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Die Ehe der Maria Braun

Robert Fischer

/ 8 Minuten zu lesen

Die Geschichte einer Frau, die sich zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders durchschlägt, wurde Fassbinders internationaler Durchbruch und Auftakt einer Trilogie über die BRD-Vergangenheit.

"Die Ehe der Maria Braun", 1979 (© Bertz + Fischer Verlag / original copyright holders)

"Die Ehe der Maria Braun", der 1979 in die Kinos kam, war der 34. Fassbinder-Film in nur zehn Jahren. Aber Rainer Werner Fassbinder (1945-1982) war nicht nur der mit Abstand produktivste, sondern auch der wichtigste und beste Regisseur des Neuen Deutschen Films.

Fassbinders gigantisches Werk, das neben seinen Filmen für die große Leinwand auch noch Fernseharbeiten, Hörspiele und vor allem Theaterstücke und Bühneninszenierungen umfasst, lässt sich, wenn man seine Kino- und Fernsehfilme betrachtet, in drei Phasen unterteilen:

Die erste Phase mit elf Filmen reicht von "Liebe ist kälter als der Tod" (1969) bis "Warnung von einer heiligen Nutte" (1971) und ist noch sehr dem antiteater verpflichtet, jener Theatertruppe, mit der Fassbinder Ende der 60er Jahre die deutsche Bühnenlandschaft revolutionierte und alle seine frühen Filme drehte. Typisches Beispiel für diese Schaffensperiode ist "Katzelmacher", die Verfilmung eines eigenen Theaterstücks.

Die zweite, rund 20 Filme umfassende Phase beginnt 1971 mit dem Film "Händler der vier Jahreszeiten", reicht mindestens bis zu der Oskar-Maria-Graf-Verfilmung "Bolwieser" (1976) und wird, vereinfacht gesagt, vor allem vom Einfluss der Hollywood-Melodramen des Exil-Deutschen Douglas Sirk (eigentlich: Detlef Sierck, 1897-1987) geprägt. Fassbinder hatte Sirks Filme in einer Retrospektive für sich entdeckt und den Regisseur auch persönlich kennen und schätzen gelernt.

Als Beginn der dritten und letzten Phase in Fassbinders Werk kann die Nabokov-Verfilmung "Eine Reise ins Licht - Despair" (1977) gelten, sein erster Film in englischer Sprache, besetzt mit internationalen Stars. Aber nicht dieses kalkulierte Zielen auf den internationalen Markt und weltweiten Erfolg brachte Fassbinder ein Massenpublikum, sondern erst der nächste Film, diesmal wieder ein Originalstoff und in jeder Hinsicht "deutsches" Thema: "Die Ehe der Maria Braun". Die Titelrolle übernahm Hanna Schygulla, Fassbinders Muse von Beginn seiner Karriere an, die sich nach "Fontane - Effi Briest" (1974) eine dreijährige Pause von ihm gegönnt hatte, diesem Drehbuch aber nicht widerstehen konnte.

Ein Kriegstag im Jahre 1943. Während draußen Bomben fallen, heiraten in einem Standesamt der Frontsoldat Hermann Braun (Klaus Löwitsch) und das Mädchen Maria (Hanna Schygulla). Einen halben Tag und eine Nacht sind sie zusammen, dann muss Hermann zurück an die Ostfront. Zusammen mit ihrer verwitweten Mutter (Gisela Uhlen) bleibt Maria im Deutschland des Bombenkriegs, der bevorstehenden Invasion und der baldigen Besetzung durch die Alliierten zurück. Sie ist fest davon überzeugt, dass Hermann zurückkehrt. Wenn Züge mit Heimkehrern aus dem Osten kommen, steht sie am Bahnhof. Auf dem Schwarzmarkt tätigt sie Tauschgeschäfte für den täglichen Bedarf.

Als sie eines Tages nach Hause kommt, findet sie die Mutter, ihre Freundin Betti (Elisabeth Trissenaar) und Bettis heimgekehrten Mann Willi (Gottfried John) stumm in der Wohnung: Willi will gehört haben, dass Hermann gefallen ist.

In der Ami-Bar, in der Maria Arbeit als Bedienung gefunden hat, lernt sie Bill (George Byrd) kennen, einen schwarzen G.I., und fühlt sich zu ihm hingezogen. Maria wird schwanger. Eines Abends steht Hermann in der Tür und blickt auf seine Frau und den Amerikaner. Hermann ist zurückgekommen – so, wie Maria es immer geglaubt hat. Nun ohrfeigt er sie. Bill fällt ihm in den Arm. Maria ist Hermanns Situation unerträglich; sie schlägt Bill eine Flasche über den Kopf.

Vor Gericht nimmt Hermann die Schuld am Tod des US-Soldaten auf sich und wird zu mehreren Jahren Gefängnis verurteilt. Maria will für Hermann und für sich selbst eine Zukunft aufbauen.

Als sie das Kind von Bill verliert und von der Nachbehandlung nach Hause reist, lernt sie im Zug den Industriellen Oswald (Ivan Desny) kennen. Maria wird seine Assistentin. Und weil sie manchmal auch jemanden braucht, mit dem sie schlafen kann, macht sie Oswald für die Dauer von Hermanns Haft zu ihrem Geliebten.

Maria hat Erfolg. Sie schafft es, dass amerikanische Unternehmer in Oswalds Betrieb investieren, und kauft sich ein Haus. Sie betreibt Hermanns vorzeitige Entlassung, kommt aber knapp zu spät, um ihn abzuholen. Er hat einen Brief hinterlassen: "Weil ich dich liebe, brauche ich ein eigenes Leben. Wenn ich es habe, werde ich wiederkommen und dich fragen, ob du meine Frau sein willst."

1954, nach Oswalds Tod, kommt Hermann zurück. Erst aus Oswalds Testament, in dem er sein Vermögen zu gleichen Teilen Maria und Hermann vermacht, erfährt Maria von dem Pakt, den die beiden Männer hinter ihrem Rücken geschlossen hatten. Sie zündet eine Zigarette an. Das ausströmende Gas explodiert, das Haus fliegt in die Luft, genau in dem Moment, als Deutschland die Fußballweltmeisterschaft gewinnt.

François Truffaut über Fassbinder und "Die Ehe der Maria Braun": "Mit 'Die Ehe der Maria Braun' ist Fassbinder aus dem Elfenbeinturm der Cinephilen ausgebrochen. Der Film verrät viele Einflüsse, von Godards 'Die Verachtung' [Le mépris, 1963] über Brecht und Wedekind bis zu Douglas Sirk, aber zugleich ist er ein originales Werk von episch-poetischer Qualität, das alle Personen, die in seine Konflikte verwickelt werden, mit Noblesse behandelt. Eine besondere Stärke, die den Film auszeichnet und ihn [...] den Filmen von Murnau vergleichbar macht, ist die Gleichheit des Blicks, mit der er auf seine männlichen wie seine weiblichen Helden sieht; so etwas findet man nur sehr selten. Fassbinder liebt die Männer und die Frauen." (Cahiers du cinéma, 1980)

Wie Truffaut war schon den Kritikern, die die triumphale "Maria Braun"-Uraufführung bei den Berliner Filmfestspielen im Februar 1979 erlebten, sofort klar, dass man es hier mit einem großen, populären Film zu tun hatte, dem bislang zugänglichsten und reifsten Werk Fassbinders.

Als Kinofilm war dies, ähnlich wie zur gleichen Zeit Volker Schlöndorffs "Die Blechtrommel" und Werner Herzogs "Nosferatu" (1979), nun nicht mehr nur ein von der internationalen Intelligenz enthusiastisch aufgenommenes Kunstwerk innerhalb des Neuen Deutschen Films, sondern auch ein hochdotiertes Produkt des Weltkinomarktes, das Ganze überglänzt von einer zur Kultfigur geborenen Heldin, die schon in ihrem Schwarzweiß-Debüt, Fassbinders "Liebe ist kälter als der Tod" (1969), so geleuchtet hatte, "dass man meint, sie in Farbe zu sehen" (Wim Wenders, 1969), und deren Glanz nun ausreichte, um einige Kontinente zu bestrahlen: In den USA spielte "Die Ehe der Maria Braun" in den ersten sechs Monaten Laufzeit über 1,3 Millionen Dollar ein, ein für die damalige Zeit unerhörter Erfolg.

Dieses Filmwunder handelt von dem Fräulein aus dem Wirtschaftswunder: Maria Braun ist eine volksmythische Figur in einem emblematischen Film über die deutsche Nachkriegszeit, in der der Wiederaufbau bezahlt wurde mit dem anhaltenden Abbau der Gefühle, die aufblühende Prosperität angeheizt wurde mit verdorrten Seelen, und in der eine Frau ihrem großen Gefühl und ihren kleinen Gefühlen, ihrer großen Liebe wie ihren kleinen Liebschaften treu bleibt und ihre Kraft vergeudet am Aufbau einer Gesellschaft, die Verträge zur Vernichtung von Liebe und Würde gesellschaftsfähig macht. Hanna Schygulla, die 1971 die Schwester von Hans Epp, der Titelfigur in Fassbinders "Händler der vier Jahreszeiten", war, ist als Maria Braun nun in einem tieferen Sinn die Schwester dieses früheren Fassbinderschen Wirtschaftswunder-Opfers, und wie der Obsthändler, der sich vor den Augen seiner Verwandten und Freunde zu Tode trinkt, beendet sie ihr Leben mit einem feierlichen Knalleffekt, weil die unendliche Tüchtigkeit zwar zum geschäftlichen Erfolg geführt hat, aber auch zum schlimmsten privaten Unglück.

Dass sie ihr Ende nicht etwa erleidet, sondern wirklich herbeiführt, erklärt, nebst anderen interessanten Details über "Maria Braun", Fassbinders Co-Drehbuchautor Peter Märthesheimer: "Die Maria ist sicherlich keine realistische Figur, sondern etwas, was man gemeinhin eine Kinofigur nennt. Darunter verstehe ich eine Figur, die in sich sehr komprimiert Wünsche, Eigenschaften und Sehnsüchte von Zuschauern verkörpert. Man kann sagen, sie ist mutig und zielstrebig, sie ist eine, die sich voll auf ihre Gefühle verlässt und die dabei keine Transuse ist, sondern eine hochhandlungsfähige, schlaue, geschickte und realitätsbewusste Person, die trotz alledem an ihren Gefühlen festhält. Am Schluss kehrt die Kinofigur sozusagen auf den Boden dieser Erde zurück. Und da merkt sie, dass am Himmel nicht nur Schäfchenwolken sind, dass die Sonne ebenfalls trübe verhangen scheint, dass die Erde ziemlich krumm und bucklig ist. Da sagt sie sich: 'Wenn das so ist, dann mache ich Schluss mit dieser Welt.' Sie sagt das sehr pathetisch. Was hat sie sonst an Möglichkeiten, nachdem sie so hoch balanciert hat? Im Drehbuch hat sie einen realistischen Autounfall selbst herbeigeführt, im Film einen Gasunfall. Das Pathos, in dem Maria 90 Minuten lang gelebt hat, wird in diesem Augenblick den realen Umständen konfrontiert. Nun finde ich wichtig, dass die Person Maria trotz alledem Recht hat; dass sie auch noch Recht hat, wenn sie sich auf diese Weise von der Welt verabschiedet. Aber sie hat auch Recht mit der Art und Weise gehabt, wie sie ihr Leben geführt hat. Sie verweigert es, leicht zu leben."

Damit kein Zweifel bleibt, dass hier nicht nur Privates verhandelt wird, und um zu zeigen, wer den deutschen Zeitläufen vorstand, sind im Nachspann die Köpfe der bundesrepublikanischen Kanzler zu einer Montage gefügt. Dass Willy Brandt dabei fehlt, ist Fassbinder von aufmerksamen Zuschauern angekreidet worden, die Brandt gerne als Kanzler der Berufsverbote und der Antiterrorgesetze denunziert gesehen hätten. Fassbinder: "Wir haben da schon lange drüber diskutiert. In dem Fall haben sich faschistische Technokraten quasi gegen ihn durchgesetzt. Er war aber doch mal eine Identifikationsfigur für Reformwillen, und trotz seines Scheiterns – das ist ja noch ´ne Story für sich – unterscheidet er sich doch noch von den anderen Kanzlern."

"Die Ehe der Maria Braun" wurde 1979 mit vier Bundesfilmpreisen in Gold ausgezeichnet: für die Beste Regie, die Beste Darstellerin, die Beste Nebendarstellerin (Gisela Uhlen) und die Beste Ausstattung (Norbert Scherer und Helga Ballhaus). Für Hanna Schygulla bedeutete der Part der Maria Braun den Startschuss für eine glanzvolle internationale Karriere. Für Fassbinder stand sie ein Jahr später noch für dessen Mammutwerk "Berlin Alexanderplatz" (1980) sowie als berühmte Sängerin in "Lili Marleen" vor der Kamera, in dem es ebenfalls um die Karriere einer Frau vor zeitgeschichtlichem Hintergrund geht.

Im Nachhinein beschloss Fassbinder, "Die Ehe der Maria Braun" zum ersten Teil einer Serie von Filmen "über die Vergangenheit der BRD von 1945 bis heute" zu erklären, "und ich möchte jeden dieser Filme über eine Frau machen und jede dieser Frauen von einer anderen Darstellerin spielen lassen" (Fassbinder). Zwei weitere Filme dieser Serie konnte er noch vollenden, und auch sie gehören zu seinen größten Erfolgen: "Lola" (1981) mit Barbara Sukowa in der Titelrolle und "Die Sehnsucht der Veronika Foss" (1982) mit Rosel Zech.

Als Fassbinders 44. und letzter Film, die Jean-Genet-Verfilmung "Querelle", im Spätsommer 1982 in die Kinos kam, war der Regisseur bereits tot: In der Nacht auf den 10. Juni war sein von Drogen und Medikamenten geschwächter Körper über dem Drehbuch zu seinem nächsten Projekt Rosa Luxemburg zusammengebrochen.

Interner Link: Filmkanon kompakt: Die Ehe der Maria Braun

Fussnoten

Weitere Inhalte

Filmpublizist seit 1974, Filmemacher seit 1999. Er hat Bücher über u.a. Alfred Hitchcock, Bernhard Wicki, David Lynch und QuentinTarantino verfasst und ist Herausgeber und Übersetzer der Briefe und Schriften von François Truffaut sowie des Standardwerks "Was ist Film?" von André Bazin.