 Minuten zu lesen

Viele Ökonomen fragen sich, warum der US-Präsident Staaten mit hohen Einfuhrzöllen droht. Besonders Deutschland steht zu Recht am Pranger, meint der Wirtschaftswissenschaftler Heiner Flassbeck.

Containerschiffahrt auf dem Nord-Ostsee-Kanal, der meistbefahrenen künstlichen Wasserstraße der Welt. (© picture-alliance, Winfried Rothermel )

Die Diskussion, die in Europa nach dem inzwischen berühmten Rosengartenauftritt Donald Trumps von Anfang April losbrach, hat es offenkundig gemacht: Kaum jemand hat verstanden, warum der US-Präsident an dem von ihm selbst so benannten „Freiheitstag“ hohe Einfuhrzölle für Waren aus 185 Staaten der Welt vor dem Weißen Haus in Washington ankündigte. Kaum jemand hat verstanden, was es heißt, freien und zugleich fairen Handel zwischen souveränen Staaten zu ermöglichen. Viele Politiker und Ökonomen fragten sich, wieso die USA auch befreundete Nationen mit einem Handelskonflikt drohen, obwohl das zu ihrem eigenen Nachteil sei. Am wenigsten verstanden wird es in Deutschland, weil das Land sich in den vergangenen zwanzig Jahren so sehr an große Leistungsbilanzüberschüsse gewöhnt hat, dass jeder glaubt, sie gehörten zur deutschen DNA und hätten mit dem Ausland nichts zu tun.

Viele Politiker und Ökonomen tun dabei so, als sei der internationale Handel bis hierhin ein harmonischer und friedlicher Austausch gewesen, bis Trump kam und ihn zu einem Boxkampf machte. Doch der Wettbewerb der Nationen, der Standortwettbewerb, der schon viele Länder in den Ruin trieb, der unzählige Krisen verursacht hat, der für die Menschen in den betroffenen Ländern Armut, Verzweiflung und Hunger bedeutete, fühlt sich nur dann wie ein friedlicher Austausch an, wenn man regelmäßig auf der Gewinnerseite steht.

Die Tatsache, dass Europa seit der Jahrhundertwende nichts anderes im Sinn hatte, als seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, ging in den Augen der Gewinner natürlich nicht zu Lasten anderer Nationen, weil es in deren Welt gar nicht um Vorteile geht, die der eine zulasten des anderen erzielt. Es geht auch nicht um Überschüsse, die notwendigerweise Defizite nach sich ziehen.

Auch Defizite sind offenbar vollkommen in Ordnung, was man leicht daran erkennen kann, dass selbst Westdeutschland ein einziges Mal (!) in den vergangenen 75 Jahren (im Jahr 1980) ein Defizit in seiner Leistungsbilanz aufwies. Die geradezu panische Reaktion beinahe der gesamten deutsche Politik führte dabei eindrucksvoll vor Augen, dass der Außenhandel niemals ein friedliebendes win-win für alle war.

Trumps Handelsberater Navarro hat es aufgeschrieben

Hätten die Politiker und Ökonomen nur einmal gelesen, Externer Link: was Trumps wichtigster Handelsberater in der Financial Times geschrieben hatte, dann hätten sie ernsthaft argumentieren können. Peter Navarro betont dort, dass es bei den angedrohten Strafzöllen gar nicht um den Handel selbst geht. Er stellt zu Recht fest, dass die klassischen Verteidiger des Freihandels wie Adam Smith oder David Ricardo und die anderen Freihändler bei ihren Ableitungen unterstellt haben, dass der Handel zwischen den beteiligten Ländern weitgehend saldenfrei bleibt, also ohne Defizite und Überschüsse. Der Grund: Das internationale Währungssystem (damals der Goldstandard) sorgte dafür, dass Länder mit Defiziten ihre Währung abwerten und die Währungen von Ländern mit Überschüssen aufwerten, sodass die Salden nicht von Dauer sind.

Auf die heutigen Verhältnisse übertragen: Nur wenn in allen am Handel beteiligten Ländern sich die Lohnsteigerungen am nationalen Produktivitätszuwachs ausrichten und verbleibende Inflationsdifferenzen durch Ab- oder Aufwertungen der nationalen Währungen ausgeglichen werden, kann es überhaupt fairen Handel geben.

Diesen Wechselkursmechanismus gibt es nicht. Die permanente Spekulation auf den Devisenmärkten ist der wichtigste Grund dafür, dass heute die Inflationsdifferenzen nicht systematisch ausgeglichen werden. Folglich gilt auch die klassische Handelstheorie nicht mehr, nach der alle profitieren. Was bleibt: Große Gewinner und große Verlierer auf der Ebene der Länder, weil es sich bei den Salden um eine Nullsummenspiel handelt. Das Leistungsbilanzsaldo der Welt ist null. Wenn jemand einen Überschuss hat, muss ein anderer ein Defizit haben. Wenn jemand seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert, muss jemand anders an Wettbewerbsfähigkeit verlieren. Der mit der Verbesserung und dem Überschuss gewinnt Arbeitsplätze und Einkommen, der mit der Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit und dem Defizit verliert.

In Deutschland wurde die Agenda-Politik von Rot-Grün lange, auch von Liberalen und Christdemokraten, in den Himmel gelobt. Doch genau diese Politik hat zum Anschwellen des deutschen Überschusses geführt, weil Deutschland in der Währungsunion durch Lohnzurückhaltung real abwertete, aber nicht mehr isoliert aufwerten konnte. Auch Externer Link: in der neuen schwarz-roten Koalition ist die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit das allergrößte Mantra. Wenn man mit aller Macht die Verbesserung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit anstrebt und gleichzeitig glaubt, die Verlierer würden auf alle Ewigkeit mit ihrer Rolle abfinden und die die „deutschen Erfolge“ bewundern, muss man sich über einen Handelskonflikt nicht wundern.

US-Defizit in Höhe von über 1.000 Milliarden Dollar

Nun erhebt Trump seine Stimme auf der Seite der Defizitländer - und alle sind auf den Barrikaden. Trump will inzwischen Produkte aus der halben Welt mit Zöllen belegen, die dafür sorgen sollen, dass die Importe der USA weniger schnell steigen und das US-Leistungsbilanzdefizit sinkt. Dieses Defizit der Vereinigten Staaten hat im vergangenen Jahr den Wert von 1.000 Milliarden US-Dollar überschritten (1,13 Billionen), fast vier Prozent der amerikanischen Wirtschaftsleistung.

Der amerikanischen Regierung angesichts der ergriffenen Maßnahmen Merkantilismus vorzuwerfen, ist hanebüchen. Die Merkantilisten, also die Anhänger einer Wirtschaftslehre aus dem Zeitalter des Absolutismus, die hohe Exporte fordern, sind diejenigen, die seit Jahrzehnten Leistungsbilanzüberschüsse aufweisen. Und es sind diejenigen, die sich nun wundern, dass das wichtigste und größte Defizitland dieser Erde ihren Merkantilismus, auf den sie in der Regel auch noch stolz sind, nicht mehr erträgt. Besonders Deutschland, das allein im vergangenen Jahr mit den USA einen Warenüberschuss von 70 Milliarden Euro erwirtschaftet hat, steht zu Recht am Pranger und wird zu Recht von den amerikanischen Maßnahmen getroffen.

Das „Faktenblatt“, das vom Weißen Haus veröffentlicht worden ist, gibt eine klare, absolut richtige und unbestreitbare Begründung für die Einbeziehung Deutschlands:

Zitat

Länder wie China, Deutschland, Japan und Südkorea haben eine Politik verfolgt, die den Binnenkonsum ihrer eigenen Bürger unterdrückt, um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Exportprodukte künstlich zu steigern. Zu dieser Politik gehören regressive Steuersysteme, niedrige oder nicht durchgesetzte Strafen für Umweltzerstörung und Maßnahmen, die darauf abzielen, die Löhne der Arbeitnehmer im Verhältnis zur Produktivität zu drücken.

Deutschland hat also durch Maßnahmen, die darauf abzielten, die Löhne der Arbeitnehmer im Verhältnis zur Produktivität zu drücken, den Binnenkonsum ihrer eigenen Bürger unterdrückt, um die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Exportprodukte künstlich zu steigern. Das ist genau das, worum es bereits seit der Agenda-Politik von Rot-Grün zu Beginn dieses Jahrhunderts ging. Das aber wurde und wird in Deutschland seit einem Vierteljahrhundert als politische und als wissenschaftliche Position systematisch übersehen.

Der deutsche Fehler

Die deutsche Wirtschaftspolitik hat damals massiven politischen Druck auf die Gewerkschaften ausgeübt, um die Lohnstückkosten zu drücken. Das führte innerhalb der gerade gegründeten Europäischen Währungsunion zu einer deutlichen Verbesserung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit, weil die Partnerländer im Euro-System nicht mehr abwerten konnten und der Euro gegenüber dem Rest der Welt nicht entsprechend der Verbesserung der deutschen Wettbewerbsfähigkeit aufgewertet wurde. Auch gegen das deutsche Stabilitäts-und Wachstumsgesetz aus den 1960er Jahren verstoßen regelmäßig viele deutsche Regierungen.

Die USA haben bereits in einem Externer Link: Regierungsbericht aus dem Jahre 2018 darauf hingewiesen, dass die merkantilistische deutsche Politik nicht zu rechtfertigen ist. Unmittelbar nach seiner Ernennung hatte Donald Trump den Auftrag erteilt, die Gründe für die anhaltend hohen Überschüsse einiger Handelspartner zu untersuchen und entsprechende Maßnahmen vorzubereiten. Im Falle Deutschlands hat er den Nagel auf den Kopf getroffen.

Das Märchen von der regelbasierten Ordnung

Es gibt keine Rechtfertigung für andauernde Leistungsbilanzüberschüsse. Kein Land der Welt muss dauerhaft Leistungsbilanzdefizite ertragen. Wer freien Handel haben will, muss von vorneherein bereit sein, alles zu tun, um genau die Einseitigkeit des Handels zu vermeiden, die seit Jahrzehnten Gang und gäbe ist.

Alles, was man sich in Deutschland an „Deutungen“ zurechtgebogen hat, ist neben der Sache. Neben der Sache sind auch die Versuche einiger Ökonomen, die Salden mit unterschiedlichem Sparverhalten der Länder zu erklären (wie Externer Link: hier gezeigt). Die Tatsache, dass die Überschüsse seit vielen Jahren in Deutschland totgeschwiegen werden, zeigt, wie schlecht das Gewissen in dem Land sein muss, das tagein tagaus die regelbasierte Ordnung im Mund trägt, diese aber hartnäckig ignoriert, wenn es um seine wirtschaftlichen Interessen geht.

Die neue deutsche Regierung sollte schnell begreifen, dass angesichts der berechtigten amerikanischen Kritik am deutschen Merkantilismus die „Wir sind die Guten“-Attitüde weniger denn je angemessen ist. Nur eine Regierung, die über ihren Schatten springt, hat die Chance, mit den USA über den raschen Abbau der deutschen Überschüsse und über eine Normalisierung der Handelsbeziehungen zu verhandeln.

Die amerikanische Zollankündigung mit europäischen Gegenmaßnahmen beantworten zu wollen, ist hingegen gefährlich. Wer Gegenmaßnahmen erwägt, sollte zunächst wissen, dass das Defizitland auf jeden Fall gewinnt und das Überschussland auf jeden Fall verliert. Das Überschussland hat logischerweise mehr Ressourcen im Feuer stehen. Wer zudem die internationale Ordnung schützen und bewahren will, muss zugestehen, dass einseitige Überschüsse keinen Bestand haben dürfen.

Gerade im Falle Deutschlands sind zudem Gegenmaßnahmen in keiner Weise angemessen, weil die USA einen gravierenden Fehler der Deutschen offenlegen und zu korrigieren versuchen. Das Einzige, was man den USA vorwerfen kann, ist, dass sie nicht schon vor zwanzig Jahren gegen den deutschen Merkantilismus vorgegangen sind. Das wollen viele hierzulande nicht wahrhaben. Wer aber gegen jede Vernunft seine Interessen verteidigt, wird am Ende den größten Schaden haben. Man kann nur hoffen, dass sich die Vernunft rasch gegen den unreflektierten Merkantilismus durchsetzt.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Heiner Flassbeck ist Wirtschaftswissenschaftler. Er war von 1998 bis 1999 Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen und von Januar 2003 bis Ende 2012 Chef-Volkswirt bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf. Er lebt in Frankreich.