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Das Dschungelbuch | Der Filmkanon | bpb.de

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Das Dschungelbuch The Jungle Book

Cristina Moles Kaupp

/ 6 Minuten zu lesen

Aus der Geschichte Joseph Rudyard Kiplings machten 70 Zeichner einen Trickfilm: Auch ohne computergenerierten Photorealismus ist "Das Dschungelbuch" ein zeitloser Klassiker des Animationfilms.

"Das Dschungelbuch", 1967 (© dpa)

Wie war das damals doch magisch – jenes Hineintauchen in das diffuse Blattgrün von Walt Disneys "Dschungelbuch" (The Jungle Book, R: Wolfgang Reitherman, 1967) mit all seinen fremden Geräuschen und faszinierenden Lebewesen. Was mochte sich hinter den dicken Stämmen verbergen, im Dunkel eines Teichs, unter den üppigen Blütenbüscheln in allen erdenklichen Formen und Farben? Tiere, Gefahren, Abenteuer. Als dann der weise Panther Baghira ins Bild schlich, um die Geschichte des Wolfsjungen Mogli zu erzählen, schwand sogar die kindliche Furcht vor der Bestie im Fell. Es konnte sich doch alles nur zum Besten wenden, wenn eine pechschwarze Raubkatze beim ersten Anblick eines greinend glucksenden Menschenbabys dahinschmilzt, oder?

Moglis Abenteuer sind rasch erzählt: Als Säugling wird er ausgesetzt wie dereinst Moses, Baghira findet ihn in einem Weidenkörbchen auf einem gekenterten Boot. Er will den kleinen Wicht nicht fressen. Stattdessen bringt er ihn zu einer Wolfsfamilie, die den Jungen aufzieht. Zehn Jahre vergehen, und Mogli wächst zu einem frechen Wolfsjungen heran. Noch ahnt er nichts von seinem Erzfeind, Tiger Shir Khan, der gerade wieder durch die Gegend streift. Shir Khan ist so mächtig und brutal, dass ihn jedes Tier im Dschungel fürchtet. Schweren Herzens beschließen die Wölfe daher, sich von Mogli zu trennen. Als Baghira den Jungen in eine entlegene Menschensiedlung bringen will, hat er nicht mit dessen Widerstand gerechnet. Mogli will sich partout nicht vom Dschungelleben trennen. Er fürchte Shir Khan nicht und sei groß genug, trotzt Mogli, doch schon in der ersten Nacht wird er eines Besseren belehrt: In Erwartung eines appetitlichen Snacks hypnotisiert die Riesenschlange Kaa den Knaben. Nur in letzter Sekunde kann Baghira das Schlimmste verhindern.

Der nächste Tag bringt die Begegnung mit der Dschungel-Patrouille, angeführt vom Elefanten Colonel Hathi. Mogli sorgt für Verwirrung, wieder gelobt Baghira, das Menschenkind schnellstens zu seinen Artgenossen zu bringen. Doch Mogli streikt, und Baghira geht erzürnt eigener Wege. An seine Stelle tritt Balu, der gemütliche Bär, der den Kleinen sofort adoptiert. Entzückt lehrt er Mogli das Boxen und seine Lieblingshymne The Bare Necessities (Probier´s mal mit Gemütlichkeit). Doch Balu mag noch so herzensgut sein, für Baghira bleibt er ein "nichtsnutziger, dummer Dschungelfaulpelz". Und tatsächlich bemerkt Balu viel zu spät, dass eine Horde Affen Mogli entführt hat. Ihr Anführer, King Louie, residiert in einer Ruinenstadt und will Mogli gerne aufnehmen, vorausgesetzt, er verrät ihm das Geheimnis des Feuers. Dem König der Affen gelüstet nach Menschwerdung, doch Mogli kann ihm dabei nicht helfen. Als Balu und Baghira Mogli endlich befreit haben, sieht auch der Bär ein, dass der Junge bei den Menschen besser aufgehoben ist. Mogli ist zutiefst enttäuscht vom Verrat seines besten Freundes und rennt davon.

Allein und den Tränen nahe, lässt sich Mogli beinahe wieder von Kaa einwickeln und lernt dann einen Geier-Chor kennen. Ihr erster Kontakt wird jäh durch Shir Khan gestört. Amüsiert registriert er Moglis Naivität, dann gibt er ihm zehn Sekunden Vorsprung, um seine Hatz nach dem Jungen etwas aufregender zu gestalten. Am Himmel dräut ein Gewitter, als sich Shir Khan auf sein Opfer stürzt. Doch er verfehlt Mogli, weil Balu beherzt an seinem Schwanz zerrt. Passend zum fürchterlichen Gerangel fährt der Blitz in einen Baum. Mogli kann den Tiger mit einem brennenden Ast vertreiben, doch Balu liegt reglos in einer Pfütze. Hat ihn Shir Khan getötet? Baghira findet salbungsvolle Worte zu Ehren des tapferen Bären und will gerade mit Mogli davontrotten, als Balu erwacht. Erleichtert streifen die drei wieder durch den Dschungel, bis Mogli ein neues Lied vernimmt: "Trautes Heim, Glück allein", flötet ein Mädchen, das gerade aus der Menschensiedlung kommt, um Wasser zu holen. Mogli ist entzückt. Was mag das nur für ein Wesen sein? Vergebens versucht Balu ihn zurückzuhalten, doch Mogli erliegt dem Charme des Mädchens und folgt ihm in sein neues Zuhause.

Moglis Abenteuer basieren auf Erzählungen aus Joseph Rudyard Kiplings The Jungle Book, das 1894 veröffentlicht wurde. Die Verfilmung war über lange Jahre ein Wunschprojekt von Walt Disney. Kipling, ein großer Weltenbummler, wurde 1865 in Indien geboren und hielt sich dort später als Journalist auf. Seine Betrachtungen des dortigen Alltags prägten das Buch und die Fortsetzung The Second Jungle Book, das über weitaus dunklere Nuancen verfügt als später der Zeichentrickfilm. Da Kiplings Erzählungen jedoch ein kontinuierlicher Handlungsablauf fehlt, wurde die Verfilmung mehrmals verschoben. Mitte der 1960er Jahre befasste sich dann Larry Clemmons, ein ehemaliger Gagschreiber für Jack Benny und Bing Crosby, mit dem Plot. Er kettete Moglis Abenteuer aneinander und krönte sie mit hinreißenden Rhythmen und Songs, die von Robert B. und Richard M. Sherman geschrieben wurden – bis auf eine Ausnahme: Das wohl populärste Stück, The Bare Necessities, stammte von Terry Gilkyson.

Zeichentrick verband sich also mit Musical, und die in diesem Genre noch unbekannten Stimmen von Altmime George Sanders (Shir Khan), Jazzlegende Louis Prima (King Louie), Sebastian Cabot (Baghira), und Phil Harris (Balu) hauchten den Figuren Charakter ein. Als "Das Dschungelbuch" 1967 endlich in die Kinos kam, potenzierte der Film Disneys Erfolgsgeschichte und spielte im Lauf der Jahre weltweit 600 Millionen Dollar ein. Walt Disney war an Entwicklung von Story und Figuren noch beteiligt, sollte diesen Triumph aber nicht mehr erleben.

Zur Entstehungszeit des Films war im Zeichentrick bekanntlich noch keine computergenerierte fotorealistische Darstellung möglich, wodurch der Fantasie des Zuschauers weniger Grenzen gesetzt waren. Inzwischen haben sich Sehgewohnheiten und Alltagsrealität radikal verändert, und aus heutiger Sicht wirken die Hintergründe von "Das Dschungelbuch" möglicherweise verblüffend schlicht. Die Figuren sind alles andere als dreidimensional, der Plot hangelt sich ohne Eile von Song zu Song, und auch die sonderbaren Dschungelgeräusche wirken längst nicht mehr geheimnisvoll, stammen sie doch "nur" von Fröschen und Grillen. Dafür ist jedes Blättchen und Zweiglein handgemalt: 70 Zeichner arbeiteten an 300.000 Einzelbildern, die sich zu 78 Filmminuten fügten. Und mit Kaa kroch erstmals eine bein- und armlose Ekelkreatur durchs Bild. Indem man ihr einen ausgeprägten Kopf nebst stumpfer Nase verlieh, gewann sie immerhin ein bisschen an "Menschlichkeit".

Schwieriger war die Umsetzung der turbulenten Gesangseinlage der Affen. Also kam Jazzmusiker Louis Prima mit seiner Band extra für die Zeichner ins Filmstudio und gab King Louies Song I Wan´na Be like You (Ich wär so gern wie du) zum Besten. Die Band wurde dabei gefilmt, damit die Zeichner später ihre Bewegungen leichter nachempfinden konnten – bislang riefen sie ihr Wissen über Bewegungsabläufe meistens direkt aus ihren Köpfen ab. Selten entstanden daraus vollkommen realistische Resultate, wozu auch? Wenn die Mimik von Dschungeltieren mit der menschlichen verschmilzt, sich augenzwinkernde Anspielungen auf Rollenklischees und Charaktere ergeben, wirken die Figuren um einiges komischer und faszinierender als die hyperrealen modernen Hybride. Kein Kind, das nicht sofort den lebenslustigen Balu ins Herz schließt, kein Erwachsener, der nicht über die Eitelkeiten Colonel Hathis schmunzelt und hinter Shir Khans aalglattem Snobismus britisches Kolonialgehabe erkennt.

So betrachtet vermag "Das Dschungelbuch" auch heute noch zu verzaubern – die Kleinen mit seiner exquisiten Farbigkeit und dem einfachen Plot, die Großen mit den herrlichen Songs und seinen famosen Charakteren – abgesehen von diversen antiquierten Klischees wie etwa der Darstellung der Rolle der Frau.

Mensch bleibt Mensch und Tier bleibt Tier, lautet das Motto von "Das Dschungelbuch". Interessanterweise hält nicht der Mensch an dieser Einstellung fest, sondern die weitaus intelligenteren Tiere. Egal ob durchtrieben oder charmant – bei Disney sind sie die besseren Lehrmeister für das von seiner Mutter ausgesetzte Menschenkind. Mogli verkörpert bestenfalls juvenilen Größenwahn und vermag selbst Auge in Auge mit dem Tiger seine Grenzen nicht zu erkennen. Nur unterschwellig streift sein Werdegang eine alte Frage: Was beeinflusst die Entwicklung des Menschen mehr: seine Natur oder die Umgebung, in der er aufwächst? Disneys "Das Dschungelbuch" versteigt sich jedoch nicht in psychologische oder philosophische Debatten. Ob Menschenkind oder Wolfsjunge – Moglis Geschichte konzentriert sich mehr auf die Themen Freundschaft und Vertrauen als notwendige Faktoren für das Überleben in fremden Lebensräumen. Doch vor allem huldigt Disney einmal mehr der Zeit, in der Kinder ihre Umwelt entdecken.

Interner Link: Filmkanon kompakt: Das Dschungelbuch

Fussnoten

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Nach dem Studium arbeitete sie als Redakteurin für Popmusik in den 1990ern beim "tip" und wechselte dann zum "Tagesspiegel". Seit 1996 schreibt sie als freie Journalistin u.a. für den WDR, "Spiegel Online", die Bundeszentrale für politische Bildung, "fluter" und den "tip" mit Schwerpunkt Film.