Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie Ende 2019 wurde weltweit genutzt, um antisemitische Inhalte über das Internet zu verbreiten. In den damit verbundenen Interner Link: Verschwörungsmythen, Lügen und Gerüchten wurde Jüdinnen und Juden, wie auch dem Staat Israel, auf unterschiedlichen Plattformen in Bild, Ton, Video und Text beispielsweise unterstellt:
das Virus im Rahmen von Weltherrschaftsplänen als Waffe gegen alle anderen Menschen einzusetzen,
das Virus zu nutzen, um sich an einem bereits zuvor produzierten Wirkstoff zu bereichern,
das Virus, ob existent oder nicht, zu nutzen, um Zwangsimpfungen mit schädlichen Stoffen oder zum Zweck der Injektion von Kontroll-Mikrochips durchzuführen,
das Virus, ob existent oder nicht, zu nutzen, um eine faschistische "Neue Weltordnung" oder "Eine-Welt-Regierung" durch Anti-Corona-Maßnahmen zu etablieren.
Darüber hinaus posteten Antisemit*innen Aufforderungen, das Virus als Waffe gegen Jüdinnen, Juden und Israel einzusetzen, oder bejubelten dessen Verbreitung in Israel. Andere nutzten die Pandemie, um das antisemitische Stereotyp von "den Juden" als "Fremdkörper" in "gesunden Volkskörpern" zu reproduzieren, indem sie mit dem Virus gleichgesetzt wurden.
Zunahme von Online-Antisemitismus
Diese Beispiele verdeutlichen, wie Antisemitismus als globales Phänomen in seiner Verbreitung von den Strukturen des Internets profitiert.
Jüdinnen und Juden berichten schon seit geraumer Zeit davon, einen ansteigenden Antisemitismus wahrzunehmen. Doch wird diese Perspektive erst seit einigen Jahren auch öffentlich ernst genommen und fließt in Problemanalysen mit ein. In einer Online-Umfrage des Zentrums für interdisziplinären Gewalt- und Konfliktforschung aus dem Jahr 2017 gaben 70 Prozent der Befragten in Deutschland an, dass ihnen Antisemitismus im Internet, in Diskussionsforen und sozialen Medien "häufig" bis "sehr häufig" begegne.
Auch empirische Daten belegen diese Zunahme, so etwa die Langzeitstudie zu Antisemitismus im Internet von 2014 bis 2019 der Antisemitismusforscherin und Kognitionswissenschaftlerin Monika Schwarz-Friesel. Ihr zufolge ließ sich in einem Zehn-Jahres-Vergleich allein in den Kommentarspalten von Online-Qualitätsmedien bei jüdischen oder israelbezogenen Themen ein Anstieg von Antisemitismus von 7,5 Prozent auf 30 Prozent feststellen.
Soziale Medien befördern die Verbreitung von Antisemitismus strukturell
Das Internet fördert durch freie Zugänglichkeit, globale Verknüpfung, Schnelligkeit und vermeintliche Anonymität die ungefilterte und fast grenzenlose Verbreitung antisemitischer Inhalte. Die sozialen Medien bieten der Jahrhunderte alten Judenfeindlichkeit ideale Voraussetzungen, um sich enttabuisiert explizit und implizit sowie viral zu verbreiten.
Eine weitere Dimension ergibt sich aus der steigenden Relevanz der sozialen Medien als Nachrichten- und Meinungsbildungsquelle.
Darüber hinaus wirkt die vermeintliche Anonymität und die Nicht-Sichtbarkeit des Gegenübers enthemmend auf User, sich – gesellschaftlich normverletzend
Spezifika des Antisemitismus im Internet
Die Interner Link: 2000 Jahre alte feindselige Einstellung gegenüber dem Judentum als solchem schreibt Jüdinnen und Juden kollektiv bestimmte fiktive Eigenschaften zu.
Im Internet sind alle Ausdrucksformen der Judenfeindschaft anzutreffen. Dazu zählen der Antijudaismus – dem religiös begründeten Hass gegenüber dem Judentum als Religionsgemeinschaft – und der Antisemitismus. Letzterer kann in verschiedenen Varianten zum Ausdruck kommen: Im rassistischen Antisemitismus werden Jüdinnen und Juden bestimmte unveränderliche "rassische" Eigenschaften zugeschrieben; im antimodernen Antisemitismus werden als negativ wahrgenommene Elemente von Modernisierungsprozessen als "jüdisch" identifiziert; im sekundären Antisemitismus/Post-Holocaust-Antisemitismus werden antisemitische Ressentiments geschürt, aufgrund einer Schuldabwehr für den Massenmord an den Europäischen Jüdinnen und Juden, dem Wunsch nach einer ungebrochenen, positiven Identifikation mit der eigenen Nation oder einer Schuldprojektion durch Umkehr des Täter/Opfer-Verhältnisses; im israelbezogenen Antisemitismus werden antisemitische Stereotype in der Darstellung des Staates und der Politik seiner Regierungen reproduziert.
Online lassen sich über alle Plattformen hinweg reproduzierte Stereotype aller Formen von Antisemitismus – auch in Kombination miteinander – finden. Dabei bilden die Stereotype der klassischen Judenfeindschaft des Antijudaismus weiterhin die konzeptuelle Basis. Zentral bestimmt die jahrhundertealte Konzeptualisierung des EWIGEN JUDEN
Antisemitische Inhalte werden online mittels Schrift- oder Bildsprache explizit oder implizit geäußert. Letztere Variante ermöglicht es, gesellschaftlich tabuisierte antisemitische Äußerungen bewusst oder unbewusst mittels Codes und Chiffren, Andeutungen oder Leerstellen auszudrücken. Auch Karikaturen, Bilder und besonders Memes nutzen das Zusammenspiel von Text, Bild und popkultureller Referenzen, um Implizites abzubilden. Aufgrund ihrer indirekten Bedeutung, die sich erst aus der Decodierung der verwendeten Anteile ergibt, eigenen sie sich gut, verdeckt ideologische Inhalte zu verbreiten. Außerdem ermöglichen implizit antisemitische Äußerungen eine strategische Abwehr von Antisemitismus-Vorwürfen.
Auf Plattformen, die eine Radikalisierung begünstigen – Interner Link: wie dem Twitter-ähnlichen Gab, auf speziellen Imageboards wie 4chan oder 8kun, sowie Foren von antisemitischen Webseiten –, wurden Strategien zur Diskursmanipulation auch durch antisemitische Memes geteilt. Eines der wichtigsten antisemitischen Memes ist das "(Le) Happy Merchant"-Meme, das seit den 2010er Jahren im Internet in unterschiedlichsten Kontexten geteilt wird. Es beinhaltet eine ursprünglich auf einer rechtsextremen Website gepostete antisemitische Karikatur eines gebeugten Juden mit Kippa und großer Nase, der sich bösartig lächelnd die Hände reibt. Seither wird es in rechtsextremen und islamistischen Kontexten verbreitet.
Allgemein lässt sich feststellen, dass latent vorhandene antisemitische Einstellungen in der Gesellschaft über alle Themen- und Diskursbereiche hinweg im Netz vorhanden sind, aber kontextabhängig und situativ aktiviert werden. Eine wichtige Rolle spielen hierbei "Trigger"-Themen – etwa der Nahost-Konflikt, Terroranschläge, jüdischen Themen oder die Solidaritätsbekundung mit Jüdinnen und Juden –,
Normalisierung von Online-Antisemitismus
Der Interner Link: Nahost-Konflikt ist nicht die Ursache antisemitischer Einstellungen oder Handlungen, wird aber häufig als Projektionsfläche genutzt und trägt so zur Aktualisierung und Normalisierung judenfeindlicher Ressentiments bei.
Antisemitische Verschwörungsmythen und Radikalisierung
Neben israelbezogenem Antisemitismus sind Interner Link: antisemitische Verschwörungsmythen im Internet weit verbreitet.
Im Mythos der "jüdischen Weltverschwörung" wird die Verbindung von Antisemitismus und Verschwörungsideologien deutlich, der seit dem Spätmittelalter verbreitet und beständig aktualisiert wird. Ein zentrales Dokument bilden in diesem Zusammenhang die fiktiven "Interner Link: Protokolle der Weisen von Zion", die erstmals Anfang des 20. Jahrhunderts auftauchten.
Fazit
Besonders das Web 2.0 hat dazu beigetragen, Antisemitismus online zu normalisieren. In der Bevölkerung vorhandene antisemitische Einstellungen wurden und werden im Internet geäußert, da hier verschiedene Faktoren begünstigend wirken: Die Nicht-Sichtbarkeit des Gegenübers, der Zuspruch durch andere Nutzer*innen sowie das Ausbleiben von Konsequenzen für die Urheber antisemitischer Postings haben die Hemmschwelle zum Verbreiten solcher Beiträge gesenkt. Nur langsam werden Löschungen antisemitischer Inhalte oder gar von expliziten Accounts von den Plattformbetreibern durchgeführt. Daneben existieren antisemitische Communities bereits seit dem Beginn des Internets. US-amerikanische Rechtsextreme verbreiten seit den frühen 1980er Jahren antisemitische Propaganda über das Internet, seit den 1990er Jahren findet in diesem Milieu eine globale Online-Vernetzung statt. Das Aufkommen sozialer Medien bot rechtsextremen Antisemit*innen die Möglichkeit, vorhandene Diskurse mit antisemitischen Inhalten zu beeinflussen oder antisemitische Diskurse zu radikalisieren. Die Normalisierung von Antisemitismus in alltäglichen Diskursbereichen des digitalen Raums stellt eine Herausforderung für die politischen, judikativen und zivilgesellschaftlichen Institutionen dar, Betroffene zu schützen und der Radikalisierung Einhalt zu gebieten.