Föderalismus ist sowohl als Ideologie als auch als Regierungsform zu verstehen, die auf Machtteilung und dem Zusammenspiel von gemeinsamem und eigenständigem Regieren beruht. Als Regierungsform teilt der Föderalismus die politische Macht zwischen nationalen und subnationalen Regierungen. K.C. Wheare, einer der einflussreichsten Theoretiker des Föderalismus, definierte ihn als ein System, in dem zentrale und regionale Regierungen koordiniert und zugleich unabhängig voneinander bestehen (1963).
Die Gründe für die Bildung von Föderationen unterscheiden sich von Land zu Land. In klassischen Fällen wie den USA oder der Schweiz schlossen sich bereits bestehende politische Einheiten innerhalb eines Landes aus politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Motiven zusammen. Riker hebt hervor, dass insbesondere Sicherheit ein entscheidender Treiber für die Gründung solcher Föderationen war (Riker, 1964). Andere Länder, die ursprünglich Einheitsstaaten waren, wie Belgien oder Äthiopien, wurden hingegen durch Dezentralisierung zu föderalen Systemen – meist, um Forderungen nach ethnischer oder regionaler Autonomie gerecht zu werden (Stepan, 2004).
Auch der Begriff der „regionalen Politik“ verweist auf politische, ökonomische, kulturelle und soziale Dynamiken bestimmter Regionen oder ethnischer Gruppen. Ziel der betroffenen Gruppen ist es meist, ihre politische Macht und Selbstbestimmung zu vergrößern (Stone, 2019). Dies zeigt sich in Forderungen nach Dezentralisierung, größerer Autonomie oder gar Unabhängigkeit – als Ausdruck von Unzufriedenheit mit zentralstaatlicher Herrschaft und der Verteilung von Ressourcen.
In Afrika lassen sich heute drei Hauptformen der Dezentralisierung unterscheiden: Dekonzentration, Dezentralisierung und Devolution bzw. Übertragung. Dekonzentration bedeutet die Verlagerung administrativer Aufgaben an lokale Stellen, ohne diesen echte politische Entscheidungsgewalt zu geben – wie etwa in Marokko. Unter Dezentralisierung versteht man die Übertragung größerer Befugnisse an lokale Regierungen, allerdings unter zentraler Aufsicht, wie nach 2011 in Tunesien. Das Prinzip der Übertragung gewährt lokalen Regierungen weitreichende Autonomie, wie zum Beispiel in Uganda und Ruanda.
Bedeutende Föderationen in Afrika
Der Föderalismus in Afrika hat sich in verschiedenen Phasen entwickelt, die sowohl durch das koloniale Erbe als auch durch Dynamiken der Zeit nach der Unabhängigkeit geprägt waren. Schon im vorkolonialen Afrika existierten föderale Strukturen in Form von Stammeszusammenschlüssen. Die moderne Form des Föderalismus jedoch wurde durch Kolonialmächte wie Großbritannien und Frankreich eingeführt (Jordan, 2016). So gründete Frankreich 1895 die Föderation Französisch-Westafrika, während Großbritannien 1946 in Nigeria ein föderales System einführte (Cooper, 2018; Christopher, 1984).
Während der Kolonialzeit versuchten die europäischen Mächte, den Kolonialstaaten föderale Strukturen aufzuzwingen, um ihre Herrschaft zu festigen. Viele dieser Konstruktionen brachen jedoch unmittelbar nach der Unabhängigkeit der jeweiligen Staaten zusammen. Führende Politiker der postkolonialen Zeit standen dem Föderalismus skeptisch gegenüber – einerseits, weil sie ihre Macht zentralisieren wollten, andererseits weil sie fürchteten, föderale Strukturen könnten der nationalen Einheit schaden. Der Panafrikanist Kwame Nkrumah etwa lehnte Föderalismus daher ab (Nkrumah, 1963).
Trotz dieser Skepsis entstanden in der postkolonialen Phase einige föderale Zusammenschlüsse, darunter die Föderation von Äthiopien und Eritrea (1952–1962), das in Swahili als Majimbo bezeichnete föderale Regierungssystem in Kenia (1963–1964) sowie die Konföderation von Senegambia (1982–1989). Doch alle brachen innerhalb kurzer Zeit wieder auseinander. Zu den wichtigsten Gründen für ihr Scheitern gelten ihr mangelnder demokratischer Charakter, da sie meist von oben auferzwungen wurden, die fehlende Bereitschaft der politischen Führung, solche Systeme zu festigen und weiterzuentwickeln, sowie Interessenkonflikte zwischen den beteiligten Akteuren.
Wie im Folgenden gezeigt wird, war die Föderation Nigerias die einzige, die überdauerte und sich als widerstandsfähig erwies. Gegenwärtig existieren in Afrika fünf föderale oder quasi-föderale Staaten: Äthiopien, Kenia, Nigeria, Somalia und Südafrika. Im Folgenden werden die wichtigsten föderalen Systeme des Kontinents in Kürze vorgestellt.
Nigeria: Widerstandsfähige Föderation mit präsidentiellem System
Nigeria ist mit über 230 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Afrikas und Heimat von mehr als 250 ethnolinguistischen Gruppen, darunter die Hausa-Fulani, Yoruba und Igbo (Worldometer, 2024; Falola & Heaton, 2008; Suberu, 2001). Der Föderalismus wurde in Nigeria während der britischen Kolonialherrschaft im Jahr 1946 mit der Richards-Verfassung eingeführt (Suberu, 2001).
Das nigerianische föderale System hat zahlreiche Krisen überstanden – darunter einen Bürgerkrieg, eine Vielzahl von Staatsstreichen und ethnische Konflikte. Es hat sich als bemerkenswert widerstandsfähig erwiesen, wenn es darum ging, die enorme Vielfalt des Landes zu organisieren und seine Einheit zu wahren. Diese Widerstandsfähigkeit lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen. Ein zentrales Element ist die Schaffung neuer Bundesstaaten: Aus ursprünglich drei Gliedstaaten sind heute 36 geworden. Durch diese territoriale Neugliederung wurden große ethnische Gruppen in mehrere kleinere politische Einheiten aufgeteilt. Das dämmte ethnischen Nationalismus ein und schwächte den Wettbewerb um die Kontrolle des politischen Zentrums ab.
Weitere Gründe für die Stabilität Nigerias sind: Erstens fördert der finanzielle Ausgleich eine als gerecht wahrgenommene Verteilung der Mittel zwischen den Gliedstaaten, während das Ableitungsprinzip vorsieht, dass ein Teil der Einnahmen aus Bodenschätzen an die Staaten geht, in denen diese gefördert werden (Ejechi, 2023; Obi, 2010). Zweitens verlangt das Prinzip, dass verschiedene ethnische Gruppen in Institutionen des Bundes und im öffentlichen Dienst angemessen repräsentiert werden, was Inklusion stärkt (Mustapha, 2006). Drittens sorgt die Rotation der Präsidentschaft für mehr Ausgleich in der nationalen Führung (Arinze, 2023). Schließlich wurde die Verfassung mehrfach zu überarbeitet, um politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht zu werden (Agbese, 2003).
Das föderale System Nigerias hat sich somit als außerordentlich widerstandsfähig erwiesen, da es die Ansprüche unterschiedlicher ethnischer und regionaler Gruppen ausbalanciert und gleichzeitig die territoriale Integrität des Landes erhält. Diese Widerstandsfähigkeit unterstreicht seine zentrale Rolle als Regierungsrahmen in einem so großen und diversen Staat.
Im Demokratieindex 2023 der Economist Intelligence Unit erreichte Nigeria 4,2 von 10 Punkten und wird als hybrides System eingestuft (EIU, 2023). Während das Land in Bereichen wie Repräsentation, Rechte und Partizipation durchschnittlich abschneidet, bestehen weiterhin Defizite bei Rechtsstaatlichkeit und der Glaubwürdigkeit von Wahlen. Die wirtschaftliche Instabilität wirkt sich zudem negativ auf die Regierungsführung aus. Dennoch bleibt Nigeria eine der größten Demokratien Afrikas mit lebendiger politischer Teilhabe. Föderalismus spielt dabei eine entscheidende Rolle, indem er die Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft demokratischer organisiert und die nationale Einheit durch Vielfalt und Zusammenhalt zu bewahren sucht.
Äthiopien: Ethnischer Föderalismus
Äthiopien, mit einer Bevölkerung von über 126 Millionen im Jahr 2023, gehört zu den ethnisch vielfältigsten Staaten Afrikas. Sie ist Heimat von mehr als 80 ethnischen Gruppen (World Bank, 2023). Zentralisierung und regionale Ungleichheiten führten dazu, dass das Land 1992 zunächst und dann erneut mit der Verfassung von 1995 ein System des ethnischen Föderalismus einführte (Kefale, 2013). Dieses Modell sollte die politische Ausgrenzung ethnischer Gruppen korrigieren und ihnen Autonomie über Regierung, Ressourcen und kulturelle Selbstbestimmung gewähren.
Die subnationalen Einheiten in Äthiopien wurden entlang von ethnischen Zugehörigkeiten gebildet. Dadurch fallen ethnische und territoriale Grenzen weitgehend zusammen, was subnationalen Nationalismus fördert und territoriale Konflikte begünstigt (Yimenu, 2023). Dies verstärkte ethnische Spaltungen, legitimierte Forderungen nach ethnisch definierten Regionalstaaten und trug zur Eskalation bestehender Konflikte bei (Yimenu, 2023). Gleichzeitig erlebten ethnische Minderheiten weiterhin politische Ausgrenzung.
Das föderale System ist eng mit zahlreichen Konflikten verworben: Gewalt und ethnische Säuberungen gegen Minderheiten, interregionale Grenzkonflikte sowie Streit über Identitäten und Verwaltungsstrukturen (Lübben & Vob, 2021). Insgesamt verschiebt das äthiopische Modell des ethnischen Föderalismus das Gleichgewicht deutlich zugunsten ethnischer Rechte, anstatt Vielfalt und nationale Einheit gleichermaßen zu fördern. Die Verfassung von 1995 räumt ethnischen Gemeinschaften des Landes sogar das Recht auf Abspaltung durch Referenden ein.
Im Demokratieindex 2023 der Economist Group wurde Äthiopien mit 3,37 von 10 Punkten als autoritäres Regime eingestuft – wegen anhaltender Probleme in der Regierungsführung. Dazu zählen eingeschränkte politische Freiheiten, schwache Bürgerrechte und anhaltende ethnisch motivierte Konflikte. Um den Föderalismus zu stärken, muss Äthiopien ernsthafte Schritte unternehmen: Es muss die demokratische Regierungsführung verbessern und die Verfassung so reformieren, dass ein Gleichgewicht zwischen ethnischer Autonomie und nationaler Einheit entsteht. Zudem ist es aus meiner Sicht ratsam Regierungsmodelle fördern, die interethnische Zusammenarbeit begünstigen und eine gerechtere Ressourcenverteilung gewährleisten. Konfliktlösungsmechanismen sollten ausgebaut werden, wobei Sicherheitskräfte in einem nationalen, nicht in einem ethnischen Rahmen agieren sollten. Jüngere Studien unterstreichen, wie dringlich solche Reformen sind, um ein widerstandsfähiges und integriertes System aufzubauen, das Einheit und Vielfalt zugleich wahrt (Abebe, 2023).
Somalia: Föderalismus und Friedensaufbau
Somalia in Ostafrika zählt rund 18,3 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner (World Health Organization, 2023). Anders als die meisten afrikanischen Staaten ist seine Bevölkerung nahezu homogen, sowohl in ethnischer als auch in religiöser Hinsicht. Trotz dieser kulturellen Einheit erlebte Somalia einen der schwersten Staatszerfälle in der Geschichte Afrikas. Der Zusammenbruch begann mit dem Sturz der Regierung von General Siad Barre im Jahr 1991, ein Machtvakuum und weitverbreitete Gewalt waren die Folge (Menkhaus, 2003).
Daraufhin erklärte Somaliland im Nordwesten 1991 seine Unabhängigkeit. Obwohl es seither de facto unabhängig agiert und über ein demokratisches System mit regelmäßigen Wahlen verfügt, bleibt es international bis heute nicht anerkannt. Gleichzeitig kämpft die Zentralregierung Somalias immer noch darum – unterstützt von internationalen Akteuren wie den Vereinten Nationen (UN) und der Afrikanischen Union (AU) –, die Ordnung wiederherzustellen. Warlords, Clanführer und extremistische Gruppen wie Al-Shabaab stellten die Autorität der Bundesregierung immer wieder infrage und erschwerten so Bemühungen um Stabilität und staatliche Strukturen.
In diesem Kontext wurde Föderalismus zu einem zentralen Instrument des Staatsaufbaus. Er sollte die komplexe, clanbasierte Gesellschaft gerechter repräsentieren. Herzstück des Modells wurde die sogenannte 4.5-Machtteilungsformel. Danach wird die politische Repräsentation auf vier dominante Clans – Darood, Hawiye, Digil/Mirifle und Dir – verteilt, während kleinere Clans gemeinsam einen halben Anteil erhalten (Somali Public Agenda, 2023). Obwohl die Formel auf Inklusion abzielt, wird sie kritisiert: Sie verfestige clanbasierte Identitäten in der Politik und stärke ein Top-down- und elitengetriebenes System, das breitere politische Teilhabe einschränkt.
Somalias föderales Experiment ist damit zugleich Chance und Herausforderung beim Wiederaufbau nach Konflikten. Einerseits hat Föderalismus regionale Autonomie ermöglicht: Bundesstaaten wie Puntland und Jubbaland konnten eigene Regierungsstrukturen entwickeln (Sheikh-Ali, 2024). Andererseits vertiefte er clanbasierte Spaltungen, insbesondere bei der Auswahl von Führungspersonen und bei Territorialkonflikten (Dahira & Sheikh Alib, 2024). Hinzu kommen Ressourcenkonflikte – insbesondere um Öl und Steuereinnahmen –, die Spannungen zwischen Bund und Regionen verschärfen (Yusuf & Wasuge, 2021).
Eine Voraussetzung für einen stärkeren somalischen Föderalismus ist, dass zunächst Konflikte zwischen Zentralregierung und Regionen gelöst, verfassungsrechtliche Unklarheiten geklärt und Sicherheitsbedrohungen etwa durch die Al-Shabaab Miliz adressiert werden (Dahira & Sheikh Alib, 2024).
Südafrika: Ein quasi-föderales System
Das Regierungssystem Südafrikas wurde 1994 nach dem Ende der Apartheid eingeführt. Es ist ein Beispiel für Quasi-Föderalismus, der darauf abzielt, tiefe gesellschaftliche Spaltungen zu überwinden und nationale Einheit zu sichern. Das südafrikanische System enthält Elemente des Föderalismus, ohne sich jedoch offiziell als föderal zu bezeichnen (Elazar, 1998). Der Grund für diese Zurückhaltung liegt in der Geschichte: Während der Apartheid galt Föderalismus als Instrument, um rassische und regionale Trennungen zu verfestigen. Er sollte die Autonomie für segregierte Gebiete fördern und untergrub damit nationale Einheit (Schwella, 2016).
Das Quasi-Föderalsystem Südafrikas basiert auf Dezentralisierung. Es gewährt den neun Provinzen beträchtliche Autonomie in Bereichen wie Bildung, Gesundheit und kommunale Verwaltung. Gleichzeitig behält sich die Zentralregierung die letztgültige Autorität vor, um den Zusammenhalt der Provinzen zu gewährleisten. Die Verfassung von 1996 erkennt zudem elf Amtssprachen an, darunter historisch marginalisierte indigene Sprachen, und verpflichtet den Staat zu gleichberechtigter Behandlung (Laubscher, 2022). Das System steht jedoch vor erheblichen Herausforderungen. Reichere Provinzen sind sehr gut mit öffentlichen Leistungen versorgt und entwickeln sich schnell, während ärmere hinterherhängen. Überschneidungen zwischen nationalen und provinziellen Kompetenzen erzeugen zudem Spannungen bei der Ressourcenverteilung und bei politischen Prioritäten (Schwella, 2016).
Umverteilungsmechanismen sollen helfen: Mithilfe der Equitable Share Formula werden Ressourcen nach Bevölkerungsgröße und Bedarf an Dienstleistungen verteilt, während Infrastruktur und Sozialleistungen zweckgebunden bezuschusst werden (IMF, 2025). Die Mittelvergabe bleibt zwar ineffizient und es gibt Bedenken über eine zu starke Kontrolle durch die Zentralregierung. Trotzdem hat das System die lokale Regierungsführung verbessert, insbesondere in Provinzen, die während der Apartheid systematisch benachteiligt wurden.
Südafrikas Quasi-Föderalismus hat also lokale Regierungsstrukturen gestärkt, indem er den Provinzen mehr politische Repräsentation ermöglichte. Doch die Diskrepanz zwischen wohlhabenden und ärmeren Regionen bleibt ein zentrales Problem (Schwella, 2016) – und Umverteilungsinstrumente wie die Equitable Share Formula erscheinen ineffizient (IMF, 2025).
Im Demokratieindex 2023 der Economist Group erreichte Südafrika 7,05 von 10 Punkten und wird damit als „defekte Demokratie“ eingestuft. Das Land hält weiterhin regelmäßige, wettbewerbsorientierte Wahlen ab und verfügt über eine unabhängige Justiz sowie eine lebendige Medienlandschaft. Allerdings weisen die Analysen der Economist Intelligence Unit darauf hin, dass die Regierungsführung durch Korruption, extreme Ungleichheit und sinkendes öffentliches Vertrauen beeinträchtigt wird (EIU, 2023). Eine Stärkung der intergouvernementalen Finanzbeziehungen sowie eine höhere Transparenz in der Regierungsführung würden die demokratische Stabilität und eine gerechtere Entwicklung fördern (Mabugu & Rakabe, 2023).
Kenia: Quasi-Föderalismus durch Dezentralisierung
Kenianerinnen und Kenianer forderten viele Jahre lang lokale und regionale Selbstverwaltung. Das kenianische Regierungssystem – insbesondere das im Zuge der Verfassung von 2010 eingeführte System der Dezentralisierung – ist ein bedeutender Schritt in diese Richtung. Die politische Macht ist seither zwischen der nationalen Regierung und 47 County-Regierungen aufgeteilt. Dieses Quasi-Föderalsystem soll demokratische Regierungsführung fördern, nationale Einheit sichern und Ressourcen gerecht verteilen (Republic of Kenya, 2010).
Die Verfassung legt die Rollen und Zuständigkeiten von nationaler Regierung und Countys klar fest: Während die Zentralregierung etwa für nationale Sicherheit, Außen- und Wirtschaftspolitik zuständig ist, verantworten die County-Regierungen Dienstleistungen, die die lokale Bevölkerung unmittelbar betreffen. Dazu gehören Gesundheitsversorgung, Bildung, Landwirtschaft und eine Weiterentwicklung der Infrastruktur. Diese Aufgabenteilung ermöglicht eine lokale Entscheidungsfindung, ohne die nationale Einheit zu gefährden (Republic of Kenya, 2010).
Seit Kenia 47 Countys hat, ausgestattet mit gewählten Gouverneurinnen und Gouverneuren, mit County-Versammlungen und Verwaltungsstrukturen, hat sich die Regierungsführung in Kenia aus meiner Sicht deutlich verändert. Die Countys können Entwicklungsprojekte gezielt auf lokale Bedürfnisse zuschneiden – insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Landwirtschaft und Infrastruktur. Einige Countys haben dabei eigene Initiativen gestartet: Das Makueni County führte zum Beispiel ein Programm für universelle Gesundheitsversorgung ein, das mithilfe einer County-finanzierte Versicherung medizinische Leistungen erschwinglich macht (Kamau & MacNaughton, 2024). Machakos County wiederum investierte in den Machakos People’s Park, einen für alle zugänglichen Erholungsraum, der den Tourismus und die Wirtschaft vor Ort stärkt (Realhub, 2025).
Indem sie lokalen Führungskräften mehr Macht überträgt, hat die Dezentralisierung die politische Teilhabe und die lokale Rechenschaftspflicht verbessert (Bosire, 2013). Zudem werden mindestens 15 Prozent der nationalen Einnahmen jährlich an die Countys überwiesen, um eine faire Verteilung und Entwicklung im ganzen Land zu gewährleisten (Engefu et al., 2021).
Trotz dieser positiven Veränderungen steht das System vor großen Herausforderungen. Die Korruption wird durch schwache Kontrollmechanismen noch verschärft. So kam es im Nairobi County zu Betrugsfällen bei der öffentlichen Auftragsvergabe. Das führte zu Fehlallokationen, Verzögerungen bei Infrastrukturprojekten und überhöhten Kosten (Kamau, 2025). Und in Migori County wurden zwischen 2014 und 2015 unrechtmäßig 63 Millionen KES vom Bankkonto der County-Versammlung abgehoben (Sowek, 2025).
Darüber hinaus beeinträchtigen ethnische und politische Rivalitäten auf County-Ebene häufig die Entscheidungsprozesse – vor allem, wenn es um den Zugang zu Ressourcen geht: Im Nakuru County störten anhaltende Konflikte über Landbesitz und politischen Einfluss zwischen den Kalenjin und den Kikuyu die County-Versammlungen und verzögerten Entwicklungsprojekte (Mwangi, 2012). Im Mandera County blockierte Streit über Ressourcen- und Machtverteilung zwischen den Garre- und Degodia-Clans die lokale Regierungsführung über längere Zeit (ICG, 2020).
Ein weiteres Problem ist der Streit um die Ressourcenverteilung zwischen nationaler und regionaler Ebene. Mehrere Countys halten die geltende Formel für ungerecht und fordern einen höheren Anteil an den nationalen Einnahmen. Gleichzeitig gelingt es vielen Countys nicht, selbst genug Einnahmen zu generieren, weshalb sie stark von nationalen Transfers abhängen (Mwenda, 2010). So konnte Mandera County im Nordosten lediglich 50,8 % seiner prognostizierten Einnahmen einziehen, während Nyandarua County in Zentral-Kenia nur 42,1 % der erwarteten Einnahmen erreichte. Das verdeutlicht die Ineffizienz lokaler Steuersysteme und Vollzugsmechanismen (Ntongai, 2025).
Insgesamt hat das kenianische Dezentralisierungssystem Governance, die Bereitstellung von Dienstleistungen und regionale Gerechtigkeit gestärkt und den Countys ermöglicht, ihre lokalen Angelegenheiten besser selbst zu steuern. Im Demokratieindex 2023 der Economist Intelligence Unit erreichte Kenia jedoch lediglich 5,05 Punkte und wird damit als „hybrides Regime“ eingestuft – also ein System mit sowohl demokratischen als auch autoritären Elementen. Zwar finden regelmäßig Wahlen statt, doch schwache Institutionen, eingeschränkte Bürgerrechte und politische Einflussnahmen untergraben die Regierungsführung. Wahlstreitigkeiten, Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz und Einschränkungen der Pressefreiheit mindern zusätzlich Transparenz und Rechenschaftspflicht (Economist Intelligence Unit, 2024).
Um die Vorteile der Dezentralisierung voll auszuschöpfen und die bestehenden demokratischen Defizite zu überwinden, sollte Kenia seine Rechenschaftsmechanismen stärken, die lokalen Governance-Kapazitäten ausbauen und die Zusammenarbeit zwischen nationaler und regionaler Ebene intensivieren.
Regionalismus, Autonomie und der Übergang zur Dezentralisierung in Afrika
Die Regionalpolitik in Afrika ist stark geprägt von kolonialen Hinterlassenschaften, ethnischen Identitäten und Forderungen nach Autonomie. Die kolonial gezogenen Grenzen zerschnitten oftmals bestehende ethnische Gemeinschaften und erzeugten damit bis heute anhaltende Spannungen im postkolonialen Afrika (Herbst, 2000). Zwar trug die Beibehaltung dieser Grenzen dazu bei, Grenzstreitigkeiten zu vermeiden, doch gleichzeitig verstärkte sie innerstaatlichen Konflikte, da ethnische Gruppen innerhalb neu gebildeter Nationalstaaten um Macht konkurrieren. Viele afrikanische Staaten entschieden sich daher zunächst für stark zentralisierte, einheitliche Regierungssysteme, aus Angst, dass Föderalismus zu ethnischen Spaltungen und sogar zum Staatszerfall führen könnte.
Drei zentrale Faktoren treiben die politische Mobilisierung auf regionaler Ebene in Afrika voran:
Irredentismus – also das Bestreben, ethnische Gemeinschaften, die durch Staatsgrenzen getrennt wurden, wiederzuvereinen – hat immer wieder zu Konflikten geführt. Ein bekanntes Beispiel ist der Ogaden-Krieg zwischen Äthiopien und Somalia 1977–78 (Lewis, 2002).
Die Marginalisierung ethnischer Gruppen, die historisch von politischer Macht ausgeschlossen wurden, führte dazu, dass Bewegungen entstanden, die Inklusion und Autonomie einfordern (Nnoli, 2008). So kämpft etwa die Ogoni-Bewegung in Nigeria seit Jahrzehnten für Umwelt- und politische Rechte gegen die Ölausbeutung im Nigerdelta (Agbonifo, 2009).
Regionale Diskriminierung verstärkt Autonomiebestrebungen. In Kamerun etwa fordert die anglophone Gemeinschaft mehr Selbstverwaltung, da sie sich durch die frankophon dominierte Zentralregierung benachteiligt fühlt (Fonchingong, 2011).
Deshalb müssen die Regierungsführung reformiert und dezentrale Verwaltungsstrukturen eingeführt werden. Im Folgenden werden zentrale Trends der Dezentralisierung auf dem Kontinent skizziert.
Trends der Dezentralisierung in Afrika
Nach der Unabhängigkeit setzten die meisten afrikanischen Staaten zunächst auf zentralisierte Regierungssysteme. Führende Politiker wie Kwame Nkrumah und Julius Nyerere waren überzeugt, dass eine starke Zentralgewalt notwendig sei, um heterogene Bevölkerungen zusammenzuführen und wirtschaftliche Entwicklung zu fördern (Ake, 1996).
Doch bereits in den 1980er Jahren offenbarten sich die Schwächen dieser Zentralisierung: wirtschaftliche Ineffizienz, Korruption und politische Ausgrenzung – insbesondere in ländlichen Regionen. Diese Defizite nährten Forderungen nach Dezentralisierung (Mkandawire, 1999). Die globale Demokratisierungswelle sowie innerstaatliche Reformbewegungen in den 1980er und 1990er Jahren begünstigten schließlich den Übergang zu dezentraleren Strukturen, um die Regierungsführung und Dienstleistungsversorgung zu verbessern (Olowu & Wunsch, 2004).
Ein Großteil der Forschung zur Dezentralisierung in Afrika konzentriert sich bislang auf einzelne Länder oder Subregionen; eine kontinentweite Analyse liegt bisher nicht vor. Auf Grundlage verschiedener Studien wird jedoch geschätzt, dass etwa zwölf afrikanische Staaten inzwischen Formen der Dezentralisierung oder der Übertragung eingeführt haben (Yimenu, 2023; Dickovick & Riedi, 2010).
Obwohl Dezentralisierung erhebliche Chancen für mehr Bürgernähe, politische Teilhabe und gerechtere Ressourcenverteilung bietet, kann sich ihre Umsetzung problematisch gestalten. Der Grund dafür sind begrenzte institutionelle Kapazitäten, politischer Widerstand sowie die Kluft zwischen reicheren und ärmeren Regionen (Smoke, 2003). Dennoch gilt Dezentralisierung als ein Schlüsselinstrument für inklusivere und reaktionsfähigere Regierungsführung in Afrika – vorausgesetzt, die institutionellen Rahmenbedingungen sind robust und die Koordination zwischen zentraler und lokaler Ebene wird verbessert.
Schlussfolgerung
Dieser Text hat die Bedeutung von Föderalismus und Regionalpolitik in Afrika untersucht. Demnach entwickelte sich der Föderalismus auf dem Kontinent in sehr unterschiedlichen historischen, politischen und kulturellen Rahmenbedingungen. Die Mehrheit der kurz nach der Unabhängigkeit entstandenen Föderationen zerbrach innerhalb weniger Jahre, da die neuen politischen Eliten diese nicht als ihre eigenen Projekte betrachteten. Hinzu kam, dass postkoloniale Führungspersönlichkeiten zentralisierte, einheitliche Systeme für geeignetere Mittel zur Förderung von Entwicklung und nationalem Zusammenhalt hielten. Die einzige Föderation, die diese Zeit überdauerte und bis heute resilient ist, ist die nigerianische Föderation.
In den letzten Jahrzehnten sind neue Modelle des Föderalismus entstanden – etwa das ethnische Föderalismusmodell Äthiopiens oder das clanbasierte System Somalias. Beide Ansätze eröffnen Chancen, bergen aber zugleich erhebliche Risiken und erfordern daher sorgfältige politische Steuerung und Reformen. Darüber hinaus verdeutlichen die Quasi-Föderalsysteme in Südafrika und Kenia, dass Dezentralisierung in Afrika zunehmend als Lösung gilt, um die Spannung zwischen regionaler Autonomie und nationaler Einheit auszubalancieren. Durch die Übertragung von Kompetenzen an lokale Regierungen sollen demokratische Partizipation gestärkt, die öffentliche Dienstleistungsversorgung verbessert und die regionale Entwicklung gefördert werden.
Die Analyse zeigt, dass afrikanische Staaten eine Balance zwischen nationaler Kohäsion und regionaler Autonomie finden und Regierungsmodelle entwickeln müssen, die ihre spezifischen historischen und kulturellen Kontexte widerspiegeln. Angesichts der großen Vielfalt des Kontinents kann Föderalismus in Verbindung mit Dezentralisierung eine inklusive Regierungsführung, politische Stabilität und nachhaltige Entwicklung begünstigen. Zugleich muss aber jedes föderale System flexibel genug sein, um die einzigartigen Herausforderungen und Bedürfnisse der einzelnen Staaten zu berücksichtigen.
Dieser Text wurde aus dem Englischen übersetzt.