„Das zukünftige Wachstum und der Wohlstand Europas werden zunehmend von Asien abhängen.“ So steht es in der Kooperationsstrategie der Europäischen Kommission für den asiatisch-pazifischen Raum.
In der dynamischen Wachstumsregion Südostasien (die Asiatische Entwicklungsbank prognostiziert der gesamten Region ein durchschnittliches jährliches Wachstum von 4,7 Prozent für 2025 und 2026) mit ihren 700 Millionen Menschen verhandelt die EU – zum Teil bereits seit etlichen Jahren und mit Unterbrechungen – mit Indonesien, den Philippinen und Thailand. Malaysia und die EU kündigten im Januar 2025 nach zwölfjähriger Pause eine Wiederaufnahme der Freihandelsgespräche an. Mit Singapur unterzeichnete die EU im Mai 2025 zudem ein innovatives digitales Handelsabkommen (DTA). Es gibt bereits FTA mit Südkorea (seit 2011 vorläufig angewendet und seit 2015 formell in Kraft), Japan (2019), Singapur (2019) und mit Vietnam (2020).
Zwischen 2014 und 2024 ist der Warenhandel der EU mit den zehn Mitgliedsstaaten der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN)
Neuanlauf für Freihandelsabkommen mit Indien
Spitzenreiter bei den Steigerungsraten in Asien ist jedoch Indien, dessen bilaterales Handelsvolumen mit der EU in der vergangenen Dekade ein Plus von fast 90 Prozent verzeichnete und 2024 120 Milliarden Euro erreichte. Nachdem erste FTA-Gespräche 2013 nach sechs Jahren in Leere gelaufen waren, sitzen die EU und Indien seit 2022 erneut am Verhandlungstisch. Neben einem Freihandelsabkommen steht zusätzlich ein Investitionsschutzabkommen und ein Abkommen über geografische Angaben auf der Agenda.
Eine Studie des Europäischen Parlaments kommt zu dem Ergebnis, dass ein FTA die EU-Exporte in das seit 2023 bevölkerungsreichste Land der Erde um mehr als 50 Prozent und die indischen Exporte in die EU um etwa ein Drittel steigern könnte. Für die EU ergäben sich Zugewinne von bis zu 8,5 Milliarden Euro jährlich.
Für die Handelsliberalisierungen mit einzelnen ASEAN-Staaten gibt es ähnlich gute Aussichten. Zu erwarten sind Zuwächse im Export von Autos und Autoteilen. Dafür existiert in Südostasien zwar eine hohe Nachfrage, aber derzeit sind die Zölle noch hoch. Positive Prognosen bestehen ebenso für Maschinen und Anlagen, die bereits jetzt zu den starken europäischen Exportgütern in den Sektoren Industrie, Energie und Infrastruktur zählen. Auch für pharmazeutische Produkte erscheint ein deutliches Plus bei den Ausfuhren realistisch, da alle ASEAN-Staaten ihre Gesundheitssysteme ausbauen und europäische Arzneimittel gefragt sind. Wein, Spirituosen, Käse und Schokolade aus der EU würden deutlich von Zollsenkungen und dem Schutz geografischer Angaben
Die Beziehungen der EU mit ausgewählten asiatischen Staaten haben sich seit 2021 vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie, aber besonders durch die zunehmende Rivalität zwischen den USA und China, deutlich intensiviert. Die erratisch anmutende Handels- und Zollpolitik der US-Regierung unter Donald Trump hat die Motivation der EU zusätzlich gestärkt, durch eine Reihe ehrgeiziger Abkommen mit anderen Staaten ein offenes und faires Umfeld für Handel und Investitionen zu schaffen.
Verunsicherung über Washington schafft Gesprächen mit der EU neue Dynamik
Die EU versäumt keine Gelegenheit, sich als „ein verlässlicher, vertrauenswürdiger und berechenbarer Partner in einer sich rasch verändernden globalen Landschaft“ zu präsentieren, um es in den Worten des EU-Handelkommissars Maroš Šefčovič zu formulieren.
Das Anliegen der EU geht jedoch über die Stärkung partnerschaftlicher und regelbasierter Wirtschaftsbeziehungen im engen Sinne hinaus. Die EU-Außenbeziehungen sind seit jeher auch wertegeleitet, Brüssel tritt inzwischen mit gesteigertem Selbstbewusstsein für das Primat europäischer Interessen und Prioritäten ein. So erklärte die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, dass das angestrebte Handelsabkommen mit Malaysia auf „soliden Verpflichtungen in den Bereichen Arbeitnehmerrechte sowie Klima- und Umweltschutz“ aufbauen werde.
Weitere Bereiche, auf die die EU Wert legt, wenn sie FTA-Gespräche führt: Alles rund um Nachhaltigkeit, die Umsetzung einer gerechten und sauberen Energiewende, die Sicherstellung menschenwürdiger Arbeit, weitreichende, durch robusten Datenschutz begleitete Digitalisierung, der Schutz geistigen Eigentums, die Intensivierung von Forschung und Innovation, die Regelung von Mobilität und Migration oder generell die Festigung internationaler Ordnung und Sicherheit.
Das Freihandelsabkommen mit Vietnam liefert hierfür ein Modell, das aus Sicht der EU jedoch noch ausbaufähig ist. Der Vertrag enthält detaillierte Bestimmungen zu Umweltstandards und Arbeitsrechten. Zwar sind spezifisch definierte Sanktionsmechanismen nicht vorgesehen. Das Abkommen setzt bei Verstößen stattdessen auf Dialog und Mediation. Aber: Die umfassende Aufnahme zentraler EU-Normen ist richtungsweisend. Innovativ ist auch das digitale Handelsabkommen mit Singapur. Die Hauptziele des DTA bestehen in der Förderung des freien, sicheren Datenflusses und in der Regelung elektronischer Zahlungen sowie des papierlosen Handels. Es schützt geistiges Eigentum und stärkt den Verbraucherschutz im digitalen Handel.
Wertegeleitete Handelspolitik bringt Probleme mit Indonesien
Dass es Europa jedoch nicht grundsätzlich gelingt, die eigenen wertegeleiteten Interessen durchzusetzen, zeigt das Beispiel der stockenden Diskussionen mit Indonesien. Auch nach 19 Verhandlungsrunden seit 2016 ist noch kein FTA in Sicht. Neben noch unüberbrückbaren Differenzen zu Ausfuhrzöllen und Einfuhrgenehmigungen bildet die nachhaltige Produktion und der Handel von Palmöl, einem der wichtigsten Exportprodukte Indonesiens, einen zentralen Streitpunkt. Die strengen EU-Vorschriften zu Palmöl, die sich unter anderem aus der Verordnung zur Entwaldungsfreiheit von Lieferketten von 2023 ergeben, sieht Indonesien als Diskriminierung an. Zudem betrachtet Jakarta die hohen EU-Anforderungen zum Umwelt- und Arbeitsschutz als Entwicklungshindernis. Weitere Probleme bestehen in unterschiedlichen Ansichten zum Schutz geistigen Eigentums, insbesondere in Bezug auf geografische Angaben und Patente.
Ein kontroverses Thema ist zudem der Nickelstreit. Indonesien untersagt den Export von unverarbeitetem Nickelerz, um die heimische Industrie zu fördern und eine höhere Wertschöpfung zu erzielen. Die EU hält dies für ein unrechtmäßiges Handelshemmnis und klagte 2019 vor der Welthandelsorganisation (WTO), die zugunsten Brüssels entschied. Indonesien legte Berufung ein und hält weiter am Exportverbot fest. Das Land verfügt über die größten Nickelvorkommen weltweit und hat sich als Hauptlieferant des für die Produktion leistungsfähiger E-Auto-Batterien unverzichtbaren Metalls etabliert. Der Zugang zu kritischen Rohstoffen, die für umweltfreundliche Technologien und damit für die Umsetzung des europäischen Green Deal von Bedeutung sind, spielt auch im Falle der Verhandlungen mit den Philippinen eine wichtige Rolle. Das Land verfügt ebenfalls über große Nickelressourcen und andere begehrte Metalle und Erze wie Kupfer und Chromit.
Die stärkere Bedeutung des Rohstoffzugangs zeigt nicht zuletzt, dass Handelspolitik auch eine geopolitische Dimension bekommen hat. Im Erfolgsfall könnten die Freihandelsabkommen mit den ASEAN-Staaten und Indien ein klares Signal gegen die globalen Tendenzen des Protektionismus setzen, bestehende Abhängigkeiten – vor allem von China – reduzieren
In der öffentlichen Wahrnehmung vor Ort hat Europa bereits an Ansehen gewonnen. Laut einer jährlichen Umfrage des renommierten ISEAS – Yusof Ishak Institute in Singapur