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Warum das Mercosur-Abkommen so wichtig für Europa ist | Globaler Handel | bpb.de

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Warum das Mercosur-Abkommen so wichtig für Europa ist

Olga Scheer

/ 6 Minuten zu lesen

Das EU-Mercosur-Handelsabkommen schafft die größte Freihandelszone der Welt. 25 Jahre wurde an dem Deal gearbeitet. Dennoch gibt es immer noch Widerstand. Warum, erklärt die Journalistin Olga Scheer.

Widerstand gegen das Handelsabkommen regt sich vor allem in Frankreich. (© picture-alliance, Januario Helder/ABACA)

„Touchdown in Lateinamerika“, verkündete Ursula von der Leyen am frühen Morgen des 5. Dezembers 2024. Wochenlang hatten Brüssel und die ganze Welt spekuliert: Würde die EU-Kommissionspräsidentin noch in diesem Jahr nach Südamerika fliegen und es schaffen, nach jahrelangen Verhandlungen und großem Widerstand eines der größten und wichtigsten Handelsabkommen der Welt abzuschließen?

Erst bei einem Zwischenstopp im brasilianischen São Paulo lüftete von der Leyen das Geheimnis: Ja, es war so weit. „Die Zielgerade des Mercosur-Abkommens ist in Sicht“, schrieb von der Leyen auf der Onlineplattform X. „Lasst sie uns überqueren. Sie führt uns zur größten Handels- und Investitionspartnerschaft, die die Welt je gesehen hat.“ Und um die Botschaft vollständig klarzumachen: „Beide Seiten werden davon profitieren“.

Der Vertrag mit den vier südamerikanischen Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay ist das bisher größte europäische Handelsabkommen überhaupt: Entstehen würde eine Freihandelszone mit 770 Millionen Menschen.

Partnerländer profitieren von Handelsabkommen

Für die EU spielen neue Handelsabkommen eine zentrale Rolle: Sie sollen neue Wachstumsimpulse für die schwächelnde Exportwirtschaft geben und obendrein die Rohstoffversorgung sichern. Gerade in angespannten geopolitischen Zeiten und mitten im Handelskrieg mit den USA kommt diesen Abkommen eine besondere Bedeutung zu.

Doch Handelsabkommen haben bei vielen Europäerinnen und Europäern einen schlechten Ruf. Dabei sind sie den meisten Ökonomen zufolge sinnvoll, weil in der Theorie beide Seiten davon profitieren, sich zusammenzutun und Waren und Güter auszutauschen, die sie günstiger produzieren können als jeweils der Handelspartner.

Unvergessen bleibt jedoch die Chlorhühnchen-Debatte. Die Debatte wurde zum zentralen Element in der Diskussion über das geplante Freihandelsabkommen TTIP zwischen der EU und den USA im Jahr 2016. Die europäische Bevölkerung hatte damals Angst, dass auch ihre Hühnchen im Supermarkt in Zukunft mit Chlordioxid verseucht werden. Tatsächlich gelten in den USA andere Standards als in der EU. Abkommen ermöglichen es aber den Handelspartnern, sich auf einen gemeinsamen Standard zu einigen. Trotzdem können für heimische Produzenten auch Nachteile entstehen: Nämlich für diejenigen, die dem Konkurrenzdruck nicht standhalten können, weil sie nicht zum gleichen Preis oder der gleichen Qualität produzieren können.

Dennoch weist das Beispiel auf gleich auf zwei wichtige Elemente beim Verhandeln von Freihandelsabkommen hin, die auch bei Mercosur eine Rolle spielen: Lobbykampagnen werden häufig nicht auf einer sachlichen Ebene geführt. Und die Frage, inwiefern sich eigene Standards auf ein Partnerland übertragen lassen, spielen bei den Verhandlungen eine zentrale Rolle.

Widerstand aus Frankreich

Beim Mercosur-Abkommen kommt der größte Widerstand aus Frankreich. Präsident Emmanuel Macron hat sich lange Zeit kategorisch gegen den Mercosur-Deal ausgesprochen. Die Franzosen lehnen das Abkommen mit großer Mehrheit ab, da französische Landwirte insbesondere billige Rindfleischimporte aus Südamerika fürchten.

Doch Fakt ist, dass die meisten Franzosen – genau wie viele Deutsche – nach wie vor einen romantischen Blick auf die Landwirtschaft haben, dabei handelt es sich bei den landwirtschaftlichen Betrieben in Europa zum großen Teil längst um große Industriebetriebe – die zudem selbst großzügig von der EU subventioniert werden – und nicht um kleine Bauernhöfe, die unsere Grundversorgung an Lebensmitteln sichern.

Der innenpolitische Druck auf Macron ist groß: Die Landwirte haben in den vergangenen Monaten verstärkt protestiert. Umfragen zufolge sind drei Viertel der Franzosen gegen das Abkommen. In der Nationalversammlung sind alle Kräfte von links bis rechts gegen die Freihandelspläne.

Lange Zeit sah es so aus, als ob Mercosur ohne Frankreich nicht zustande kommen würde. Denn obwohl von der Leyen das Abkommen fertig ausgehandelt hat, müssen EU-Parlament und der EU-Rat der Mitgliedsländer dem Deal noch zustimmen.

Im Rat ist dafür eine qualifizierte Mehrheit nötig. Das bedeutet, dass mindestens 15 Staaten, die mehr als 65 Prozent der Bevölkerung der EU repräsentieren, mit Ja stimmen müssen.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat sich zuletzt beim EU-Gipfel im Juni erneut deutlich für den Deal ausgesprochen. Alle Beteiligten würden davon profitieren, sagte er. Während neben Deutschland auch Spanien für das Abkommen eintritt, gibt es eine ganze Reihe von Skeptikern: Neben Frankreich zählen dazu die Niederlande, Österreich, Irland, Belgien, Polen und Italien.

Frankreichs Präsident Macron ist daher zuversichtlich, dass er das Abkommen noch verhindern kann. Unmittelbar vor von der Leyens Reise nach Südamerika im Dezember 2024 hatte er noch mit ihr telefoniert und sie vor der Unterschrift gewarnt.

Auch in Südamerika muss das Abkommen in den jeweiligen Parlamenten ratifiziert werden. Dies gilt als wahrscheinlich, solange die Regierungen hinter dem Deal stehen. Neben den vier Unterzeichnerstaaten ist auch Bolivien mittlerweile Vollmitglied des Mercosur. Auch dort muss das Abkommen ratifiziert werden.

Deal liegt seit 2019 vor

Der Mercosur-Vertrag wurde 20 Jahre lang verhandelt, seit 2019 liegt ein Deal vor. Doch weil die Unterhändler noch um wichtige Details gerungen haben, war dieser nicht ratifiziert. Die EU-Kommission hatte im Frühjahr 2024 ein Zusatzprotokoll zum Schutz des Regenwalds vorgeschlagen. Darin sollen sich die südamerikanischen Regierungen verpflichten, die Pariser Klimaschutzziele einzuhalten, zu denen der Schutz von Urwäldern zählt. Dieser Erfolg zählt für die EU als wichtige Errungenschaft.

Doch die EU-Kommission will mit ihrem Eintreten für den Freihandel auch ein Signal an US-Präsident Donald Trump senden. Trump hatte der EU mit Zöllen von bis zu 50 Prozent gedroht. Auf den letzten Metern konnte die EU zwar einen Deal aushandeln, doch auch hier gibt es noch viele Unsicherheiten. Längst gelten die USA nicht mehr als zuverlässiger Partner Europas.

Auch China reagiert auf die angespannten Handelsbeziehungen mit eigenen Restriktionen, zuletzt blockierte die Volksrepublik den Export von Seltenen Erden.

China und die USA sind jedoch die wichtigsten Handelspartner Europas. Die geopolitische Bedeutung von Mercosur ist daher nicht zu unterschätzen. Mit der gemeinsamen Freihandelszone wollen die Europäer ihren Einfluss in Südamerika wieder vergrößern. China hatte die EU zuletzt als wichtigsten Handelspartner in der Region verdrängt. Der chinesische Staatschef Xi Jinping untermauerte die Ambitionen seines Landes mit der Eröffnung eines neuen Tiefwasserhafens in Peru.

Die neue Handelspartnerschaft dürfte die Verbindungen zur EU wieder stärken. Für die Europäer geht es dabei auch darum, Rohstoffe zu sichern und ihre Lieferketten zu diversifizieren. Argentinische Exportzölle auf kritische Rohstoffe wie Lithium fielen mit Mercosur weg. Das Material wird für die Batterieherstellung benötigt und ist zentral für den grünen Umbau der Wirtschaft.

Exportschub für deutsche Unternehmen

Etwa 12.500 deutsche Betriebe exportieren in die vier südamerikanischen Staaten. Vom Abbau der Handelsschranken würden insbesondere Maschinenbauer, Autohersteller und die Ernährungsindustrie profitieren. Insgesamt beliefen sich die EU-Exporte in die Mercosur-Länder 2022 laut der EU-Statistikbehörde auf 56,3 Milliarden Euro; Waren und Dienstleistungen für 64,3 Milliarden Euro kamen von dort in die EU.

Europäische Wirtschaftsverbände sind daher für Mercosur, da die Unternehmen dadurch einen besseren Marktzugang zum Mercosur-Wirtschaftsraum erhalten. Für 91 Prozent der Einfuhren in die vier Länder würden die Einfuhrzölle abgeschafft. Angaben der EU-Kommission zufolge sparen die Unternehmen allein dadurch vier Milliarden Euro im Jahr.

Bislang zahlen beispielsweise die deutschen Autohersteller einen Zoll von 35 Prozent auf jedes exportierte Fahrzeug. Dieser soll mit Mercosur schrittweise sinken. Das ist wichtig, weil die Branche auch nach dem geplanten Verbrenner-Aus in Europa im Jahr 2035 noch Autos mit Verbrennungsmotor nach Südamerika exportieren will. Auch gegenüber China schafft das einen Vorteil. Chinesische Autobauer müssten dann zehn Prozent mehr Zoll in Südamerika zahlen als die europäische Konkurrenz.

Die Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller argumentiert daher, dass das Abkommen eine große Chance für Autohersteller und Zulieferer bietet. 2023 hat Deutschland nur 20.700 Pkw nach Argentinien und Brasilien exportiert. Sie sehe „noch deutliches Potenzial, diese Exporte zu steigern“, sagt Müller.

Neben den Zollerleichterungen werden allerdings auch Produktstandards und geschützte Herkunftsbezeichnungen wie Nürnberger Rostbratwürstchen oder Dresdner Christstollen im Mercosur-Raum anerkannt – auch das gehört zu dem Abkommen.

Die EU will im Gegenzug 92 Prozent aller Importzölle abschaffen. Davon profitieren auf der Mercosur-Seite vor allem Agrarerzeuger und Rohstoffkonzerne. Für die europäischen Verbraucher bedeutet das niedrigere Preise und mehr Auswahl, für die europäischen Unternehmen aber auch mehr Konkurrenz.

Die Mercosur-Staaten haben außerdem durchgesetzt, dass sie bei der Vergabe öffentlicher Aufträge lokale Anbieter bevorzugen dürfen. Dies gibt ihnen Spielraum für eine eigene Industriepolitik.

„Historischer Meilenstein“

Zurück nach Montevideo zum Mercosur-Gipfel am 6. Dezember 2024 in der Hauptstadt von Uruguay. Von der Leyen ist inzwischen an ihrem Ziel angekommen. Sie unterzeichnet gemeinsam mit Argentiniens Präsident Javier Milei, Uruguays Präsident Luis Lacalle Pou, Brasiliens Präsident Lula da Silva und Paraguays Präsident Santiago Pena den Deal.

Auf der Pressekonferenz spricht sie von einem „historischen Meilenstein“. Das Abkommen sei nicht nur eine ökonomische Chance, sondern eine politische Notwendigkeit, sagt sie. „In einer zunehmend konfrontativen Welt demonstrieren wir, dass Demokratien sich aufeinander verlassen können.“ Nun muss es ihr nur noch gelingen, auch Frankreich von dem Deal zu überzeugen und eine Sperrminorität im Rat zu verhindern.

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Olga Scheer ist Volkswirtin und EU-Korrespondentin des Handelsblatts mit einem Schwerpunkt auf Industrie- und Klimapolitik.