Meinungsbildung, Meinungsmacht und Konzentrationskontrolle der Medien
Stephan Dreyer
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Die Meinungsbildung in demokratischen Gesellschaften erfolgt durch Information und Kommunikation über Medien. Gesetze sollen eine Monopolisierung von Meinungsmacht durch einzelne Akteure verhindern.
Interner Link: Demokratische Gesellschaften basieren auf dem freien Austausch von Meinungen. In Mediendemokratien erfolgt ein Großteil der individuellen und öffentlichen Meinungsbildung durch medienvermittelte Information und Kommunikation. Diese Prozesse der Meinungsbildung sollen frei von ungleichgewichtigen Einflüssen bleiben. Der Gesetzgeber sieht daher einen medienrechtlichen Rahmen vor, der die Bündelung zu großer Meinungsmacht auf Seiten einzelner Akteure verhindern soll. Herausgefordert werden die bestehenden Vorschriften durch marktstarke Online-Anbieter und -Plattformen, denen neue Formen der Einflussnahmemöglichkeiten auf die Meinungsbildung zugesagt werden.
Freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung als Leitprinzip der gesellschaftlichen Kommunikationsordnung
Externer Link: Artikel 5 Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes (GG) garantiert, dass jeder seine Meinung äußern und sich aus zugänglichen Quellen informieren kann; die Freiheit der Presse- und Rundfunkberichterstattung wird gewährleistet. Das Bundesverfassungsgericht hat bei der Auslegung dieser Garantien früh sehr deutlich gemacht, dass Presse und Rundfunk „zu den unentbehrlichen modernen Massenkommunikationsmitteln gehören“, „durch die Einfluß auf die öffentliche Meinung genommen und diese öffentliche Meinung mitgebildet wird.“Interner Link: Massenmedien sind nach Ansicht des Gerichts nicht nur reine Vermittler von Informationen, sondern sie nehmen durch Auswahl und redaktionelle Gestaltung dieser Informationen selbst Einfluss: Sie sind Medium und eminenter Faktor der öffentlichen Meinungsbildung.
Als Kern der Medienfreiheiten sieht das Gericht die Sicherung des Prozesses einer freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung. Dieser Freiheitlichkeitsansatz gilt nicht nur subjektiv im Sinne eines Abwehrrechts der einzelnen Person gegen staatliche Maßnahmen, sondern auch im Sinne eines positiven Auftrags an den Staat, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der Meinungsbildungsprozesse absichert: Zu einer solchen freiheitlichen Ordnung gehört, dass die Vielfalt der bestehenden Meinungen in größtmöglicher Breite in den Massenmedien abgebildet ist, und – im Umkehrschluss –, dass einzelne gesellschaftliche Gruppen oder der Staat keinen beherrschenden Einfluss auf den Meinungsbildungsprozess ausüben können.
QuellentextDie vielfaltsbezogene Gewährleistungsaufgabe des Gesetzgebers in den Worten des Bundesverfassungsgerichts
"Der Gesetzgeber hat dafür zu sorgen, dass das Gesamtangebot der inländischen Programme der bestehenden Meinungsvielfalt im Wesentlichen entspricht, dass der Rundfunk nicht einzelnen gesellschaftlichen Gruppen ausgeliefert wird und dass die in Betracht kommenden Kräfte im Gesamtprogrammangebot zu Wort kommen können […]. Denn der publizistische und ökonomische Wettbewerb führt nicht automatisch dazu, dass in den Rundfunkprogrammen die Vielfalt der in einer Gesellschaft verfügbaren Informationen, Erfahrungen, Werthaltungen und Verhaltensmuster abgebildet wird."
Quelle: BVerfG v. 20.7.2021 - 1 BvR 2756/20, 1 BvR 2775/20 und 1 BvR 2777/20 - Staatsvertrag Rundfunkfinanzierung
Mit Blick auf den Rundfunk und seine besondere Wirkmächtigkeit durch hohe Reichweiten, Informationen in Echtzeit und audiovisuelle Inhalte („Breitenwirkung, Aktualität, Suggestivkraft“) geht das Bundesverfassungsgericht von einer vorherrschenden Meinungsmacht aus, wenn ein „einseitiger und in hohem Maße ungleichgewichtiger Einfluss einzelner Veranstalter und Programme auf die Bildung der öffentlichen Meinung“ besteht. Der Rundfunk stellt dabei eine „Sondersituation“ dar: Durch die hohen Kosten für Rundfunkveranstalter bei Markteintritt und in der täglichen Programmgestaltung, die auch bei kleinen Zuschauerzahlen hoch bleiben, kann – anders als bei der Presse – nicht von einer aus sich heraus entstehenden Angebotsvielfalt ausgegangen werden. Zudem seien eingetretene Fehlentwicklungen nur schwer rückgängig zu machen, deswegen müssten Konzentrationstendenzen präventiv verhindert werden. Diese Argumentation ist Ausgangspunkt der derzeitigen Konzentrationskontrolle im Rundfunk (s. unten).
Herausforderungen durch Einflusspotenziale neuerer Akteure auf die Meinungsbildung
Die gesetzgeberische Aufgabe, das Mediensystem gegen machtvolle Einzelpositionen zu schützen, ist bislang begrenzt auf das klassische Fernsehen. Daneben traten und treten aber weitere Akteure auf, deren Aktivitäten auf Meinungsbildungsprozesse Einfluss nehmen können: Früh wurde klar, dass Akteure auf technischer Ebene dazu gehören können, etwa wenn sie Auswahlentscheidungen über die zugänglich gemachten Sender und Programme treffen (z. B. Betreiber von Sendeanlagen oder Kabelnetzen). Auf neueren digitalisierten Verbreitungsplattformen spielen außerdem Akteure eine Rolle, die bestehende Rundfunkangebote zu einem Gesamtpaket bündeln oder – wie zum Beispiel bei Programmführern – Oberflächen gestalten, über die einzelne Rundfunkangebote zugänglich gemacht werden.
Neuere digitale Angebote mit Einflusspotenzial auf Meinungsbildungsprozesse sind sowohl distributiver als auch inhaltlicher Natur: Auf der Seite der Verbreitung von Medieninhalten sind im Internet vor allem sogenannte Interner Link: Intermediäre in Erscheinung getreten, d.h. Anbieter, die die Inhalte Dritter („nutzergenerierte Inhalte“) zugänglich machen, filtern und sortieren. Dazu gehören Online-Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Interner Link: Videosharing-Plattformen und Microblogging-Angebote, auf deren Märkten starke Konzentrationstendenzen zu beobachten sind. Diesen Intermediären ist gemein, dass sie automatisierte, algorithmenbasierte Empfehlungssysteme für relevante Inhalte anbieten und diese die Inhalte auf Basis des Nutzungsverhaltens des Einzelnen auswählen (Personalisierung). Zudem halten sie eigene Verfahren für den Umgang mit unerwünschten und unzulässigen Inhalten vor (Inhaltemoderation). Damit haben sie eine Machtstellung inne, was die Zugänglichmachung und die Auswahl von Inhalten angeht. Je stärker Selektionsentscheidungen von bestimmten Äußerungen oder ihrer Herkunft abhängen, desto greifbarer sind auch die meinungsbildungsbezogenen Einflussnahmemöglichkeiten – insbesondere angesichts der hohen Nutzungszahlen von Intermediären (s. Abb.).
Neue Akteure auf der Seite von Inhaltsanbietern sind laienjournalistische Angebote und Influencer*innen, die mit teils großen Reichweiten und redaktionell anmutendem Content eigene Sichtweisen und Einordnungen veröffentlichen, ohne sich immer einem klassischen, journalistischen Berufsethos verpflichtet zu fühlen. Durch das ihnen von ihrer Followerschaft entgegengebrachte Vertrauen verfügen diese Creator*innen über Einflussmöglichkeiten, die denen journalistischer Angebote nicht unähnlich sind.
Neue Akteure sind schließlich auch Angebote im Bereich generativer künstlicher Intelligenz (KI) wie z.B. ChatGPT: Durch das Training der KI auf sehr großen Datenmengen und thematisch kaum begrenzte Einsatzmöglichkeiten übernehmen auch diese Angebote vermehrt Funktionen der Vermittlung von Wissen über die Welt. Anders als bei Intermediären verweisen diese Angebote aber nicht auf Inhalte Dritter, sondern generieren eigene Antworten. Auch durch solche Informationsleistungen sind Einflüsse auf die Meinungsbildung denkbar.
Zitat
Der kurze Überblick zeigt, dass die drei großen Kategorien relevanter Einflussnahmemöglichkeiten darin bestehen, entweder bestimmte Inhalte, Sichtweisen oder Akteure von der Vermittlung bzw. Präsentation auszuschließen oder besonders herauszustellen.
Die dritte Kategorie betrifft Fälle, in denen bestimmte Anbieter oder Sichtweisen schon gar keinen Zugang zu einer Plattform erlangen, die sie für die Auffindbarkeit und Verbreitung ihrer Angebote benötigen. In allen drei Fällen kann das Ergebnis sein, dass die Meinungsbildung der einzelnen Person und die der Öffentlichkeit durch einen oder mehrere Akteure in eine bestimmte Richtung gelenkt und die Wiedergabe der bestehenden Meinungsvielfalt eingeschränkt wird.
Bestehender Rechtsrahmen zur Gewährleistung eines freien Meinungsbildungsprozesses
Die Gesetzgeber der Länder – das Recht der Massenmedien ist grundsätzlich Ländersache – haben auf mögliche Gefährdungen für den freien Meinungsbildungsprozess mit einer Reihe von Vorschriften reagiert, die an dem jeweiligen Angebotstyp festmachen. Angesichts der beschriebenen, für den Rundfunk herausgearbeiteten Dogmatik des Bundesverfassungsgerichts lag der Fokus dabei von Beginn an auf einer rundfunkzentrierten Konzentrationskontrolle. Erst später kamen vielfaltsbezogene Vorgaben für Distributionsunternehmen wie Sendenetzbetreiber oder Kabelplattformen und zuletzt für Medienintermediäre und Benutzeroberflächen hinzu.
Presse
Angesichts der Grundannahme, dass sich auf den Pressemärkten eine außenpluralistische Vielfalt durch eine Vielzahl unterschiedlicher, miteinander konkurrierender Angebote einstellt, sieht der aktuelle Rechtsrahmen außerhalb der kartellrechtlichen Vorgaben keine unmittelbare presserechtliche Konzentrationskontrolle vor. Dies umfasst auch den Bereich von Angeboten der elektronischen oder Online-Presse. Anbieter von Presseerzeugnissen können aber im Rahmen der Berücksichtigung von medienrelevanten verwandten Märkten bei der rundfunkrechtlichen Konzentrationskontrolle eine Rolle spielen (siehe unten).
Fernsehen
Um die Entstehung zu meinungsmächtiger Fernsehanbieter zu verhindern, stellt der Medienstaatsvertrag (MStV) ein komplexes Konzentrationskontrollregime für bundesweiten Rundfunk auf, das auf Basis von Zuschaueranteilen funktioniert. Dabei gilt zunächst der Grundsatz, dass jeder Rundfunkanbieter unbegrenzt viele bundesweite Rundfunkprogramme anbieten darf, solange er keine vorherrschende Meinungsmacht erlangt (Externer Link: § 60 Abs. 1 MStV). Der Staatsvertrag vermutet das Erreichen dieser Schwelle bei einem Zuschaueranteil von 30 Prozent, die ein Rundfunkanbieter mit allen seinen bundesweiten Programmen im Durchschnitt eines Jahres erreicht (Externer Link: § 60 Abs. 2 MStV). Der Medienstaatsvertrag sieht Vorschriften vor, wie direkte und indirekte Beteiligungen an Rundfunkunternehmen einem Anbieter gesellschaftsrechtlich zuzurechnen sind und wie tatsächliche Möglichkeiten zur Einflussnahme auf andere Unternehmen zu bewerten sind (Externer Link: § 62 MStV).
Bereits bei 25 Prozent Zuschaueranteil eines Anbieters wird von einer vorherrschenden Stellung auf dem Meinungsmarkt dann ausgegangen, wenn das Unternehmen auf sogenannten medienrelevanten verwandten Märkten eine marktstarke Stellung hat (§ 60 Abs. 2 MStV). So können Aktivitäten eines Anbieters bei der Konzentrationskontrolle Berücksichtigung finden, die andere Mediengattungen umfassen (z.B. Hörfunk, Presse, Video-Streaming) oder vor- oder nachgelagerte Märkte betreffen (Produktion wie z.B. Studios oder Druckereien, Rechtehandel, Distribution wie Sendeantennen oder technische Dienstleistungen wie Programmbündelung).
Unabhängig von der Erreichung der Schwellen haben die beiden bundesweit verbreiteten reichweitenstärksten Fernsehprogramme regionale Fensterprogramme (Externer Link: § 59 Abs. 4 MStV) anzubieten, wobei die redaktionelle Unabhängigkeit des Fensterprogrammveranstalters gewährleistet sein muss.
Für die Umsetzung und Kontrolle der Vorschriften ist die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (Externer Link: KEK) als zentrales Organ der Landesmedienanstalten zuständig. Sie ermittelt die Marktstellung von Medienunternehmen und bewertet deren Meinungsmacht anhand der im Medienstaatsvertrag festgelegten Kriterien. Sie prüft Zusammenschlüsse und Beteiligungsveränderungen und kann Genehmigungen erteilen oder diese verweigern, wenn eine vorherrschende Meinungsmacht festgestellt wird. Sie kann dem Anbieter Gegenmaßnahmen vorschlagen, z.B. die Aufgabe von Beteiligungen oder die Einführung von vielfaltssichernden Maßnahmen wie Sendezeiten für unabhängige Dritte (Externer Link: § 65 MStV) oder die Einrichtung eines Programmbeirats (Externer Link: § 66 MStV). Ohne eine Einigung können bestehende Rundfunkzulassungen widerrufen werden.
Insgesamt ist die Rolle der gesetzlichen Konzentrationskontrolle im Fernsehen in den letzten Jahren vor allem dadurch weniger praxisrelevant geworden, dass die Spielräume bei der Berücksichtigung der medienrelevanten verwandten Märkte durch ein Urteil des BVerwG erheblich eingeengt wurden , und dass die beiden zuschauerstärksten Sendergruppen (RTL Deutschland und ProSiebenSat.1) regelmäßig unter den Schwellenwerten von 30 % bzw. 25 % bleiben (s. Abb.).
Medienplattformen und Benutzeroberflächen
Für Medienplattformen wie z.B. Sende- oder Kabelnetzbetreiber, die über Verbreitungskapazitäten verfügen und Rundfunkprogramme bündeln, sieht der Medienstaatsvertrag spezifische Belegungspflichten vor (s. Tabelle).
Vorgaben für die Belegung der Kapazitäten infrastrukturgebundener Medienplattformen
33%
33%
33%
bundesweite Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Dritte Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
private Fernsehprogramme mit Regionalfenstern
regionale und lokale Fernsehprogramme im Bestimmungsgebiet
Offene Kanäle im Bestimmungsgebiet
Einbeziehung der Interessen der angeschlossenen Teilnehmer
Vielzahl von Programmveranstaltern und vielfältiges Programmangebot
Insbesondere Vollprogramme, nicht entgeltfinanzierte Programme, Spartenprogramme mit Schwerpunkt Nachrichten, sonstige Spartenprogramme und Fremdsprachenprogramme sowie Teleshoppingkanäle
Freie Entscheidung des Anbieters der Medienplattform
Beachtung der allgemeinen Gesetze
Diskriminierungsverbot
Quelle: eigene Darstellung
Beim Zugang von Rundfunkprogrammen oder Online-Diensten zu den Medienplattformen dürfen diese zudem nicht ohne sachlichen Grund von der Medienplattform behindert werden (Externer Link: § 82 MStV), z.B. bei der Festsetzung der Entgelte oder der Nutzung von Schnittstellen (APIs).
Angesichts der Möglichkeiten, Nutzerinnen und Nutzer über die Anzeige und Auswahl von Fernsehprogrammen und Online-Angeboten z.B. auf Smart TVs oder Streaming-Sticks zu bestimmten Sendern und Anbietern zu führen, sieht der Medienstaatsvertrag für Benutzeroberflächen vielfaltsbezogene Regelungen vor: Auch hier gilt ein Diskriminierungsverbot, d.h. gleichartige Angebote dürfen bei der Auffindbarkeit, der Sortierung oder der Präsentation nicht ohne sachlichen Grund unterschiedlich behandelt werden (Externer Link: § 84 Abs. 2 MStV). Insbesondere müssen alle Rundfunkangebote unmittelbar erreichbar sein, wobei innerhalb dieser Kategorie die bundesweiten Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die der privaten Fernsehsender mit Regionalfenstern und Programme, die „in besonderem Maß einen Beitrag zur Meinungs- und Angebotsvielfalt im Bundesgebiet leisten“, leicht auffindbar sein müssen. Derartige Vorrangigkeitsregeln gelten auch für die mit übertragenen Interner Link: Telemedienangebote dieser Anbieter wie etwa Mediatheken. Die Landesmedienanstalten erstellen anhand von Vielfältigkeitskriterien alle drei Jahre eine Liste mit privaten Fernsehangeboten, die gesetzlich privilegiert werden. Anbieter von Benutzeroberflächen müssen ihre Grundsätze für die Auswahl und Sortierung von Rundfunk- und Online-Angeboten transparent machen (Externer Link: § 85 MStV).
Intermediäre
Mit der Reform des Rundfunkstaatsvertrags zum Medienstaatsvertrag in 2020 wurden erstmals auch Medienintermediäre in den Anwendungsbereich aufgenommen. Angesichts der befürchteten Relevanz von Suchmaschinen, Video-Sharing-Plattformen und Sozialen Netzwerken sollen die Vorgaben ein Mindestmaß an Vielfalt vor allem dadurch gewährleisten, dass die Anbieter die zentralen Kriterien der Sammlung, Auswahl und Darstellung von Inhalten sowie die Gewichtung bei der Sortierung von Informationen transparent machen (Transparenzgebot, Externer Link: § 93 MStV). Außerdem dürfen Medienintermediäre einzelne journalistische Inhalte nicht systematisch schlechter behandeln (Diskriminierungsverbot, Externer Link: § 94 MStV). Über die Einhaltung dieser Pflichten wachen die Landesmedienanstalten.
Influencer*innen
Für Influencer mit (auch) politischen Inhalten sieht der Medienstaatsvertrag eine besondere Verpflichtung vor: Nach Externer Link: § 19 Abs. 1 MStV haben Online-Anbieter mit journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten den anerkannten journalistischen Grundsätzen zu entsprechen. Mit der Verpflichtung der Beachtung Interner Link: journalistischer Sorgfaltspflichten zielen die Gesetzgeber allerdings eher auf ein Mindestmaß an publizistischer Qualität (und hier insbesondere Anforderungen an die Wahrhaftigkeit der publizierten Informationen ) ab und damit nur mittelbar auch auf Vielfaltsanforderungen. Zudem gilt insbesondere bei Influencer*innen mit (noch) geringen Followerschaft ein gleitender Sorgfaltsmaßstab: Mit größerer Reichweite steigen die Anforderungen an die journalistischen Sorgfaltspflichten.
Kritik an der bestehenden Konzentrationskontrolle und diskutierte Lösungsvorschläge
Auch wenn Einflussnahmemöglichkeiten auf die Meinungsbildung durch neuere Akteure durch Instrumente wie Transparenzgebote und Diskriminierungsverbote begegnet wird, bleibt die medienrechtliche Regulierung von zu starken Machtpositionen auf Seiten von Anbietern zentral auf TV-Anbieter begrenzt. Diese rundfunkzentrierte Konzentrationskontrolle und ihre Umsetzung in der Praxis ist seit vielen Jahren Gegenstand medienpolitischer Diskussionen. Kernpunkt der Kritik ist, dass der bisherige Rechtsrahmen die neuen Einflusspotenziale nur in sehr geringem Maße berücksichtigt. An Vorschlägen für eine Einbeziehung neuer Akteure und Angebote in den jetzigen Regulierungsansatz oder eine Modernisierung der Konzentrationskontrolle mangelt es dabei nicht.
So fordern medienwirtschaftsnahe Akteure angesichts der zurückgehenden Werbeeinnahmen eine Liberalisierung der bestehenden Konzentrationsregeln. Ein Abbau der bestehenden Restriktionen könnte ein „Level-Playing-Field“, d.h. eine Gleichbehandlung im Vergleich zu den neuen Online-Anbietern schaffen, für die konzentrationsrechtliche Wachstumsbegrenzungen nicht gelten. Andere Vorschläge gehen in die Richtung, die bestehende Konzentrationskontrolle auf weitere mediale und intermediäre Angebote auszuweiten (sog. Gesamtmarktmodell). Eine Obergrenze für die Meinungsbildungsrelevanz einzelner Anbieter würde in diesem Fall auch für andere Akteure außerhalb des bundesweiten Fernsehens greifen. Die dabei auftretende Schwierigkeit ist vor allem die Operationalisierung des Konzepts der Meinungsmacht : Der Ansatz der Zuschaueranteile lässt sich nur begrenzt auf eine große Masse von Online-Angeboten übertragen. Bei der Einbeziehung infrastruktureller Machtpositionen von Plattformen oder der Einflussnahme durch Selektionsentscheidungen von Intermediären gerät das Konzept der Zuschaueranteile an Grenzen – zumal bereits die jetzigen Schwellen von 30 Prozent bzw. 25 Prozent nicht auf empirischen Erfahrungswerten beruhen.
Wo zudem strikt Zuschaueranteile gemessen werden, ohne die Informationsanteile eines Angebots oder die Meinungsbildungsrelevanz der zugänglich gemachten Inhalte zu berücksichtigen, kann der Ansatz zu Rechenergebnissen auf Basis von Marktanteilen führen, die einer sinnvollen Gewährleistung von Vielfalt im Weg stehen können. Letztlich, so der Vorwurf, differenzieren Zuschauer- bzw. Nutzeranteilsmodelle nicht hinreichend zwischen den verschiedenartigen Einflüssen der Medientypen und den teils stark auseinanderfallenden Nutzungsdauern. Außerdem können sie nicht hinreichend zwischen den Anteilen am Publikumsmarkt und tatsächlicher inhaltlicher Vielfalt innerhalb eines Angebots differenzieren.
Ein weiterer Diskussionsstrang verweist auf die Herausforderungen der Gewährleistung von Medienvielfalt im Angesicht von einseitigen Informationsrepertoires: Vielfaltsvorgaben und Konzentrationskontrollen laufen leer, wo sich einzelne Bürgerinnen und Bürger einseitig informieren wollen. Vorschläge, hier eine vielfältige Mediennutzung durch nutzerseitige Vorgaben zu gewährleisten, stoßen an verfassungsrechtliche Grenzen: Nutzerinnen und Nutzer haben im Rahmen ihrer grundrechtlich geschützten Informations- und Meinungsfreiheit ein Recht darauf, sich aus begrenzten, tendenziösen Quellen oder auch gar nicht zu informieren. Entsprechende Ideen einer Gegensteuerung haben insofern ein Paternalismusproblem, wenn der Staat eine bestimmte Form von inhaltlicher Vielfalt verordnet.
Fazit und Ausblick
Die Kontrolle von Meinungsmacht in den Medien bleibt eine zentrale Herausforderung für die Sicherung eines freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildungsprozesses in Deutschland. Während der derzeitige Medienstaatsvertrag eine Grundlage für die Kontrolle klassischer Fernsehangebote bietet, müssen neue digitale Akteure und Plattformen angesichts ihrer potenziellen Wirkmächtigkeit in den gesetzlichen Rahmen einbezogen werden. Die Art und Weise der Einbeziehung aber ist trotz jahrelanger Diskussion und des Vorbringens vieler Gestaltungsvorschläge weiter offen: Zu strukturell unterschiedlich funktionieren die Zuschaueranteile als Annäherung an Meinungsmacht bei der Fernsehnutzung im Vergleich zu Einflussnahmemöglichkeiten von algorithmisch arbeitenden Informationsintermediären. Hier bedarf es neuer Ansätze bei der Gewährleistung von Medienvielfalt – auch und nicht zuletzt, weil die derzeitigen Grundannahmen des Medienrechts auf einem wackeligen empirischen Fundament stehen: Dass sich bei einer hohen Anzahl verschiedener Anbieter automatisch eine inhaltliche Vielfalt und eine vielfältige Inhaltenutzung auf Seiten der Nutzenden einstellt, darf mittlerweile als widerlegt gelten. Eine ausgewogene Herangehensweise an Regulierungsvorhaben, die die gesetzgeberische Aufgabe der Gewährleistung von Meinungsvielfalt und die individuelle Informationsfreiheit des Einzelnen gebührend berücksichtigen, ist daher notwendig. Seit 2022 beraten die Länder über neue Modelle zur Reform des Medienkonzentrationsrechts – bislang ohne verkündbaren Ausgang (Stand: Juli 2024).
Dr. Stephan Dreyer ist Senior Researcher für Medienrecht und Media Governance am Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut, Hamburg. Das Forschungsinteresse des Juristen gilt den regulatorischen Aspekten medienvermittelter Kommunikation in einer datafizierten Gesellschaft; er analysiert Herausforderungen, denen sich rechtliche Steuerung angesichts neuer Technologien, Angebotsstrukturen und Nutzungspraktiken gegenübersieht. URL: Externer Link: https://www.leibniz-hbi.de/