Der politische und wirtschaftliche Aufstieg Chinas hat die Machtverhältnisse weltweit tiefgreifend verändert. In den USA wird befürchtet, die angestammte Position als international vorherrschende Supermacht und die damit verbundenen Vorteile und Privilegien zu verlieren. In der Volksrepublik hingegen sieht man die laufende Entwicklung als eine Rückkehr zur Normalität. China nimmt danach seinen „angestammten Platz“ als dominante Macht Asiens und respektierte Weltmacht wieder ein.
Beim sino-amerikanischen Systemkonflikt handelt es sich im Kern um einen Konflikt um politische Macht und Status. Gleichwohl gliedert sich die beidseitige Rivalität in viele Facetten.
Sicherheitspolitisch und militärisch betrachten sich die Kontrahenten jeweils gegenseitig als eine existenzielle Herausforderung. China sieht seine Regimestabilität sowie seine territoriale Integrität (so betrachtet es Taiwan als integralen Bestandteil Chinas) und Ansprüche (etwa im Südchinesischen Meer) durch Amerika bedroht. Die USA fürchten um den Fortbestand ihrer Vormachtstellung und um die Sicherheit ihrer Bündnispartner in der Asien-Pazifik-Region.
International konkurrieren beide Seiten um Einfluss und Gestaltung der globalen Ordnung, etwa in den Bereichen Handel, Entwicklung, Währung, Klima und Gesundheit – dabei geht es auch um die Frage, wer internationale Normen und Regeln zu setzen vermag. Normativ stehen sich Amerika und China in einem Systemkonflikt gegenüber. Chinas autoritärer Staatskapitalismus ist zu einer wirkmächtigen Systemalternative zu den liberalen, demokratisch-kapitalistischen Gesellschaften des Westens geworden, zumal diese auch intern immer mehr Anzeichen einer Erosion aufweisen. Technologisch geht es um die Etablierung von strategischen Einflusssphären im digitalen Raum und um die Führerschaft bei zivilen und militärischen Zukunftstechnologien – und damit auch um die Dominanz in zukünftigen Wertschöpfungsketten.
Wirtschaft und Handel waren lange Zeit stabilisierende Elemente in den sino-amerikanischen Beziehungen. Dabei profitierten beide Seiten ökonomisch enorm voneinander, sowohl gesamtwirtschaftlich als auch einzelwirtschaftlich. Während amerikanische Unternehmen mit Investitionen in den chinesischen Markt fabelhafte Gewinne erzielten und Kapital, Management-Know-how und Technologie transferierten, baute China über Exporte in den schier grenzenlos aufnahmefähigen US-Markt immense Überschüsse auf, reinvestierte diese in amerikanische Staatsanleihen und kofinanzierte damit den konsumgetragenen konjunkturellen Boom in Amerika. Diese einst als „Chimerica“ bezeichnete symbiotische Beziehung existiert nicht mehr. Inzwischen wird die Rivalität nirgendwo so konfrontativ ausgetragen wie im Wirtschaftsbereich. Die Vorteile, die beide Seiten aus dem bilateralen Handels- und Investitionsverkehr erwachsen, sind gleichzeitig geringer geworden. Zudem haben die chinesischen Käufe amerikanischer Staatsanleihen abgenommen. Amerika ist im Technologietransfer zurückhaltend geworden und in China lassen sich längst nicht mehr die fabelhaften Gewinne der „Gründerzeit“ realisieren. Umso mehr sind im Zeichen der neuen Großmachtkonkurrenz die Risiken und Verwundbarkeiten der wirtschaftlichen und finanziellen Verflechtung in den Vordergrund getreten.
China: Aufholen, Überholen, Autonomie
Chinas Prioritäten lagen über mehrere Dekaden auf Wachstum, Entwicklung, Industrialisierung und Modernisierung. Seit dem Amtsantritt von Xi Jinping 2012/13 steht die Politik an erster Stelle - im Innern die Festigung der Position und führenden Rolle der Kommunistischen Partei (KP) in allen Lebensbereichen, nach außen der Aufstieg Chinas zur Weltmacht. Wirtschaftswachstum bleibt zwar eine wichtige Quelle der Legitimation der KP, aber das bestimmende ökonomische Ziel ist nunmehr die wirtschaftliche und technologische Unabhängigkeit und eine Überlegenheit in Schlüsselsektoren.
Um diese Ziele zu erreichen, bedient sich China der 2020 verkündeten Strategie der dualen Kreisläufe. Einerseits soll „externe Zirkulation“, also Außenhandel und Investitionsverkehr, die heimische Wirtschaft innovativer und wettbewerbsfähiger machen. Andererseits soll „interne Zirkulation“ die Binnennachfrage durch den Aufbau von robusten heimischen Liefer-, Vertriebs- und Verbrauchsketten stärken, sodass China weniger abhängig vom Außenhandel und so besser gegen wirtschaftlichen Druck aus dem Ausland, vor allem aus Amerika gewappnet ist.
Eine massive staatliche Förderung entlang der Wertschöpfungsketten zielt gleichzeitig auf technologische Führerschaft und industrielle Marktdominanz weltweit. Mit der industriepolitischen Strategie „Made in China 2025“ hat sich Peking vorgenommen, in zehn wertschöpfungsintensiven Sektoren – darunter die Bereiche Halbleiter und KI, Luft- und Raumfahrt sowie Elektromobilität und Green Tech – die globale Marktführerschaft zu erlangen. Um die eigenen politischen oder wirtschaftlichen Interessen durchzusetzen, werden auch offensive Instrumente eingesetzt. Mehrmals schon wurde aus politischen Gründen gegen ausländische Anbieter ein allgemeiner Boykott erlassen (Japan, Südkorea, Australien, Litauen). Auch Unternehmen, die sich an amerikanischen Boykottmaßnahmen beteiligen, werden sanktioniert.
USA: Sicherheitspolitische und protektionistische Wende
In den USA hingegen gilt die einstige Politik der weltwirtschaftlichen Integration Chinas als gescheitert. Sie hat die erhoffte politische Öffnung und innere Liberalisierung der Volksrepublik nicht bewirken können. Schlimmer noch, sie wird für den Verlust industrieller Arbeitsplätze in den USA verantwortlich gemacht, weil sie China erst in die Lage versetzt habe, zu Amerika aufzuschließen und die globale Vormachtstellung Amerikas herauszufordern. Von Amerikas Eliten und breiter Öffentlichkeit wird Chinas merkantilistische Handels- und Industriepolitik heftig kritisiert, die den eigenen Markt nur selektiv öffnet, ausländische Anbieter in unfairer Weise diskriminiert, Technologiediebstahl betreibt und auf das Marktgeschehen durch staatlich gelenkte Preise, Bevorzugung von Staatsunternehmen, Subventionen und Regulierungen Einfluss nimmt.
Das Ungleichgewicht in den bilateralen Handelsbeziehungen, sichtbar in alljährlich wachsenden bilateralen Handelsbilanzdefiziten, sind die US-Regierungen nicht bereit, länger hinnehmen. Gegen die Herausforderungen durch China setzen die USA auf eine sicherheitsbezogene Kontrolle von Handel, Investitionsverkehr und Wissenstransfer, fallweise auf Entkoppelung („Decoupling“) und Einhegung („Containment“) mit von Maßnahmen wie:
Import- und Betriebsverbote für bestimmte sicherheitsrelevante Produkte aus China, etwa IT-Komponenten und Überwachungssoftware;
Kontrolle des Waren- und Lizenzexports sicherheitsrelevanter Technologien nach China wie Computer-Chips, IT-Software, Dual-Use-Güter;
Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen in sicherheitsrelevanten Bereichen;
Erstellung einer Sanktionsliste chinesischer Unternehmen und Personen („Entity List“), denen Investitionen und Beschaffungseinkäufe in den USA untersagt sind;
Industriepolitische Förderung der amerikanischen Produktion und Entwicklung in technologischen Schlüsselbereichen wie Mikroelektronik, Künstliche Intelligenz, Quanten-Computing, Robotik, Biotechnologie und grüne Energie.
In der Handelspolitik hat Amerika bereits in der ersten Amtszeit von Donald Trump (2017 bis 2021) politisch und paradigmatisch eine Wende zum Protektionismus vollzogen. Leitbild der amerikanischen Handelspolitik ist nicht mehr der freie Handel im Rahmen eines regelgebundenen Multilateralismus. Für Trump stehen US-amerikanische Interessen nach der Devise „America First“ über Verpflichtungen aus internationalen Verträgen und multilateralen Regeln.
Donald Trump hat alle großen Handelspartner mit unilateralen Maßnahmen und Strafzöllen konfrontiert. Aber im Fadenkreuz der handelspolitischen Konfrontation steht China, das Land mit dem die USA alljährlich das höchste Handelsbilanzdefizit ausweist. Im Jahr 2024 waren es nach amerikanischen Angaben 295 Milliarden US-Dollar, etwa ein Drittel des gesamten amerikanischen Defizits. Bereits in der ersten Amtszeit Donald Trumps hatte die US-Regierung schrittweise Sonderzölle in Höhe von 25 Prozent auf etwa die Hälfte der Einfuhren aus China erhoben. Zu Beginn der zweiten Amtszeit Donald Trumps (2025) eskalierte der Zollkonflikt mit China abermals. Einer ersten Einigung zufolge werden Chinas Amerika-Exporte künftig mit einem Zollsatz von 55 Prozent belegt.
Konsequenzen für internationalen Handel und Globalisierung
Chinas und Amerikas Maßnahmen der Versicherheitlichung und Entkoppelung, und vor allem die von Amerika erhobenen Sonderzölle schaden am meisten den USA und der Volksrepublik selbst. Beiden Seiten entstehen infolge der Beschränkungen von Handel und Investitionen beträchtliche Einbußen bei Einkommen und Wachstum. In der eng verflochtenen Weltwirtschaft sind aber auch die Handelspartner Chinas und Amerikas betroffen, schon allein durch die Eintrübung der Konjunktur. Unternehmen aus Drittländern, die China oder die USA als Plattformen zur Belieferung der Weltmärkte nutzen, werden beim Export nach Amerika oder China mit Sonderzöllen belegt. Vor allem aber beschränken die amerikanischen und chinesischen Boykotte generell die Geschäftstätigkeit all derjenigen Unternehmen, die die sanktionierten Produkte entweder selbst herstellen oder als Komponenten zukaufen und verarbeiten.
Beispielsweise hat die amerikanische Politik durchgesetzt, dass Hochleistungshalbleiter des taiwanesischen Herstellers TSMC und die für die Halbleiterproduktion unerlässlichen Fotolithografiesysteme der niederländischen ASML nicht mehr nach China geliefert werden. Weiterhin sind bestimmte IT-Komponenten und Software chinesischer Herkunft in den USA nicht mehr zugelassen, sodass auch Unternehmen aus Drittländern ihre Zulieferketten entsprechend anpassen müssen, wollen sie nicht den Zugang zum US-Markt gänzlich verlieren.
China wiederum hat eine Lizenzierungspflicht für die industriellen Abnehmer von Seltenen Erden erlassen, die als Bestandteil bestimmter industrieller Produktionsprozesse vor allem im Hochtechnologiebereich unverzichtbar sind. Die Volksrepublik verfügt aufgrund ihrer Quasi-Monopolstellung bei Gewinn und Verarbeitung dieser wichtigen Rohstoffe über ein Instrument, um bestimmte amerikanische Produzenten auch aus der Verteidigungsindustrie erheblich schaden zu können.
Angesichts dieser Gemengelage stehen viele Industrieunternehmen vor der unangenehmen Wahl, entweder amerikanische Komponenten, Standards und Systeme zu verwenden - oder eben chinesische. Auch wenn nicht absehbar ist, wie umfassend und wie konfrontativ der sino-amerikanische Systemkonflikt künftig verlaufen wird, richten viele global tätige Unternehmen jetzt schon ihre Liefer- und Produktionsketten neu aus. Ein Szenario geoökonomischer Fragmentierung („Zersplitterung“) internationaler Handelsströme entlang eines westlich-amerikanischen und eines chinesischen Blocks kann nicht ausgeschlossen werden.
Auch deutsche und europäische Unternehmen, passen sich diesen veränderten geopolitischen Rahmenbedingungen an. Sie diversifizieren ihre Bezugsquellen und ordnen ihre Produktionsketten neu. Beispielsweise haben viele Konzerne in Reaktion auf die amerikanischen Strafzölle auf Importe aus China ihre Produktion für den Export nach Amerika bereits in sogenannte Verbindungsländer wie Vietnam, Indonesien und Mexiko verlagert – Apple beispielsweise plant, seine Smartphone-Produktion nach Indien zu verlagern. Aber genau diese Länder sind im Frühjahr 2025 wegen ihrer hohen Handelsüberschüsse ebenfalls in den Fokus der Zollpolitik von Präsident Trump gerückt.
Beschädigung der multilateralen Handelsordnung
Sowohl China als auch die USA haben durch ihre Handelspolitik der WTO und dem multilateralen Welthandelssystem schweren Schaden zugefügt: China durch die Missachtung der WTO-Prinzipien der Nicht-Diskriminierung und Transparenz, durch die unzureichende Umsetzung der WTO-Beitrittspflichten, und durch den aggressiven Einsatz des Staates zugunsten der eigenen Unternehmen; Amerika infolge der mehrfachen Verstöße gegen Kernbestimmungen des WTO-Vertrages, nicht zuletzt durch die Verhängung der Strafzölle und die Blockade der Berufungskammer des WTO-Schiedsgerichts.
Indem die beiden größten und global einflussreichsten Handelsnationen sich zur Durchsetzung ihrer nationalen politischen und wirtschaftlichen Interessen über das von ihnen mitvereinbarte WTO-Recht einfach hinwegsetzen, verspielen sie nicht nur Vertrauen in ihre Integrität, Vertrags- und Rechtstreue. Da die WTO offensichtlich keinen verlässlichen Schutz vor den illegitimen Maßnahmen Amerikas und Chinas bietet, hat auch das Systemvertrauen in die regelbasierte multilaterale Handelsordnung überhaupt Schaden genommen. Negativ betroffen sind vor allem offene Volkswirtschaften wie Deutschland mit einem gesamtwirtschaftlich hohen Anteil des Außenhandels.
Die von China und Amerika getroffenen Maßnahmen haben eine fatale Signalwirkung. Manche Länder können versucht sein, die schlechten Vorbilder nachzuahmen und ohne Rücksicht auf ihre WTO-Verpflichtungen ihre Importmärkte zu verschließen. Andererseits können Staaten, denen etwas am Fortbestand der regelgebundenen multilateralen Handelsordnung liegt, untereinander ihren Handel liberalisieren, ihre handelspolitische Zusammenarbeit vertiefen und die globalen Handelsregeln weiterentwickeln. Das zwischen der EU und dem südamerikanischen Wirtschaftsraum Mercosur avisierte Freihandelsabkommen ist hierfür ein prominentes Beispiel. Ein anderes die von der EU avisierte Reform der WTO gemeinsam mit asiatischen Staaten.