Die EU befindet sich in einem konfliktgeladenen geoökonomischen Umfeld, in dem Handelspolitik und bestehende Abhängigkeiten zunehmend als Waffe genutzt werden, um geopolitische Ziele durchzusetzen. Sowohl der größte (USA) als auch der zweitgrößte Handelspartner (China) instrumentalisieren den Warenaustausch mit Europa, um ihre machtpolitischen Ziele durchzusetzen. So sind die USA unter Präsident Donald Trump zu einem antagonistischen Handelspartner geworden. Trump nutzt Zölle als Instrument der Wahl, um den amerikanischen Markt zu schützen, einseitige Zugeständnisse von Handelspartnern – inklusive Verbündeten wie der EU – zu erzwingen und schlicht, um Einnahmen zu erzielen. Zurzeit werden gegenüber der EU ein Zoll in Höhe von 50 Prozent auf Stahl- und Aluminiumimporte, 25 Prozent auf Autoimporte sowie ein globaler Zoll von 10 Prozent verhängt. Es ist noch unklar, welche Gegenleistungen die USA dafür erwarten.
Auch wenn sich China zurzeit – im Vergleich zu den USA – als verlässlicher und regelbasierter Handelspartner präsentiert, bleiben grundlegende Probleme bestehen: Neben zahlreichen Marktzugangsbarrieren und intransparenten Subventionen besteht die Gefahr, dass als Folge der Abschottung des amerikanischen Markts die chinesischen Überkapazitäten billig auf den Weltmarkt – und insbesondere auf den europäischen Markt – geworfen werden, zu Lasten der europäischen Produktion.
Die Handelspolitik muss somit zunehmend auch durch eine sicherheitspolitische Brille betrachtet werden und die EU muss sich in dieser neuen Welt strategisch aufstellen, um nicht zerrieben zu werden.
Die EU ist besser aufgestellt als je zuvor
Dabei hat sich das Ziel von Effizienz (Vernetzung mit allen) zu Resilienz (Abbau von Abhängigkeiten) gewandelt. Die EU ist jedoch – trotz aller Unkenrufe – gut aufgestellt. Sie ist mit einem Binnenmarkt von 27 Staaten und fast 450 Millionen Menschen sowie einer einheitlichen europäischen Handelspolitik ein globaler Player im Handel, der ernstgenommen wird. Dazu hat sie ein fast weltweites Netz an bilateralen und regionalen Handelsabkommen: Stand Frühjahr 2025 sind 78 EU-Freihandelsabkommen (englisch Free Trade Agreements, FTA), Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, Wirtschaftspartnerschaftsabkommen und Zollunionen in Kraft. Darüber hinaus verhandelt die EU zahlreiche Abkommen in Asien, darunter mit Indonesien, Indien und Australien, und es steht die Ratifizierung des Abkommens mit dem südamerikanischen Wirtschaftsraum Mercosur an. Diese Abkommen erweitern den Marktzugang und bilden die Basis für einen regelbasierten Handel.
Partnerschaften sind aber nur eine Dimension. Daneben muss die EU auch ein geoökonomischer Akteur werden, der sich sowohl gegen unfaire Marktbedingungen als auch gegen Zwangsmaßnahmen wehren kann. Mit ihrer Strategie für eine „offene, nachhaltige und entschlossene Handelspolitik“ wurden 2021 – als Antwort auf ein zunehmend aggressiv auftretendes China und eine protektionistische „America First“-Handelspolitik unter Trump – bereits erste wichtige Weichen gestellt. Dazu gehören zahlreiche neue Maßnahmen wie das „Instrument betreffend das internationale Beschaffungswesen“ (IPI) vom August 2022, oder die Verordnung über drittstaatliche Subventionen vom Oktober 2023. Diese Instrumente – zusammen mit Handelsschutzmaßnahmen – sind geeignet, um kompatibel mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO gegen unfaire Subventionen und Überkapazitäten vorzugehen.
Die EU hat sich zudem stärker gegen Zwangsmaßnahmen anderer Staaten gewappnet. Im Zentrum steht dabei das Anti-Coercion Instrument (englisch Anti-Zwang), das als Antwort auf die erste Amtszeit von Donald Trump entwickelt wurde und im Dezember 2023 in Kraft trat. Hierdurch werden der EU – in enger Abstimmung mit dem Europäischen Rat – zum ersten Mal Kompetenzen in der Außen- und Sicherheitspolitik übertragen. Wenn ein Fall von „Zwang“ festgestellt wird, kann die EU nun eine breite Palette von Gegenmaßnahmen einsetzen, die auch außerhalb der Handelspolitik liegen. Dieses Instrument wird zurzeit als mögliche Gegenmaßnahme gegen die protektionistische und WTO-widrige Zollpolitik von Donald Trump diskutiert.
Auch das Investment Screening soll in kritischen Sektoren und bei schwierigen Staaten verschärft werden, also etwa in der Prüfung ausländischer Investitionen in der EU. Im Januar 2024 gab die Kommission – im Rahmen ihrer Vorschläge zur Stärkung der wirtschaftlichen Sicherheit der EU – das Ziel aus, dass alle Mitgliedstaaten über einen Screening-Mechanismus mit stärker harmonisierten nationalen Vorschriften verfügen sollen. Außerdem sollen die Überprüfungen auf weitere Investitionsbereiche ausgeweitet werden. Die Vorschläge werden nun in den Mitgliedstaaten beraten.
Starker Binnenmarkt, Abbau von Abhängigkeiten und eine liberale Handelszone
Die EU hat also viele Möglichkeiten und Instrumente, um sich im neuen geopolitischen Umfeld zu behaupten. Der wichtigste Punkt ist aber: Je wettbewerbsfähiger Europa ist, desto unabhängiger ist es von den Entwicklungen in den USA und China. Die wichtigsten Handelspartner sind weiterhin europäische Staaten. Wenn der Binnenmarkt weiter vollendet wird, bieten sich hier ausreichend Wachstumsmöglichkeiten. Der „Competitiveness Compass“ der Kommission ist ein Schritt in diese Richtung. Besonders entscheidend sind dabei die Bereiche gegenseitige Anerkennung von Zertifizierungen, die Umsetzung des Dienstleistungsbinnenmarkts, vor allem im Bereich digitale Dienstleistung, und die Schaffung einer Kapitalmarktunion.
Dazu arbeitet die EU daran, bestehende Abhängigkeiten aus China, aber auch aus den USA abzubauen. Die Staff Paper (deutsch Arbeitspapiere) der Kommission waren ein erster wichtiger Schritt, um kritische Abhängigkeiten zu definieren und zu identifizieren. Dies muss nun auch für alle EU-Mitgliedstaaten einzeln durchgeführt werden. Bestehende Abhängigkeiten können zudem am besten durch neue Handels- und Rohstoffpartnerschaften abgebaut werden: Chile verfügt über riesige Lithiumreserven, Indonesien hat weltweit das größte Nickelvorkommen und Australien besitzt Kobalt und weitere kritische Mineralien. Parallel arbeitet die EU daran, die Abhängigkeiten der anderen Seite zu identifizieren.
Die protektionistische Handelspolitik von Trump lässt viele Staaten neue Partner suchen – die EU bietet sich hier als sicherer Hafen an. Sie kann somit auch als „lachender Dritter“ von ihrer Attraktivität als regelbasierte Region profitieren: für neue Handelsabkommen, für neue Investitionen, für neue Talente aus den USA. Gleichzeitig kann sie – zusammen mit den elf CPTPP-Staaten des Trans-Pazifischen Partnerschaftsabkommens und anderen Mittelmächten außerhalb der USA und China – konstruktiv multilaterale Handelsregeln vorantreiben und hierdurch eine liberale Welthandelszone Europa-Indo-Pazifik mitgestalten. Die USA, die nur 13 Prozent des Welthandels ausmachen, sowie China müssten sich dann hieran orientieren.