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Fragen und Antworten zu (elektronischen) Bürgerhaushalten

Dr. Oliver Märker

/ 5 Minuten zu lesen

Oliver Märker, Redakteur von buergerhaushalt.org und Geschäftsführer der Beteiligungsagentur Zebralog, antwortet auf Kritikpunkte an Bürgerhaushalten.

Mittlerweile werden die meisten Bürgerhaushalte ausschließlich oder hauptsächlich mithilfe des Internets angeboten - bekannte Beispiele sind Bonn, Berlin-Lichtenberg, Freiburg, Essen, Gütersloh, Köln, Münster, Trier. In diesem Zusammenhang erreichen uns immer wieder Fragen, von denen wir, die Redaktion, die drei häufigsten versuchen hier zu beantworten. Anregungen, Kommentare, Gegenpositionen können Sie gerne als Kommentar gleich unten einfügen!

Thema Missbrauch oder Manipulationsversuche

Frage: Wie können Manipulationen bei der Abstimmung der Bürgerinnen und Bürger über eingebrachte Vorschläge zum Bürgerhaushalt mittels Internetplattform durch Externe (z.B. Bürgerinnen und Bürger) und durch Interne (z.B. beauftragte Firmen) ausgeschlossen werden?

Manipulationen können grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden. Es gibt zwar Städte, die von den Teilnehmenden, die sich an einer Online-Plattform zur Teilnahme registrieren, neben einen Nutzernamen (der ein Pseudonym sein darf), auch den Vor- und Nachnamen und Adresse abverlangen, dennoch schützt dies nicht vor Missbrauch. Ganz im Gegenteil: durch den Versuch, mehr Nachweise von den Teilnehmenden zu verlangen, erhöht sich sogar das Missbrauchsniveau und -risiko: so geschehen in Potsdam, wo Dritte Daten von Bürgerinnen und Bürgern "genutzt" haben, um sich mit einer falschen Identität zu beteiligen.

Theoretisch wäre es zwar technisch möglich, eine Beteiligungsplattform mit umfassenden Überprüfungsmechanismen auszustatten, um in Echtzeit die Identität eines Teilnehmenden zu überprüfen. Dies würde aber wahrscheinlich - neben zusätzlichen Kosten - dazu führen, dass die Beteiligung "gegen Null" tendiert: Denn welcher Bürger, welche Bürgerin ist bereit, umfassende Daten von sich Preis zu geben, "nur" um an einer Beteiligung zum kommunalen Haushalt beteiligt zu werden? Aufgrund dieser Tatsache muss aus unserer Sicht ein Abstimmungs- / Voting-Verfahren - zum Beispiel um eine Bestenliste zu erzeugen (Köln, Bonn, Trier, Gütersloh, ....) - konzeptionell eine entsprechend "weiche" Rolle spielen. Es kann und darf nicht dazu genutzt werden, um verbindliche Abstimmungen durchführen zu wollen. Das ist aus unserer Sicht solange nicht der Fall, solange ein Internet-basiertes Voting-Verfahren nur dazu dient, um zum Beispiel eine Vorauswahl zu treffen, so wie es in nahezu allen uns bekannten Verfahren nach dem Kölner Modell der Fall ist.

Zusammenfassend gesagt: Missbräuchliche Nutzung (etwa durch Mehrfachregistrierungen einer Person) ist ein Phänomen, mit dem man leben muss. Es darf daher durch eine Verfahrenskonzeption keine zu hohe Bedeutung zugeschrieben bekommen. Und zu guter Letzt darf nicht vergessen werden: Der Rat entscheidet, sodass am Ende - das gilt übrigens auch für die fehlende Repräsentativität aller Bürgerhaushalte (egal ob online oder nicht online) - die formal vorgesehene Instanz das letzte Wort hat.

Was den Missbrauch durch externe Dienstleister angeht: Hier kann theoretisch noch einfacher manipuliert werden, da ja diese Dienstleister nicht nur den technischen Zugang haben, sondern in der Regel auch die Auswertung der Zahlen vornehmen. Das gilt auch für Verwaltungen und deren Mitarbeiter, falls diese einen Bürgerhaushalt ohne externe Dienstleister durchführen (z.B. Freiburg). Hier muss man darauf vertrauen, dass die beteiligten Akteure verantwortungsvoll mit ihrer Rolle (und Macht) umgehen.

Thema Selektivität des Beteiligungskanals Internet

Frage: Führt die Nutzung des Internets als alleiniger oder Hauptkanal nicht dazu, dass viele Bürgerinnen und Bürger von der Beteiligung ausgeschlossen werden?

Konkrete Zahlen aus Bürgerhaushalten sprechen eine klare Sprache: Durch das Internet als Beteiligungsmedium werden vor allem politisch Interessierte erreicht, und hier insbesondere besser verdienende, besser ausgebildete Bürger/innen, vor allem Menschen im Alter zwischen 30 und 60. Und ältere Menschen über 60 werden eher erreicht als jüngere Bürger/innen unter 30. Interessanterweise werden genauso viele Frauen wie Männer erreicht, in manchen Städten sogar mehr Frauen als Männer, was für das Internet bzw. viele andere Beteiligungsverfahren ein Novum ist. Und es gibt Indizien, dass - neben den gut organisierten Gruppen - auch eher nicht organisierte Bürger/innen und Bürger teilnehmen. Das Internet reproduziert also teilweise Beteiligungsasymmetrien und hebt das bekannte Problem fast aller Beteiligungsmethoden nicht auf: Es werden nur die erreicht, die sich politisch/thematisch interessieren.

Frage: Sind im Vergleich zur Einwohnerzahlen oder Wahlberechtigten die Beteiligungszahlen an Bürgerhaushalten nicht viel zu gering?

Grundsätzlich ist bei vielen Initiatoren und Unterstützern von Bürgerhaushalten festzustellen - egal ob Beteiligung mit oder ohne Internet realisiert werden soll -, dass gewünscht wird, möglichst viele, insbesondere politikferne Menschen und eine möglichst repräsentative Teilnehmerschaft zu erreichen. Es werden daher gerne Vergleiche zu Einwohnerzahlen oder zu den Wahlberechtigten oder zu repräsentativ angelegten Verfahren (wie der Kommunalwahl oder repräsentativer Umfragen) gezogen. Vor diesem Hintergrund wirken die üblichen Beteiligungszahlen aller uns bekannter Bürgerhaushalte - sowohl was die Gesamtzahl der Teilnehmenden angeht als auch was ihre Zusammensetzung angeht - eher bescheiden. Selbst in Kommunen mit sehr hoher Beteiligung, werden aktiv gerade 4% der Bevölkerung erreicht, und lesend, also als "Informationsbesucher", ca. 20 bis 40 %. Aus unserer Sicht sind aber alle Anforderungen an Bürgerhaushalte problematisch, die eine sehr hohe und repräsentative Beteiligung fordern und Bürgerhaushalte an diesen Zahlen zu messen versuchen. Denn die zum Vergleich herangezogenen Verfahren oder Zahlen haben *nichts* mit der Beteiligungspraxis so wie sie üblicherweise zwischen den Wahlen stattfindet zu tun. An genau an der setzen Bürgerhaushalte in der Praxis aber an: die kommunalen Haushaltsplanung. Vergleicht man die Struktur und die Anzahl der Teilnehmenden mit der vorhergehenden, üblichen Praxis, stellen fast alle Bürgerhaushalte einen großen Erfolg da, da üblicherweise vor der Einführung eines Bürgerhaushalte keine oder nur äußerst wenige - und dann immer die gleichen - Bürger/innen sich an der Haushaltsplanung durch Eingaben beteiligten.

Thema Lobby-Gruppen und Mobilisierung

Frage: Inwieweit kann verhindert werden, dass beispielsweise Lobby-Gruppen oder andere gut vernetzte Gruppen einen zu großen Einfluss auf das Ergebnis erhalten?

Das kann nicht verhindert werden. Es gibt sogar Stimmen, die sagen, dass das nicht verhindert werden sollte, da das zum Modus unserer Demokratie gehöre: nämlich für Ideen Stimmen zu mobilisieren. Allerdings kann der Einfluss der gut organisierten Bürgerinnen und Bürger relativiert werden, indem beispielsweise durch eine sehr gute Öffentlichkeitsarbeit auch nicht-organisierte Bürger/innen erreicht und zur Teilnahme mobilisiert werden. Zahlen aus Bürgerhaushalten wie Köln, Bonn, oder Solingen zeigen, dass dies ansatzweise auch gelingt. Darüber hinaus kann auch methodisch dafür gesorgt werden, dass nicht nur gut-organisierte Bürger/innen teilnehmen, indem über verschiedene Beteiligungskanäle beteiligt wird: Telefon, Vor-Ort-Veranstaltung und persönliches Gespräch, Brief (Rückantwortbogen), und Internet. Weiterhin gehen manche Kommunen dazu über, neben dem Internet als Hauptbeteiligungskanal zusätzlich eine auf Zufallsauswahl basierende Veranstaltung im Anschluss durchzuführen, um zum Beispiel Ergebnisse aus einer Online-Phase von Bürger/innen (zusätzlich) bewerten zu lassen, also von Bürger/innen, die nicht Vorschläge eingebracht und/oder Stimmen dafür mobilisiert haben.

Fussnoten

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