Status quo: Das Internet der Monopole
Die Plattformen der Digitalkonzerne ziehen den Großteil der digitalen Mediennutzung auch in Deutschland auf sich. Wir finden eine monopolartige Konzentration auf dem Feld politisch relevanter Mediengattungen vor: 88 Prozent der gesamten Nutzungszeit bei Suchmaschinen entfällt in Deutschland auf Google, bei Gratis-Video-on-Demand erzielt Youtube 78 Prozent der gesamten Nutzungszeit, bei Social Media bekommen Facebook und Instagram (beide Meta) zusammen 85 Prozent.
Die extreme Konzentrationsbildung hat Anbietervielfalt, fairen Wettbewerb und gleichberechtigten Zugang ebenso systematisch wie planvoll eliminiert. Dies ist besonders kritisch im Bereich der Medien, da eine von Konzernzwängen möglichst freie politische Öffentlichkeit eines der Fundamente unserer Demokratie bildet. Aktuell liegt der Anteil der öffentlichen Aufmerksamkeit in digitalen Medien bei etwa 60 Prozent, bis 2029 wird dieser Wert auf etwa drei Viertel ansteigen. Infolge des Voranschreitens der digitalen Transformation ist folglich davon auszugehen, dass die US-Monopolisten in den kommenden Jahren den Großteil des Mediensystems in Europa übernehmen und kontrollieren werden – eine Entwicklung, der Europa auf Grundlage der aktuellen Gesetzgebung fatalerweise weitgehend wehrlos ausgeliefert ist. Schon der Status quo steht in einem krassen Widerspruch zu den antimonopolistischen Grundsätzen des klassischen deutschen Medienrechts.
Zielbild: Digitale Souveränität
Expertinnen und Experten verstehen digitale Souveränität als „Fähigkeit, persönliche oder kollektive Freiheit und Selbstbestimmung in der digitalisierten Gesellschaft zu verteidigen, zu nutzen und zu gestalten“.
Der Status quo ist aus drei Gründen inakzeptabel:
Erstens sind Medienmonopole aufgrund der Bündelung von Meinungsmacht unter allen Umständen zu verhindern.
Zweitens verlieren die Bürger in den demokratischen Staaten die eigene Gestaltungshoheit (Souveränität) in Bezug auf die politische Öffentlichkeit, die die Grundlage der Demokratie darstellt. Denn diese Öffentlichkeit wird jetzt durch einige wenige private Konzerne kontrolliert. Die Demokratie verliert so den gestaltenden Zugriff auf ihre eigene Grundlage.
Drittens machen sich die EU sowie die Nationalstaaten durch die Abhängigkeit von den Monopolen, die den Zugang zu öffentlichen Gütern kontrollieren, erpressbar.
Der zentrale Denkfehler in Bezug auf Lösungen ist jedoch, in Angeboten und Inhalten zu denken („wir brauchen eine europäische Plattform“). Die Öffnung der digitalen Märkte für Wettbewerb ist jedoch die Grundbedingung für die erfolgreiche Implementierung alternativer Angebote.
Das Problem ist selbstgeschaffen – und leicht zu lösen
Die mangelnde digitale Souveränität ist nicht nur das Ergebnis des unternehmerischen Handelns der Monopolisten – sie wurde auch ermöglicht durch Privilegien und rechtliche Vorzugsbehandlungen:
1. Intermediärsprivileg
Das Grundproblem besteht darin, dass die Medienangebote der Tech-Konzerne nicht als Medien reguliert werden, obwohl sie Medien sind.
2. Haftungsprivileg
Von dieser ebenso willkürlichen wie sachlich falschen Grundlage wurden weitere Rechtsprivilegien abgeleitet. Weil die Plattformen „nur“ als Intermediäre behandelt werden, werden sie auch weitgehend von der Haftung für die Plattforminhalte befreit. Wie absurd das ist, zeigt etwa der Skandal des umstrittenen Podcasters Joe Rogan: Obwohl Spotify dem Podcaster 100 Millionen US-Dollar für seine Inhalte bezahlt hatte (die es seinerseits bei seinen Nutzern zu Geld macht), muss Spotify für rassistische Aussagen oder falsche Tatsachenbehauptungen nicht haften. Hätte Joe Rogan exakt dieselben Äußerungen als Host einer Fernsehsendung getätigt, müsste der Sender dagegen voll haften.
3. Straftatenprivileg
Aus dem Haftungsprivileg wurde das Straftatenprivileg abgeleitet. Bis heute dürfen Plattformen Straftaten und kriminelle Inhalte im Netz zu Geld machen. Sie dürfen also etwa rassistische Beleidigungen, Diskriminierungen oder gar Holocaustleugnung monetarisieren und sogar falsche Tatsachenbehauptungen, etwa russische Cyberpropaganda - solange diese Inhalte nicht über Notice-and-Takedown-Verfahren entfernt wurden. In solchen Fällen wird dem Plattformbetreiber der strafbare Inhalt angezeigt, der ihn dann prüft und gegebenenfalls entfernt – ein Verfahren, das in der Regel stets zu lange dauert.
4. Monopolprivileg
In Deutschland unterliegen Medien strengen Vorschriften gegen Monopolbildung. So darf zum Beispiel kein Anbieter mehr als 30 Prozent Nutzungsanteil in der Kategorie Fernsehen besitzen, um eine übermäßige Akkumulation von Meinungsmacht zu verhindern. Obwohl digitale Mediengattungen wie etwa Suchmaschinen, Social Media oder Gratis-Video-on-Demand genauso demokratierelevant sind wie die analogen Mediengattungen, gibt es hier keinerlei Grenzen.
5. Instrumentalisierungsprivileg
Ähnlich ist es bestellt um das Thema der politischen Instrumentalisierung. So müssen etwa TV-Sender im Kontext von Wahlkämpfen ausgewogen berichten (nach dem Prinzip der abgestuften Chancengleichheit). Erneut sind »Intermediäre« von solchen Regeln nicht betroffen – und jemand wie Elon Musk kann einseitig die Plattform X etwa in den USA zur Empfehlung von Donald Trump oder hierzulande in Deutschland zur Empfehlung der AfD instrumentalisieren.
6. Einsperrprivileg
In den meisten Märkten werden Verbraucher davor geschützt, dass übelmeinende Anbieter die Wahlfreiheit der Menschen einschränken und sie etwa aktiv davon abhalten, alternative Angebote zu verwenden. Im Gegensatz dazu dürfen die Tech-Konzerne ihre Monopole mit riesigen digitalen „Mauern“ absichern, die verhindern, dass die Nutzer die Plattform verlassen. So dürfen Plattformen Outlinks (also „Ausgänge“, durch die man direkt auf unabhängige digitale Angebote weitergeleitet würde) entweder völlig eliminieren (wie etwa bei TikTok) oder aber nur durch mühselige Umwege verfügbar machen (wie etwa bei Instagram durch die Erstellung eines Links in der Bio). Die Plattformen dürfen ferner sogar Beiträge mit solchen Outlinks so herunterdrosseln und „bestrafen“, dass kaum jemand diese überhaupt jemals zu sehen bekommt. Zuletzt dürfen sie durch sogenannte geschlossene Standards Barrieren schaffen, die verhindern, dass Nutzer Inhalte nahtlos in anderen Plattformen verbreiten oder beispielsweise Follower (nach deren Einverständnis) in andere Plattformen übertragen.
Outlinks ermöglichen beziehungsweise vorschreiben
Alternative Regelungen liegen auf der Hand.
Des Weiteren könnten wir die Netzwerke einfach öffnen, indem wir marktführende Plattformen verpflichten, den Urhebern die Setzung von Outlinks auf allen möglichen Ebenen zu ermöglichen (Text, Headline, Bild, Video, etc.), um die Nutzer auf Angebote außerhalb der Plattform weiterzuleiten. Nutzer dürften dann nicht mehr aktiv daran gehindert werden, die Plattform zu verlassen, etwa durch komplizierte Umwege. Plattformen dürften auch nicht wie bisher Inhalte mit Outlinks in Bezug auf Sichtbarkeit herunterdimmen. Wir würden die Plattformen dazu zwingen, den Urhebern vollständige Freiheit bei der Setzung solcher Outlinks zu lassen.
Analog könnten wir offene Standards für sehr große Plattformen durchsetzen. Dadurch könnten wir Wege finden, wie Nutzer Inhalte, aber auch Follower über Plattformgrenzen hinweg „mitnehmen“ oder weitergeben. Die Netzwerke würden relativ gesehen austauschbarer, umgekehrt hätten qualitativ hochwertige und faktengeprüfte Inhalte bessere Chancen in Bezug auf Sichtbarkeit und Monetarisierung. Dass offene Standards Vielfalt und Wettbewerb herstellen, belegen wissenschaftliche Messungen. Während fast alle digitalen Märkte von Quasi-Monopolen oder Oligopolen besetzt sind, ist beispielsweise der Markt für E-Mails bis heute durch Vielfalt geprägt – weil offene Standards eingesetzt werden, so dass Inhalte problemlos zwischen unterschiedlichen Anbietern ausgetauscht werden können. So kann auf diesem Markt das Angebot von Alphabet (Gmail) trotz der extremen wirtschaftlichen Übermacht sowie plattformübergreifender Netzwerkeffekte hier keine marktbeherrschende Stellung aufbauen, bis heute existieren alternative lokale Anbieter (wie web.de oder GMX).
Ferner würden wir auch bei digitalen Medien die im Medienrecht bewährte wirtschaftliche Trennung von Übertragungsweg und Inhalt umsetzen und so die Wirkungsmacht von Monopolstellungen drosseln. Diese wirtschaftliche Trennung würde bedeuten, dass eine Plattform wie YouTube in zwei Gesellschaften aufgeteilt würde – YouTube-Plattform-Services und YouTube-Content-Services.
Es wäre nun leicht möglich, auch für demokratierelevante digitale Mediengattungen (wie etwa Suchmaschinen, Gratis-Video-on-Demand, Social Media) Marktanteilsobergrenzen festzuschreiben, die entsprechend der analogen Regeln 30 Prozent nicht überschreiten dürften. Im Falle von YouTube wäre ein Marktanteil von 78 Prozent ebenso inakzeptabel wie derselbe Marktanteil für RTL in der Mediengattung Fernsehen. YouTube müsste also beispielsweise Drittanbieter auf der Plattform zulassen, bis Anbietervielfalt gewährleistet ist. Influencer könnten sich dann beispielsweise den wirtschaftlich attraktivsten Vermarkter für die Inhalte suchen und wären nicht mehr an YouTube gebunden. Für andere demokratierelevante Mediengattungen wie Suchmaschinen könnte man gut bewährte Syndizierungsmodelle nutzen, um auch hier Anbietervielfalt herzustellen: Marktbeherrschende Plattformen stellen ihre Daten zur Verfügung, auf deren Grundlage dann alternative Angebote geschaffen werden.
Ferner sollte es den Plattformen verboten sein, spezifische strafbare Inhalte zu monetarisieren, ohne dafür die volle Haftung zu übernehmen. Im Netz muss fortan der Grundsatz gelten: Wer wirtschaftliche Verantwortung für konkrete Inhalte übernimmt (durch Monetarisierung), der muss auch die volle inhaltliche Verantwortung übernehmen. Eine solche Regelung löst das aktuelle Problem, dass Plattformen unter dem Vorwand der Meinungsfreiheit nach wie vor ungestört strafbare Inhalte zu Geld machen dürfen. Zugleich ist durch diese Regelung die Meinungsfreiheit nicht betroffen, denn nicht die Übertragung, nur die Monetarisierung strafbarer Inhalte durch Plattformen ist unterbunden.
Zuletzt sollten wir den Communities, welche die Plattformen durch ihre Inhalte und Mitarbeit gestalten, eine Stimme bei der Gestaltung der Plattformen selbst geben. Solche Oversight Boards würden über Strukturmerkmale der jeweiligen Plattform mitentscheiden – also etwa die Gestaltung der Algorithmen sowie der Nutzungsbedingungen.
Die Folgen eines „digitalen Reset“
Durch den Wegfall der vielen Privilegien und rechtlichen Vorzugsbehandlungen, durch die Europa und Deutschland aktuell Monopolprotektionismus für die US-Digitalkonzerne betreiben, würde unsere Abhängigkeit von den Tech-Konzernen umgehend massiv reduziert. Freie, unabhängige Anbieter würden ein „level playing field“ vorfinden, also faire Chancen im Wettbewerb, sowie faire Möglichkeiten für die Monetarisierung der eigenen Inhalte.
Alternative europäische Plattformen hätten eine echte Chance. Solange die marktöffnenden Maßnahmen nicht umgesetzt sind, ist die finanzielle Förderung solcher Alternativen dagegen weniger sinnvoll – weil sie unter den Bedingungen der Monopole keinen fairen Marktzugang besitzen und somit chancenlos bleiben.
Die Nutzung würde sich umgehend demokratisieren. Durch die offenen Standards würden die Plattformen zunehmend austauschbar – dagegen würde die Qualität von Inhalten wieder zum entscheidenden Faktor für den wirtschaftlichen Erfolg. Zugleich könnten solche Maßnahmen aber auch eine zivilisierende und balancierende Wirkung auf die digitalen Diskurse entfalten.
Wir erkennen die positiven Effekte sofort, wenn wir diese zukünftige, bessere digitale Welt mit dem schlimmen Status quo vergleichen. Denn die aktuelle digitale Fehlregulierung fördert die Monopolbildung, die drastische Entwertung von Content, die verantwortungslose Ausbeutung polarisierender oder gar strafbarer Inhalte sowie den vollständigen Verlust der digitalen Souveränität der Nutzerinnen und Nutzer.
Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen geben Anreize für mehr Anbietervielfalt, reduzieren den Wert der Plattformen, erhöhen dagegen den Wert von Content und die Übernahme von Verantwortung. Sie geben den unabhängigen Domains außerhalb der Plattformen eine Chance, und genau dort zieht ohnehin die Verbreiterhaftung. Zuletzt wird den Nutzern aber die digitale Souveränität gesichert. Sie hätten nicht nur faire Zugänge in die digitale Welt – sondern auch eine echte Stimme bei der Gestaltung der digitalen „Foren“, welche in Zukunft die Grundlage unserer Demokratie darstellen.