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Zur Begründung eines Menschenrechts auf Wasser

Bernd Ladwig

/ 8 Minuten zu lesen

Für 663 Millionen Menschen weltweit ist sauberes Trinkwasser nicht zugänglich. Dagegen verbraucht jeder Deutsche täglich über 5.000 Liter Wasser. Ist das nur ein bedauernswerter Missstand oder ein Unrecht? Gibt es ein Menschenrecht auf Wasser?

Frauen in der indischen Stadt Hyderabad drängen sich um einen mobilen Wassertank. (© AP)

Die einen leben im Überfluss...

663 Millionen Menschen auf der Welt, so schätzen Unicef und die Weltgesundheitsorganisation (WHO), haben noch immer keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. 2,4 Milliarden Menschen müssen weiterhin ohne Toiletten oder Latrinen auskommen. "Trotz Fortschritten in der Wasserversorgung sterben noch immer täglich 10.000 Menschen an Erkrankungen, die durch verschmutztes Wasser verursacht werden", schrieb die Caritas zum Weltwassertag 2014. In Afrika südlich der Sahara dauert der Weg zu einer Wasserquelle im Durchschnitt mehr als 30 Minuten. Meist müssen ihn Mädchen und Frauen gehen, die so Zeit für Bildung und bezahlte Arbeit verlieren und sich Gefahren wie Vergewaltigung aussetzen.

Aber die Not ist nicht überall gleich groß. Wir Deutschen verbrauchen im Durchschnitt 5.288 Liter pro Tag. Die hohe Zahl gibt indes nicht nur unseren direkten Wasserverbrauch wieder. Mit berücksichtigt ist auch das sogenannte virtuelle Wasser. Das ist das Wasser, welches bei der Herstellung von Gütern oder Leistungen verdunstet, verbraucht oder verschmutzt wird: Für jede Tasse Kaffee 140 Liter, für jeden Liter Milch 1.000 Liter, für jedes Kilo Rindfleisch 15.500 Liter. Etwa die Hälfte des Wassers, das die Deutschen direkt oder indirekt nutzen, führen sie über ausländische Produkte ein. Für unseren Kaffeeimport ist zum Beispiel Brasilien besonders wichtig, obwohl dessen Landwirtschaft ein Hauptverursacher der Wasserverschmutzung ist.

Ist das bloß ein bedauernswerter Missstand, eine Ungleichheit mit tödlichen Folgen für Millionen? Oder ist es ein Unrecht, an dem wir durch unsere Lebensweise mitwirken? Wäre es nur nett von uns, wenn wir unseren Wasserverbrauch einschränkten und für sauberes Trinkwasser und hygienische Abwasserentsorgung überall in der Welt einträten? Oder ist dies eine Pflicht, die wir anderen schulden? Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat diese Frage am 28. Juli 2010 mit großer Mehrheit im zweiten Sinne beantwortet: Sie "erkennt das Recht auf einwandfreies und sauberes Trinkwasser und Sanitärversorgung als ein Menschenrecht an, das unverzichtbar für den vollen Genuss des Lebens und aller Menschenrechte ist". Die Sanitärversorgung sollte inklusiv, das Trinkwasser einwandfrei, sauber, zugänglich und bezahlbar sein. Auch die Bundesrepublik hat dieser Resolution zugestimmt. Sie ist zwar rechtlich nicht bindend, wohl aber ein wichtiges politisches Signal.

Drei Kontexte der Begründung von Menschenrechten

Was kann es heißen, den Anspruch auf Trinkwasser und Sanitärversorgung als ein Menschenrecht zu begründen? Drei Kontexte einer solchen Begründung lassen sich unterscheiden: ein politischer, ein juristischer und ein moralischer.

Menschenrechte sind erstens Antworten auf Erfahrungen mit Unrecht und auf Gefährdungen eines menschlichen Lebens in Würde. Sie richten sich vor allem an politische Machthaber, die auch das Handeln Dritter, etwa privater Wirtschaftsakteure, regulieren müssen, wollen sie ihrer menschenrechtlichen Verantwortung gerecht werden. Politische Aktivisten berufen sich bevorzugt auf das Menschenrecht Wasser, um Gefahren der Kommerzialisierung aufzuzeigen – der gebotene Zugang für alle sei nicht damit vereinbar, Wasser als gewöhnliche Ware zu handeln. Die Sprache der Menschenrechte soll verdeutlichen, dass alle, auch die Ärmsten, auf sauberes Trinkwasser und auf Abwasserentsorgung angewiesen sind. Wasser müsse darum als öffentliches Gut gelten, das jedem zustehe.

Politische Konflikte um Wasser rufen zweitens die Juristen auf den Plan. Sie versuchen zu zeigen, dass das Menschenrecht auf Wasser schon in den geltenden rechtlichen Bestimmungen steckt. Zwar haben es noch nicht alle Staaten vertraglich oder durch regelmäßige Praxis anerkannt. Aber namentlich der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (kurz UN-Sozialpakt) von 1966 enthält Aussagen, die auf ein Menschenrecht Wasser schließen lassen: Artikel 11, Abschnitt 1 spricht vom Recht auf einen angemessenen Lebensstandard; Artikel 12 Abschnitt 1 vom Recht auf den höchsten erreichbaren Standard körperlicher und geistiger Gesundheit.

Vor allem diese zwei Artikel stützen das wichtigste völkerrechtliche Dokument zum Menschenrecht auf Wasser: den Allgemeinen Kommentar Nummer 15 des Ausschusses für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte. Dessen Kernaussage lautet: "Das Menschenrecht auf Wasser berechtigt jedermann zu ausreichendem, ungefährlichem, sicherem, annehmbarem, physisch zugänglichem und erschwinglichem Wasser für den persönlichen und den häuslichen Gebrauch." Ob die Aussage allerdings aus dem UN-Sozialpakt folgt, ist juristisch umstritten, da dessen Wortlaut ein Menschenrecht auf Wasser eben nicht hergibt.

Maßgeblich für die Existenz von Menschenrechten sind darum drittens moralische Argumente. Es liegt nahe, Menschenrechte mit grundlegenden Interessen zu begründen: an Leben, an Wohlergehen, an persönlicher Selbstbestimmung und politischer Teilnahme. Wir wollen selbstbewusst einfordern können, was wir brauchen, um überleben, menschenwürdig leben, gleichberechtigt mitreden und unsere eigenen Vorstellungen vom Guten verwirklichen zu können. Die Interessenkonzeption der Menschenrechte bildet eine Brücke zwischen menschlich-physischen Bedürfnissen und moralisch beglaubigten Ansprüchen. Sie eignet sich deshalb besonders gut zur Begründung eines Menschenrechts Wasser. Schließlich können Menschen ohne Wasser weder überleben noch ihre Fähigkeiten entfalten.

Zu Rechten gehören allerdings auch Pflichten, zu Menschenrechten insbesondere solche, die Staaten erfüllen können und erfüllen sollen. Wir müssen klar genug sagen können, woran wir das Tun und Lassen von Regierungen und das Funktionieren der von ihnen verantworteten gesellschaftlichen Grundordnungen messen wollen. Hier könnten Einwände gegen soziale Menschenrechte wie das Recht auf Wasser einsetzen. Solche Einwände sind keineswegs verstummt. Nach wie vor sind nicht alle Regierungen vom Recht auf Wasser überzeugt; die USA etwa haben sich bei der Abstimmung in der Vollversammlung am 28. Juli 2010 enthalten.

Einwände gegen das Menschenrecht Wasser

Ein erster Einwand gegen das Menschenrecht Wasser lautet: Dieses setzt Ressourcen voraus, über die nicht jeder Staat verfügt. Somit kann es auch kein Recht sein, das eine beliebige Regierung beachten muss. Verstünden wir die Menschenrechte jedoch schwächer, um auch voraussetzungsvolle Ansprüche zu erfassen, so schwächten wir die normative Stellung dieser Rechte insgesamt. Auch Folterstaaten könnten sich dann darauf herausreden, dass ja kein Staat sämtliche Menschenrechte beachte.

Dem Argument liegt die Vorstellung zugrunde, einige Menschenrechte könnten durch Nichtstun zureichend verwirklicht werden: Um etwa das Recht auf Freiheit von Folter und erniedrigender Behandlung zu beachten, muss der Staat nur auf Folter und erniedrigende Behandlung verzichten. Soziale Rechte wie das Recht auf Wasser hingegen verlangen einen aktiven Staat, der materielle Güter bereitstellt. Dies könnte ärmere Gemeinwesen überfordern.

Doch die Vorstellung, einige Menschenrechte ließen sich kostenfrei erfüllen, ist irreführend. Sie krankt an einem verkürzten Verständnis der menschenrechtlichen Pflichten. Alle Menschenrechte, nicht nur die wirtschaftlichen und sozialen, rufen drei Arten von Pflichten auf den Plan: der Beachtung, des Schutzes und der Gewährleistung.

Auch das Menschenrecht Wasser kann auf vielerlei Weise verletzt werden: durch Verschmutzung, durch Vertreibung, durch Ausschluss einiger Gruppen, durch diskriminierende oder maßlose Preiserhöhung (Verstöße gegen Pflichten der Beachtung); durch Privatisierung ohne Absicherungen für Arme, durch Hinnahme vermeidbarer Bodenerosion, durch die Weigerung, Banditen oder Vergewaltiger zu bekämpfen, die den Zugang zu Wasserstellen blockieren (Verstöße gegen Pflichten des Schutzes); durch das Fehlen oder vermeidbare Fehlschlagen einer Politik, die Wasser und Sanitärversorgung für alle bereitstellt (Verstöße gegen Pflichten der Gewährleistung).

Ein zweiter Einwand gegen das Recht auf Wasser lautet, dass die Kriterien der Pflichterfüllung nicht klar seien. Aber auch dies ist bei anderen Arten von Rechten, die fraglos als Menschenrechte gelten, nicht grundsätzlich anders. Wo beginnt Zensur? Welche Arten der Bestrafung sind grausam und würdewidrig? Was genau gehört zu einem anständigen Rechtsschutz?

Der Allgemeine Kommentar Nummer 15 begrenzt die zulässigen Auslegungen deutlich. Im Kern ist das Recht auf Wasser ein Subsistenzrecht: Von seiner Beachtung hängt ab, ob alle Menschen im Machtbereich eines Staates überleben können. Das Existenzminimum an Wasser und Sanitärversorgung steht daher für keinen Staat zur Disposition. Soweit Staaten aus eigener Kraft ihre Verpflichtungen nicht erfüllen können, haben sie Anspruch auf internationale Hilfe und Zusammenarbeit.

Damit ist teilweise schon ein dritter Einwand beantwortet. Der Einwand lautet, dass nicht klar sei, wen das Recht auf Wasser in die Pflicht nehme. Der Allgemeine Kommentar Nummer 15 besagt, dass dies in erster Linie der jeweilige Einzelstaat, in zweiter Linie die internationale Gemeinschaft ist. Das Recht auf Wasser ist also mitnichten ein bloßes "Manifestrecht". Es ist kein ins Weltall hineingerufener Anspruch an alle und keinen; ganz bestimmte Akteure können für seine Verletzung oder unzulängliche Beachtung verantwortlich gemacht werden. Und soweit einzelne Staaten oder die internationale Gemeinschaft die Bedingungen der Rechtsverwirklichung verbessern können, indem sie ihr Handeln aufeinander abstimmen oder neue Institutionen bilden, müssen sie dies auch tun.

Was folgt aus dem Menschenrecht Wasser?

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen hat Wasser wohlweislich als menschenrechtliches Gut anerkannt. Weiterhin sind sanitäre Anlagen in weiten Teilen der Welt für zu wenige Menschen erreichbar. Nach wie vor verhindern vermeidbare Umweltzerstörung, bewaffnete Konflikte, Kriminalität und politisch gewollte Verknappung, dass alle Menschen Zugang zu trinkbarem Wasser finden. Das Menschenrecht Wasser nimmt primär die Regierungen und sekundär auch die internationale Gemeinschaft in die Pflicht, für einen solchen Zugang zu sorgen.

Wesentlich ist dabei aber nicht, wer Trinkwasser und sanitäre Anlagen anbietet. Die Erwartung, dies müssten unbedingt die Staaten selbst sein, könnte die ärmeren unter ihnen in der Tat überfordern. Staaten dürfen prinzipiell auch private Akteure wie Unternehmen in die Wasserpolitik einbeziehen. Entscheidend ist, dass sie einen inklusiven, sicheren, diskriminierungsfreien und bezahlbaren Zugang gewährleisten. Eben dafür tragen Staaten die finale Verantwortung, die sie auch durch Privatisierungen nicht loswerden. Zumindest eine schlecht oder gar nicht regulierte Privatisierung, ohne genaue Vorgaben und strenge Kontrollen, ohne Garantien für die Ärmsten, ohne wachsame soziale Bewegungen, wäre mit dem Menschenrecht Wasser nicht zu vereinbaren.

Ebenso wenig aber wäre dies eine Wasserpolitik, die zwar allen einen völlig freien Wasserzugang böte, jedoch auf Kosten der Zukunft oder anderer Menschenrechte. Eine menschenrechtliche Wasserpolitik muss nachhaltig sein, damit auch die noch zahlenreichere Weltbevölkerung von morgen ihr Recht auf trinkbares Wasser und Abwasserversorgung wahrnehmen kann. Und sie muss eine Balance mit anderen menschenrechtlichen Belangen wahren. Landwirte etwa müssen weiterhin ihre Felder bewässern können, damit auch das Recht auf Nahrung nicht zu kurz kommt.

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Bernd Ladwig, geb. 1966 in Köln, studierte Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und promovierte (Dr. phil.) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Professor für politische Theorie und Philosophie an der Freien Universität Berlin.