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Analyse: Freund oder Feind? Die ukrainisch-ungarischen Beziehungen nach der russischen Vollinvasion | Ukraine-Analysen | bpb.de

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Analyse: Freund oder Feind? Die ukrainisch-ungarischen Beziehungen nach der russischen Vollinvasion Ukraine-Analysen Nr. 302

Dmytro Tuschanskyj

/ 11 Minuten zu lesen

Zwischen Ungarn und der Ukraine gibt es seit Jahren diplomatische Spannungen und die Beziehungen gelten als kompliziert

Am 2. Juli 2024 reiste der ungarische Premierminister Viktor Orban erstmals seit Februar 2022 zu Gesprächen mit Wolodymyr Selenskyj nach Kyjiw. (© picture-alliance, NurPhoto | STR)

Zusammenfassung

Seit 2017 kriselt es in den ukrainisch-ungarischen Beziehungen. Die diplomatischen Spannungen zwischen Kyjiw und Budapest setzten mit der Frage um die Rechte der ungarischen Minderheit in der Ukraine ein, haben sich aber nie nur auf diese Frage beschränkt. Die Rechte der ungarischen Minderheit scheinen außerdem eher ein Vorwand als eine Ursache zu sein. Jedes Mal, wenn die ukrainisch-ungarischen Beziehungen einen neuen Tiefpunkt erreichten, folgten weitere Eskalationen, die die Beziehungen abermals verschlechterten, wodurch sich die Krise weiter verschärfte. Die westliche Unterstützung der Ukraine gegen die russische Aggression und der Beginn des EU-Beitrittsprozesses haben jedoch die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sich die ukrainisch-ungarischen Beziehungen normalisieren könnten. In diesem Artikel werden die wichtigsten Entwicklungen der ukrainisch-ungarischen Beziehungen seit Herbst 2021 analysiert.

Herausgeber der Länderanalysen

Die Ukraine-Analysen werden von der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V., dem Deutschen Polen-Institut, dem Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien, dem Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung und dem Zentrum für Osteuropa- und internationale Studien (ZOiS) gGmbH gemeinsam herausgegeben. Die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb veröffentlicht die Analysen als Lizenzausgabe.

Die Illusion einer Normalisierung vor der russischen Invasion

Während Wladimir Putin 2021 den Einmarsch in die Ukraine vorbereitete, schienen die ukrainisch-ungarischen Beziehungen – überraschenderweise nach Jahren der Spannungen – in eine Phase der Normalisierung einzutreten. Kyjiw und Budapest schienen kurz vor einem Kompromiss in der umstrittenen Frage der Bildung für die ungarische Minderheit zu stehen. Genau dieses Thema war der Auslöser für die ukrainisch-ungarischen Verstimmungen im September 2017, als die Ukraine ein neues Bildungsgesetz verabschiedete, das seither von ungarischer Seite kritisiert wird.

In den ersten neun Monaten des Jahres 2021 fanden drei Sitzungen der ressortübergreifenden Arbeitsgruppe für Bildung statt. Die Außenminister Dmytro Kuleba und Péter Szijjártó reisten (trotz der fehlenden "Chemie" zwischen ihnen) gemeinsam in den Donbas und riefen zum Frieden auf. Die Regierungen beider Länder bereiteten die Wiederaufnahme der zwischenstaatlichen Kommission für nationale Minderheitenrechte vor, die seit fast 10 Jahren nicht mehr getagt hatte. Hintergrund war, dass 2022 die – im ukrainischen Bildungsgesetz von 2017 – vorgesehene fünfjährige Übergangszeit auslief und es wichtig war, herauszufinden, wie die ethnischen Ungarn in Transkarpatien, wo etwa 100.000 von ihnen leben, ausgebildet werden sollten. Zweitens waren beide Seiten erschöpft von den vorangegangenen Jahren der Konfrontation, und suchten in diesem Moment eine Deeskalation: Viktor Orbán befand sich mitten im innenpolitischen Wahlkampf, den er unter dem Motto "Schutz der ungarischen Familien und Kinder vor LGBTQ+" führte, während Wolodymyr Selenskyjs Priorität auf der militärischen und diplomatischen Eskalation Russlands lag.

Drittens gelangte das Bildungsportfolio plötzlich in die Hände entpolitisierter und professionalisierter Kreise auf beiden Seiten. Viertens übten internationale Partner, vor allem über die NATO, Druck auf Ungarn aus, die Beziehungen zur Ukraine endlich zu normalisieren, während Russland mit der Vorbereitung seiner Invasion und der Erpressung des Westens beschäftigt war, anstatt die ukrainisch-ungarischen Spannungen weiter zu schüren. Die Normalisierung der ukrainisch-ungarischen Beziehungen endete jedoch, wie schon so oft, in einer erneuten Eskalation.

Am 27. September 2021 unterzeichnete Ungarn in Budapest einen neuen 15-jährigen Liefervertrag mit Gazprom. Dem Vertrag nach sollte Ungarn jährlich 4,5 Milliarden Kubikmeter Gas aus Russland erhalten, was etwa der Hälfte des Gesamtbedarfs des Landes entspricht. Das Gas sollte nun allerdings nicht wie bisher über die Ukraine (die finanziell vom Gastransit profitierte) nach Ungarn fließen, sondern unter Umgehung der Ukraine über Österreich und vor allem Serbien, als Fortsetzung von TurkStream. Aus heutiger Perspektive sind die Motive Russlands mehr als offensichtlich.

Ungarn unterzeichnete diesen Vertrag zwei Tage vor der geplanten Sitzung der ukrainisch-ungarischen Regierungskommission für wirtschaftliche Zusammenarbeit unter dem Vorsitz der Außenminister Péter Szijjártó und Dmytro Kuleba. Es war vorhersehbar, dass die ukrainische Seite, die zu diesem Zeitpunkt von ihren westlichen Partnern bereits gewarnt worden war, sie solle schon einmal "Schützengräben ausgraben", eine Demarche ankündigte und die Europäische Kommission aufforderte, den ungarischen Vertrag mit Gazprom zu überprüfen.

Russland nutzte die Gunst der Stunde und führte zwischen September und Dezember 2021 gleich mehrere hybride Operationen in der Ukraine und in Ungarn durch. Der entscheidende Unterschied zu früher war, dass Russland dieses Mal nicht mehr Themen wie Minderheitenrechte oder Separatismus zur Destabilisierung aufgriff, sondern das Szenario einer militärischen Konfrontation zwischen der Ukraine und Ungarn aus ethnischen Gründen provozierte. Also genau das Thema, das Russland sowohl 2014 als auch 2022 als Deckmantel für seine Aggression gegen die Ukraine nutzte.

Die russischen Kampagnen, die zwischen September und Dezember 2021 sowohl im ukrainischen als auch im ungarischen Informationsraum stattfanden, basierten auf zwei Narrativen:

  1. Die Ukraine will versuchen, sich an Ungarn für den neuen Gasdeal mit Gazprom zu rächen, indem sie Druck auf die ungarische Gemeinschaft in Transkarpatien ausübt, bis hin zu "ethnischen Säuberungen"

  2. Ungarn hat beschlossen, seine Truppen aus dem Westen in den Osten des Landes an die Grenze zur Ukraine zu verlegen und ist bereit, zum Schutz der ungarischen Minderheit in Transkarpatien Spezialkräfte einzusetzen

Die Lage wurde dadurch angeheizt, dass Wladimir Putin am 18. November Péter Szijjártó mit dem Orden der Freundschaft auszeichnete und Viktor Orbán am 1. Februar 2022 nach Moskau reiste, um sich mit Wladimir Putin zu treffen.

So erreichten die ukrainisch-ungarischen Beziehungen am Vorabend der russischen Vollinvasion einen neuen Tiefpunkt – doch dieser sollte noch weiter sinken.

Russlands Desinformationskampagne wirkt: Die Ukraine befürchtet eine Invasion aus dem Westen

Noch bevor russische Truppen in der Nacht zum 24. Februar 2022 die ukrainische Grenze überschritten, kam es zu einer weiteren Eskalation in den ukrainisch-ungarischen Beziehungen. Auslöser war am 22. Februar 2022 die Erklärung des ungarischen Verteidigungsministers Tibor Benkő über die tatsächliche Verlegung ungarischer Truppen an die Grenze zur Ukraine, nachdem Putin die Unabhängigkeit der "Volksrepubliken" Luhansk und Donezk anerkannt hatte.

In der Ukraine wurde diese Nachricht von vielen als Vorbereitung Ungarns auf eine Militäroperation gegen die Ukraine wahrgenommen, insbesondere eine Intervention in Transkarpatien – so wie es die russische Propaganda seit Jahren und insbesondere im Vorfeld der Invasion erklärt hatte.

Darüber hinaus wurden am Tag der Vollinvasion am 24. Februar Fake-News über anonyme Telegram-Kanäle und soziale Medien verbreitet, dass einige ungarischsprachige Gemeinden im Bezirk Berehowe in der Region Transkarpatien ein Referendum über den Beitritt zu Ungarn abhalten wollen. Diese Desinformationen wurden vom Vorsitzenden der Ungarischen Demokratischen Union der Ukraine, László Zubánics, widerlegt. Auch der internationale Sprecher der ungarischen Regierung, Zoltán Kovács, wies diese Meldungen am 25. Februar zurück und bezeichnete sie als Provokation. Es gab und gibt keine faktischen Beweise für Versuche, ein solches Referendum abzuhalten, und die ungarische Gemeinschaft in der Ukraine und der Region Transkarpatien sowie die Regionalverwaltung betonen, dass nichts dergleichen geplant gewesen sei.

Zwischen Eskalation und der Illusion einer vermeintlichen neuen Entspannungspolitik

Obwohl es viele Spekulationen über diesen Plan gab, war der ungarische Premierminister zur damaligen Zeit mit anderen Dingen beschäftigt. In Ungarn fanden Parlamentswahlen statt, und zum Zeitpunkt der russischen Invasion war der Wahlkampf in vollem Gange. Dabei waren Orbán und sein Team sich ihres Sieges nicht hundertprozentig sicher.

Noch vor dem ungarischen Urnengang am 3. April verabschiedete die EU vier Sanktionspakete gegen Russland, und Ungarn unterstützte sie alle. Viktor Orbán und sein Team erklärten jedoch, dass sie keine Waffenlieferungen für die Ukraine über ungarisches Hoheitsgebiet zulassen würden, da dies "Ungarn in den Krieg hineinziehen würde".

Am Vorabend der Wahl wandte sich Wolodymyr Selenskyj zweimal an Orbán und kritisierte ihn für seine Unterstützung Russlands sowie die mangelnde Bereitschaft, der Ukraine zu helfen. Als Reaktion darauf beschuldigten Szijjártó und Orbán die Ukraine der Einmischung in die bevorstehenden Wahlen. Dies sind nur einige von vielen weiteren Episoden gegenseitiger politischer Anschuldigungen in dieser Zeit.

Unter diesen Bedingungen war es schwer vorstellbar, dass Ungarn im Juni 2022 die Gewährung des Kandidatenstatus für die Ukraine unterstützen würde. Aber letztlich tat Viktor Orbán genau das, der ungarischen Logik folgend.

Nachdem die Europäische Kommission am 17. Juni 2022 die Empfehlung ausgesprochen hatte, der Ukraine den EU-Kandidatenstatus zu verleihen, kam der Europäische Rat dieser Empfehlung am 23. Juni nach. Bereits am 21. Juni wurde nach einem Telefongespräch zwischen Selenskyj und Orbán jedoch klar, dass Ungarn kein Veto einlegen würde.

Zusammen mit dem Kandidatenstatus erhielt die Ukraine eine Liste von "Hausaufgaben" mit 7 Reformbedingungen. Wie erwartet, war eine der sieben Forderungen, den Rechtsrahmen für nationale Minderheiten gemäß den Empfehlungen der Venedig-Kommission zu ändern und sofortige und wirksame Umsetzungsmechanismen zu beschließen. Auf diese Weise konnte Orbán weiterhin seinen Einfluss geltend machen.

Bis Ende 2022 herrschte eine relative Ruhe in den ukrainisch-ungarischen Beziehungen, und sogar die Illusion eines neuen "Tauwetters" kaum auf. Allerdings hatten weder die ukrainische noch die ungarische Seite den Wunsch, die Beziehungen wirklich zu normalisieren, und es herrschte Funkstille. Orbán wartete geduldig und behielt sein Druckmittel bei, während Selenskyj sich mit der ukrainischen Gegenoffensive beschäftigte.

Zu einer erneuten Eskalation kam es Anfang 2023, als Ungarn versuchte, neun russische Oligarchen von der EU-Sanktionsliste streichen zu lassen, und Viktor Orbán die Ukraine als "Niemandsland" und "neues Afghanistan" bezeichnete. Darüber hinaus kam es im Juni 2023 zu weiteren Spannungen zwischen Kyjiw und Budapest, als bekannt wurde, dass Russland unter dem Deckmantel des "überkonfessionellen Dialogs" elf ukrainische Kriegsgefangene mit angeblich ungarischer Herkunft an Ungarn übergeben hatte. Dies geschah ohne jegliche Beteiligung und ohne Benachrichtigung der Ukraine.

m August 2023 trafen sich Selenskyj und Ungarns Präsidentin Katalin Novák nach monatelangen Anläufen schließlich in Kyjiw. Beide Seiten berichteten, dass das Treffen sehr gut verlaufen sei. Zuvor hatte Novák der Ernennung von Fedir Shandor zum neuen ukrainischen Botschafter in Ungarn zugestimmt. Wenige Monate vor dem EU-Gipfel im Dezember, auf dem die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine beschlossen werden sollte, schien es wieder einmal, dass sich die ukrainisch-ungarischen Beziehungen normalisieren könnten. Aber es war erneut bloß eine Illusion.

Der historische EU-Gipfel

Anfang November 2023, etwa einen Monat vor dem EU-Gipfel, startete das Team von Viktor Orbán einen weiteren Diskreditierungsversuch: Nachdem die Europäische Kommission die Aufnahme von Verhandlungen mit der Ukraine empfohlen hatte, erklärte Budapest, die Ukraine habe die Bedingungen für die Aufnahme von Verhandlungen nicht erfüllt, sei völlig korrupt und daher auch nicht bereit für die EU-Mitgliedschaft. Stattdessen könne sie nur mit einer "privilegierten Partnerschaft" rechnen, was immer das auch bedeutete.

Ende November traf EU-Ratspräsident Charles Michel unerwartet in Kyjiw ein, und reiste von dort unmittelbar weiter nach Budapest, um Orbán zu treffen. Anfang Dezember brach Michel seinen China-Besuch vorzeitig ab und Emmanuel Macron lud Orbán nach Paris ein – alles wegen Orbáns Drohungen, ein Veto gegen die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Ukraine einzulegen.

Am 8. Dezember 2023 verabschiedete die Werchowna Rada Änderungen an sieben Gesetzen, die alle wichtigen Empfehlungen der Venedig-Kommission erfüllten und somit die entscheidende Hürde für Ungarn aus dem Weg räumten. Die wichtigste Änderung bestand darin, dass die Ukraine der ungarischen Minderheit zugestand, in der Schule in ihrer Muttersprache zu lernen (mit Ausnahme der vier Fächer ukrainische Sprache, ukrainische Literatur, ukrainische Geschichte und Verteidigung der Ukraine, die in der Staatssprache unterrichtet werden sollten).

Kurz vor dem EU-Gipfel schrieben zudem die Führer der ungarischen Gemeinschaft in der Ukraine einen gemeinsamen Brief an Viktor Orbán, in dem sie diesen aufforderten, die Aufnahme von Verhandlungen mit der Ukraine nicht zu blockieren. Dies war eine Zäsur in den ukrainisch-ungarischen Beziehungen, da sich die ungarische Community gegen Orbán positionierte.

Am 14. Dezember 2023 beschlossen die Staats- und Regierungschef:innen der Europäischen Union auf dem EU-Gipfel in Brüssel, Beitrittsgespräche mit der Ukraine aufzunehmen. Diese Entscheidung, die einstimmig getroffen werden musste, ging aus mehreren Gründen in die Geschichte ein. Einer davon ist, dass Viktor Orbán während der Abstimmung den Raum verließ – die einen sagen, unter dem Vorwand, einen Kaffee zu trinken, die anderen, um auf die Toilette zu gehen.

Ursprünglich war Orbán mit dem klaren Ziel nach Brüssel gekommen, Veto gegen die Aufnahme von EU-Beitrittsgesprächen mit der Ukraine einzulegen. Selenskyj und sein Team rechneten damit, obwohl die Ukraine die "Hausaufgaben", inklusive der Änderungen zum Schutz der Minderheitenrechte, gemacht hatte.

Doch dank eines gut koordinierten Zusammenspiels von Olaf Scholz, Emmanuel Macron und Giorgia Meloni als "good cop, bad cop" gelang es schließlich – aufgrund von Orbáns erwähnter Abstinenz – die Aufnahme von EU-Verhandlungen mit der Ukraine zu beschließen. Auch bei der nächsten kritischen EU-Entscheidung für die Ukraine, nämlich die Bereitstellung von 50 Milliarden Euro an Hilfsgeldern auf dem EU-Gipfel im Januar 2024, stellte Orbán sich letztlich nicht quer. Gleichzeitig beharrt Budapest weiterhin darauf, dass die Rechte der ungarischen Minderheit in der Ukraine nach wie vor unterdrückt werden. So legte Außenminister Péter Szijjártó in diesem Zusammenhang bei seinem Besuch in der Ukraine im Januar 2024 eine neue Liste mit elf Forderungen an die Ukraine vor.

Im Juni 2024 blockierte Ungarn im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität (EFF) erneut rund 9 Mrd. Euro für die Ukraine, wobei es dieses Mal nicht die "ethnische Karte" ausspielte, sondern eine angebliche "Hexenjagd" gegen ungarische Unternehmen in der Ukraine beklagte. Zudem kündigte Budapest an, dass es die Aufnahme des EU-Verhandlungsrahmens wegen der Frage der nationalen Minderheiten blockieren werde, was es letztlich jedoch nicht tat, nachdem es zuvor zwischen Kyjiw und Budapest hinter verschlossenen Türen aktive Konsultationen sowie ein "langes und aufschlussreiches" Telefonat zwischen Selenskyj und Orbán gegeben hatte. Und am zweiten Tag der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft reiste Orbán am 2. Juli überraschend (und erstmals seit Beginn der russischen Invasion) nach Kyjiw, wo er sich konstruktiv über die Fortschritte der Ukraine bei der Gewährung von Rechten für die ungarische Minderheit äußerte und seine Bereitschaft zur Unterzeichnung eines bilateralen Abkommens mit der Ukraine bekundete – was in das komplexe Gesamtbild der ukrainisch-ungarischen Beziehungen passt.

Fazit

Seit 2017 befinden sich die ukrainisch-ungarischen Beziehungen in einer tiefen Krise. Die Rechte der ungarischen Minderheit in der Ukraine sind ein Vorwand und ein Auslöser für diese Krise, aber nicht die Ursache. Die Ursache resultiert vielmehr aus der Vernachlässigung der ukrainisch-ungarischen Beziehungen von beiden Seiten und der Unfähigkeit, Probleme auf bilateraler Ebene zu lösen. Weder Ungarn noch die Ukraine haben eine umfassende Strategie und Politik für die jeweils andere Seite.

Orbán hat die Krise schnell instrumentalisiert, zuerst in Zusammenhang mit der NATO, den USA und Russland, und jetzt vor allem mit der EU, Russland und China, indem er die Ukraine als Verhandlungsmasse und für Erpressungsversuche ausnutzt. So versuchte er, die Ukraine als Druckmittel gegen die EU-Kommission zu nutzen um an Gelder zu kommen und um eine zweite Amtszeit von Ursula von der Leyen zu verhindern. Darüber hinaus nutzt Orbán die Ukraine als Verhandlungsmasse mit der nationalkonservativen ECR-Fraktion im Europäischen Parlament und versuchte, sein Veto gegen die europäische Integration und die Unterstützung der Ukraine gegen die Mitgliedschaft von Fidesz in dieser Fraktion einzutauschen. Da Viktor Orbán sein politisches Mandat seiner prorussischen, antiwestlichen Rhetorik verdankt, scheint ein radikaler Kurswechsel zugunsten der Ukraine, selbst unter großem Druck der EU, aktuell unwahrscheinlich.

Aus ukrainischer Sicht ist Ungarn eher ein "ärgerliches Hindernis", das beseitigt werden muss, als ein partnerschaftlicher Nachbar. Daher praktiziert Kyjiw eher eine spontane "Ad-hoc-Diplomatie" denn klassische Diplomatie. Eine weitere Dynamik ergibt sich aus dem persönlichen Anliegen von Präsident Selenskyj, Ungarn zu überzeugen, seine prorussische Haltung aufzugeben und offen die Unterstützung für die Ukraine zu erklären. In Anbetracht dieser beiden Faktoren ist das ungarische Ressort nicht im Außenministerium oder im Büro der stellvertretenden Ministerpräsidentin für europäische Integration angesiedelt, sondern im Präsidentenbüro persönlich beim einflussreichen Andrij Jermak.

In den ukrainisch-ungarischen Beziehungen spielt zu guter Letzt auch Russland eine wichtige Rolle. Seit 2014 versucht Moskau, die Krisen und Konflikte zu orchestrieren, anzuheizen und auszunutzen, indem es kontinuierlich und systematisch durch hybride Beeinflussung und Desinformation versucht, interethnische Spannungen sowie eine diplomatische Konfrontation zwischen Kyjiw und Budapest zu provozieren.

Übersetzung aus dem Englischen: Dr. Eduard Klein

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Dmytro Tuschanskyj ist Experte für Ungarn, die ungarisch-ukrainischen Beziehungen und die politischen Prozesse in Mittel- und Osteuropa. Er hat einen Magisterabschluss in Politikwissenschaft (Europastudien an der Nationalen Universität Kyjiw-Mohyla-Akademie) und ist Gründer und Direktor des Analyse-Zentrums Institut für mitteleuropäische Strategie.