"Abschied von Schwarzrotgold"?
Die Neue Rechte, der moderne Fußball und die deutsche Nationalelf
Richard Gebhardt
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Die Diskussion um das DFB-Team ist hochgradig politisiert. "Die Mannschaft" wird als Entwurf einer vielfältigen und liberalen Gesellschaft verstanden. Das provoziert Kritik aus dem neurechten Spektrum, wo andere Vorstellungen nationaler Identität zirkulieren.
Der gemeinsame Fototermin der deutschen Nationalspieler Mesut Özil und İlkay Gündoğan mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sorgte nur wenige Wochen vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft 2018 in Russland bei vielen Vertretern aus dem gesamten politischen Spektrum für Kritik – exemplarisch auch in den Reihen der Interner Link: Neuen Rechten. Für die Junge Freiheit (JF), in der seit Jahrzehnten neurechte Positionen ausformuliert werden, bot der Fall die Gelegenheit für eine grundsätzliche Einlassung. "Kein Gauland, kein Pegida-Protest hätte die Integrationslüge überzeugender zum Platzen bringen können", heißt es in der in Berlin erscheinenden Wochenzeitung. Die Kampagnen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) für Integration, Toleranz, Respekt und Vielfalt werden im rechten Spektrum schon lange kritisch betrachtet. Auch Mesut Özil war zuvor schon Zielscheibe polemischer Angriffe. Ein NPD-Funktionär bezeichnete ihn 2009 als "Plaste-" bzw. "Ausweis-Deutschen". Inzwischen ist diese Position längst nicht nur in den Reihen der NPD anzutreffen. Gerade die Internationalisierung des modernen Fußballs, die mit der verstärkten Präsenz von Spielern mit Migrationshintergrund auch in der Nationalmannschaft einhergeht, stößt auf dezidierten Widerspruch. "Eine Versammlung aus Fußball-Millionären zum Vorbild für eine multikulturelle Gesellschaft zu machen", bedeute "neoliberales Kalkül mit linkem Wunschdenken zu verbinden", schreibt der Kommentator der JF, der beispielhaft das ablehnende Verhältnis der Neuen Rechten zur deutschen Nationalmannschaft auf den Punkt bringt. Zwar brachte die Zeitschrift Compact, die regelmäßig Autoren aus dem neurechten Lager zu Wort kommen lässt, vor dem Turnier eine Sonderausgabe mit dem Titel "Nationalsport Fußball. Herzschlag einer deutschen Leidenschaft" heraus und führte im Rahmen ihrer Werbekampagne auf einer Dresdener Pegida-Kundgebung Anfang Mai 2018 auch ein Torwandschießen durch. Die Beiträge sind aber meist nostalgisch verfasst. Es überwiegt die Beschwörung alter "deutscher Tugenden" wie Kampfgeist, Organisation, Disziplin, Treue, Aufopferung. Traditionelle und "neue" Rechte bevorzugen offenkundig den alten, vor-modernen Fußball der "Kampfschweine" und "Terrier" und wenden sich gegen den gesellschaftspolitisch liberalen Kurs des DFB. Mit dem dafür verantwortlichen, damaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger hätten, so Compact, "ab 2006 Political Correctness, Multikulti und der sogenannte Kampf gegen rechts Einzug in den deutschen Fußball" gehalten. 2015 beklagte die JF die neue öffentliche Präsentation der DFB-Auswahl unter dem Titel "Die Mannschaft" als "Abschied von Schwarzrotgold" und "Kastrierung des Namens". Doch nicht nur die Umwandlung der Nationalelf zum Produkt mit neuem Namen missfällt. Unter "Jogis Jungs" werden in der JF vor allem die Spieler mit "ausländischen Wurzeln" kritisch betrachtet, zumal wenn diese – wie Özil – das Absingen der Nationalhymne verweigern.
Partyotismus statt Patriotismus?
Der Fußball ist gerade vor Weltmeisterschaften ein Indikator für die politische Kultur des Landes. Und die Klage über die mangelnde Identifikation mit der Nationalmannschaft ist längst nicht auf die deutsche Rechte beschränkt. Sie ist seit Jahren ein Thema für Politiker, Verbandsfunktionäre oder die Boulevardpresse und reicht "sehr weit in die Gesellschaft und ihre bürgerlichen Kreise hinein". Aber in der spezifischen Kritik der extremen Rechten am neoliberalen, modernen Fußball (also an jenem hochkommerzialisierten Massensport, der nach dem Interner Link: Bosmann-Urteil von 1995 auf einen deregulierten internationalen Spielermarkt zurückgreifen kann und in dem Profivereine immer mehr wie global player agieren) kommt ein Antiliberalismus zum Vorschein, der sich nicht zufällig gegen die Antidiskriminierungspostulate des DFB richtet. Gerade das moderne Bild einer nationalen Identität wie sie vom DFB-Team repräsentiert wird findet in diesem politischen Spektrum dezidierten Widerspruch.
Auf den ersten Blick scheint es überraschend, dass die Apologeten der "selbstbewussten Nation" – so eine Losung der Neuen Rechten zu Beginn der 1990er Jahre – der DFB-Auswahl distanziert gegenüberstehen. Denn wohl kaum eine andere Institution verfügt in der Bundesrepublik über eine derartige symbolische Ausstrahlung und gemeinschaftsbildende Bindekraft wie die deutsche Fußballnationalmannschaft der Männer, die von ihrem Manager Oliver Bierhoff im Anschluss an eine Image-Studie sogar schon als "vierte Macht im Staat" tituliert wurde. In vielen Festreden wurde schon die integrative Leistung des Fußballs sowie dessen Beitrag zur Völkerverständigung beschworen. Gleichzeitig werden bei Weltmeisterschaften vom Tragen des Trikots über das Schwenken der Deutschlandfahne bis hin zum öffentlichen Absingen der Hymne Rituale eines "Partyotismus" gefeiert. Es werden vom "Wunder von Bern" 1954 über das "Sommermärchen" 2006 bis hin zum 7:1 der Weltmeistertruppe von 2014 im Halbfinale gegen Brasilien alte Mythen und historische Siege beschworen. Der 3:2-Sieg der Elf von Sepp Herberger über die Auswahl der Ungarn inspirierte sogar zu der These, die tatsächliche "Gründung der Bundesrepublik" habe im "Wankdorf-Stadion zu Bern" stattgefunden. In den Debatten über das Image der Auswahlelf des DFB werden, wie deren langjähriger Beobachter Michael Horeni schreibt, seit 1945 "Zeitgeist und der gesellschaftliche Wandel (...) verlässlich fühl- und sichtbar".
In den letzten Jahren präsentierte der DFB dabei mehrfach Kampagnen, die gesellschaftspolitische Werte in den Mittelpunkt stellten. Als beispielsweise im Mai 2016 die Äußerungen von Alexander Gauland, einem Mitbegründer der AfD, über den vermeintlich unerwünschten Nachbarn Jérôme Boateng bekannt wurden, veröffentlichte der DFB kurze Zeit später einen Videoclip, der mit der Losung Externer Link: Wir sind Vielfalt endet. Und seit Mai 2017 agiert, um ein weiteres Beispiel zu nennen, Ex-Nationalspieler Thomas Hitzelsberger zudem als "DFB-Botschafter für Vielfalt". "Respekt", "Integration" und "Vielfalt" sind seit geraumer Zeit Kernbegriffe in der offiziellen Darstellung des DFB – und der Grund für den neurechten Dissens zu diesem Selbstverständnis. Von "Vielfaltspinseln" spricht beispielsweise der für diesen Diskurs einschlägige Publizist Thor von Waldstein mit Blick auf die Befürworter einer "Willkommenskultur". Die Warnung vor der Auflösung der ethno-kulturellen Identität der Deutschen, die sich aus dieser Sicht hinter Begriffen wie "Vielfalt" verbirgt, ist hier ebenso zentral wie die Kritik der Dekadenz, die sich auch gegen die gesellschaftspolitische Liberalisierung richtet. "An Liberalismus gehen Völker zugrunde", heißt es bei Arthur Moeller van den Bruck, einem der Vordenker der "Konservativen Revolution". Rechte und der Untergang des Abendlandes. Stuttgart 2017, S.21. Am Neoliberalismus, der nationale Bindungen auflöst, und an der politischen Korrektheit geht der deutsche Fußball zugrunde, lässt sich die Losung für die heutige Neue Rechte variieren.
Facetten neurechter Fuballvorstellungen
Es verwundert, dass sich neurechte Autoren aktuell zwar am DFB abarbeiten, Neu-Rechte Vordenker wie Henning Eichberg, der ein viel zitierter Sport- und Körpersoziologe war und später auf Distanz zu seinen politischen Ursprüngen ging, sich jedoch bestenfalls am Rande mit dem Fußball beschäftigt haben. Dabei wollte die neurechte Perspektive doch vor allem das vor-politische Feld der Kultur sondieren. Aber vermutlich schien das Massenspektakel Fußball zu trivial, zumal der in seiner zeitgenössischen Form aus England importierte Ballsport schon der in Deutschland dominanten Turnbewegung im 19. Jahrhundert als "Fußlümmelei" galt. Die AfD hingegen, deren Politiker vielfach in Junge Freiheit oder Sezession veröffentlichen, hat die Kritik des modernen Fußballs längst forciert. Nach der Niederlage der Nationalelf im EM-Halbfinale gegen Frankreich, twitterte Beatrix von Storch die Frage "Vielleicht sollte nächstes mal dann wieder die deutsche NATIONALMANNSCHAFT spielen?" – und verdeutlichte so die Distanz zu einem "multikulturellen" DFB-Aufgebot. Schon AfD-Mitgründer Bernd Lucke kritisierte 2014 das vielgerühmte "Coming Out" von Thomas Hitzelsberger und meinte, dieser hätte lieber die "Verfallserscheinungen" der Institutionen der Ehe und Familie beklagen sollen. Was hier nachhallt, ist die klassische antiliberale Dekadenzkritik, die individuellen Lebensentwürfen jenseits alter Institutionen missbilligend gegenübersteht. Die Vielfaltspostulate des Fußballs gelten vielfach als nicht gemeinschaftsbildend. Auch Alexander Gauland hat sich mehrfach zum Fußball geäußert. Im Interview mit dem Spiegel erläuterte er seine Aussagen zu Jérôme Boateng und ergänzte, "die deutsche oder eine englische Nationalmannschaft" seien "eben schon lange nicht mehr deutsch oder englisch im klassischen Sinne". Fußball sei "letztlich eine Geldfrage und keine Frage der nationalen Identität mehr". Schon in seiner 2002 erschienenen "Anleitung zum Konservativsein" vermerkte er, dass auch das Massenspektakel rund um den Fußball Resultat einer nationalen Leerstelle sei. "Fußball und die jugendliche Musikkultur reichen offensichtlich als Ersatz für die fehlende Nationalsymbolik nicht aus", schrieb Gauland. Andere Autoren sehen die Möglichkeit für eine nationale Mythenbildung: Der Fußball, heißt es auf Sezession.de, sei "unmittelbar gemeinschafts- und identitätsbildend", denn hier könne nämlich in "aller Deutlichkeit das ‚Wir‘ vom ‚Nicht-Wir‘" unterschieden werden. Auch Mythen ließen sich durch dieses Spiel schaffen – und der historische Sieg im Wankdorf-Stadion gehöre dazu: "Auschwitz mag der negative ‚Gründungsmythos‘ (Joschka Fischer) der Bundesrepublik Deutschland sein; es gibt aber auch einen positiven, nämlich das ‚Wunder von Bern‘". Dieses wird im Compact-Sonderheft zur WM 2018 ausführlich gewürdigt; ein Heft, in dem aber auch Formulierungen zu finden sind wie jene, die Italiener hätten "uns bereits 1970, 1982, 2006 und 2012 den Weg zum Endsieg (sic!) verbaut". Ansonsten herrscht dort ein nostalgischer Blick auf den Fußball, der die "klassischen deutschen Tugenden" fokussiert. Dass die Nationalmannschaft aber seit der EM 2004 eine Phase der Modernisierung durchlaufen hat, die für den Titelgewinn 2014 entscheidend war, wird kaum zur Kenntnis genommen.
Die Nationalmannschaft als Gegenentwurf?
So steht bei der WM 2018 eine "Mannschaft" auf dem Platz, deren Spieler mit Namen wie Boateng, Özil oder Gündoğan anzeigen, dass die Bundesrepublik nicht mehr nur durch Namen wie Maier, Müller oder Beckenbauer repräsentiert wird. Die Nationalmannschaft der Gegenwart ist vielmehr der symbolträchtige Gegenentwurf zu einer völkisch verstandenen nationalen Identität. Wie sich das Bild der Nationalelf gewandelt hat, zeigen historische Vergleiche: 1990, nur wenige Monate nach der Öffnung der deutsch-deutschen Grenze, verkündete der damalige Teamchef Franz Beckenbauer noch, die Nationalmannschaft werde "auf Jahre unschlagbar sein". Verglichen mit diesen pathetischen Tönen war das "Gauchogate" im Jahre 2014, als sich die Nationalspieler über die Argentinier lustig machten, ein harmloser Ulk. Während der WM 1978 in Argentinien empfing die Nationalelf unter Helmut Schön noch den Wehrmachtspiloten Hans-Ulrich Rudel, der im Jahr zuvor für die rechtsextreme Deutsche Volksunion (DVU) Wahlkampf gemacht hatte. Der Besuch galt den Verantwortlichen des DFB weder als Skandal noch als Fehler. Als im November 2017 deutsche Zuschauer unter anderem durch Sieg-Heil-Rufe provozierten, fanden hingegen neben Löw und Bierhoff auch Spieler wie Mats Hummels deutliche Worte der Ablehnung. Für die Neue Rechte, die ihren eigenen Begriff von nationaler, d.h. ethnisch-homogener Identität durchsetzen will und das Fehlen des Nationalen in der "Mannschaft" beklagt, bietet die gegenwärtige DFB-Auswahl also kaum Anschlussmöglichkeiten. Selbst der "Partyotismus" gilt hier als bloß kulturindustriell formiertes Spektakel. Kritik an den Phänomenen des modernen Fußballs ist von konservativen Funktionären bis hin zur Kommerzkritik der Ultras weit verbreitet. Aber die Neue Rechte stört ein besonderer Aspekt: Der "große Austausch" (so eine migrationskritische Chiffre) hat für sie längst auch im deutschen Fußball stattgefunden: Zu kosmopolitisch ist der Kader, zu liberal das offizielle Image, zu "modern" die Spielweise, die gerade von der Abkehr von alten Traditionen profitiert. Vermutlich ist das der entscheidende Grund für den Groll gerade von rechts: Jögi Löws Team zeigt, dass eine Nationalmannschaft mit Migrationshintergrund und sogar ohne Hymnenzwang sehr erfolgreich sein kann.
geboren 1970, ist Politikwissenschaftler, Publizist und Referent in der Erwachsenenbildung. Arbeitet als pädagogischer Mitarbeiter in der (gewerkschaftlichen) Jugend- und Erwachsenenbildung sowie als Kurator und Programmgestalter für Theater und Bildungsinstitutionen in Nordrhein-Westfalen. Umfangreiche wissenschaftliche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen, zuletzt u.a. zur politischen Dimension des Hooliganismus.