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Analyse: Zu den Ereignissen in den "Volksrepubliken" der Ostukraine. Jahresbericht 2016 | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Zu den Ereignissen in den "Volksrepubliken" der Ostukraine. Jahresbericht 2016

Nikolaus von Twickel Berlin Von Nikolaus von Twickel

/ 13 Minuten zu lesen

Im Jahr 2016 bemühten sich die "Volksrepubliken" um innere Konsolidierung und wirtschaftliche Erholung sowie um eine Reduzierung der Abhängigkeit von russischen Finanzhilfen. Das gelang ihnen jedoch nur in Ansätzen, so das Résumé von Nikolaus von Twickel. Wie ist die Lage derzeit und was erwartet sie im Jahr 2017?

Menschen, die die Abgrenzungslinie zwischen der Ukraine und der "Donezk-Volksrepublik" auf dem Weg von Mayorsk nach Gorlovka überqueren. (© picture-alliance/dpa)

Zur Dokumentation interner politischer Entwicklungen und damit auch des Charakters der Organisation von Politik in den beiden "Volksrepubliken", veröffentlichen die Ukraine-Analyse hier den Jahresbericht 2016, der auf dem wöchentlichen Newsletter "Entwicklungen in "DNR" und "LNR" basiert. Der Newsletter erscheint im Rahmen des Projekts "Menschenrechtsschutz in der Ostukraine. Monitoring, Informationsverbreitung und europäische NGO-Kooperation". Basierend auf der Auswertung von öffentlich zugänglichen Internet-Quellen und erstellt von Nikolaus von Twickel gibt der Newsletter einen Überblick aktueller gesellschaftspolitischer Entwicklungen auf dem Gebiet der selbsternannten "Volksrepubliken Donezk und Luhansk". Das Projekt wird vom Deutsch-Russischen Austausch (DRA e.V.) in Kooperation mit ukrainischen, polnischen und russischen Partnern durchgeführt und vom Auswärtigen Amt gefördert.

Der Jahresbericht und der Newsletter sind im Internet archiviert unter Externer Link: http://www.civicmonitoring.org/. Dort finden sich auch die Internetadressen der im Text genannten Originalquellen. Ansprechpartner beim Deutsch-Russischen Austausch sind Tim Bohse (E-Mail Link: tim.bohse@austausch.org) und Yuliya Erner (E-Mail Link: yuliya.erner@austausch.org)

Die Redaktion der Ukraine-Analysen

Zusammenfassung

Auf den ersten Blick hat sich die Lage in der Ostukraine im vergangenen Jahr kaum verändert. Während die Verhandlungen zur Umsetzung des Minsker Abkommens auf der Stelle traten, flammten die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und Separatisten immer wieder auf. Die beide Seiten trennende "Kontaktlinie" blieb weitgehend unberührt. Geländegewinne wurden nur in der entmilitarisierten Pufferzone gemacht – mit der Folge, dass die verfeindeten Truppen näher aneinanderrückten. Im Jahr 2016 bemühten sich die "Volksrepubliken" um innere Konsolidierung, wirtschaftliche Erholung und eine Reduzierung der Abhängigkeit von russischen Finanzhilfen. Das gelang ihnen nur in Ansätzen – in Donezk mehr, in Luhansk weniger. Dennoch gingen die politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen in beiden "Volksrepubliken" überwiegend in eine Richtung – hin zur Russischen Föderation. Diese Entwicklung ist für die Umsetzung des Minsker Abkommens hinderlich.

1. Sicherheitslage

Die Kämpfe zwischen Regierungstruppen und prorussischen Separatisten entlang der rund 500 Kilometer langen "Kontaktlinie" forderten im vergangenen Jahr allein auf ukrainischer Seite mehr als 200 Tote und knapp 1.300 Verletzte. Von der gegnerischen Seite liegen keine Zahlen vor. Dennoch gab es kaum Bewegung im Konflikt, in dem ja eigentlich ein Waffenstillstand gilt: Geländegewinne wurden ausschließlich in der "Grauzone" genannten Pufferzone entlang der Kontaktlinie gemacht. So rückten im März 2016 ukrainische Truppen in ein Gewerbegebiet im Süden der Stadt Awdiiwka vor. In ukrainischen Medienberichten hieß es hinterher, dass die Regierungstruppen das "Promsona" oder "Promka" genannte Gebiet einnehmen mussten, um Awdiiwka vor Beschuss zu schützen.

Im Dezember 2016 waren es ebenfalls ukrainische Truppen, die in den sogenannten Switlodarsker Bogen nordwestlich von Debalzewe vorstießen. Pressesprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums, Andrij Lysenko sagte der Deutschen Welle, dass die ukrainische Armee bis anderthalb Kilometer vorgerückt sei, um günstig gelegene Anhöhen einzunehmen. Vorstöße in die "Grauzone", die im Minsker Abkommen gar nicht erwähnt ist, begannen bereits 2015 im Raum Mariupol, als ukrainische Streitkräfte in das Dorf Pawlopil einrückten, woraufhin Truppen der "DNR" das Dorf Kominternove (Pikusy) einnahmen.

Während also die gegnerischen Truppen näher aneinander rückten, war der wohl größte Verhandlungserfolg des vergangenen Jahres ein Vertrag, in dem die Ausweitung der Pufferzone anvisiert wird: Das im September 2016 in Minsk unterzeichnete sogenannte Entflechtungsabkommen sieht vor, dass die gegnerischen Truppen zunächst an drei Stellen – Stanytsja Luhanska, Solote und Petriwske – sich mindestens zwei Kilometer von der Kontaktlinie zurückziehen. Bis Jahresende gelang das immerhin in zwei der drei Orte. In Stanytsja Luhanska beschuldigten sich beide Seiten, dass der nötige Waffenstillstand nicht zustand kam. Abgesehen von der Unterzeichnung des Entflechtungsabkommens gab es bei den Verhandlungen sowohl der Trilateralen Kontaktgruppe (Russland, Ukraine und die OSZE, mit am Tisch sitzen Vertreter von "DNR" und "LNR") als auch des Normandieformats (Frankreich, Deutschland, Russland und die Ukraine) kaum Fortschritte.

Unter dem deutschen Vorsitz der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) konzentrierten sich die Verhandlungen zunächst auf die Durchführung der Lokalwahlen gemäß dem Minsker Abkommen. Als klar wurde, dass dies wegen zahlreicher Uneinigkeiten nicht gelingt, wurde auf dem Berliner Gipfel vom 19. Oktober beschlossen, zunächst eine "Roadmap" auszuarbeiten, welche die zeitliche Reihenfolge der Umsetzung der im Abkommen enthaltenen Punkte festschreibt. Bis Jahresende gab es aber auch bei der Ausarbeitung einer Roadmap statt Fortschritt nur Differenzen. So wirft Russland der Ukraine vor, neue Forderungen in die Roadmap hineinschreiben zu wollen, die gar nicht im Minsker Abkommen stehen – etwa eine bewaffnete internationale Mission, die die Sicherheit in den abtrünnigen Gebieten gewährleistet. Die Ukraine dagegen argumentiert, dass für eine Umsetzung des Minsker Abkommens "neue Elemente", wie etwa eine bewaffnete internationale Truppe, nötig sind, um ein Minimum an Sicherheit zu garantieren.

Außenminister Pawlo Klimkin erinnerte im Dezember erneut an die Position der Ukraine, dass Lokalwahlen, wie im Minsker "Package of Measures" vom Februar 2015 geregelt, unter ukrainischem Recht mit ukrainischen Parteien und Wählern (auch diejenigen, die aus den "Volksrepubliken" geflohen sind) stattfinden müssen.

2. Politik

In der "Volksrepublik" Luhansk war 2016 kaum ruhiger als das Vorjahr: Während 2015 mehrere prominente Feldkommandeure bei Anschlägen getötet wurden, waren es im vergangenen Jahr Politiker, die entweder abgesetzt oder zu Staatsfeinden erklärt wurden. Im September wurde der ehemalige "Premierminister" der "LNR", Gennadi Zypkalow, und ein hoher Militär, Witali Kiseljow, festgenommen und beschuldigt, einen Putsch gegen "LNR"-Chef Igor Plotnizki geplant zu haben. Zypkalow kam kurz darauf ums Leben, nach offiziellen Angaben erhängte er sich in seiner Zelle.

Ex-Parlamentschef Alexei Karjakin, der als dritter Beschuldigter zur Fahndung ausgeschrieben wurde, sagte im Exil in Russland, dass Plotnizkis Leibwächter Zypkalow ermordet hätten. Karjakin zufolge ist der angebliche Putsch nur ein Vorwand Plotnizkis, um seine Gegner loszuwerden. Ähnliche Vermutungen wurden bereits nach einem angeblichen Attentat auf Plotnizki im August geäußert. Trotz oder gerade wegen dieser Säuberungen sah sich Plotnizki hinterher heftiger Kritik aus Russland ausgesetzt. So veröffentlichte das kremlfreundliche Moskauer Boulevardblatt "Komsomolskaja Prawda" im November einen Artikel mit schweren Korruptionsvorwürfen gegen Plotnizki, später machte ihm die Zeitung zum Vorwurf, dass er der freikirchlichen Pfingstbewegung nahe stehe und seine Glaubensbrüder fördert. In den Reihen der Plotnizki-Kritiker tauchte dann plötzlich Valeri Bolotow auf – potentiell ein ernstzunehmender Rivale. Der Anführer der Separatisten und erste Chef der "LNR" war seit seiner angeblich verletzungsbedingten Ablösung im August 2014 nicht mehr öffentlich aufgetreten. Nun gab er mehrere Interviews, in denen er Plotnizki beschuldigte, die Macht an sich gerissen zu haben und die ursprünglichen Ideale der Aufständischen zu verraten.

Zum Jahresende machte sich der interne politische Machtkampf in der "LNR" wieder bemerkbar: Während Plotnizki die Entscheidung des "LNR-Parlaments" lobte, die Arbeit von "Premierminister" Sergei Koslow zu missbilligen, ließen führende "LNR"-Medien dieses Ereignis unerwähnt. Bolotow, Karjakin und Zypkalow gelten als Separatisten der ersten Stunde, die das Minsker Abkommen entschieden ablehnen und die Ostukraine lieber heute als morgen mit Russland vereint sehen wollen.

In der "Volksrepublik" Donezk wurden die Separatistenführer von 2014 ebenfalls, aber in der Regel ohne größeres Aufsehen aus ihren Ämtern entfernt. So geschehen im Februar dieses Jahres mit "Außenminister" Alexander Kofman, und kurz darauf mit Roman Ljagin, der die "Wahlkommission" der "DNR" leitete. Bereits 2015 trafen die "Säuberungen" "Parlamentsvorsitzenden" Andrei Purgin. Im Herbst 2016 rief Purgin eine Vereinigung namens "Jug Rossii" ("Der Süden Russlands") ins Leben, die einen Anschluss weiter Teile der Ukraine an Russland anstrebt. Allerdings gab es im Oktober 2016 erstmals einen Mordanschlag an einem prominenten "DNR"-Vertreter – dem Feldkommandeur Arseni Pawlow. Die Tatsache, dass Pawlow, besser bekannt als "Motorola", von einer Bombe in seinem gut bewachten Donezker Wohnhaus getötet wurde, werteten ukrainische Beobachter als Hinweis darauf, dass hinter der Tat russische Agenten steckten.

Das Mordmotiv im Fall "Motorola" blieb bisher unklar, denn anders als die zuvor ums Leben gekommenen Luhansker Kommandeure hatte Pawlow die "DNR"-Führung nicht öffentlich kritisiert. Der Kiewer Politologe Wladislaw Fessenko vermutet einen Zusammenhang mit dem Gipfeltreffen im Normandie-Format, das nur drei Tage später am 19. Oktober in Berlin stattfand. Der Anschlag an Pawlow, für den die Separatisten die Ukraine beschuldigten, sollte womöglich die Position Kiews bei den Verhandlungen schwächen, sagte Fessenko in einem Interview für diesen Bericht. Insgesamt wirkte die "Volksrepublik" Donezk im Jahr 2016 stabiler als die benachbarte "Volksrepublik" Luhansk. Offene Kritik an den Machthabern erweis sich dennoch hier wie da als riskant. In der "LNR" wurden mindestens zwei Blogger – Eduard Nedeljajew und Gennadi Benizki – wegen Posts in sozialen Netzwerken festgenommen.

In der "DNR" setzte am 27. Januar eine Welle von Repressionen ein, nachdem in der Nacht das Donezker Lenin-Denkmal bei einer Explosion leicht beschädigt wurde. In der Folge wurden vermeintliche Regimekritiker festgenommen, darunter der Religionswissenschaftler Igor Koslowski sowie Mitglieder des Freiwilligen-Hilfswerks Otwetstwennije Graschdane ("Verantwortungsvolle Bürger"). Während Koslowski vermutlich noch immer in Haft sitzt, wurden die Hilfswerk-Mitglieder binnen eines Monats aus der "Volksrepublik" ausgewiesen. Der prominenteste Kritiker innerhalb der "DNR", Alexander Chodakowski blieb dagegen weitgehend unbehelligt. Der ehemalige Kommandeur des Kampfverbandes "Wostok" erklärte im Februar die Niederlegung seines Amtes als Sekretär des "Sicherheitsrates" und konzentrierte sich fortan auf seine wöchentlichen Video-Show, worin er Zuschauerfragen zum Zustand der Republik beantwortet. Chodakowski, der vor Ausbruch des Konflikts eine Sondereinheit des ukrainischen Geheimdienstes leitete, wird oft mit dem aus Donezk stammenden Geschäftsmann Rinat Achmetow in Verbindung gebracht und hat einmal selbst gesagt, dass er für den Erhalt der Industriebetriebe des nach Kiew geflohenen Achmetow eintritt.

Insgesamt gilt aber für die Politik sowohl von "DNR" als auch "LNR", dass die wahren Entscheidungsträger in Moskau vermutet werden dürfen. Ein Indiz dafür waren die "Primaries" genannten Vorwahlen, die am 2. Oktober in "Volksrepubliken" Donezk und Luhansk abgehalten wurden. Verlauf und Ergebnis dieser Vorwahlen waren in beiden "Volksrepubliken" praktisch identisch – es siegten die Vertreter der Regierungsparteien. Die Abstimmungsregeln ähnelten stark denen der "Primaries" der russischen Regierungspartei "Einiges Russland", die seit einigen Jahren solche Vorwahlen als PR-Vehikel nutzt.

Sowohl "LNR" als auch "DNR" stellten die Vorwahlen als Testlauf für die laut Minsker Abkommen vorgesehenen Lokalwahlen dar. Diese Abstimmung wurde aber im Oktober von beiden "Volksrepubliken" zum wiederholten Mal abgesagt, weil Ukraineund Russland sich nicht auf die Modalitäten einigen konnten. Zu Jahresbeginn hatten ukrainische Medien und ukrainische Regierungsbeamte spekuliert, dass Russland die Anführer der Separatisten absetzen und beide "Volksrepubliken" vereinigen werde. Die Berichte standen offenbar in direktem Zusammenhang mit dem Treffen zwischen der hochrangigen US-Diplomatin Victoria Nuland und Kreml-Unterhändler Wladislaw Surkow am 15. Januar in Kaliningrad.

Bis Jahresende blieben zwar sowohl beide "Volksrepubliken" als auch deren aktuellen Anführer unangetastet. Jedoch sind Experten der Meinung, dass Russland – nicht zuletzt wegen seines außerordentlichen wirtschaftlichen Einflusses – in der Lage ist, Personal und Struktur der "Volksrepubliken" jederzeit zu ändern. Für Russland hat die Trennung von "LNR" und "DNR" offenbar strategische Vorteile. So argumentierte im Dezember der Moskauer Politologe und ehemalige Kreml-Beamte Alexei Tschesnakow, dass zwei Republiken nützlicher seien, weil dadurch die Verhandlungen für die Ukraine erschwert würden.

3. Wirtschaft

Laut der Aussagen der beiden Anführer sind die wirtschaftlichen Aussichten der "Volksrepubliken" rosig. "DNR"-Chef Alexander Sachartschenko verkündete im Dezember stolz, dass die Wirtschaft 2016 um 52 Prozent gewachsen sei – fügte aber hinzu, dass dies kein "Gesamtwachstum" sondern die Wiederherstellung des Vorkriegspotenzials sei.
Aus Luhansk wurden keine derartigen Zahlen bekannt, dafür erklärte Republikchef Igor Plotnizki in seiner Neujahrsansprache das Jahr 2017 zum "Jahr der wirtschaftlichen Reformen", in dem die Schattenwirtschaft abgeschafft werde.

Ukrainische und westliche Beobachter bezweifeln, dass beide "Volksrepubliken" in ihrer jetzigen Form wirtschaftlich überlebensfähig sind. So kontrollieren die Separatisten jeweils nur knapp ein Drittel der ukrainischen Gebiete (Oblast) Donezk und Luhansk. Die aus dem Abbruch der Wirtschaftsbeziehungen zum Rest der Ukraine resultierenden Lücken in der Versorgungskette sowie Flucht oder Wegzug weiter Teile der Bevölkerung – vor allem der gebildeten Mittelschicht – machen eine schnelle wirtschaftliche Stabilisierung unwahrscheinlich.

Es gilt als offenes Geheimnis, dass die "Volksrepubliken", die im Frühjahr 2015 den russischen Rubel einführten, überwiegend von Moskau finanziert werden. Der bekannte Separatisten-Kommandeur Alexander Chodakowski hatte im Herbst 2015 den russischen Anteil am Budget der "DNR" mit 70 Prozent beziffert. Ukrainische und westliche Beobachter vermuteten Anfang 2016, dass Russland allein für Lohn- und Rentenzahlungen in beiden Gebieten monatlich knapp 80 Millionen Euro ausgibt.

Wegen des aufgeblähten Beamtenapparats und der großen Zahl von Rentnern muss für die Finanzierung der "Volksrepubliken" mehr aufgewendet werden als in normalen Volkswirtschaften. So leistet sich die "LNR" allein 17 Ministerien und weitere 17 nachgeordnete Behörden, nicht mitgezählt die umfangreiche Armee ("Volksmiliz"). In der "DNR" sind es sogar 21 Ministerien. Ukrainischen Schätzungen zufolge liegt der Anteil der Rentner an der Bevölkerung in beiden "Volksrepubliken" bei mehr als 30 Prozent.

Im November bezifferte der ukrainische Sicherheitsratssekretär Oleksandr Turtschynow Russlands Gesamtausgaben für die Separatisten mit jährlich knapp über 6 Milliarden US-Dollar (5,65 Milliarden Euro, monatlich rund 471 Millionen Euro). Laut Turtschynov machen Militärausgaben etwa die Hälfte der Summe aus. Im Oktober und November mehrten sich Anzeichen, dass in der "DNR" und "LNR" das Geld knapp wird – Löhne und Renten wurden nicht oder nur teilweise ausgezahlt. Im Dezember hieß es in Donezk und Luhansk, dass man alles bezahlen könne. Die genaue Ursache der Engpässe blieb unklar: Während die Separatisten von "technischen Problemen" sprachen, waren sich ukrainische Kommentatoren einig, dass Moskau den Geldhahn abgedreht habe. Offen blieb, ob dies politische oder wirtschaftliche Gründe hatte.

Angesichts der Rahmenbedingungen konzentrierte sich die Wirtschaftspolitik der Separatisten darauf, die eigene Einnahmesituation zu verbessern. In der "DNR" wurde im Sommer über ein Gesetz zur Nationalisierung spekuliert. Verantwortlich für die Umsetzung soll das neu geschaffene "Industrieministerium" sein, zu dessen Chef Alexei Granowski ernannt wurde, der 2014 schon einmal "Energieminister" war.

Hauptziel der Enteignungen sollen Betriebe sein, die weiterhin Steuern an die Ukraine zahlen. Sachartschenko erklärte im Mai, dass die "DNR" nichts gegen reiche Unternehmer habe, sondern nur solche Industrielle im Visier habe, die politisch zu viel Einfluss nehmen. "Die Demontage der Oligarchenwirtschaft ist eine von unseren Prioritäten", sagte er. Jedoch gab es bis Jahresende keine Anzeichen für die Verabschiedung eines Nationalisierungsgesetzes, geschweige denn für eine Umsetzung des Vorhabens. Denn in Minsk kündigte die Ukraine erbitterten Widerstand gegen jegliche Enteignungen an. Diese würden als Demontage des Minsker Abkommens gewertet, sagte die Sprecherin von ex-Präsident Leonid Kutschma, der die Kiewer Regierung bei den Minsker Verhandlungen vertritt. Zugleich wurden wirtschaftliche Kontakte zwischen den Separatisten und der Ukraine bekannt – vor allem in Form von Kohlelieferungen. Bereits im Februar berichtete die "Ukrainskaja Prawda", dass angeblich aus Südafrika stammende Kohleimporte in Wirklichkeit aus "DNR" und "LNR" stammen.

Im September erklärte "LNR"-Chef Plotnizki, dass man der Ukraine Kohle verkauft. Sein Donezker Kollege Sachartschenko sagte im November, dass die Ukraine ohne Kohlelieferungen aus der "DNR" den Winter nicht überstehen werde. Im Namen der ukrainischen Regierung bestätigte Minister für die Vorübergehend Besetzten Gebiete, Wadym Tschernysch, am 1. November, dass die Ukraine Kohle aus den von ihr nicht kontrollierten Gebieten importiert. Im Gegenzug werde Strom geliefert, sagte Tschernysch in einem Interview mit Hromadske Radio.
Das Energieministerium in Kiew erläuterte später, dass ukrainische Firmen 7,2 Millionen Tonnen Kohle in den ersten 10 Monaten des Jahres 2016 in den Separatistengebieten gekauft hätten. Den Wert dieser Menge nannte das Ministerium nicht, Experten bezifferten ihn jedoch mit 11 Milliarden Hrywna (etwa 385 Millionen Euro).

Nicht zu beziffern ist der illegale Handel (Schmuggel) zwischen den "Volksrepubliken" und der Ukraine. Hryhorij Tuka, der ehemalige Gouverneur des Gebiets Luhansk und jetzige stellvertretende Minister für die Vorübergehend Besetzten Gebiete, bestätigte die Berichte über regen Schmuggel und erklärte die ausbleibende Friedenslösung mit dem Unwillen jener Entscheidungsträger in den ukrainischen Institutionen wie Staatsanwaltschaft, Sicherheitsdienst, Armee und Polizei, die aus der jetzigen Situation wirtschaftliche Profite schlagen und daher an Änderungen nicht interessiert sind. Im Oktober veröffentlichte die Moskauer "Nowaja Gaseta" eine Recherche, wonach führende Separatisten aber auch ukrainische Oligarchen von der Schattenwirtschaft in "DNR" und "LNR" profitieren.

4. Ausblick

Je länger die "Volksrepubliken" in ihrer jetzigen Isolation verharren, desto tiefer könnte der Graben zwischen ihnen und dem Rest des Landes werden und desto schwerer dürfte eine Wiedereingliederung in die Ukraine werden. Schon jetzt gibt es Anzeichen, dass weite Teile der Bevölkerung von "LNR" und "DNR" nicht in die Ukraine zurück möchte: So sagte im September der Donezker Separatisten-Kommandeur Alexander Chodakowski, dass seinen eigenen Umfragen zufolge der Anteil der "DNR"-Bewohner, die einen Anschluss an Russland wollen, zwischen Januar und August von 50 auf 70 Prozent gewachsen sei.

Da Chodakowski keine weiteren Details zu der Umfrage nannte, kann ihre Zuverlässigkeit nicht geprüft werden. Aber andere Umfragewerte deuten in eine ähnliche Richtung: In einer im Juni 2016 veröffentlichten Umfrage des Ifak-Instituts für den Kiewer Think Tank "Fabryka Dumky Donbass" sprachen sich 48 Prozent der (telefonisch) Befragten in der "DNR" für eine politische Union mit Russland aus. In dem von der Regierung kontrollierten Teil des Gebiets Donezk betrug dieser Wert immerhin noch 22 Prozent. Fabryka-Dumky-Chef Dmytro Tkatschenko fügte später hinzu, dass in einem unveröffentlichten Teil der Umfrage 18 Prozent der Befragten in der "Volksrepublik" angegeben hätten, sie fühlten sich als Bürger der "DNR".

Telefonumfragen in Gebieten wie den "Volksrepubliken" oder der von Russland annektierten Krim sollten allerdings mit Vorsicht interpretiert werden, da die Befragten auch am Telefon womöglich nicht die Wahrheit sagen, weil sie glauben, abgehört zu werden. Tkatschenko, der auch ein Berater des Ukrainischen Informationsministeriums ist, argumentiert, dass sich hohe negativ-Werte rasch legen können, wenn die Ukraine die Kontrolle über die Gebiete wiedererlangt. "Die "DNR"-Identität wird verschwinden, wenn die Waffen und die (russische) Propaganda weg sind", sagte er in einem Interview für diesen Bericht.

Die Erfahrung des Jahres 2016 zeigt aber, dass eine Wiederherstellung der Kontrolle Kiews nicht so einfach sein wird. Die Tatsache, dass weder Moskau noch Kiew zu Kompromissen bereit sind, ist sicherlich der Hauptgrund dafür, dass auch Anfang 2017 keine politische Lösung für den Donbass-Konflikt in Sicht ist. In der Ukraine gelten etwaige Zugeständnisse an die Separatisten als politisch nicht durchsetzbar. Die gewaltsamen Proteste gegen eine Verfassungsänderung vor dem Kiewer Parlament im August 2015 haben zudem gezeigt, dass die Gegner einer Kompromisslösung auch vor Gewalt nicht zurückschrecken.

Die beste Strategie für Russland besteht wohl darin, keine politischen Schritte zu unternehmen und gleichzeitig der ukrainischen Seite die Schuld dafür zu geben, dass sich nichts bewegt. Moskau hat gute Gründe, auf einen Wandel der Politik des Westens gegenüber Russland im Jahr 2017 zu hoffen. Der Beginn der Präsidentschaft von Donald Trump in den USA, die anstehenden Präsidentenwahlen in Frankreich im April sowie die deutsche Bundestagswahl im September dieses Jahres könnten eine Lockerung der westlichen Sanktionen zur Folge haben.

Solange sich aber die Außenpolitik der Verbündeten Kiews nicht ändert, ist eine Fortdauer der jetzigen Situation – militärische Stagnation bei minimalen Verhandlungserfolgen – wahrscheinlich.

Fussnoten

Nikolaus von Twickel ist ein freiberuflicher Journalist aus Berlin. Zwischen 2007 und 2014 arbeitete er in Moskau, zunächst als Reporter für die Moskauer Times, dann als Korrespondent für dpa International, den englischsprachigen Dienst der Deutschen Presse-Agentur. Zwischen Oktober 2015 und März 2016 war er als Medienoffizier (Media Focal Point) für die OSZE-Beobachtermission in Donezk tätig.