Der globale Kapitalismus steckt in der Krise und verändert sich zugleich. Die Zoll- und Handelskonflikte der zweiten Trump-Amtszeit sind nur die Spitze des Eisbergs. Wichtige globale Institutionen wie die
In Diskussionen ist oft von einer ‚Externer Link: Rückkehr‘ der Geopolitik die Rede, von der ‚Externer Link: Geopolitisierung‘ internationaler Handels- und Investitionsbeziehungen. Schauen wir genauer hin, erscheint diese Erzählung aber fraglich.
2024 war ein Externer Link: Rekordjahr für den globalen Handel. Trotz zunehmender Spannungen scheint die ökonomische Verflechtung zwischen den USA, China und der EU relativ stabil. Selbst der sino-amerikanische Konflikt kennt neben Verlierern auch einige Gewinner. So Externer Link: profitierten bislang vor allem Mexiko und Vietnam von den sich verschiebenden Lieferketten. Globale Verflechtungen scheinen sich also nicht unbedingt aufzulösen, sondern ihre Bedeutung verschiebt sich. Diese galten in Zeiten neoliberaler Globalisierung noch als „Positivsummenspiel“, das heißt: Man ging davon, dass wenn alle kooperieren am Ende auch alle mehr haben als zuvor. Heute ist der strategische Aspekt wichtiger geworden. Staaten und Unternehmen Externer Link: instrumentalisieren globale Verflechtungen in weit größerem Ausmaß als noch vor wenigen Jahren.
Der Kapitalismus war seit seinen Anfängen in der europäischen Handelspraxis des 16. Jahrhunderts ein Projekt mit globalem Anspruch. Die Erschließung neuer Märkte, Ressourcen und Arbeitskraft waren zentrale Motive kapitalistischer Expansion in den folgenden Jahrhunderten. Dennoch gilt das späte 19. Jahrhundert bis zum Ersten Weltkrieg gemeinhin als die industrialisierte und erste wirklich ‚globalisierte‘ Phase der Weltwirtschaft, in welcher vor allem der Handel zwischen Europa, Teilen von Asien und Nordamerika Fahrt aufnahm. Die neoliberale Globalisierung, oft als ‚Globalisierung 2.0‘ bezeichnet, begann nach einer Phase eher binnenmarktorientierter Wirtschaftspolitik nach dem zweiten Weltkrieg in den 1980er Jahren.
Die Ära der neoliberalen Globalisierung
Die Externer Link: Krise(n) des Externer Link: keynesianischen Wirtschaftsmodells – von fallenden Profiten zu rebellierenden Arbeitern – läutete in den 70ern und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts eine Ära des globalisierten Wirtschaftens ein, die für das Verständnis unserer Gegenwart zentral ist. Anders als die erste Phase der Globalisierung hundert Jahre zuvor war die neoliberale Phase nicht nur von Handelsintegration geprägt, sondern auch von einer Explosion ausländischer Direktinvestitionen, einem rasanten Anstieg von Portfolioinvestitionen und der transnationalen Verrechtlichung neoliberaler Wirtschaftsprinzipien, etwa in der EU.
Diese Ära der Weltwirtschaft unterschied sich qualitativ von den vorhergehenden Ordnungen: Zum ersten Mal wurde wirtschaftliche internationale Verflechtung politisch zugelassen, gefördert und institutionell auf Dauer gestellt, beispielsweise durch das erste Investitionsschutzabkommen überhaupt, das Deutschland 1959 mit Pakistan abschloss, um deutsche Unternehmensinvestitionen in dem asiatischen Land abzusichern. Bis heute sind weltweit hunderte ähnliche Abkommen weltweit gefolgt. Direktinvestitionen über Landesgrenzen hinweg besitzen eine andere Qualität als ‚bloße‘ Handelsbeziehungen, da sie sowohl die Investoren als auch das Investitionsland enger an den Erfolg dieser Investitionen binden. Die gleichzeitige kulturelle Integration der (westlichen) Welt in dieser Phase, angeführt von amerikanischer (Pop-)Kultur sowie die erweiterten Möglichkeiten transnationaler Telekommunikation und persönlicher Mobilität halfen bei der Verstetigung der globalen Verflechtung.
Das Ergebnis dieser Entwicklungen war eine im historischen Vergleich zwar kurze, aber prägnante Phase amerikanischer Unipolarität, die vom Ende des Kalten Krieges bis etwa zur Wahl Donald Trumps 2016 die neoliberale Ordnung des internationalen Handels untermauerte. Diese war vor allem von drei Strukturmerkmalen geprägt:
Der Etablierung und Ausdehnung von Finanzmärkten und Finanzlogiken, die bis in die Lebenswirklichkeit vieler Menschen vordrangen und zur Finanzialisierung weiter Teile der Realwirtschaft beitrugen. Der Deregulierung und Flexibilisierung der Arbeitswelt und darüber hinaus, die sowohl die materielle Unsicherheit vieler Menschen erhöhte als auch zur Delegitimierung des neoliberalen Kapitalismus beitrug. Die neoliberale Globalisierung schuf genuin transnationale Bewegungsräume. Kapital, Güter und auch Arbeit konnten sich durch diese (meist in den Industrieländern des Globalen Nordens verorteten) Räume freier bewegen als in der keynesianischen Ära. Direktinvestitionen, die Migration hochqualifizierter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder die Verminderung der Regulations- und Steuerlast für Unternehmen wurden in den 1990er und 2000er Jahren durch die Etablierung transnationaler (Markt-)Infrastrukturen ermöglicht. Die so entstandene neoliberale Ordnung prägte die Weltwirtschaft und globale Politik entscheidend. Der sogenannte „Wettbewerbsstaat“ jener Zeit sollte Staaten und Bevölkerungen fit für die Erfordernisse der neoliberalen Globalisierung machen. So legte der ehemalige damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) in einer Regierungserklärung 1999 nahe, dass es wichtig sei, nationale Politik den ‚Bedingungen der Globalisierung‘ anzupassen. Der Politik kam in dieser Perspektive eine passive, heimische Strukturen modifizierende Rolle im globalen Wettbewerb zu.
Das Ende der liberalen Ordnung
Die in den meisten entwickelten Ländern von weiten Teilen des Parteienspektrums – von konservativen bis sozialdemokratischen Kräften – getragene neoliberale Globalisierung war keineswegs unumstritten. Schon früh übten Aktivisten und Nichtregierungsorganisationen Kritik an den dunklen Seiten einer auf wirtschaftliche Expansion und Wettbewerb fokussierten globalen Ordnung. Ebenso wurde die amerikanische Unipolarität nicht erst seit dem Ende des Kalten Kriegs herausgefordert.
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 und der darauffolgende blutige war on terror im Irak und in Afghanistan, die globale Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2008 oder die europäische Währungskrise der frühen 2010er Jahre kratzten an der Strahlkraft neoliberaler Überzeugungen. Spätestens mit der Wahl Trumps und der Brexit-Abstimmung 2016 war klar: die (neo-)liberale Weltordnung ist in einer tiefen Externer Link: Legitimationskrise, die über eine allgemeine Unzufriedenheit mit dem politischen Status quo hinausgeht.
Parallel zum diskursiven Verfall der neoliberalen Globalisierung zeigten sich auch zunehmend materielle und politische Veränderungen, die eine Rückkehr zum Status quo ante, etwa nach der ersten Amtszeit Trumps, unwahrscheinlich machten. Der strikte Kurs, den die erste Trump-Regierung gegenüber China eingeschlagen hatte, wurde von seinem
Die Europäische Union, auch von Deutschland angetrieben, führte ab 2020 Externer Link: Investitionsprüfungsmechanismen ein, um europäische Firmen und Vermögenswerte besser vor dem Zugriff etwa chinesischer oder russischer Investoren zu schützen. Die Corona-Pandemie führte die Verwundbarkeit hyperglobalisierter, auf Effizienz getrimmter Lieferketten vor Augen. Schließlich zertrümmerte der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und die darauf folgenden Externer Link: Sanktionen und energiepolitischen Zerwürfnisse zwischen westlichen Staaten und Russland die Illusionen einer zusammenwachsenden Welt endgültig. Die neoliberale Globalisierung, so schien es, würde sich in den geopolitischen Wirren der frühen 2020er Jahre in Luft auflösen.
Heute: Instrumentalisierung der ökonomischen Verflechtungen
Doch so sehr neoliberale Politikvorstellungen eines sich immer weiterwachsenden Welthandels diskreditiert sein mögen, scheinen zumindest die materiellen Verflechtungen der alten Ordnung weiterhin eine wichtige Rolle zu spielen. Die amerikanischen und europäischen Sanktionen gegen Iran und Russland etwa liefen über ein Netzwerk, das eine Errungenschaft neoliberaler Globalisierung ist. Der Finanzinformationsdienstleister Swift wurde in den 1970er-Jahren gegründet, um den Informations- und Zahlungsaustausch zwischen global agierenden Banken zu vereinfachen.
Ebenso werden andere ‚neoliberale‘ Infrastrukturen wie das internationale Unterseekabelnetzwerk, das das Internet überträgt, immer mehr zu Externer Link: Orten politischer Auseinandersetzungen zwischen Staaten und deren Firmen. Auch die Instrumentalisierung von Schlüsseltechnologien wie der Halbleiterherstellung ist längst zu einem ‚Externer Link: Chip-Krieg‘ mutiert, in dem China, die USA und mit Abstrichen Europa um die Vorherrschaft in einer global vernetzten und transnational organisierten Industrie ringen. Schließlich ist auch das Wiedererstarken von Industriepolitik, wie etwa im US-amerikanischen Inflation Reduction Act (IRA) von 2022, keine rein protektionistische Maßnahme: moderne Industriepolitik will vor allem Investitionen anlocken, die heimische Industrien befördern und sie im globalen Tech-Wettbewerb Externer Link: an die Spitze katapultieren können. Ein geopolitisch inspirierter Protektionismus sieht anders aus – ein solcher würde sich eher durch die Herstellung möglichst autarker nationaler Wirtschaftskreisläufe und den gezielten Rückbau globaler Interdependenzen ausdrücken.
Das Ende der neoliberalen Globalisierung scheint also eben nicht die Rückkehr zu nationalem Wirtschaften und zu einem ausschließlichen Protektionismus zu befördern, der die internationalen Verflechtungen „rückabwickeln“ würde. Wir können viel eher die Instrumentalisierung der ökonomischen Verflechtungen beobachten, die während der neoliberalen Globalisierung geschaffen wurden, die Verflechtungen selbst bleiben bestehen. Man könnte sogar sagen, dass die aufkommende geoökonomische Ordnung ohne diese Verflechtungen gar nicht denkbar wäre.
Ohne die Netzwerke, Infrastrukturen und Handels- und Investitionsbeziehungen, die in den letzten Jahrzehnten aufgebaut wurden, kann eine strategische Nutzung dieser Verflechtung schwer gedacht werden. Der nationale Sicherheitsberater Bidens, Jake Sullivan, fasste diese Ambiguität globaler Verflechtungen als ‚Balanceakt‘ zusammen, in dem strategisch agierende, geoökonomisch versierte Entscheidungsträger zwischen ‚Externer Link: restriktiven Instrumenten, die wirtschaftlichen Schaden zufügen, und positiven Instrumenten, die gegenseitigen ökonomischen Nutzen in Aussicht stellen‘ abwägen müssen.
Die Konturen einer geoökonomischen Welt
Die neue Ordnung bedeutet sicherlich keine rein geopolitische, in sauber abtrennbare Blöcke gegliederte Welt. Vielmehr können wir eine Neu-Interpretation globaler Verflechtung sehen, die drei Kernprozessen folgt: der Strategisierung wirtschaftlicher Interdependenz, der Regionalisierung und Fragmentierung der globalen Ordnung sowie der Transformation von Staatlichkeit.
Die Strategisierung wirtschaftlicher Interdependenz bedeutet, dass die während der neoliberalen Globalisierung geschaffenen Verflechtungen kritischer als noch vor einigen Jahren bewertet werden. Das Schaffen neuer Verflechtungen – also die Etablierung neuer Lieferketten, die Erschließung neuer Märkte oder die Institutionalisierung von Handels- und Investitionsbeziehungen – wird unter sicherheits- und wettbewerbspolitischen Gesichtspunkten neu verhandelt. Das betrifft offensichtliche Fälle wie die Externer Link: US-Zollpolitik, die auf eine Neuordnung bestehender Handelsverflechtungen – und nicht auf deren Abschaffung – abzielt.
Aber auch andere Fälle wie die deutschen Versuche, eine heimische Chip-Industrie aufzubauen, folgen ähnlichen Mustern. Die Externer Link: Chipfabriken sind immer noch transnational verzahnt und zielen auch auf die Belieferung globaler Märkte ab. Und auch vormalige wirtschaftliche Entflechtungen, wie etwa die russischen Gaslieferungen nach Deutschland und Europa, werden durch neue Verflechtungen, etwa mit Norwegen, den USA und den Golfstaaten Externer Link: aufgefangen. Die Strategisierung von wirtschaftlicher Interdependenz verändert die Globalisierung, schafft sie aber nicht ab.Regionalisierung und Fragmentierung der globalen Ordnung bedeutet, dass wir in einer geoökonomischen Ordnung vermehrt regional verankerte Lieferketten sehen werden. Ereignisse wie die Pandemie oder immer häufigere Naturkatastrophen führen die Vorteile solcher kürzerer, resilienter Lieferketten vor Augen. Doch auch globale Handelszerwürfnisse zeigen, dass wirtschaftliche Verflechtung mit Alliierten, wie etwa innerhalb Europas, am besten vor unerwarteten Brüchen und Lieferengpässen schützt.
Institutionell hat sich mit dem russischen Krieg gegen die Ukraine gezeigt, dass unwirksam geglaubte Allianzen wie der BRICS-Club wiederaufleben können. DieInterner Link: Erweiterung dieser Staatengruppe von 2023 verschärft die globale Lagerbildung, in deren Folge eine weitreichende Fragmentierung der globalen economic governance entstehen könnte.Die Transformation von Staatlichkeit bedeutet, dass der neoliberale Wettbewerbsstaat durch einen aktiven, nach außen gerichteten geoökonomischen Staat verdrängt wird. Anders als bloß die passive Anpassung von Arbeits- und Sozialsystemen an scheinbare ökonomische Notwendigkeiten begreift der geoökonomische Staat die Realität globaler wirtschaftlicher Verflechtung als Möglichkeit, Externer Link: Macht und Einfluss zu projizieren. Große Staatsfonds wie der norwegische oder saudische führen diese neue Rolle des Staates beispielhaft vor Augen: anstatt der heimischen Anpassung im Namen der Wettbewerbsfähigkeit nutzen diese neuen Staatsapparate ihre finanziellen und politischen Ressourcen um ihren Einfluss auf die globale Ökonomie Externer Link: stetig zu erhöhen.
Welche Rolle für Deutschland in einer neuen Ordnung?
Was bedeuten diese Entwicklungen für Deutschland? Das exportorientierte deutsche Wachstumsmodell zeigt bereits jetzt seine Grenzen der Anpassung an eine geoökonomische Welt. Die erhöhte Strategisierung globaler Wirtschaftspolitiken trifft die auf offene Märkte und stabile Verflechtungen angewiesenen hiesigen Externer Link: Exportunternehmen und deren Zulieferbetriebe stark. Und auch die Fragmentierung oder Regionalisierung von Lieferketten ist oftmals problematisch für Firmen, die ihre Produktionskosten niedrig und somit wettbewerbsfähig halten wollen – die Energiekrise nach dem Überfall auf die Ukraine ist ein Externer Link: Paradebeispiel hierfür. Schließlich hat Deutschland auch historisch gesehen wenige große Entitäten in Staatsbesitz, die in einer neuen geoökonomischen Welt für strategische Zwecke eingesetzt werden könnten. Doch die Krise des deutschen Entwicklungsmodells bietet auch geoökonomische Chancen. Die Energiewende und die damit verbundenen Umstrukturierungen etwa bergen ‚grünes‘ Wachstumspotential, das von Technologieentwicklung bis Infrastrukturausbau reicht. Eines steht jedenfalls fest: die Bearbeitung der Krisen der Gegenwart mit neoliberalen Politikvorstellungen vergangener Jahrzehnte ist kein probates Mittel, um der globalen Ordnung von morgen adäquat zu begegnen.