BRICS ist ein heterogener Club, der durch die Erweiterung zu BRICS-plus Anfang 2024 noch vielschichtiger geworden ist. Zusätzlich zu Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika (BRICS) sind Anfang 2024 Äthiopien, Ägypten, Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate (VAE) und der Iran hinzugekommen, Anfang 2025 dann auch Indonesien. Der BRICS-plus-Club verfolgt eine kooperative Strategie mit dem sogenannten Globalen Süden und ist zugleich wirtschaftlich eng mit den USA, der Europäischen Union (EU) und anderen westlichen Industriestaaten verbunden. Die Interdependenzen sind gewachsen. Die EU benötigt eine neue Strategie angesichts der Neuvermessung der Welt.
Die BRICS-Länder sind sehr unterschiedlich, was sowohl deren Wirtschaftsleistungen, Einkommensniveaus, Bevölkerungszahlen als auch politische Agenden betrifft.
Institutionell ist der BRICS-Club längst nicht so verflochten wie beispielsweise die EU. Gleichwohl zeigt sich seine wachsende weltweite wirtschaftliche Macht an Maßnahmen wie der Gründung des chinesischen Infrastrukturprojekts Belt and Road-Initiative im Jahr 2013, der 2014 von den BRICS-Staaten gegründeten New Development Bank (deutsch: Neue Entwicklungsbank) und der Asian Infrastructure Investment Bank (deutsch: Asiatische Infrastrukturentwicklungsbank), die 2015 unter chinesischer Führung gegründet wurde. Oberste Ziele dieser Institutionen sind der Ausbau der Infrastruktur und die Errichtung eines finanziellen Sicherheitsnetzes, das Mitgliedsländern Liquidität bietet, falls sie kurzfristig in Schwierigkeiten geraten.
Die BRICS-Ökonomien haben Gewicht. Insgesamt erwirtschaften sie mit fast der Hälfte der Weltbevölkerung über 36 Prozent der Weltwirtschaftsleistung (2024). 40 Prozent der globalen Finanzreserven entfallen auf die BRICS-Länder und 25 Prozent des Welthandels werden durch die BRICS-Staaten abgewickelt. Die wirtschaftlichen Machtverschiebungen zeigen sich vor allem daran, dass der BRICS-Club für die Weltmärkte wichtige strategische Güter und Dienstleistungen anbietet.
Globale Rohstoff-Supermacht
Die wichtigste strategische Machtverschiebung in der Weltwirtschaft hat mit dem Beitritt von Saudi-Arabien, dem Iran, Indonesien und den VAE zu tun. Der Block der BRICS-Rohstoffländer produziert mehr als 40 Prozent des weltweit geförderten Erdöls, womit BRICS plus zur globalen Rohstoff-Supermacht geworden ist. Bei den globalen Wertschöpfungsketten, die zur vorherrschenden Organisationsform der Weltwirtschaft geworden sind, haben die BRICS-Länder indes noch aufzuholen. Die größten Unternehmen in den globalen Wertschöpfungsketten vereinen etwa 80 Prozent des Welthandels auf sich. Führend sind US-amerikanische, chinesische und europäische Unternehmen. Nur in wenigen Branchen spielen Unternehmen aus Indien, Brasilien, den VAE oder Indonesien eine große Rolle, etwa in der Stahl- oder Nahrungsmittelproduktion.
Die Wirtschaftsbeziehungen der Clubländer untereinander sind nur schwach entwickelt, was auch am niedrigen Industrialisierungsgrad in einigen BRICS-Ländern liegt. China bildet eine Ausnahme, im bilateralen Handel mit allen BRICS-Staaten ist die Volksrepublik ein gewichtiger wirtschaftlicher Player. Immer noch richten sich die einzelnen BRICS-Staaten wirtschaftlich vor allem auf den Westen aus. Bislang gelang es der Vereinigung nicht, bestehende Abhängigkeiten vom Westen abzuschütteln.
Ein ausdrückliches Ziel der Strategie für die BRICS-Wirtschaftspartnerschaft 2025 ist die Ausweitung von Nicht-Dollar-Währungen. Die geplante BRICS-Währung R5 (benannt nach den nationalen Währungen Rubel, Renminbi, Rupie, Real und Rand) soll helfen, die Entdollarisierung durch den Aufbau einer eigenen Reservewährung voranzubringen. Ziel ist es, die globale Dollardominanz zu reduzieren und damit Abhängigkeiten von der Geldpolitik der Vereinigten Staaten einzugrenzen. Die amerikanischen Gegenmaßnahmen haben den Durchbruch zu einer BRICS-Währung bislang ausgebremst, zum Beispiel durch die Sanktionspolitik gegen Russland und Iran. Weiterhin werden mehr als 80 Prozent des grenzüberschreitenden Handels zwischen den BRICS-Staaten in US-Dollar getätigt. Die Entdollarisierung kommt nur langsam voran, weil der Intra-BRICS-Handel gering ist. Außerdem ist der BRICS-Club kein optimaler Währungsraum, zu unterschiedlich sind die wirtschaftlichen Ausgangslagen.
Immer mehr werden die internationalen Wirtschaftsbeziehungen durch geostrategisches Agieren geprägt. Zwischen den USA, der EU und China geht es nicht nur um Absatzmärkte, den Bezug von End- und Vorprodukten und um Lieferbeziehungen, sondern um globale Technologieführerschaft und geoökonomische Dominanz. Vor allem die USA, Europa, Japan, Korea, Indien und China ringen um die Vorherrschaft. Sie verschieben die Technologiegrenzen (zum Beispiel durch künstliche Intelligenz und die Roboter-Revolution) und können dadurch steigende Kapitalerträge realisieren. Die BRICS-Staaten hingegen verfolgen einzeln ihre Interessen und versuchen, die wirtschaftliche Kooperation untereinander zu vertiefen. Der BRICS-Club hat bislang vor allem Reformen für eine gerechtere Wirtschaftsordnung gefordert. Konkret strebt die Vereinigung jedoch vor allem die Reform des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zur angemessenen Repräsentanz der Länder des Globalen Südens an.
Die Corona-Pandemie, der Krieg Russlands gegen die Ukraine sowie der Konflikt zwischen Israel und Iran haben die Länder des BRICS-Clubs, die EU und die Vereinigten Staaten außerdem mit neuen Risiken konfrontiert. Zusätzlich zu den sicherheitspolitischen Herausforderungen rücken wirtschaftliche Abhängigkeiten in den Vordergrund.
Wachsende Abhängigkeiten und Trumps Zollpolitik
So sind der Westen und China von Öl- und Gaszufuhren aus den BRICS-Staaten im Nahen Osten abhängig. Die Volksrepublik wiederum nimmt als Lieferant von kritischen Rohstoffen und technologisch hochwertigen Zwischenprodukten eine dominante Stellung ein. Die Vereinigten Staaten und die EU geraten durch den Aufstieg Chinas und der BRICS-Länder aufgrund dieser Entwicklungen in größere Abhängigkeit. Dies trifft umgekehrt auch für die BRICS-Länder zu. In den letzten beiden Jahrzehnten hat sich die Globalisierung durch steigende Auslandsdirektinvestionen und intensivierte Handelsbeziehungen Interdependenzen weiter verstärkt, die durch Sanktionen und andere protektionistische Maßnahmen zum Schutz der nationalen Industrien und Dienstleistungssektoren, wie Zölle und Anti-Dumpingmaßnahmen jedoch in eine Phase der „Slowbalization“ geraten ist. Die Folgen zeigen sich in den Störungen der Lieferketten, Inflation, Handelskriege und Wachstumsverluste. Vor allem besteht die Gefahr zunehmender Schutzpolitiken, die am Ende vor allem den Ländern des Globalen Südens Schaden zufügt und auch in den Wirtschaftszentren Europa, den Vereinigten Staaten und auch China zu Strukturkrisen ganzer Industriezweige geführt hat, etwa in der Stahlindustrie und in energieintensiven Sektoren.
Aufgrund der zunehmenden globalen Arbeitsteilung nehmen die Handelsabhängigkeiten zu.
Neuaufstellung der EU
Angesichts der erhöhten geopolitischen Spannungen haben die großen Volkswirtschaften Strategien entwickelt, um ihre Schwachstellen zu verringern. Die Reduktion der Vulnerabilität ist zu einem Schlüsselelement bei der Bewältigung globaler oder bilateraler wirtschaftlicher Schocks geworden. Die EU hat deshalb eine Strategie zur Risikominderung entwickelt, die sich zum Beispiel durch neue Handelspartner in strategisch wichtigen Sektoren auszeichnet (Derisking). So ist China besonders von dem in der EU eingeführten Investitionsprüfungsmechanismus betroffen. Die Vereinigten Staaten hingegen verfügten härtere Maßnahmen, um in strategischen Sektoren unabhängiger von China agieren zu können, zum Beispiel durch Maßnahmen zur Begrenzung von Hightech-Exporten. In der angespannten geopolitischen Konstellation und wegen der wirtschaftlichen Interdependenzen kommt es für Europa daher zunehmend auf das Management von Abhängigkeiten an. Eine offensive Strategie könnte darin bestehen, eine tiefere Integration der europäischen Wirtschaft in globale Wertschöpfungsketten zu forcieren. Indem sie sich unentbehrlich macht, verringert sie das Risiko wirtschaftlicher Zwangsmaßnahmen.
Japan hat die strategische Unentbehrlichkeit zu einer der Säulen seiner Wirtschaftsstrategie gemacht, indem es heimische Unternehmen in den Bereichen Spitzentechnologie und Digitalwirtschaft unterstützt. Die Vereinigten Staaten und die EU haben noch keine entsprechende Strategie entwickelt. Stattdessen verbindet die EU ihre Industriestrategie (Chips Act, Wasserstoff- und Arzneimittelstrategie,) mit Einfuhrbeschränkungen (Gesetz über kritische Rohstoffe, Antidumping- und Ausgleichszölle).
Soll die EU angesichts der Handelskonflikte und globaler Krisen eine strategische Partnerschaft mit dem BRICS-Club eingehen, um dadurch Risiken zu mindern? Zahlreiche Gründe sprechen gegen eine Kooperation:
Die BRICS messen Europa nur eine geringe Bedeutung bei. Sie sind als Club nicht an einer strategischen Partnerschaft mit der EU interessiert.
Der BRICS-Club ist zu heterogen, um eine eigene Agenda zu schaffen. Die meisten BRICS-Länder pflegen indes enge bilaterale wirtschaftliche und politische Beziehungen zur EU.
China, Iran, Russland und andere Länder teilen die europäischen Normen und Werte nicht und die demokratischen Länder Brasilien, Indien und Südafrika interpretieren diese anders, weshalb es Grenzen für eine umfassende Kooperation zwischen der EU und dem BRICS-Club gibt.
Angesichts des sich ausbreitenden Bilateralismus und Minilateralismus – der Zusammenarbeit kleiner Ländergruppen, die sich auf bestimmte Herausforderungen konzentrieren – und der gewachsenen Herausforderungen in der multilateralen Zusammenarbeit fällt es der internationalen Gemeinschaft schwer, angemessene Strategien gegen den Klimawandel, den Hunger und gegen Kriege zu entwickeln. Die BRICS-Staaten stehen hier für ein Modell der minilateralen Zusammenarbeit, zugleich fordern sie mehr Mitsprache für den Globalen Süden.
Der BRICS-Aufstieg und die verstärkte Hinwendung vieler Länder des Globalen Südens zum BRICS-Club kann ein Weckruf für die EU sein, ihre Außenpolitik neu aufzustellen. Drei Gründe geben dabei Anlass für die Neuorientierung der europäischen Strategie, in der auch Chancen liegen:
Erstens kann die EU dazu beitragen, dass der Globale Süden eine angemessene Rolle bei der Weiterentwicklung der globalen Governance spielt. Die Repräsentanz und Machtverhältnisse in der UNO und in anderen Institutionen wie etwa dem Internationalen Währungsfonds (IWF) spiegeln nach wie vor das Machtgefüge der Nachkriegszeit wider. Dieser Zustand ist nicht im Interesse des Westens, da eine wirksame globale Governance von der Unterstützung und dem Vertrauen aller Länder abhängt.
Zweitens kann der globale Multilateralismus nur dann an Fahrt gewinnen, wenn er inklusiv ist, also auch den Globalen Süden mit einbezieht. Es sind neue Ansätze erforderlich, um sicherzustellen, dass die globale Zusammenarbeit auch in Zeiten geopolitischer Rivalitäten wirksam ist. Dies könnte zu einer Aufgabe der EU als einem der wichtigsten Wirtschaftsblöcke der Welt werden.
Drittens sollte die EU sich der Aufgabe widmen, den Globalen Süden für multilaterale Reformen zu gewinnen und dies nicht China und Russland überlassen.