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Nachhaltige Entwicklung von Megastädten | Afrika | bpb.de

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Nachhaltige Entwicklung von Megastädten Unterschiede und Herausforderungen am Beispiel von Lagos

Taibat Lawanson

/ 12 Minuten zu lesen

Taibat Lawanson untersucht in diesem Beitrag afrikanische Smart-City-Agenden und ihre Auswirkungen auf Technologien, Menschen und Systeme am Beispiel von Lagos. Konkret beleuchtet sie die Aspekte Stadtplanung, den Umgang mit Elektroschrott und den Einfluss sozialer Medien auf städtische Prozesse.

Menschenmassen und Verkehrsströme vor dem Opferfest in Lagos, Nigeria, am 4. Juni 2025. (© picture-alliance, picture alliance / Anadolu | Emmanuel Osodi)

Als Megastädte gelten Städte mit mehr als 10 Millionen Einwohnern. In Afrika gibt es davon drei: Lagos in Nigeria, Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo und Kairo in Ägypten. Schätzungen zufolge werden bis 2050 mindestens vier weitere afrikanische Städte den Status einer Megastadt erreicht haben.

Lagos ist die am schnellsten wachsende Megastadt Afrikas, mit einer geschätzten Bevölkerung von 17,5 Millionen Menschen im Jahr 2022. Bis 2035 soll sie auf 24,4 Millionen Menschen ansteigen, bei einem Wachstum von etwa 3,65 Prozent pro Jahr. Einigen Prognosen zufolge wird Lagos bis zum Jahr 2100 mit 88 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern sogar die größte Stadt der Welt sein und damit Orte wie Tokio, Delhi und Shanghai weit hinter sich lassen. Eine Smart-City-Agenda soll bei ihrer Verwaltung helfen.

Einfach ausgedrückt ist eine Smart City ein Stadtgebiet, in dem Technologie und Datenerfassung die Lebensqualität verbessern sowie den städtischen Betrieb nachhaltiger und effizienter gestalten sollen. Auf der ganzen Welt trendete zuletzt das Konzept „Smart City“ als Herangehensweise für ein effektives Stadtmanagement im Trend. Zu den Dimensionen des „smarten“ Städtebaus gehören Technologie, Menschen und Systeme. Aus technologischer Sicht ist eine Smart City eine vernetzte Stadt, die in der Lage ist, Daten durch den Einsatz von Zählern, persönlichen Geräten, Sensoren und Haushaltsgeräten zu sammeln und zu verknüpfen. Aus menschlicher Sicht ist eine Smart City eine Stadt, deren Bevölkerung sich durch ein höheres Bildungsniveau, bessere Ausbildung sowie qualifizierte Arbeitskräfte auszeichnet. Aus systemischer Sicht hingegen umfasst eine Smart City eine Reihe von Maßnahmen, mit denen Städte ihr Management, ihre Technologie und ihre Politik erneuern wollen.

Global liegt der Fokus beim Städtebau vielerorts auf einer nachhaltigen Entwicklung. Angesichts dessen stellt sich die Frage, ob die Smart City automatisch auch eine nachhaltige Stadt ist. Laut der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) ist eine nachhaltige Smart City eine Stadt, die Informations- und Kommunikationstechnologien nutzt, um die Lebensqualität, die Effizienz städtischer Abläufe und Dienstleistungen sowie die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Gleichzeitig soll sie aber auch sicherstellen, dass sie die Bedürfnisse heutiger und zukünftiger Generationen in wirtschaftlicher, sozialer, ökologischer und kultureller Hinsicht erfüllt. Wie wirkt sich dies im afrikanischen Kontext aus?

Bei afrikanischen Smart Citys ist der Fokus oft ein anderer. In Lagos wie auch in vielen anderen Städten geht es meiner Erfahrung nach meist mehr um Technologien als um die Bedürfnisse der Menschen. Sie dienen einigen wenigen und schaffen oft neue Probleme für die Stadt.

Die Ziele einer afrikanischen Smart-City-Agenda

Smart Citys in Afrika sollen in erster Linie die Probleme der rasanten Urbanisierung in vielen Städten lösen. Sie gelten als Chance für afrikanische Städte, den Sprung in die Mitte des 21. Jahrhunderts zu meistern. In eine ähnliche Richtung geht der Smart Urbanism Trend. Smart Urbanism bezeichnet städtische Entwicklungsansätze, die digitale Technologien, Datenanalyse und intelligente Infrastrukturen nutzen, um Städte effizienter, nachhaltiger und lebenswerter zu gestalten. Beispiele hierfür sind vernetzte Verkehrssteuerung, smarte Energie- und Wassernetze, digitale Bürgerbeteiligung oder der Einsatz von Sensoren zum Messen der Luftqualität. Die Techniken für Smart Urbanism werden von internationalen Technologieunternehmen gefördert, die ihre Produkte auf dem wachsenden afrikanischen Markt anbieten wollen.

Über die Ausgestaltung des Smart Urbanism für die Konsumenten entscheiden vor allem internationale Investoren, die private Hightech-Gated Communitys und neue Städte für die aufstrebende afrikanische Mittelschicht entwickeln wollen. Die systemische Dimension des Smart Urbanism bestimmen hingegen Menschen, die Städte dazu antreiben, anhand ausgewählter Indikatoren miteinander zu konkurrieren, um einen „Weltklasse“-Status zu erreichen. Infolgedessen konzentrieren sich viele afrikanische Stadtverwaltungen nicht auf die zentralen Probleme ihrer Bürgerinnen und Bürger, sondern darauf, in Rankings wie dem Global Cities Index, dem Quality of Living cities index oder dem Global Liveability Index git abzuschneiden, um hier nur einige zu nennen.

In allen drei Dimensionen des Smart Urbanism hat Lagos Maßnahmen und Programme eingeleitet, um den Status einer Smart City zu erreichen. 2003 wurde die Eko Atlantic City gegründet, eine private Stadt an der Küste von Lagos, die als Afrikas erste Smart City gilt. 2016 unterzeichnete die Regierung des Bundesstaates Lagos eine Absichtserklärung mit Dubai, um eine technologiegestützte Stadt in Ibeju Lekki zu entwickeln. Es gab auch Versuche, Sensoren, Automatisierung und andere technologiegestützte Prozesse in den städtischen Verkehr, die Abfallwirtschaft und in öffentliche Dienstleistungen zu integrieren. Diese waren aber nicht immer erfolgreich.

2021 bewertete das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen die Smart City-Kapazitäten des Bundesstaates Lagos und entwarf einen Fahrplan, wie Lagos zur „investierfähigsten Smart City“ werden sollte. Dieser Fahrplan basierte auf drei Säulen: öffentlich-privaten Partnerschaften, intelligenter Infrastruktur und datengestützten Arbeitskräften. Der Aktionsplan sollte die Verwaltungsprojekte der Regierung modernisieren und Investitionen des Privatsektors in Stadterneuerungsprojekte erleichtern. Laut UNDP wurde der Entwurf des Aktionsplans aber nie rechtswirksam und es floss kein Geld für das Projekt. Ein ähnlicher Diagnoseprozess der Weltbank im Jahr 2022 kam zu der Empfehlung, staatliche Dienste, Landverwaltung und Steuererhebungsverfahren digital zu koordinieren und gezielt in nachhaltige städtische Mobilität, Energie, Wohnungsbau, Abfallwirtschaft, Wasser- und Sanitärversorgung sowie in ein förderliches Umfeld für Investoren zu investieren.

All diese Ansätze erwecken den Anschein, als könnten Technologien und groß angelegte Interventionen des Privatsektors alle städtischen Probleme in Afrika lösen. Doch technologiegestütztes Unternehmertum ist meiner Meinung nach kein Ersatz für pragmatische, verantwortungsvolle Regierungsführung, die sich mit den Echtzeit-Herausforderungen der Einwohnerinnen und Einwohner befasst. Die afrikanische Smart-City-Agenda basiert auf technokratischen, rationalistischen und funktionalistischen Idealen von Weltrang, übersieht aber häufig bereits existierende soziale Alltagspraktiken. Auch die innovativen Methoden, mit denen die Stadtbewohnerinnen und Stadtbewohner tagtäglich ihre Probleme selbst mit „intelligenten“ Ansätzen angehen, werden oft nicht berücksichtigt.

Der technologiegestützte Ansatz in der Stadtentwicklung wird aber sowohl bei der Entwicklung neuer Städte als auch bei der Modernisierung bestehender Städte zunehmend wichtiger. So führte die Smart-City-Initiative der Regierung von Sierra Leone 2018 zu einer Zusammenarbeit mit Kiva Microfunds, einer US-amerikanischen Mikrokreditorganisation. Sie entwickelten eine digitale Mikrokreditplattform für Verbraucher und Unternehmer auf Basis einer Blockchain-Technologie. Die Umsetzung des Programms durch eine internationale NGO hat jedoch neue Probleme geschaffen: Kreditnehmerinnen und Kreditnehmer wurden ausgebeutet und die Technologieplattform erwies sich als schwerfällig. Städte wie Algier, Kairo und Kapstadt haben ebenfalls massiv in die Integration von Technologie in städtische Prozesse vom Verkehr bis zum Katastrophenschutz investiert – mit unterschiedlichem Erfolg.

In Kigali (Vision City), Nairobi (Konza Technopolis), Dakar (Akon City) und Accra (Hope City) wurden neue Smart Citys geschaffen, um nur einige zu nennen. Konza Technopolis gilt als ein wichtiges Vorzeigeprojekt des kenianischen Wirtschaftsentwicklungsprogramms Vision 2030. Mithilfe internationaler Gelder der südkoreanischen Regierung und der US-amerikanischen Business League und einer technischen Partnerschaft mit UNHABITAT soll sie eine „Weltklasse“-Stadt werden, angetrieben von einem florierenden Informations-, Kommunikations- und Technologiesektor (IKT), einer zuverlässigen Infrastruktur und unternehmensfreundlichen Verwaltungssystemen.

Trotz all der Schwächen und der noch schlechteren sozioökonomischen Prognosen gibt es Pläne, das Entwicklungsmodell im ganzen Land zu reproduzieren. Kritiker sehen sich in ihrer Annahme bestätigt, dass es sich bei den globalen Smart Citys um Datenraub handelt, der nun in Landraub übergeht. Der kenianische Ökonom Kwame Owino argumentierte, dass die geschätzten Kosten für die Schaffung eines einzigen Arbeitsplatzes in Konza Technopolis bei etwa 32.000 Dollar liegen würden – mehr als das Zwanzigfache des durchschnittlichen Jahreseinkommens in Kenia.

Smart City Lagos?

Dieser Abschnitt gibt einen kurzen Überblick darüber, wie sich die drei Dimensionen des Smart Urbanism in Lagos auswirken und wie sich dies weiter auf die nachhaltige Entwicklung der Stadt auswirkt.

Digital Lagos

Im Jahr 2024 hatte Nigeria eine Internet-Penetrationsrate von 44,5 Prozent, mit etwa 103 Millionen Internetnutzerinnen und -nutzer, von denen die meisten Mobilgerätenutzer in Lagos sind. Angesichts der Netzlücken besitzen viele Menschen mehrere Geräte. Nigeria hat den größten Mobilfunkmarkt in Afrika. Dieser wird von importierten (meist gebrauchten) billigen Mobiltelefonen und Tablets dominiert. Der weitgehend unregulierte Markt hat zu einer hohen Menge an Elektroschrott geführt. Im Jahr 2019 fielen in Afrika 2,9 Mio. Tonnen Elektroschrott an, über 60 Prozent stammten aus Gebrauchtimporten. Die größten Elektroschrott-Importeure in Afrika sind Nigeria, Ghana, Tansania, Kenia, Senegal und Ägypten.

Lagos ist nicht in der Lage, den Elektroschrott ordnungsgemäß zu entsorgen. Aufgrund der unzureichenden Infrastruktur leiden die Menschen in der Stadt und insbesondere die Kinder nun häufiger unter Grundwasserverschmutzung (Bleikonzentration), Schilddrüsenfunktionsstörungen, Fehlgeburten und langfristigen, irreversiblen Gesundheitsschäden.

In Nigeria gibt es nur schwache Regeln für den Umgang mit gebrauchter Elektronik und Elektroschrott. 2011 wurde zwar eine nationale Umweltverordnung (Elektro-/Elektroniksektor) verabschiedet. Doch deren Umsetzung basiert hauptsächlich auf dem Herstellerprinzip, ähnlich wie in Ghana, Ruanda und Südafrika. Diese Länder haben auch politische Rahmenbedingungen entwickelt, um die Schäden durch den Elektroschrott zu begrenzen, einschließlich einer erweiterten Herstellerverantwortung (EPR). Da jedoch der meiste Elektroschrott in Afrika aus dem Ausland stammt, ist es schwierig, diese durchzusetzen.

Obwohl in Lagos immer mehr Unternehmen für das Recycling von Elektroschrott entstehen, sind sie nach wie vor weitgehend unreguliert und werden von ungeschulten und ungeschützten Müllarbeitern (gemeinhin als Scavenger bezeichnet) betrieben. Es besteht jedoch die Möglichkeit, ihre Tätigkeiten in ein strukturiertes Kreislaufwirtschafts-Ökosystem zu integrieren. Dadurch würden die informellen Arbeiter weitergebildet, der wirtschaftliche Wert ihres Gewerbes gesteigert und Nachhaltigkeitsprinzipien in einem potenziell toxischen Bereich etabliert.

Tech-Elite Lagos

Das Smart-City-Konzept deckt sich mit dem Konzept der „kreativen Klasse“. Das definiert eine Smart City durch Menschen mit einem höheren Bildungsniveau, besserer Ausbildung und qualifizierte Arbeitskräfte. Demzufolge sind die Bürgerinnen und Bürger und die Stadt selbst umso intelligenter, je mehr gebildete und fachlich kompetente Menschen in einer Stadt leben. Obwohl diese Idee von den Befürworter des Ansatzes als neoliberal kritisiert wurde, hält Lagos bei der Stadtplanung weiterhin am Smart-City-Konzept fest. David Harvey beschrieb dies so: Stadtverwaltungen, die einst Dienstleistungen für ihre Einwohnerinnen und Einwohner erbrachten, vermarkten sich heute an globale Kapitalpools, Touristen und qualifizierte Arbeitskräfte. Statt sich auf Wohnraum und Infrastruktur für die Mehrheit der Bevölkerung zu konzentrieren, wird Smart Urbanism und Wohnraum für Besserverdienende priorisiert.

Lagos hat ein Wohnungsdefizit von rund 3,3 Millionen Einheiten, was zu 8 Prozent Haushalte mit niedrigem und sehr niedrigem Einkommen trifft. Die meisten Wohnungen werden jedoch als private Gated Communitys gebaut und von lokalen und internationalen Entwicklungsgesellschaften gesponsert. Sie sind nach dem „Smart City“-Prinzip konzipiert und bieten Technologie, Luxus und Funktionalität. Private Siedlungen wie Itana City sowie staatlich geförderte künstliche Inseln wie Eko Atlantic City, Banana Island und die geplante Orange Island und Ocean City fallen alle in diese Kategorie. Es gibt keine Erhebungen zu den Standorten, Größen, Einwohnerzahlen, Formen und Merkmalen von Gated Communitys in Lagos. Offizielle Aufzeichnungen aus dem Jahr 2017 listen 42 öffentliche und 120 private Siedlungen auf (in verschiedenen Stadien der Entwicklungsplanung und/oder des Baus).

Das Konzept des intelligenten Ökotourismus wird auch dann angewandt, wenn Strände kommerzialisiert und bisher ökologisch unberührte Gemeinden entlang der Lagune von Lagos in Luxusresorts und Spielplätze für Superreiche verwandelt werden. Dazu muss umfangreich Sand weggebaggert werden, was die Überschwemmungsgefahr in der gesamten Stadt verschärft.

Lagos ist von starker sozioökonomischer Ungleichheit geprägt. Armut inmitten enormen Reichtums ist weit verbreitet. In der Stadt gibt es etwa 140 Slums, viele liegen am Wasser und sind ständig von Zwangsräumungen bedroht, da die Elite aufgrund zunehmend an Uferlagen interessiert ist. Im Laufe der Jahre wurden viele Slums zerstört und durch Luxusimmobilien mit Smart-City-Konzept ersetzt. Otodogbame zum Beispiel wurde durch Periwinkle Estate ersetzt, das auf seine Smart-Home-Produkte stolz ist.

Ein Hauptkritikpunkt am Smart-City-Ansatz ist, dass er sozioökonomische Ungleichheiten zugunsten elitärer Enklaven verschärft. Die hohe Nachfrage nach bezahlbarem Wohnraum und einer Infrastruktur in der ganzen Stadt wird dabei vernachlässigt. Folglich bilden Gemeinden mit niedrigem und mittlerem Einkommen eine Art Enklave, um Probleme mit der Straßenbeleuchtung, Kanalisation und weitere governance-Lücken im öffentlichen Raum selbst zu lösen. Einwohnerverbände errichten oft selbst Gated Communitys, um ihre Infrastrukturlösungen und deren Instandhaltung von den anderen abzugrenzen und überschaubar zu halten.

In vielen afrikanischen Städten gibt es ähnliche sozial nachhaltige Modelle. Diese könnten ausgebaut werden und die Regierung könnte effektiver mit ihnen kooperieren, um die Stadt nachhaltig „von unten“ statt nach dem Smart-City-Konzept zu entwickeln. Von Johannesburg bis Dar es Salaam, Accra und Harare schließen sich Einwohnerverbände, Händler- und Handwerkerverbände zusammen, um ihr Umfeld mitzugestalten. Die Partnerorganisationen von Slum/Shack Dwellers International leisten einen Beitrag zu dieser lokalen Entwicklung.

E-Governance und Weltstadtambitionen in Lagos

Lagos taucht häufig in globalen Städterankings auf. Das entspricht der Netzwerktheorie der Smart Citys, die betont, dass der Erfolg und Wohlstand einer Stadt stark von ihrer virtuellen Position innerhalb globaler Netzwerke abhängen. Der IESE City in Motion Index 2024 beispielsweise analysierte den Entwicklungsstand von 183 Städten anhand mehrerer Dimensionen, die als Schlüssel zu einer intelligenten, nachhaltigen Stadt gelten. Im Bereich Technologie umfassen die Indikatoren unter anderem die Anzahl der aktiven Breitbandanschlüsse, den Anteil der Haushalte mit einem PC, die Anzahl der WLAN-Hotspots in der Stadt sowie registrierte X- und LinkedIn-Nutzerinnen und -Nutzer.

Angesichts der digitalen Kluft zwischen den Städten im globalen Norden und Süden, der Überzahl informeller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in vielen afrikanischen Städten sowie des relativ hohen Anteils des Haushaltseinkommens für Wohnen und Lebensmittel überrascht es nicht, dass afrikanische Städte schlecht abschneiden. Fünf afrikanische Städte rangierten unter den letzten zehn und Lagos sogar auf dem letzten Platz der 183 bewerteten Städte.

Afrikanische Städte schneiden auch im Global Liveability Index der Economist Intelligence Unit schlecht ab. Der berücksichtigt als wichtigste Indikatoren das lokale Wetter und Schwierigkeiten für international Reisende sowie ob es internationale Restaurants, Sportfestivals und private Bildungs- und Gesundheitseinrichtungen gibt. Das erweckt den Eindruck, dass die „objektive“ Rangliste der Lebensqualitätsindikatoren eher westliche Entwicklungsvorstellungen und das Komfortniveau ausländischer Besucherinnen und Besucher in einer Stadt abbildet. Interessanterweise hat auch die Weltbank diesen Parameter in ihrer Analyse verwendet. Während globale Rankings für den internationalen Status einer Stadt relevant sein mögen, kann nachhaltige Stadtentwicklung nur dann stattfinden, wenn sich eine Stadt darauf konzentriert, die Bedürfnisse und Wünsche der Bürgerinnen und Bürger vor Ort zu erfüllen.

Die Smart-City-Vision von Lagos beinhaltet die Automatisierung von Verwaltungsprozessen. Dazu hat die Landesregierung Verwaltungsprozesse digitalisiert, darunter Landverwaltung (über das e-GIS-Portal), Steuererhebung (über die Finanzbehörde von Lagos) und bürgerschaftliches Engagement (über das CitizensGate-Portal). Diese Pläne sind zwar lobenswert und können in der Tat die Effizienz steigern, sie haben aber auch eklatante Lücken. Die Vorschriften werden oft umgangen, was vor allem auf Lücken beim Einsatz der Technologie und eine geringe Akzeptanz zurückzuführen ist. So hat das e-GIS-Portal vielen Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu sicheren Grundbesitzverhältnissen faktisch verwehrt. Studien zeigen, dass bis zu 70 Prozent der Grundstücke in Lagos die erforderlichen Eigentumstitel fehlen und nur wenige Grundstücks- oder Immobilieneigentümer ihre Titel legalisieren lassen, da das im ohnehin schon umständlichen Grundstückskauf und/oder bei der Baugenehmigung technisch zu kompliziert ist.

Fazit: Wie könnte eine intelligente und nachhaltige afrikanische Megacity aussehen?

Der Ansatz des Smart Urbanism bringt zwei problematische neoliberale Visionen der Stadtentwicklung zusammen: Erstens, dass der Einsatz von Internet- und Kommunikationstechnologien (IKT) das Wirtschaftswachstum und den Wohlstand in den Städten ankurbeln wird; zweitens, dass der Einsatz von IKT die Stadtverwaltung effizienter, transparenter und damit gerechter machen kann.

Obwohl Technologie in der Stadt des 21. Jahrhunderts eine wichtige Rolle spielt und einige Indikatoren für Smart Urbanism für die Entwicklung einer Stadt in der Tat wichtig und sogar notwendig sind, gehen die Wahrnehmung und die Realität darüber, was eine Smart City sein sollte, weit auseinander. So wird die Smart City von Regierungs- und Wirtschaftseliten als eine Voraussetzung für digitale Infrastruktur, für die Unterstützung durch Roboter und automatisierte Systeme wahrgenommen. In vielen Städten des globalen Südens hingegen sollten grundlegendere Herausforderungen wie der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, Infrastruktur und Verwaltung darüber entscheiden, wie intelligent und/oder nachhaltig eine Stadt ist. Eine Smart City kann nur dann als nachhaltig gelten, wenn sie darauf abzielt, die städtischen Dienstleistungen zu verbessern und Technologie zu nutzen, um die sozioökonomischen und ökologischen Probleme einer Stadt zu lösen. Eine Megastadt, die Smart Citys nach dem „Weltklasse“-Prinzip priorisiert und die Umweltgefährdung erhöht, ist weder intelligent noch nachhaltig. Darüber hinaus sollte die städtische Mehrheit bei der Planung einer intelligenten und nachhaltigen Stadtentwicklung einbezogen werden. Die Stadtregierung sollte in erster Linie die Effizienz für ihre Bürgerinnen und Bürger verbessern. Dies wird umso wichtiger, je größer eine Stadt ist.

Daher ist es wichtig, darauf hinzuwirken, dass Städte mehr als nur „smart“ sind und Technologie nicht Selbstzweck ist, sondern ein Weg zu mehr Effizienz und Nachhaltigkeit. Afrikanische Städte können sowohl intelligent als auch nachhaltig sein, wenn sie mit den Menschen vor Ort intelligente Strategien zur Verbesserung ihres Lebens und ihrer Infrastruktur entwickeln, und wenn sie die Probleme in der Stadt mit Kreislaufwirtschaft und sozialer Nachhaltigkeit lösen. Die Frage, wie das erreicht werden kann, sollte das Leitmotiv jedes Entwicklungsprozesses sein.

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Prof. Dr. Taibat Lawanson forscht am Zentrum für Wohnungswesen und nachhaltige Entwicklung an der Universität Lagos.