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Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Ukraine-Analysen Nr. 284

Volodymyr Kulyk

/ 11 Minuten zu lesen

Neue Umfragen zeigen, dass die ukrainische Sprache im Alltag an Popularität zunimmt, während Russisch immer weniger gesprochen wird.

Eine Statue des ukrainischen Nationaldichters Taras Schewtschenko, der als Begründer der modernen ukrainischen Sprache gilt. (© picture-alliance, abaca | Huchot-Boissier Patricia)

Zusammenfassung

Anders als von Putin erwartet haben die meisten Ukrainer auf die großflächige Invasion Russlands in die Ukraine mit einer stärkeren Verbundenheit mit ihrem Land und ihrer Nation reagiert. Ein Element dieser Verbundenheit ist die Zuwendung zu ihrer Nationalsprache, symbolisch wie auf Kommunikationsebene. Dabei haben die Ukrainer nicht nur eine stärkere Verbundenheit mit ihrer Sprache entwickelt, sondern auch begonnen, sie im Alltag mehr zu sprechen. Zumindest sagen sie das neuen Umfragen zufolge.

In der ukrainischen Politik und in den Beziehungen der Ukraine zu Russland ist der Sprachengebrauch seit langem ein kontrovers diskutiertes Thema. Während Verfechter des Ukrainischen sich lange Zeit dafür einsetzten, die Sprache zur Hauptsprache in sämtlichen Lebensbereichen zu machen und dafür auch staatliche Maßnahmen einforderten, bemühten sich Verfechter des Russischen, den unbeschränkten Gebrauch ihrer Sprache zu bewahren, und versuchten jahrelang, den rechtlichen Status des Russischen zu verbessern und dem des Ukrainischen gleichzusetzen. Gleichzeitig betrachtete die russische Regierung jegliche Ausweitung des Ukrainischen als Verstoß gegen die Rechte der russischsprachigen Ukrainer und drängte die ukrainischen Behörden, solche Schritte zu unterlassen. Obwohl Russisch in den östlichen und südlichen Regionen der Ukraine weiterhin in praktisch allen Bereichen die vorherrschende Sprache war, begann mit dem Status des Ukrainischen als einziger offizieller Landessprache dessen allmähliche Ausbreitung im institutionellen Kontext und auch im Alltag.

Nach der Euromaidan-Revolution von 2014, die stärker national gesinnte Politiker an die Macht brachte, und nach der russischen Aggression, die viele Ukrainer dazu bewegte, sich der ukrainischen Sprache als wichtigem Teil der nationalen Geschlossenheit stärker zuzuwenden, wurde die Einführung des Ukrainischen in vielen gesellschaftlichen Bereichen nachdrücklicher und entschlossener betrieben. Nach dem Beginn der großflächigen Invasion Russlands im Februar 2022 verstärkte sich diese Zuwendung noch einmal deutlich, indem Millionen Ukrainer nun anfingen, Russland und alles Russische zu hassen, wozu für viele auch die russische Sprache gehört.

Die Ergebnisse einer landesweiten Umfrage des Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS) vom Dezember 2022 zeigen eine hauptsächlich ukrainischsprachige Ukraine, wobei die Sprachenvorlieben sich in den verschiedenen Landesteilen weniger unterscheiden als zu jedem anderen Zeitpunkt seit Beginn der Umfragen Anfang der 1990er Jahre. Ein Vergleich der Ergebnisse der KIIS-Umfragen aus dem letzten Jahrzehnt zeigt für den Gebrauch des Ukrainischen in den Jahren nach Euromaidan und russischer Invasion auf der Krim und im Donbas ein langsames Wachstum und nach der großflächigen Invasion von 2022 einen weiteren, diesmal enorm starken Anstieg.

Die Umfragen

Bevor ich die Ergebnisse der Umfragen diskutiere, einige Worte vorab über deren Konzeption. Alle Umfragen, auf die ich mich beziehe, haben eine Stichprobengröße von 2.000 Befragten. Die Umfragen von 2012, 2014 und 2017 wurden als Face-to-Face-Interviews durchgeführt, die letzte Umfrage fand während des großflächigen Kriegs von 2022 statt und basiert auf computergestützten Telefoninterviews (CATI). Weil die Krim aufgrund ihrer Annexion durch Russland und Teile des Donbas wegen deren Besetzung durch Stellvertreter Russlands für ukrainische Soziologen nach 2014 nicht mehr zugänglich waren, habe ich Befragte aus diesen Regionen auch aus den früheren Befragungen ausgeschlossen, um die Ergebnisse vergleichbar zu machen. Leider konnte ein ähnliches Vorgehen nicht angewendet werden, um die ersten drei Umfragen vollständig mit der von 2022 vergleichbar zu machen. Diese bezieht sich auf das gesamte von der ukrainischen Regierung kontrollierte Territorium vor der großflächigen Invasion, wobei nur ein kleiner Teil der Befragten in den neu besetzten Gebieten im Osten und Süden und gar keine ins Ausland geflüchteten Ukrainer erreicht wurden. Die Daten sämtlicher Umfragen wurden jedoch gewichtet, damit die Anteile der verschiedenen Regionen und demografischen Kategorien der Struktur der ukrainischen Gesamtbevölkerung entsprechen.

Sprachengebrauch laut Angaben in den Umfragen

In mehreren KIIS-Umfragen zwischen 2012 und 2022 wird gefragt, in welcher Sprache die Befragten "im Alltag hauptsächlich kommunizieren", wobei keine Kommunikationspraxis priorisiert abgefragt wird. Grafik 1 und Tabelle 1 zeigen die Ergebnisse der verschiedenen Jahre, wobei zwischen den Angaben, hauptsächlich Ukrainisch, hauptsächlich Russisch oder beide Sprachen gleichermaßen zu sprechen, unterschieden wird (nicht abgebildet sind einige Prozent, die andere Sprachen nannten). Wegen der bekannten Unterschiede im Sprachengebrauch in verschiedenen Teilen der Ukraine stelle ich die Ergebnisse nicht nur für das ganze Land, sondern auch für seine drei verschiedenen Makroregionen dar (Osten und Süden behandle ich als eine Region, nicht zuletzt weil sich die Soziologen uneins sind, wo die Grenze zwischen beiden zu ziehen ist). Außerdem sollte nicht vergessen werden, dass die Gliederung nach Regionen, die der Analyse in diesem Artikel zugrunde liegt, sich auf die Wohnorte der Befragten vor der großflächigen Invasion bezieht; denn indem Menschen, die aus gefährlicheren Regionen in sicherere Landesteile geflohen sind, den Regionen zugeordnet werden, in denen ihr dauerhafter Wohnsitz liegt, wird der Vergleich der regional gegliederten Umfragen aussagekräftiger.

Diese Zahlen zeigen, dass die russische Intervention von 2014 die landesweite Verteilung der Alltagssprachen nicht verändert hat und dass der großflächige Krieg von 2022 die Verteilung dagegen massiv zugunsten des Ukrainischen verschoben hat. Eine leichte Abwendung vom Russischen gab es tatsächlich schon zwischen 2014 und 2017. Anschließend stieg der Anteil derer, die beide Sprachen gleichermaßen sprachen, während sich der Anteil derjenigen, die hauptsächlich Ukrainisch sprachen, kaum veränderte. Von 2017 bis 2022 fand dagegen eine massive Verschiebung vom Russischen zum Ukrainischen statt, die ganz eindeutig mit dem Krieg zu tun hat, von dem praktisch alle ukrainischen Bürger betroffen waren, wenn auch in sehr unterschiedlichem Maße.

Die regionale Darstellung zeigt verschiedene Dynamiken in verschiedenen Landesteilen. Während im Westen schon vor 2014 ganz überwiegend Ukrainisch gesprochen wurde und sich der Sprachengebrauch dort nach 2014 nicht signifikant verändert hat, fand im Osten und Süden des Landes eine allmähliche Verschiebung vom Russischen zum Ukrainischen statt, mit einem Zwischenstadium, für das angegeben wurde, beide Sprachen gleichviel zu sprechen. Besonders beeindruckend war der Wandel in dieser Makroregion zwischen 2017 und 2022, da er sich in diesem Zeitraum auf die Sprachenverteilung der gesamten Ukraine auswirkte. Bemerkenswert ist auch, dass die Bewohner der Zentralukraine als Reaktion auf Euromaidan und russische Intervention von 2014 zunächst nicht angaben, weniger, sondern mehr Russisch zu sprechen, während sie später zu den Werten von vor dem Maidan zurückkehrten und 2022 dann eine kleine, aber signifikante Hinwendung zum Ukrainischen zeigten.

Sprachengebrauch, praktiziert in den Umfragen

Das Ergebnis, dass der Anteil des Ukrainischen im Osten und Süden derzeit nicht unter dem des Russischen liegt, widerspricht ganz offensichtlich der beobachtbaren soziolinguistischen Realität in diesen Regionen, in denen das Russische lange dominiert hat – weshalb kaum zu erwarten ist, dass es über einen Zeitraum von wenigen Monaten zurückgeht. Das führt uns zu der Annahme, dass die angegebenen Sprachpräferenzen nicht unbedingt das tatsächliche Verhalten der Befragten widerspiegeln, sondern vielmehr zeigen, den Gebrauch welcher Sprache sie für angemessen halten. In der Wissenschaft wurde viel darüber diskutiert, dass Antworten in Umfragen von der sogenannten Verzerrung durch soziale Erwünschtheit beeinflusst sein können, also durch die Tendenz der Befragten, Antworten zu geben, von denen sie glauben, dass andere sie gutheißen. Es gibt Gründe anzunehmen, dass diese Verzerrung in Kriegszeiten und während der sie begleitenden Mobilisierung größer als in ruhigeren Zeiten ist. Um sie zu berücksichtigen, haben Wissenschaftler einige experimentelle Techniken entwickelt, die in den Umfragen, auf die ich mich beziehe – und die nur einfache geschlossene Fragen beinhalten –, jedoch nicht eingesetzt wurden. Das KIIS verfügt allerdings über eigene Wege, um den Befragten ihre Sprachenpräferenzen zu entlocken, ohne sie direkt abzufragen.

Die erste dieser Techniken soll zeigen, welche der beiden Hauptsprachen – Ukrainisch oder Russisch – der Befragte für die Interaktion mit einem bilingualen und zuvorkommenden Interviewer bevorzugt. Die Sprache, für die die Befragten angeben (oder signalisieren), sich mit ihr wohler zu fühlen, muss natürlich nicht die sein, die sie tatsächlich besser oder öfter sprechen; auch hier spielen Überlegungen zur sozialen Erwünschtheit eine Rolle, die die Befragten die Sprache wählen lässt, die ihnen am angemessensten für diese Art der Interaktion scheint – wobei sie natürlich keine Sprache wählen können, in der sie gar nicht bewandert sind. Außerdem müssen sie eine klare Entscheidung für eine Sprache treffen – anders als bei ihren Angaben zum Alltagsgebrauch, wo sie auf die uneindeutige Option "Ukrainisch und Russisch gleichermaßen" zurückgreifen können. Die Verteilung der für die Umfrage gewählten Sprache in bestimmten Gruppen wie in der gesamten Stichprobe zeigt einerseits die Kompetenz der Befragten für die Sprachen und andererseits deren Auffassung von der Angemessenheit der Sprachen für eine halböffentliche Kommunikation; so wird das Kräfteverhältnis der Sprachen in der jeweiligen Bevölkerung deutlich.

Grafik 2 und Tabelle 2 zeigen, welche Sprache in den Befragungen von 2014 und 2022 für die Durchführung gewählt wurde; anhand dieser Daten kann die Sprachensituation in der Ukraine zu Beginn der zwei Militärinterventionen auf andere Weise verglichen werden. Sie zeigen eine sogar noch stärkere Veränderung als die Angaben zur im Alltag gesprochenen Sprache, vor allem für den Osten und Süden, wo nun hauptsächlich Ukrainisch statt Russisch gewählt wird. In dieser Hinsicht hat sich diese Region den anderen beiden Makroregionen also angenähert.

Zudem wählten die Befragten Ukrainisch nicht nur zu Beginn ihrer Interaktion mit den Interviewern aus, sondern sprachen in den meisten Fällen im Verlauf der Befragung auch tatsächlich Ukrainisch. Als weitere Technik zur Erfassung der Sprachenvorlieben dokumentiert das KIIS nämlich, welche Sprache bei der Befragung dann tatsächlich gesprochen wurde, sodass eventuell auch Unfähigkeit oder Unwillen, die anfangs gewählte Sprache zu sprechen, erfasst werden. Außerdem halten die Interviewer nicht nur fest, inwieweit eine bestimmte Sprache durchgängig gesprochen wird, sondern dokumentieren gegebenenfalls auch den deutlichen Mix beider Sprachen. 2014 blieben 47,7 Prozent der Befragten wie angekündigt beim Ukrainischen, 49,8 Prozent blieben beim Russischen und 11,5 Prozent mischten Elemente beider Sprachen, wobei der Anteil der Sprachmixer in der Zentralukraine am höchsten war (15,1 Prozent). 2022 stieg der Anteil derjenigen, die durchgängig Ukrainisch sprachen, auf 73,7 Prozent, während der Anteil der russischsprechenden Befragten auf 12,7 Prozent fiel und damit ungefähr so groß war wie derjenige der Sprachmixer – der bei 13,7 Prozent lag. Diesmal war der Sprachenmix im Osten und Süden besonders häufig (22,0 Prozent), vermutlich weil sich viele bislang hauptsächlich russischsprachige Menschen mit dem "politisch korrekten" Ukrainisch nun sehr schwertun.

Sprachengebrauch in bestimmten Situationen

Alle Erhebungen fragen den alltäglichen Sprachengebrauch nicht nur generell, sondern auch für bestimmte Situationen der Alltagskommunikation ab. Die Umfrage von 2022 fragt nach drei solchen Situationen, sodass ein Vergleich mit früheren Jahren nur für diese drei Situationen möglich ist. Grafik 3 und Tabelle 3 zeigen die Angaben zum Sprachengebrauch zuhause, bei der Arbeit und beim Lesen im Internet, wobei die gleichen drei Optionen wie bei den Angaben zum allgemeinen Sprachengebrauch verwendet werden (Ukrainisch – beides – Russisch). Zugunsten der Vergleichbarkeit wurden diejenigen Befragten aus der Wertung herausgenommen, die angaben, nicht in den entsprechenden Situationen zu sein (z. B. nicht zu arbeiten).

Die Zahlen zeigen, dass die Dynamik des Sprachengebrauchs in allen drei Situationen der des allgemeinen Sprachengebrauchs ähnelt: wenig Veränderung 2014, eine deutliche Abwendung vom Russischen bis zum angeblich gleichhäufigen Gebrauch beider Sprachen bis 2017 sowie eine starke Abwendung vom Russischen und von der Zweisprachigkeit und eine Hinwendung zum Ukrainischen 2022.

Gleichzeitig zeigen die Daten für sämtliche Jahre erhebliche Unterschiede zwischen den drei Situationen. Besonders aussagekräftig sind diese Unterschiede, da für ähnliche Fragen innerhalb einer Umfrage von einer etwa gleichstarken Verzerrung durch Annahmen zur sozialen Erwünschtheit ausgegangen werden kann. Am wichtigsten ist vielleicht, dass Ukrainisch vor 2022 beim Arbeiten weniger gesprochen wurde als zuhause, denn das bedeutet, dass ukrainischsprachige Menschen öfter ins Russische wechseln mussten als Russischsprachige ins Ukrainische – was nicht vereinbar ist mit der von russischer Seite häufig vorgetragenen Behauptung einer angeblich gewaltsamen Ukrainisierung. 2022 ist der Anteil des Ukrainischen bei der Arbeit dagegen sogar höher als in den Familien, hauptsächlich wegen der Einführung eines neuen Sprachengesetzes 2019, das die ukrainische Sprache in allen gesellschaftlichen Bereichen verpflichtend vorschreibt und so viele Menschen, die in staatlichen Einrichtungen, aber auch in privaten Unternehmen arbeiten, dazu gezwungen hat, es regelmäßig zu sprechen. Die neue Rolle des Ukrainischen als Hauptsprache in der Öffentlichkeit führte später dazu, dass die Sprache noch eine weitere Rolle übernehmen konnte, indem sie zur Sprache des Widerstands gegen die groß angelegte russische Aggression wurde: Viele Menschen, die dem Aggressor zum Trotz Ukrainisch sprechen wollten, fanden eine Umgebung vor, in der sie das konnten.

Bemerkenswert ist auch der deutlich seltenere aktive Gebrauch des Ukrainischen im Internet, wo es üblich war, entweder Russisch oder beide Sprachen zu nutzen, denn in diesem transnationalen Netzwerk gab es viel mehr russisches als ukrainisches Material. Inzwischen ist Russisch nicht mehr vorherrschend und es scheint häufiger hauptsächlich Ukrainisch genutzt zu werden als beide Sprachen gleichermaßen. Unter anderem geht das darauf zurück, dass viele beliebte Websites aufgrund des Sprachengesetzes von 2019 vom Russischen ins Ukrainische gewechselt haben oder in beiden Sprachversionen verfügbar sind. Wie bereits erläutert ist dabei nicht klar, inwieweit die Angaben zum Gebrauch des Ukrainischen aufgrund von Annahmen zur sozialen Erwünschtheit übertrieben wurden. Erwähnenswert ist außerdem, dass die Ukrainer zur Rezeption von Material im Internet neben den beiden Hauptsprachen zunehmend auch andere Sprachen nutzen – vor allem natürlich Englisch –, wobei der Anteil anderer Sprachen unter den wohlhabendsten Menschen mit hohem Bildungsgrad am größten ist.

Zusammenfassung

Zweifellos ändert sich der Sprachengebrauch der ukrainischen Bevölkerung derzeit tiefgreifend. In den meisten öffentlichen Bereichen und im Alltag der meisten Menschen entwickelt sich das Ukrainische zur Hauptsprache. Selbst im traditionell russischsprachigen Osten und Süden des Landes haben viele Menschen auf die großflächige Invasion Russlands von 2022 mit einem Sprachenwechsel ins Ukrainische reagiert, in privaten und / oder öffentlichen Gesprächen. Und viele weitere, deren Hauptsprache immer noch Russisch ist, sprechen nun häufiger Ukrainisch. So werden diese Regionen dem Zentrum und dem Westen ähnlicher, was eine größere Einheit und Resilienz der ukrainischen Nation bewirkt. Dennoch bleibt unklar, wie groß das Ausmaß des Sprachenwechsels tatsächlich ist, da eben ungewiss ist, wie ehrlich die Umfrage beantwortet wurde. Es ist anzunehmen, dass einige Menschen unabsichtlich eher ihre Wunschvorstellung angeben als die reale Situation zu schildern und dass einige absichtlich Gewohnheiten verfälschen, die im Kontext des Krieges "politisch unkorrekt" geworden sind.

Welche Folgen die momentanen Aussagen für den tatsächlichen Sprachengebrauch der Menschen haben werden, hängt von verschiedenen Faktoren ab – von der ukrainischen Politik, der Sensibilität der ukrainischsprachigen Bürger gegenüber den Schwierigkeiten und Schmerzen, die ein radikaler Sprachenwechsel für ihre (vormals) russischsprachigen Landsleute mit sich bringt, und von Dauer und Ausgang des russisch-ukrai­nischen Kriegs.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt

Danksagung

Ich bin den Streitkräften der Ukraine dankbar, unter deren Schutz ich während der russischen Aggression in Kyjiw an diesem Text arbeiten konnte, außerdem dem Hanse-Wissenschaftskolleg, dessen Fernstipendium meine produktive Arbeit ermöglichte. Mein Dank geht außerdem an die Shevchenko Scientific Society in den USA, an den Europarat, das Kule Institute for Advanced Studies und das Canadian Institute of Ukrainian Studies (beide an der University of Alberta) für die finanzielle Unterstützung der Umfragen, die ich beim Kyjiwer Internationalen Institut für Soziologie im Februar 2012, September 2014, Mai 2017 und Dezember 2022 in Auftrag gegeben habe.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dominique Arel, "Language Politics in Independent Ukraine: Towards One or Two State Languages?" Nationalities Papers, Band 23, Nr. 3, 1995, S. 597–622; Volodymyr Kulyk, Revisiting a Success Story: Implementation of the Recommendations of the OSCE High Commissioner on National Minorities to Ukraine, 1994–2000, Hamburg, 2002; Juliane Besters-Dilger (Hg.), Language Policy and Language Situation in Ukraine: Analysis and Recommendations, Frankfurt am Main, 2009.

  2. Für Untersuchungen zu Umfragen aus den 2000er und 2010er Jahren siehe Volodymyr Kulyk, "The Demography of Language Practices and Attitudes in Ukraine", Harvard Ukrainian Studies, Band 29, Nr. 1-4, 2007, S. 295–326; Oleksandr Wyschnjak, Mowna sytuazija ta status mow w Ukrajini: Dynamika, problemy, perspektywy (soziolohitschnyj analis), Kyiv, 2009; Volodymyr Kulyk, "Shedding Russianness, recasting Ukrainianness: the post-Euromaidan dynamics of ethnonational identifications in Ukraine," Post-Soviet Affairs, Band 34, Nr. 2-3, 2018, S. 119–138.

  3. Für eine ausführliche Diskussion der Herausforderungen und Fallstricke im Rahmen von Umfragen zur öffentlichen Meinung in der Ukraine zu Kriegszeiten siehe Ukraine-Analysen 278 (Externer Link: https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/278/).

  4. Gerard Toal: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild?, Ukraine-Analysen 278, 15.02.2023, Externer Link: https://www.laender-analysen.de/ukraine-analysen/278/meinungsumfragen-in-der-ukraine-zu-kriegszeiten-zeigen-sie-uns-das-ganze-bild/.

  5. Volodymyr Kulyk, "Die Sprache des Widerstands: Der Krieg und der Aufschwung des Ukrainischen", Osteuropa, Band 72, Nr. 6-8, 2022, S. 237–248.

  6. Volodymyr Kulyk, "Wes Lied ich hör' … Ukraine: Sprachpolitik und Mediennutzung", Osteuropa, Nr. 9-10, 2017, S. 59–73.

Weitere Inhalte

ist leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institute of Political and Ethnic Studies an der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine. Er ist Autor von vier Büchern und zahlreichen Artikeln sowie Buchkapiteln auf Ukrainisch, Englisch, Deutsch und in anderen Sprachen zu Sprachenpolitik und ethnonationaler Identität in der Ukraine.