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Analyse: Polens Episkopat – Vertrauensverlust nach zahlreichen Verfehlungen | Polen-Analysen | bpb.de

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Analyse: Polens Episkopat – Vertrauensverlust nach zahlreichen Verfehlungen Polen-Analysen Nr. 320

Thomas Urban

/ 18 Minuten zu lesen

Die katholische Kirche befindet sich in der Krise. Journalisten und Regisseure setzen sich zusammen mit Betroffenen dafür ein, dass Fälle von sexualisierter Gewalt und andere sittliche Verfehlungen aufgedeckt werden.

Liegendes Kruzifix (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com | Beata Zawrzel)

Zusammenfassung

Trotz der Nähe vieler ihrer Würdenträger und Ortspfarrer zur bisherigen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) nimmt der Einfluss der katholischen Kirche Polens auf die Gesellschaft rapide ab. Die Bischöfe finden keine Antwort auf die Säkularisierungswelle, die vor allem die jüngere Generation erfasst. Medienberichte über Sittenskandale im höheren Klerus tragen ihren Teil dazu bei. Überdies hat Papst Franziskus wegen der Vertuschung von pädophilen Straftaten Geistlicher über mehrere Bischöfe kanonische Strafen verhängt, was beispiellos in der Geschichte Polens ist.

Die Rechnung ist nicht aufgegangen: Während der Wahlkampagne hatten sowohl Kandidaten der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość  – PiS ) als auch viele Pfarrer und einige Bischöfe daran erinnert, dass der Urnengang für den Vorabend des "Papsttages" angesetzt war: Am 16. Oktober 1978 war der Krakauer Erzbischof Karol Wojtyła überraschend zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt worden. Die Wähler hätten es 45 Jahre danach in der Hand, das Erbe des polnischen Papstes zu sichern, lautete die Botschaft. Doch die Wahlempfehlungen aus den Reihen des Klerus nützten der Partei mit dem aus der Bibel entlehnten Namen (Amos 5,24) nicht, im Gegenteil: Sie haben ihr offenkundig geschadet, denn sie trugen ihren Teil dazu bei, die kirchenkritische Wählerschaft zu mobilisieren. 2015 hatte die PiS bei einer Wahlbeteiligung von 51 Prozent die absolute Mehrheit der Sejm-Mandate errungen, die sie aber 2023 dank der Rekordbeteiligung von über 74 Prozent wieder verlor.

Für die bisher oppositionelle Presse steht fest: Der 15. Oktober markierte nicht nur die Abwahl der seit acht Jahren regierenden PiS, sondern bedeutete auch eine Niederlage der katholischen Kirche Polens. Das Bündnis von "Thron und Altar", wie es das linksliberale Magazin Polityka nannte, das "Konkubinat von PiS und Kirche", so die katholische Monatszeitschrift Więż, eines der Sprachrohre der Reformer in der Kirche, hat nur zwei Legislaturperioden getragen. Diese Schlagworte überdecken indes, dass es innerhalb der Kirche heftigen Streit über die Frage gab, inwieweit ihre Vertreter parteipolitisch Stellung nehmen sollen.

Nach dem Wahlsieg der PiS 2015 hatte zwar der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Posener Erzbischof Stanisław Gądecki, erklärt, dass es seit dem Krieg "nie einen solchen Moment des übereinstimmenden Denkens zwischen Kirche und Staat" gegeben habe, und mehrere Bischöfe der zweiten Reihe hatten gar von einem "Gottesgeschenk" gesprochen. Doch schon bald zeigten sich Differenzen zwischen der Kirchenführung und der PiS-Regierung. 2017 veröffentlichte die Bischofskonferenz ein Dokument über "christlichen Patriotismus", der gastfreundlich sei. Es war eine indirekte Kritik an der Weigerung der Regierung, Flüchtlinge aus den islamischen Ländern aufzunehmen, die PiS-Vertreter mit der "Pflicht, das christliche Erbe zu verteidigen", zu rechtfertigen versuchten. Im gleichen Jahr warnten die Bischöfe davor, "durch unüberlegte Entscheidungen, aber auch durch leichtfertiges Reden" die deutsch-polnische Versöhnung zu gefährden sowie die rechtsstaatliche Ordnung als "Grundlage einer authentischen Demokratie" anzutasten.

Die Stellungnahmen waren indes in einer verklausulierten Sprache gehalten, wohl nur ein kleiner Teil der Gläubigen verstand ihren dramatischen Charakter, zumal eine Gruppe von Bischöfen und wohl die Mehrheit der Pfarrer mehr oder weniger offen Sympathien für die PiS an den Tag legten und für den von der PiS hofierten katholisch-nationalistischen Sender Radio Maryja warben.

Allerdings ist die Nähe weiter Kreise des Klerus zur PiS bei weitem nicht der wichtigste Grund für die schwere Krise, in der die Kirche allen Umfragen zufolge steckt. Die Gesellschaft ist von einer gewaltigen Welle der Säkularisierung erfasst, Folge auch einer Fülle von Medienberichten über Fehltritte Geistlicher. Das einst neben Irland "katholischste Land Europas", in dem im Wendejahr 1989 noch drei Viertel der Erwachsenen an der Sonntagsmesse teilnahmen, ist eine "Drittel-Gesellschaft" geworden: Nur noch rund ein Drittel der Katholiken geht jeden Sonntag zur Kirche, ein weiteres Drittel besucht den Gottesdienst lediglich an hohen Feiertagen sowie zu Taufen, Trauungen, Beerdigungen, das dritte Drittel enthält sich jeglicher religiöser Praxis. Bei der Volkszählung 2021 bezeichneten sich nur noch 71 Prozent als katholisch, doch getauft sind rund 90 Prozent der Erwachsenen.

Eine Umfrage des Warschauer Instituts für Markt- und Sozialforschungen (IBRiS), deren Ergebnisse zwölf Tage vor den Parlamentswahlen veröffentlicht wurden, zeigt deutlich auf, was die Mehrheit der Polen, darunter auch viele PiS-Wähler, umtreibt: 70 Prozent der Befragten meinen, die Kirche setze sich nicht ausreichend mit "eigenen Sünden" auseinander, genannt wurden an erster Stelle pädophile Straftaten von Geistlichen; gar 80 Prozent stören sich an der fehlenden Transparenz bei den kirchlichen Finanzen; 68 Prozent lehnen die bestehenden Steuerprivilegien für die Kirche ab; 71 Prozent werfen ihr Einmischung in die Politik vor.

Umfragen des Zentrums für die Erforschung der öffentlichen Meinung (CBOS ) bestätigen dieses Bild: Für zwei Drittel der Befragten verfügt der als lebensfern kritisierte Klerus nicht länger per definitionem über "moralische Autorität", nur 56 Prozent meinen, dass die Kirche noch die Gesellschaft zusammenhält, 47 Prozent haben eine schlechte Meinung von der Institution. In Kommentaren wird immer wieder der Begriff pycha genannt, mit "Hochmut" nur unvollkommen übersetzt. Denn in dem Begriff schwingt auch mit, dass nach Meinung vieler Kommentatoren der hohe Klerus "vor Selbstbewusstsein strotzt" und "ungeniert sein Luxusleben zelebriert".

Dieser Abwärtstrend dürfte sich noch erheblich verstärken, denn gerade die junge Generation wendet sich massiv von der Kirche ab. Der zur reformorientierten Minderheit im Episkopat zählende Lodzer Erzbischof Grzegorz Ryś, den der "linke" Papst Franziskus zum Missfallen der nationalkonservativen Medien im September ins Kardinalskollegium aufnahm, hatte 2021 eine Studie über die Situation in seiner Erzdiözese in Auftrag gegeben. Demnach engagieren sich nur zehn Prozent der jungen Leute unter 30 im Gemeindeleben, 78 Prozent gaben an, dass die christliche Lehre für ihr Wertesystem "irrelevant" sei. CBOS ermittelte, dass landesweit in der Altersgruppe von 18 bis 24 Jahren 43 Prozent "keinerlei religiöse Praxis" ausübten, nur noch 23 Prozent seien regelmäßig praktizierend (1992 waren es 70 Prozent). Primas Wojciech Polak nannte die CBOS-Zahlen "verheerend".

Konfrontation von Reformern und Traditionalisten in der Bischofskonferenz

Wie Ryś wird der von Papst Franziskus eingesetzte Primas der kleinen Gruppe der Reformer zugerechnet, die indes in der von Traditionalisten dominierten Bischofskonferenz bislang meist auf verlorenem Posten standen. Die linksliberale Gazeta Wyborcza machte in dem derzeit 98 stimmberechtigte Mitglieder umfassenden obersten Kirchengremium ganze sieben profilierte Reformer aus, der ranghöchste ist der öffentlichkeitsscheue Warschauer Erzbischof Kazimierz Nycz, den noch Benedikt XVI. zum Kardinal erhoben hat.

Diese Gruppe vertritt entschieden, dass die Kirche sich nicht in die Parteipolitik einmischen darf, sie kann sich bei ihren Forderungen nach einer offenen Kirche auf Franziskus stützen. Dieser hat allerdings die polnische Öffentlichkeit aufs höchste mit Kommentaren zum russischen Überfall auf die Ukraine irritiert ("Die Nato kläffte vor den Toren Russlands"). Nationalkonservative Kommentatoren nehmen die Empörung unter ihren Landsleuten zum Anlass, den Reformflügel der Kirche anzugreifen.

Grzegorz Ryś ist der erste polnische Ortsbischof, dem der vor zehn Jahren auf den Stuhl Petri gewählte Argentinier den Kardinalspurpur verliehen hat. Dass Franziskus die großen Erzbistümer Krakau, Posen, Breslau, an deren Spitze traditionell Kardinäle standen, übergangen hat, wird von manchen Beobachtern als eine Art Misstrauensvotum gegen die dort residierenden Kirchenfürsten interpretiert, die durchweg als Traditionalisten gelten.

Die polnischen Bischöfe mussten in den letzten fünf Jahren eine Reihe von heftigen Schlägen hinnehmen, auf die sie nicht im geringsten vorbereitet waren, da sie sich seit einer Generation in einer "Komfortzone" bewegten, wie es die traditionsreiche liberal-katholische Wochenzeitung Tygodnik Powszechny nennt. Unter polnischen Historikern herrscht Einigkeit darüber, dass am Systemumbruch des Jahres 1989 die katholische Kirche, gestützt auf den Papst, entscheidenden Anteil hatte. Daraus leiteten die führenden Bischöfe den Anspruch ab, in allen gesellschaftlichen Fragen mitzubestimmen. Sie beriefen sich auch darauf, dass die Kirche in Zeiten von Fremdherrschaft und Krieg stets die nationale Kultur verteidigt hatte.

Da der Papst damals ein Landsmann war, verbreitete sich unter den polnischen Bischöfen die Auffassung, dass Polen Vorbild für die gesamte Christenheit sei und Europa rechristianisieren werde, so wie es die beiden großen Dichter der Romantik, Adam Mickiewicz und Juliusz Słowacki, vorausgesagt hatten. Anlass, die Rolle der Kirche in einer pluralistischen Gesellschaft neu zu definieren, sahen nur die wenigsten von ihnen. Diese selbstgewisse Grundstimmung hielt auch an, als der bald nach dem Systemumbruch einsetzende Abwärtstrend der Kirche sich während des Pontifikats von Benedikt XVI. (2005–2013) kräftig beschleunigte: Die Gesellschaft holt die säkularen Entwicklungen nach, wie sie seit mehr als einem halben Jahrhundert die westlichen Länder prägen.

Der erste dieser harten Schläge, die die polnischen Bischöfe trafen, war der Spielfilm "Klerus" (Kler, 2018 ) des renommierten Regisseurs Wojciech Smarzowski. Er zeigt das Leben dreier Priester: Einer wird verdächtigt, pädophil zu sein, der zweite ist dem Alkohol verfallen und drängt seine von ihm geschwängerte Haushälterin zur Abtreibung, der dritte fährt einen aus Spenden der Gläubigen finanzierten Mercedes der S-Klasse und will sich einer homosexuellen Seilschaft im Vatikan anschließen. Die Genehmigung dafür presst er seinem Bischof ab, der ein Trinker ist, vulgär flucht und einen Bentley als Dienstwagen anschaffen ließ. Er kann so agieren, weil er um dessen Geheimnis weiß: die regelmäßigen Besuche von Prostituierten. Nationalkonservative Politiker und einige Bischöfe riefen empört zum Boykott des Films auf – vergeblich, denn er wurde ein Kinohit. Der Oppelner Bischof Andrzej Czaja aber, ein Vertreter des kleinen Reformflügels, gab bekannt, dass er ihn gesehen habe und die Darstellung keineswegs für völlig abwegig halte. Primas Polak erklärte, dass es leider solche schwarzen Schafe in der Kirche gebe.

Kaum geringer war das Echo auf die beiden auf Youtube veröffentlichten Dokumentarfilme der Brüder Marek und Tomasz Sekielski "Nur sag’ es niemanden!" (Tylko nie mów nikomu, 2019) und "Versteckspiel" (Zabawa w chowanego, 2020). In ihnen kommen Opfer pädophiler Priester zu Wort, die Stellungnahmen mehrerer Täter wurden mit versteckter Kamera aufgenommen; auch die Vertuschung der Taten durch die zuständigen Bischöfe kommt zur Sprache. Wieder empörten sich Politiker und Publizisten aus dem nationalistischen Lager, Primas Polak hingegen bat um Vergebung für "jede von Männern der Kirche verübte Verletzung". Erzbischof Gądecki, der als Traditionalist in anderen Fragen mit dem Primas überkreuz ist, stimmte zu, er dankte dem Regisseur für die Filme, die er "bewegt und mit Trauer im Herzen" gesehen habe.

In einem Hirtenbrief mit dem Titel "Empathie und Verantwortung" räumten die polnischen Bischöfe ein, dass sie "auf diese Vorfälle nicht immer entsprechend reagiert" hätten. Noch unter Johannes Paul II. sind sie verpflichtet worden, alle Fälle an die Kongregation für die Glaubenslehre zu melden, der damals Joseph Ratzinger vorstand. In der polnischen Kirche wurde allerdings argumentiert, dass das Problem eher im libertären Westen auftrete; erst 2012 verabschiedete die Bischofskonferenz Leitlinien für das Prozedere. Doch viele Amtsträger ignorierten diese und setzten weiter auf Vertuschung. Der frühere Vorsitzende der Bischofskonferenz Józef Michalik erklärte sogar, dass Kinder Geistliche verführen, und löste damit eine Welle von kirchenkritischen Kommentaren aus.

Die sich häufenden Berichte über pädophile Verbrechen veranlassten den Vatikan zu drastischen Reaktionen, die in der Geschichte der polnischen Kirche beispiellos sind: Über eine Reihe von Bischöfen wurden Kirchenstrafen verhängt. Grund dafür war keineswegs nur die Vertuschung von Straftaten, sondern auch sittenwidriges Verhalten, in einzelnen Fällen sogar die Zusammenarbeit mit der polnischen Stasi, dem Sicherheitsdienst (Służba Bezpieczeństwa – SB ). Die Verdikte wurden öffentlich verkündet, allerdings ohne Begründung.

Ein gewaltiges Presseecho rief 2020 der Fall des früheren Breslauer Erzbischofs Henryk Gulbinowicz hervor, der über Jahrzehnte eine der bekanntesten Persönlichkeiten der polnischen Kirche war. Der Kardinal galt als Legende des Widerstands gegen das kommunistische Regime, in den 1980er Jahren hatte er unter dem Kriegsrecht Oppositionelle unterstützt und die Kasse der verbotenen Gewerkschaft Solidarność im Bischofspalais versteckt, in dem er, was lange der Öffentlichkeit vorenthalten blieb, wie ein Barockfürst zu seinem Geburtstag prachtvolle Empfänge gab, bei denen der Alkohol in Strömen floss.

Doch stimmte die Widerstandslegende nicht, wie die schockierten Breslauer vor drei Jahren erfuhren: Der wegen seines jovialen Auftretens und seines Humors beliebte Gulbinowicz, der auch den deutsch-polnischen Dialog gefördert hatte, war nämlich über viele Jahre SB-Informant, er lieferte Interna aus der Bischofskonferenz und dem Vatikan. Der SB war bestens darüber im Bilde, dass er in früheren Jahren an "homosexuellen Orgien", wie es in einem Bericht hieß, teilgenommen hatte, und konnte ihn deshalb zur Mitarbeit erpressen. Zudem warf der Dichter Karol Chum ihm vor, ihn als jungen Mann sexuell belästigt zu haben. Der Vatikan verkündete, dass der greise Kardinal keine Gottesdienste mehr zelebrieren, nicht an öffentlichen Feiern teilnehmen und keine bischöflichen Insignien mehr benutzen dürfe. Auch solle ihm die Beisetzung in seiner Bischofskirche, dem Breslauer Dom, verwehrt bleiben. Gulbinowicz starb wenige Wochen nach Verkündung des Verdikts im Alter von 97 Jahren.

Sittenskandale und Trinkgelage im Bischofspalais

Auch der zweite große Sittenskandal um polnische Bischöfe ist mit seinem Namen verbunden. Es handelt sich um den früheren Danziger Erzbischof Sławoj Leszek Głódz. Dieser war als junger Priester Gulbinowiczs Sekretär und fuhr ihn zu den Treffen mit SB-Offizieren. In den 1980er Jahren wurde er in den Vatikan abgeordnet, wo ihn Johannes Paul II. förderte; er unterhielt in Rom aber auch heimlich Kontakte zum SB. Nach seiner Rückkehr wurde er Militärbischof, dann Erzbischof von Warschau-Praga, dem auf dem Ostufer der Weichsel liegenden Hauptstadtbezirk, und zu einem der Wortführer des nationalkatholischen Lagers, der gern gesehener Gast bei Radio Maryja war. Aus diesem Grunde regte sich bei den traditionell liberal gesinnten Danzigern heftiger Widerstand, als Benedikt XVI. ihn 2008 zu deren Oberhirten machte, sogar der frühere Präsident Lech Wałęsa beteiligte sich an den letztlich vergeblichen Protesten gegen Głódz.

Die Danziger Zeit des umstrittenen Erzbischofs war eine Anreihung von Skandalen. So weihte er 2012 ein Denkmal für den Pfarrer Henryk Jankowski ein, obwohl längst bekannt war, dass der frühere geistliche Berater der Gewerkschaft Solidarność der sexuellen Belästigung von Ministranten beschuldigt wurde. Der SB wusste seinerzeit davon; er erpresste Jankowski, den Arbeiterführer Wałęsa zu bespitzeln.

2018 wurde aus Kirchenkreisen an die Danziger Presse durchgestochen, dass mehrere Geistliche in einem Brief an den Vatikan schwere Vorwürfe gegen Głódz erhoben: Er habe Priester systematisch gemobbt und beschimpft und lade Vertraute zu Trinkgelagen ein. Lokaljournalisten fanden heraus, dass er Spendengelder der Gläubigen für den Bau einer villenartigen Privatresidenz (inklusive einem Gehege für Damhirsche) in seinem Heimatdorf in Nordostpolen zweckentfremdete und mehrere Immobilien erwarb und dass er überdies von den Priestern des Erzbistums bei Besuchen in Pfarrgemeinden Umschläge mit Geldbündeln erwartete. Die Pfarreien in Vierteln der Besserverdienenden, von ihm "Kuweit" genannt, seien in einer Art Versteigerung an die meistbietenden unter den interessierten Klerikern vergeben worden. Den Berichten zufolge war Głódz das Vorbild für den lasterhaften Bischof in dem Spielfilm "Klerus".

Der Papst ordnete eine Untersuchung an, die Federführung in der Causa Głódz übertrug er dem Warschauer Kardinal Nycz, somit einem Vertreter der Reformer. Ein weiteres schockierendes Detail wurde aus den Zeugenbefragungen bekannt: Głódz habe einen Pfarrer geschützt, welcher der Vergewaltigung einer Siebzehnjährigen beschuldigt wurde. Mehrere pensionierte Generäle appellierten an Staatspräsident Andrzej Duda, dem sündigen Kirchenfürsten alle Orden und den Generalsrang abzuerkennen, mit denen er als Militärbischof ausgezeichnet worden war, doch ihr Anliegen wurde ignoriert. Duda wollte offenbar nicht seine Parteifreunde aus der PiSverärgern, die zunächst jede öffentliche Kritik an Głódz als "Angriff auf die Kirche" zurückgewiesen hatten. Der Vatikan wartete mit der Verkündung einer Kirchenstrafe ab, bis jener die Altersgrenze erreichte und zurücktrat: Ihm wurde verboten, sich auf dem Gebiet des Erzbistums Danzig niederzulassen, und auferlegt, nach eigenem Ermessen an das St. Josef-Werk zu spenden, das Opfer pädophiler Verbrechen unterstützt. Danziger Kirchenvertreter zeigten sich enttäuscht, sie hatten auf ein hartes Urteil gehofft.

Der dritte der Skandalbischöfe gehörte ebenfalls zu den "Knaben Gulbinowiczs", wie es in Hintergrundberichten hieß: Edward Janiak, bis zu seiner Ablösung 2020 Oberhirte der Provinzstadt Kalisz. Auch er soll Beschwerden über pädophile Täter weder an die Behörden noch den Vatikan weitergeleitet haben, sondern die Beschuldigten in andere Pfarreien versetzt haben. Angeblich war er selbst nicht frei von derartigen Neigungen, was ihm im Kirchenmilieu den Spitznamen "Edzio-Pedzio" [pedzio – "warmer Bruder", Anm.d.Übers.] eingebracht habe. Er war einer der negativen Protagonisten in dem Sekielski-Film "Versteckspiel". Auch wurde er beschuldigt, in seiner Zeit als Weihbischof in Breslau unter Gulbinowicz einen jungen Priester sexuell belästigt zu haben. Angesichts der schwerwiegenden Vorwürfe stellte der Papst ihn unter die Aufsicht eines Apostolischen Administrators, das Amt übernahm der in nationalistischen Kreisen verhasste Erzbischof Ryś. Janiak machte anschließend noch mit einer Trunkenheitsfahrt Schlagzeilen. Wenige Monate nach seinem Absturz starb er 2021, bevor eine Kirchenstrafe über ihn verhängt werden konnte.

Zu einem "Leben in Buße und Gebet" sowie einer Geldspende an eine Stiftung für Opfer sexuellen Missbrauchs verurteilte der Vatikan Gulbinowiczs Nachfolger in Breslau, den 2013 emeritierten Erzbischof Marian Gołębiewski. Ihm wurde ebenfalls die Teilnahme an öffentlichen Gottesdiensten und Feiern verboten. Er hatte pädophile Priester gedeckt, indem er sie von einer Pfarrei zur anderen versetzte. Drei weiteren früheren Diözesanbischöfen wurden aus demselben Grund dieselben Strafen auferlegt: Stanisław Napierała (Kalisz), Tadeusz Rakoczy (Bielsko-Żywiec) und Stefan Regmunt (Zielona Góra-Gorzów).

Zu den Schützlingen Gulbinowiczs gehörte ein weiterer Protagonist der Sekielski-Filme: Jan Tyrawa, der an der Spitze der Diözese Bydgoszcz gestanden hatte. Auf Geheiß von Gulbinowiczs Nachfolger Gołębiewski übernahm er einen Priester in sein Bistum, dem der sexuelle Missbrauch mehrerer Kinder vorgeworfen wurde. Der Täter kam weiterhin im Religionsunterricht für Schüler zum Einsatz, so wie auch ein anderer Geistlicher, der in gleicher Weise straffällig geworden war, ohne dass Tyrawa dies gemeldet hätte. Er wurde vom Vatikan zum Rücktritt gedrängt, über eine Kirchenstrafe ist noch nicht entschieden. In ähnlichen Fällen warten ferner die emeritierten Bischöfe von Radom und Świdnica, Henryk Tomasik und Ignacy Dec, auf das römische Verdikt.

Auch in der Causa des Stettiner Erzbischofs Andrzej Dzięga steht eine Entscheidung des Vatikans noch aus. Dieser hatte jahrelang die Ermittlungen gegen einen vieler pädophiler Straftaten beschuldigten Priester aus der Diözesanverwaltung verschleppt, der erfolgreich Spenden sowie öffentliche Gelder akquiriert hatte. Dzięga hatte während der Corona-Pandemie für Aufsehen gesorgt, als er behauptete, Weihwasser schütze vor einer Ansteckung und die in Polen übliche Mundkommunion sei unbedenklich.

In der Causa des früheren Kattowitzer Erzbischofs Wiktor Skworc will Rom offenbar die gegen ihn eingeleitete staatsanwaltliche Untersuchung abwarten. Er hatte einen überführten Sexualtäter an eine katholische Pfarrei in der Ukraine abgeordnet, wo dieser erneut straffällig wurde. Ein breites Medienecho fand Skworc, als er während der Pandemie die Pfarrer seiner Diözese aufforderte, bei den Gläubigen für Atemgeräte sammeln zu lassen, aber gleichzeitig 40 Millionen Zloty (knapp neun Millionen Euro) für den Bau eines "Pantheons für verdiente Oberschlesier" auf dem Gelände der Kattowitzer Kathedrale ausgeben wollte. Zur Unterzeichnung des Vertrags über das sogar von der Mehrheit der Gottesdienstbesucher abgelehnte Bauprojekt reiste 2021 Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (PiS) aus Warschau an. Überdies hatte Skworc in einer Predigt dem von der PiS besetzten Vorstand des Ölkonzerns Orlen dafür gedankt, dass dieser die polnische Tochter der Verlagsgruppe Passau aufgekauft und somit 20 der 24 Regionalzeitungen des Landes wieder "in polnische Hand" gebracht habe.

Milde fiel die kanonische Strafe für den früheren Krakauer Weihbischof Jan Szkodoń aus, obwohl ihm persönlich schwere Vergehen vorgeworfen wurden: Er habe die 15-jährige Tochter einer befreundeten Familie in Unterwäsche empfangen, ihr gegen ihren Willen den BH geöffnet, sie geküsst und dabei erklärt, er wolle ihr im Namen Gottes eine "Lektion in Zärtlichkeit" geben. Die Ermittler des Vatikans, der Szkodoń vorsorglich suspendiert hatte, beschränkten sich auf den Vorwurf, eine Minderjährige ohne ihre Eltern zu sich eingeladen zu haben, und trugen ihm lediglich auf, drei Monate abgeschieden "in Besinnlichkeit und im Gebet" zu verbringen. Danach kehrte er nicht ins öffentliche Leben zurück, da er während der Untersuchung die Altersgrenze erreicht hatte. Eine katholische Familienstiftung zahlte der Frau eine Entschädigung in unbekannter Höhe, nachdem diese eine Klage gegen die Kurie 2022 zurückgezogen hatte.

Maßnahmen des Vatikans gegen Vertraute Johannes Pauls II.

Ins Gerede gekommen ist auch Szkodońs Vorgesetzter, der Krakauer Erzbischof Marek Jędraszewski, der unverhohlen die PiS wiederholt als Verteidiger des Glaubens gepriesen hat und in der Bischofskonferenz als Antipode der Reformer gilt. In seinen Predigten warnte er vor der "Regenbogenseuche des LGBT" sowie der "neomarxistischen Gottlosigkeit", die Westeuropa ins Verderben stürzen würden. Eine Kontroverse rief er hervor, als er im Vatikan die Annullierung der Trauung des von der PiS eingesetzten umstrittenen Fernsehchefs Jacek Kurski erreichte, obwohl dessen Ehe 20 Jahre gewährt hatte und aus ihr drei Kinder hervorgegangen waren. An der zweiten kirchlichen Heirat Kurskis nahmen der PiS-Vorsitzende Jarosław Kaczyński und Justizminister Zbigniew Ziobro teil. Jędraszewski kündigte dem Tygodnik Powszechny, zu dessen Autoren einst Karol Wojtyła gehört hatte, die Redaktionsräume in einer Liegenschaft der Erzdiözese. Der Tygodnik hatte immer wieder die Versuche der PiS kritisiert, den Klerus zu instrumentalisieren, und auch ausführlich über die Skandale im Episkopat berichtet, während sich die offizielle Kirchenpresse darüber ausschwieg.

Jędraszewski wird nun vorgeworfen, vor 21 Jahren in der Affäre um die sexuelle Belästigung von Priesterseminaristen durch den Posener Erzbischof Juliusz Paetz als dessen Weihbischof mehrere Priester massiv bedrängt zu haben, damit sie eine Loyalitätserklärung für den Beschuldigten unterzeichnen. Aus Protest gegen dieses Erpressungsmanöver trat seinerzeit der Rektor des Posener Priesterseminars Tomasz Węcławski zurück und ließ sich später in den Laienstand versetzen. Er lehrt heute an der Posener Universität und publiziert über Fehlentwicklungen in der polnischen Kirche. In Krakau sind allerdings die Tage des " PiS-Bischofs" Jędraszewski gezählt: Im kommenden Februar erreicht er mit seinem 75. Geburtstag die Altersgrenze.

Fast alle Bischofsernennungen in Polen gingen bis vor wenigen Jahren auf zwei Hierarchen zurück, die erst Johannes Paul II., dann Benedikt XVI. entsprechende Vorschläge unterbreitet haben: Józef Kowalczyk, erst Leiter der Polen-Sektion im Vatikan, dann Nuntius in Warschau, schließlich bis 2014 Primas, und Stanisław Dziwisz, langjähriger Sekretär des polnischen Papstes, den Benedikt XVI. an die Spitze des Erzbistums Krakau berief und zum Kardinal erhob. Es war nach Meinung seiner Kritiker eine krasse Fehlentscheidung: Dziwisz fehle jegliches intellektuelle Format und Charisma, den Text seiner aus belanglosen Worthülsen bestehenden Predigten lese er nuschelnd vom Blatt ab. In Krakau verbreitete sich zudem das Gerücht, sein aufgedunsenes Gesicht sei die Folge von übermäßigem Tabletten- und Alkoholkonsum. Ein mokantes Echo fand er sogar in der internationalen Presse mit der von ihm initiierten Krönung Jesu zum König von Polen, an der Zeremonie nahm Präsident Duda teil. Auf Befremden stieß auch, dass er an mehrere Kirchengemeinden Reliquien vergab: ein Stück Verbandsstoff mit eingetrockneten Blutstropfen, ein Stück Fingernagel, einen Zahn des 2014 heiliggesprochenen Johannes Pauls II., der sich allerdings zu Lebzeiten stets gegen einen derartigen Kult ausgesprochen hatte.

Sowohl Kowalczyk als auch Dziwisz wird nun vorgeworfen, Berichte über pädophile Straftaten von Klerikern nicht an die Glaubenskongregation weitergeleitet zu haben. Kowalczyk hat nach Zeugenaussagen vor zwei Jahrzehnten als Nuntius sogar den homosexuellen Posener Erzbischof Paetz bei seiner – letztlich erfolglosen – Verteidigungsstrategie beraten. Beide waren seit ihrer gemeinsamen Zeit im Vatikan miteinander befreundet; Paetz wurde damals auch vom SB als Informant registriert, offenbar war er, wie Gulbinowicz, als "aktiver Homosexueller" erpressbar geworden.

Auch unterstützte Kowalczyk den Aufstieg mehrerer "Knaben Gulbinowiczs" in der Kirchenhierarchie, was einen Teil der Medien über eine "Lavendel-Mafia" spekulieren ließ, eine einflussreiche Seilschaft homosexueller Kleriker, denen nicht an Evangelisierung, Seelsorge und Caritas gelegen sei, sondern am Ausleben ihrer sexuellen Neigungen hinter den Mauern der Bischofspaläste. Der in Warschau lehrende Theologieprofessor Stanisław Obirek, ein ehemaliger Jesuit, der mit einer jüdischen Philosophieprofessorin verheiratet ist, und der Rechtsanwalt Artur Nowak, der in den Sekielski-Filmen als Opfer zur Sprache kommt, haben 2021 unter dem Titel " Gomora " ein Buch über ihre Recherchen dazu vorgelegt. Wie auch andere Kritiker der Amtskirche legen sie darin dar, dass das unerbittliche Festhalten Johannes Pauls II. am Zölibat und seine Verdammung homosexueller Beziehungen die Heuchelei im Klerus gefördert hätten.

Dziwisz hatte sich als Faktotum des Papstes massiv für den Washingtoner Erzbischof Theodore McCarrick eingesetzt, obwohl dieser sexueller Übergriffe beschuldigt wurde, sowie für den mexikanischen Ordensgründer Marcial Maciel Degollado, gegen den es längst Untersuchungen wegen Drogenmissbrauchs und Sexualverbrechen gab. Verteidiger Dziwiszs erklärten dazu, im Vatikan sei man damals fest davon überzeugt gewesen, dass es sich bei den Anschuldigungen gegen beide um Intrigen linker Kräfte gehandelt habe, die der Kirche schaden wollten. Zeitzeugen bestätigen dies: Karol Wojtyła sei von seinen Krakauer Erfahrungen geprägt gewesen, als der SB mit gezielt gestreuten Gerüchten über sexuelles Fehlverhalten engagierte Priester in Misskredit bringen wollte; ihm selbst war ein uneheliches Kind angedichtet worden. Als in seiner Diözese über all die Jahre drei Priester pädophiler Übergriffe beschuldigt worden waren, habe er ihren mit der Hand auf der Bibel abgegebenen Unschuldsbeteuerungen geglaubt.

Als im März 2023 der in Warschau lebende niederländische Journalist Ekke Overbeek in einem Buch mit dem Titel Maxima culpa und der Journalist Marcin Gutowski im Dokumentarfilm Franciskańska 3 (der Titel bezieht sich auf die Adresse des Krakauer Bischofspalais) unabhängig voneinander Wojtyła beschuldigten, Sexualtäter geschützt zu haben, bekundeten PiS-Abgeordnete im Sejm mit Bildern Johannes Pauls II., "seinen Ruf mit aller Kraft gegen die Verleumder zu verteidigen". PiS-Chef Kaczyński gab die Parole aus: "Wer die Hand gegen die Kirche erhebt, erhebt sie gegen Polen." Der linksliberale Publizist Adam Michnik erklärte dazu, die neuesten Publikationen ließen ihn keineswegs an seiner Dankbarkeit für das zweifeln, was der polnische Papst für sein Land und Europa geleistet habe.

Zwei Jahre zuvor war Gutowskis Buch "Don Stanislao. Das andere Gesicht des Kardinals Dziwisz" (Don Stanislao. Druga twarz kardynała Dziwisza) erschienen, in dem dieser beschuldigt wird, für Privataudienzen oder die Teilnahme an Messen des Papstes in dessen Privatkapelle Geld genommen zu haben. Dieser verteidigte sich mit dem Argument, dass die Gelder für den Bau einer Kirche verwendet worden seien. Wenig später ordnete Papst Franziskus eine Untersuchung der Vorwürfe gegen Dziwisz an, Kommentatoren bezeichneten die drastische Entscheidung als weiteren Schritt zur "Entwojtylisierung" (dewojtylizacja) der polnischen Kirche.

Der für Reformen streitende Tygodnik Powszechny zog eine gnadenlose Zwischenbilanz: "Es ist ein Drama der polnischen Kirche, dass die aus der Umgebung des Papstes vorgeschlagenen Kandidaten für Bischofsämter oft mediokre, unkluge und feige Menschen sind." Im Episkopat sei nun große Anspannung spürbar, man erwarte, dass Franziskus, der sich viele Jahre kaum für Polen interessierte, frei werdende Bischofssitze entschlossen mit Reformern besetzen und somit die Traditionalisten zurückdrängen werde.

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Thomas Urban war Osteuropa-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung (1988–2012) und ist aktuell freier Mitarbeiter bei Cicero – Magazin für politische Kultur. Er ist Koautor einer Biografie Johannes Pauls II. (C.H.Beck 2020). Als Gymnasiast leitete er die Ortsgruppe der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ) in Bergheim bei Köln.