Afrika verliert jedes Jahr schätzungsweise 89 Milliarden US-Dollar
Nach Angaben des High Level Panel der Afrikanischen Union gehen IFFs auf drei Ursachen zurück: kommerzielle Transaktionen, kriminelle Aktivitäten und Korruption
IFFs gefährden damit zentrale Entwicklungsziele, darunter Afrikas „Agenda 2063“, die ein jährliches Wirtschaftswachstum von sieben Prozent vorsieht, sowie die globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDGs). Für deren Umsetzung benötigt Afrika etwa 200 Milliarden US-Dollar jährlich. Aufgrund der Covid-19-Pandemie und des anschließenden Ölpreisanstiegs sind die Kosten zusätzlich um 154 Milliarden US-Dollar pro Jahr gestiegen; in den kommenden fünf Jahren wird sich dieser Mehrbedarf sogar auf 285 Milliarden US-Dollar erhöhen⁵.
Das Problem der IFFs ist jedoch nicht nur finanzieller Natur. IFFs schwächen die Rechte und Handlungsspielräume der Bürgerinnen und Bürger, besonders von Frauen und Mädchen. Diese sind nämlich überproportional häufig (96 Prozent) Opfer von Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung – eine verbreitete Art, durch die IFFs generiert werden.
Die durch IFFs verursachten Haushaltsdefizite können zu Kürzungen bei essenziellen öffentlichen Ausgaben wie Bildung und Gesundheit führen. Dies schränkt gerade für Frauen und junge Menschen die Teilhabe am Wirtschaftsleben und ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt ein.
IFFs entstehen innerhalb eines komplexen Geflechts lokaler, regionaler und internationaler Finanzstrukturen. Ein Beispiel: Ein Beamter erhält Bestechungsgelder, um ein Ausschreibungsverfahren zu beeinflussen. Diese werden auf ein ausländisches Bankkonto überwiesen und später zum Immobilienkauf genutzt. IFFs erfolgen also nicht mehr überwiegend durch das Überreichen von Bargeld oder Gold (auch wenn dies in seltenen Fällen noch vorkommt), sondern durch hochentwickelte Finanzarchitekturen und spezialisierte Akteure. Anwälte richten Firmen ein, Banker eröffnen Konten, Immobilienmakler vermitteln den Erwerb von Vermögenswerten. Obwohl IFFs oft im Verborgenen stattfinden, sind die beteiligten „Ermöglicher“ häufig etablierte Berufsgruppen. Laut Transparency International spielen diese professionellen Ermöglicher eine zentrale Rolle bei internationalen Korruptions- und Geldwäscheskandalen, sei es aus Komplizenschaft oder Fahrlässigkeit.
Am Ende steht die scheinbare „Legitimierung“ der illegal erwirtschafteten Gelder, wenn sie zurück in die legale Wirtschaft gelenkt werden – etwa durch Investitionen in Aktien und Anleihen, Immobilien, Kunst oder Stiftungen. Ein Beispiel: Im Jahr 2013 wurden im senegalesischen Immobiliensektor Investitionen von insgesamt 480 Millionen US-Dollar getätigt, von denen ganze 460 Millionen US-Dollar aus zweifelhaften Quellen stammten.
Warum IFFs in Afrika so schwer zu unterbinden sind
Illegale Finanzströme (IFFs) sind ein komplexes Phänomen, das nicht zuletzt aufgrund begrifflicher Unklarheiten schwer zu fassen ist. Verschiedene internationale Organisationen – darunter die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), die Afrikanische Union (AU), die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) – verwenden jeweils eigene Definitionen.
So definieren UNCTAD und UNODC IFFs als „Finanzströme, die in Herkunft, Transfer oder Nutzung illegal sind, einen Werttransfer darstellen und Ländergrenzen überschreiten“
Die Unterschiede bei der Definition erschweren auch die Quantifizierung. UNCTAD und UNODC haben zwar methodische Ansätze entwickelt, diese beschränken sich jedoch auf bestimmte Aktivitäten wie illegale Märkte, Korruption, falsche Handelsrechnungen (Trade Mis-Invoicing) und Gewinnverschiebungen. Die AU hingegen unterscheidet drei Hauptquellen von IFFs und konzentriert sich auf die Ahndung von Korruption, kommerzielle Transaktionen und kriminelle Aktivitäten. Entsprechend variieren die Verlustschätzungen: 2015 ging die AU von 50 Milliarden USD jährlich aus
Hinzu kommt ein politischer Aspekt: Laut dem High Level Panel der Afrikanischen Union bestehen die IFFs zu 65 Prozent aus kommerziellen Aktivitäten, zu 30 Prozent aus kriminellen Aktivitäten und nur zu fünf Prozent aus Korruption. Korruption wurde dabei bewusst „heruntergestuft“, auch wenn ihre Querschnittswirkung anerkannt wurde. Sie wurde unscharf als „Missbrauch anvertrauter Autorität“
Afrika in globalen Entscheidungsräumen
Besonders ins Gewicht fällt laut AU High Level Panel der Bereich der kommerziellen Transaktionen, speziell Steuervermeidung, Steuerhinterziehung und aggressive Steuerplanung. Diese Praktiken – ob legal oder illegal – unterminieren die staatlichen Einnahmen.
Genau da setzt das OECD/G20-Projekt BEPS zur Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung von 2016 an. Es zielt darauf ab, sicherzustellen, dass Unternehmen dort besteuert werden, wo ihre wirtschaftliche Wertschöpfung stattfindet und schädliche Steuerpraktiken eingedämmt werden. Doch die Kritik daran ist groß: Viele sehen darin ein Instrument, das stark auf die Interessen des globalen Nordens zugeschnitten ist, während die Perspektiven afrikanischer Staaten kaum berücksichtigt werden.
Ein Beispiel hierfür ist ein offener Brief von vier unabhängigen UN-Expertinnen und Experten an die OECD im Rahmen des BEPS-2.0-Prozesses. Darin warnten sie, dass die vorgeschlagenen Maßnahmen diskriminierende Wirkungen haben könnten und verwiesen auf menschenrechtliche Standards und „Soft Law“
Auch die AU und die UN-Wirtschaftskommission für Afrika griffen diese Forderung auf und betonten auf der Ministerkonferenz am 17. Mai 2022 , dass das bestehende globale Finanzsystem „nicht zweckmäßig“ sei und umfassend reformiert werden müsse – vorzugsweise unter der Schirmherrschaft der UN durch ein internationales Steuerabkommen. Im August 2024 wurde der Auftrag zur Ausarbeitung einer UN-Rahmenkonvention über internationale Steuerkooperation erteilt.
Gleichzeitig wird die AU oft als „Diskussionsforum ohne Durchsetzungsmacht“ kritisiert. Reformen werden deshalb eher von Institutionen erwartet, die über verbindliche Mechanismen verfügen. Doch viele der hierfür nötigen Strukturen – wie Financial Intelligence Units (FIUs), Register wirtschaftlich Berechtigter oder Systeme zum automatischen Steuerinformationsaustausch – sind in vielen afrikanischen Länder noch am Entstehen. So gibt es auf dem gesamten Kontinent bisher nur 24 FIUs, während theoretisch 54 notwendig wären
Auch die Teilnahme an anderen Initiativen ist begrenzt: So waren mit Stand März 2024 nur 16 afrikanische Länder dem multilateralen BEPS-Übereinkommen beigetreten , und bis November 2021 hatten lediglich 25 Länder Afrikas am „Inklusiven Rahmenwerk zu BEPS“ teilgenommen. Hauptgründe für die geringe Beteiligung sind fehlende Kapazitäten, rechtliche Lücken und mangelnder politischer Wille. Viele Staaten sehen den BEPS-Prozess zudem als „aufgezwungen“ an, da er wenig Bezug zur afrikanischen Realität habe. Besonders kontrovers ist die Einführung eines globalen Mindeststeuersatzes von 15 Prozent für multinationale Unternehmen.
Doch gerade Afrika benötigt dringend zusätzliche Mittel, um die SDGs zu erreichen und die Folgen der Klimakrise abzufedern. Deshalb ist es aus meiner Sicht entscheidend, dass internationale Steuerregeln stärker an den afrikanischen Realitäten ausgerichtet werden. Die Forderung nach einem UN-Prozess basiert dabei auf dem Prinzip der Souveränität und Gleichheit aller Mitgliedsstaaten gemäß Artikelzwei der UN-Charta. IFFs und Ungleichheit
Sichtbare Folgen von IFFs sind Steuersysteme, die Vermögen und Einkommen national und global ungleich verteilen. Das schwächt staatliche Umverteilungsmechanismen und trägt dazu bei, dass soziale Ungleichheit und Menschenrechtsverletzungen bestehen bleiben.
Studien zeigen, dass gerechte und transparente Haushaltsinstrumente – insbesondere wenn sie geschlechtergerecht und inklusiv gestaltet sind – wesentlich zur Verringerung von Ungleichheit beitragen können
Schlussfolgerung
Die Auseinandersetzung mit IFFs bleibt ein zentrales Element der Entwicklungsagenda Afrikas – nicht nur, weil sie in fast allen Ländern vorkommen, sondern auch, weil sie über Grenzen hinweg wirksam sind. Geheime Zahlungen, Verschleierung von Eigentumsverhältnissen oder die Verlagerung von Vermögenswerten können nur durch gezielte politische und gesetzliche Maßnahmen eingedämmt werden. Einerseits müssen auf nationaler wie internationaler Ebene die institutionellen und rechtlichen Rahmenbedingungen gestärkt werden. Andererseits ist auch das Engagement der Bürgergesellschaft gefragt, daher braucht es mehr Aufklärung, mehr Rechenschaftspflichten und mehr Transparenz in der Regierungsführung.
Die Auswirkungen von IFFs gehen weit über finanzielle Verluste hinaus. Sie entziehen dem Staat Mittel, die eigentlich für essenzielle Dienstleistungen wie Bildung, Gesundheit und Infrastruktur vorgesehen sind. Damit wird nicht nur die Verwirklichung von Menschenrechten erschwert, sondern auch die demokratische Ordnung geschwächt, die auf dem Gesellschaftsvertrag zwischen Staat und den Bürgerinnen und Bürgern basiert. IFFs vertiefen soziale Ungleichheiten, indem sie die ohnehin begrenzten Ressourcen ungleich verteilen und das Vertrauen in staatliche Institutionen untergraben.
Die mangelnde Wirksamkeit im Kampf gegen IFFs liegt nicht per se an fehlendem politischen Interesse. Vielmehr geht es um Fragen der Gerechtigkeit, Repräsentation und Teilhabe in globalen Entscheidungsprozessen. Gerade deshalb war es ein Erfolg der afrikanischen Staatengruppe, das Thema IFFs im Rahmen der Vereinten Nationen auf die internationale Agenda zu setzen und Verhandlungen über neue Regeln für die globale Finanzarchitektur anzustoßen.
Die Welt steht nun an einem Wendepunkt: Die aktuellen Verhandlungen über internationale Besteuerung und die Regulierung von IFFs könnten das System grundlegend verändern. Dies ist eine Chance – vorausgesetzt, dass alle Beteiligten ehrlich und redlich verhandeln und nicht ihre Einzelinteressen in den Vordergrund stellen. Nur so kann die internationale Gemeinschaft Fortschritte erzielen, die auch Afrika in die Lage versetzen, die eigenen Entwicklungsziele zu erreichen und gleichzeitig die globalen Herausforderungen wie die Klimakrise zu bewältigen.
Dieser Text wurde aus dem Englischen übersetzt.