Die Europäische Union hat vor rund 25 Jahren begonnen, eine gemeinsame Asylpolitik zu entwickeln. Im
Kernstück der ersten Generation des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS), das nach 2000 geschaffen wurde, ist die
Eine kleine Reform des GEAS fand 2013 statt. Nach 2015 und 2016, als jeweils mehr als eine Million Schutzsuchende in die EU kamen, begannen die Organe der EU um eine erneute Reform zu ringen. Ein erster Reformversuch scheiterte 2019. Als dann das griechische Flüchtlingslager Moria auf der Insel Lesbos durch ein Feuer zerstört wurde, präsentierte die Europäische Kommission 2020 einen neuen Entwurf: das Migrations- und Asylpaket, besser bekannt auf Englisch als Pact on Migration and Asylum. Erst im Frühjahr 2024, nach jahrelangen Verhandlungen zwischen Europäischer Kommission, Rat der Europäischen Union und Europäischem Parlament, passierte diese Reform schließlich den Gesetzgebungsprozess. Die Reform soll 2026 in Kraft treten; bis zu diesem Zeitpunkt sollen auch die nationalen Umsetzungen abgeschlossen sein.
Inhalte der Reform
Erklärte Zielsetzung der Reform ist es, die Zahl der Ankünfte schutzsuchender Personen in der EU zu senken, Asylverfahren vermehrt an den sogenannten EU-Außengrenzen
Asylverfahren an der Außengrenze
Die GEAS-Reform stärkt die Rolle der EU-Außengrenzen. Dort ankommende, schutzsuchende Personen sollen systematisch registriert und überprüft werden. Im verpflichtenden Externer Link: Screeningverfahren werden neben der Identität biometrische, gesundheitliche sowie sicherheitsrelevante Daten erfasst. Es soll maximal sieben Tage dauern und beinhaltet eine Entscheidung, welche Form von Asylverfahren anschließend durchgeführt wird.
Die Reform ergänzt die bestehenden Asylverfahren verpflichtend um sogenannte Externer Link: Grenzverfahren. Dabei handelt es sich um Schnellverfahren, die an den EU-Außengrenzen innerhalb von zwölf Wochen durchgeführt werden sollen. Diese sollen für Asylsuchende zur Anwendung kommen, die eine Staatsangehörigkeit besitzen, für die die EU-weite Schutzquote unter 20 Prozent liegt. Auch Personen, denen Täuschung vorgeworfen wird oder die als Sicherheitsrisiko eingestuft werden, sollen dieser Art des Schnellverfahrens unterzogen werden. Den Mitgliedstaaten ist es freigestellt, das Grenzverfahren auf weitere Personengruppen auszuweiten.
Menschen im Grenzverfahren verfügen nur über eingeschränkte Verfahrensrechte. Sie können behördliche Entscheidungen also nur eingeschränkt gerichtlich überprüfen lassen. Grenzverfahren finden unter der sogenannten Fiktion der Nicht-Einreise statt: Die Behörden nehmen an, dass formal noch keine Einreise in den Mitgliedstaat stattgefunden hat. Diese rechtliche Konstruktion führt dazu, dass Screening- und Grenzverfahren unter haftähnlichen Bedingungen in Asylzentren an den Grenzen stattfinden werden, wie insbesondere Menschenrechtsorganisationen kritisieren. Dies erschwert den Zugang zu Rechtsberatung und Anwält:innen, wie sich bereits auf den griechischen Inseln der Ost-Ägäis gezeigt hat, wo derartige Zentren schon im Betrieb sind. Abgelehnte Asylsuchende sollen Externer Link: im Rahmen eines Rückkehrverfahrens, welches ebenfalls an der Außengrenze stattfindet und maximal zwölf Wochen dauern soll, in ihre Herkunftsländer zurückgeführt werden.
Mehr sichere Drittstaaten
Ein weiterer Mechanismus, um den Zugang zum Asylsystem zu erschweren, ist das Konzept der sicheren Drittstaaten. Asylgesuche von Personen, die aus einem solchen Staat eingereist sind, können als unzulässig abgelehnt werden, ohne dass ihr Antrag inhaltlich geprüft wird. Das Argument lautet, dass die betroffene Person in dem Drittstaat, in dem sie sich zuvor aufgehalten hat, schon ausreichend vor Verfolgung geschützt gewesen sei. Die Voraussetzungen, die erfüllt werden müssen, um ein Land als sicheren Drittstaat zu bestimmen, wurden im Rahmen der Reform deutlich abgesenkt: Das bislang einschlägige Kriterium, dass in dem Land die
Die betroffene Person muss allerdings einen persönlichen Bezug zu dem Drittstaat haben, dort also zeitweise gelebt, familiäre oder sonstige relevante Bindungen haben. Dieses als Verbindungselement bezeichnete Merkmal soll die Überstellung von Personen in beliebige Drittstaaten unterbinden. Damit sind Modelle, in denen Asylsuchende ihr Verfahren in einem anderen Land durchlaufen sollen –
Dublin und Solidaritätsmechanismus
Die derzeit noch gültige Dublin-Verordnung wird durch eine neue Externer Link: Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement ersetzt. Das bislang geltende Prinzip, dass im Regelfall das Land der ersten Einreise für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, bleibt allerdings erhalten. Damit bleiben formell auch weiterhin die Mitgliedstaaten im Süden und Süd-Osten der EU für die Mehrheit der Asylverfahren zuständig. Dieses Zuständigkeitsprinzip soll durch die neue Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement zukünftig besser durchgesetzt werden. Ist der verantwortliche Staat ermittelt – etwa durch einen Treffer in der Externer Link: EURODAC-Datenbank – so gelten verlängerte Fristen, um Schutzsuchende dorthin zu überstellen. Diese Maßnahme richtet sich gegen die sogenannte Sekundärmigration, also die Weiterwanderung von Schutzsuchenden innerhalb der EU. Diese kann nun auch durch den Entzug von Sozialleistungen sanktioniert werden.
Eine beständige Kritik am Dublin-System bezog sich auf die Ungleichverteilung der Zuständigkeit für Asylverfahren. Oft wurde daher vorgeschlagen, ein solidarisches Verteilungssystem zwischen den Mitgliedstaaten der EU zu etablieren. Die neue Verordnung schafft als ersten Schritt einen verbindlichen Solidaritätsmechanismus: Mitgliedstaaten sollen sich proportional nach Bevölkerungsgröße und Wirtschaftskraft an der Aufnahme von anerkannten Flüchtlingen beteiligen. Alternativ können sie aber auch finanzielle oder materielle Beiträge leisten. Der Mechanismus soll zunächst die Umverteilung (engl. Relocation) von 30.000 Personen organisieren.
Krise, Höhere Gewalt, Instrumentalisierung
Das GEAS verfügt aktuell nur über wenige Mechanismen, um auf unvorhergesehene oder krisenhafte Ereignisse zu reagieren. Eine neue Verordnung regelt nun, welche Maßnahmen Mitgliedstaaten ergreifen dürfen. Diese Externer Link: Krisenverordnung sieht vor, dass in Fällen eines sprunghaften Anstiegs der Zahl neuankommender Schutzsuchender, in Situationen höherer Gewalt (etwa Pandemie, Krieg oder Naturkatastrophe) sowie in Fällen der Instrumentalisierung von den bestehenden Regelungen des GEAS abgewichen werden darf. Unter Instrumentalisierung versteht die EU die gezielte Förderung von Fluchtmigration durch Drittstaaten,
Reduzierung von Verfahrensgarantien und Rechtsschutzfristen
Vor allem die Bedingungen, unter denen die Grenzverfahren durchgeführt werden, sorgen für grundrechtliche und rechtsstaatliche Bedenken. Die Entscheidung, ins Grenzverfahren überstellt zu werden, können Betroffene nicht
Einordnung und Ausblick
Der Prozess hin zu einer Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems gestaltete sich vor allem deswegen so langwierig, weil es unter den Mitgliedstaaten der EU sehr unterschiedliche Zielsetzungen gab. Grundsätzlich aber bestand ein Konsens der Mitgliedstaaten darüber, die Fluchtmigration nach Europa reduzieren zu wollen. Manche Staaten hätten diese gerne vollständig unterbunden.
Die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten
Vor dem Hintergrund, dass die Krisenverordnung den Mitgliedstaaten große Spielräume gibt, von den europäischen Regeln abzuweichen, ist zu befürchten, dass eine stärkere Angleichung der nationalen Asylsysteme nicht erreicht werden wird. Externer Link: Dies könnte die Fliehkräfte im GEAS noch verstärken und somit zu dessen Auseinanderbrechen führen.
In der Migrations- und Fluchtforschung herrscht weitestgehender Konsens, dass die GEAS-Reform schwere Einschnitte für den Flüchtlingsschutz darstellt. Der Zugang zum europäischen Asylsystem wird erschwert und die Bedingungen, unter denen Asylverfahren durchgeführt werden, benachteiligen die Schutzsuchenden systematisch.
Mittlerweile stehen auch schon neuere, über die GEAS-Reform hinausgehende Verhandlungspositionen im Raum, die etwa die Gültigkeit der Genfer Flüchtlingskonvention für die Europäische Union in Frage stellen, oder die die
Ungeachtet dessen bleibt vorerst abzuwarten, ob die Reform ihre beabsichtigte Wirkung entfalten wird. Das Ungleichgewicht zwischen Mitgliedstaaten an der Außengrenze einerseits und den Ländern im Inneren der Union andererseits bleibt weiterhin bestehen. Denn die Außengrenzstaaten sind weiterhin formal für einen Großteil der Asylverfahren und die Aufnahme von Schutzsuchenden zuständig. Auch sind sie nun verpflichtet, grenznahe Registrierungs- und geschlossene Asylzentren zu betreiben. Dieses Ungleichgewicht zwischen den EU-Mitgliedstaaten war auch schon in der Vergangenheit Ursache der Krisen der europäischen Asylpolitik.