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Dokumentation des 8. bundesweiten Netzwerktreffens Bürgerhaushalt (2012)

Redaktion Netzwerk Bürgerhaushalt

/ 14 Minuten zu lesen

Am 22. und 23. Mai 2012 fand das 8. bundesweite Netzwerktreffen Bürgerhaushalt im Rahmen des Bundeskongresses politische Bildung statt und bestand aus einer Podiumsdiskussion (22. Mai) und einem Workshop (23.Mai).

Podiumsdiskussion am 22. Mai 2012

Welche Chancen und Risiken bieten Internet und Social Media für Bürgerbeteiligung? Welche demokratischen Innovationspotenziale ergeben sich insbesondere für Bürgerhaushalte? Oder gefährden Online-Abstimmungen und Online-Konsultationen vielmehr das Modell der repräsentativen Demokratie? Lebhaft diskutiert wurden diese Fragen rund um die Themen „E-Government und E-Partizipation“ im Rahmen der Sektion 6 des Bundeskongresses „Zeitalter der Partizipation. Paradigmenwechsel in der Politik und politischer Bildung?“ in Berlin. Die Sektion bildete den ersten Teil des Netzwerktreffens Bürgerhaushalt, das von der Bundeszentrale für politische Bildung und der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (Engagement Global) veranstaltet wurde.

Auf dem Podium vertreten waren Ministerialdirektorin Interner Link: Beate Lohmann (Bundesministerium des Innern), Interner Link: Dr. Stephan Eisel (Konrad-Adenauer-Stiftung), Interner Link: Jürgen Behrendt (E-Government und Online-Dienste der Stadt Köln) und Interner Link: Dr. Anke Knopp (BürgerInneninitiative “Demokratie wagen!”). Interner Link: Dr. Josef Wehner (Universität Bielefeld) hatte leider kurzfristig absagen müssen; somit blieb sein Platz auf dem Podium leer. Moderiert wurde die Diskussion von Interner Link: Kirsten Neubauer (neu&kühn). Die Sektion wurde in Zusammenarbeit mit der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt durchgeführt. Sie war der erste Teil des bundesweiten Netzwerktreffens Bürgerhaushalt, das am 23.5.2012 mit einem Workshop fortgesetzt wurde (Bericht folgt).

Open Government ist „in der Verwaltung angekommen“

Den Anfang machte Beate Lohmann. Sie versicherte, dass Open Government ein Schwerpunktthema des Regierungsprogramms „Vernetzte und transparente Verwaltung“ sei. Transparenz sei Voraussetzung für eine verstärkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger. Im Wettbewerb „Externer Link: Apps für Deutschland“ hätten diese ihr Interesse, ihre Kreativität und den Nutzen von offenen Daten gezeigt. Sie verwies auf verschiedene Beteiligungsverfahren der Bundesregierung, z.B. die Online-Konsultation zu Externer Link: Online-Konsultation zu Open-Government-Eckpunkten von Bund und Ländern im Juni diesen Jahres. Mit einer vom BMI beauftragten Studie zu Open Government Data in Deutschland, die Mitte dieses Jahres veröffentlicht wird, sollen außerdem die Grundlagen für den Prototypen eines ebenenübergreifenden Open-Government-Portals erarbeitet werden.*„E-Partizipation auszuklammern, gelingt nicht mehr“

Den Sprung von der Bundes‑ hin zur kommunalen Ebene machte Dr. Anke Knopp, die die Geschichte des Bürgerhaushaltes in Gütersloh erzählte, von der Idee zu einem solchen „demokratischen Haushalt“ inmitten der finanziellen Krise, über eine stark engagierte Verwaltung und Bürgerschaft, hin zur Durchsetzung einem laut Knopp „kreativen, modernen, offenen“ online-basierten Verfahrens im Jahr 2010, das jedoch in kommunalpolitischen Reihen kritisch gesehen wurde. Themen wie die Frage einer Berufsfeuerwehr in Gütersloh, die bis dato nicht auf der politischen Agenda stand, hätten die Politik „erschrocken“. Vermutungen, die anonyme Konsultation sei durch Mehrfachanmeldung manipuliert worden, hätten dazu geführt, dass im zweiten Verfahren Teilnehmende ihren Klarnamen sowie Geburtstag und –Ort angeben mussten. Laut Knopp ein Schlag ins Gesicht für die Bürgerbeteiligung, die daraufhin rapide sank. Auch der Datenschutzbeauftragte des Landes NRW habe den Klarnamenzwang gerügt. Von einem jedoch lässt Knopp sich nicht abbringen: „Der Bürgerhaushalt hat die Demokratie in Gütersloh bereichert“. Und: „E-Partizipation auszuklammern, gelingt nicht mehr“. Ihr Sohn brate nicht einmal mehr ein Omelett, ohne vor das Wiki zu befragen.

Gute Partizipation ist bürgernah, zugänglich, transparent und integriert

Jürgen Behrendt blieb auf der kommunalen Ebene, wechselte aber von Gütersloh nach Köln. Gute E-Partizipation müsse nah am Bürger, zugänglich für alle Bevölkerungsgruppen, transparent und in integriert in politisch-administrative Prozesse sein. Darauf basiere auch das „Kölner Modell“ des konsultativen Bürgerhaushalts, der erstmals 2008⁄09 stattfand und eine Multi-Kanal-Strategie mit einer Online-Plattform als Hauptkanal verfolgt. Wichtig sei dabei neben der Möglichkeit, Vorschläge zum Haushalt zu machen, der intensive Dialog zwischen Verwaltung und Bürgern, der auch nach Ende der Online-Konsultation aufrechterhalten bleiben müsse. Sonst könne die Glaubwürdigkeit schnell verloren gehen. In Köln könnten heute im Vergleich zum ersten Bürgerhaushalt wegen finanzieller Engpässe nur noch weniger Vorschläge der Bürger umgesetzt werden, einige Vorschläge hätten, obwohl schon versprochen, nicht verwirklicht werden können. Daher sei eine klare und ehrliche Kommunikation sehr wichtig. Dazu bekräftigte Behrendt auch, dass die Politik „noch offener, früher und direkter“ in den Dialog eingebunden werden müsse. Zum Beispiel könnten Vertreter aus politischen Arbeitskreisen schon während der Online-Phase aktiv mitdiskutieren.

Dominanz der Internet-Elite

Das bis dato überwiegend positive Fazit zu E-Partizipation als hilfreiches und nicht mehr wegzudenkendes Instrument für Bürgerbeteiligung wies Dr. Stephan Eisel streng ab. Er betonte zwar, dass „Demokratie von der Mitwirkung der Bürger [lebe], ob in Bürgerinitiativen, Parteien, oder übers Internet“, sieht die großen Hoffnungen, die ins Internet als Beteiligungsmedium gesetzt werden, allerdings sehr kritisch (bzw. in seinen Worten „nüchtern“). Seine Untersuchungen zu Bürgerhaushalten hätten ergeben, dass im Vergleich zur Einwohnerzahl nur eine kleine Minderheit bei solchen Online-Konsultationen mitmache, woraus sich eine digitale Spaltung zwischen „Internet-Elite“ und der großen Mehrheit der Bürger gebe. Zudem bestehe bei Online-Abstimmungen sehr hohe Manipulationsgefahr. Kritisch sieht er auch, dass zwar immer wieder betont werde, dass die Beteiligungszahlen nicht repräsentativ seien, sie aber dennoch zur Rechtfertigung von Maßnahmen genutzt würden.

Online-Verfahren in Multi-Kanal-Strategie einbetten

Zu Eisel’s Thesen gab es regen Widerspruch sowohl aus Podiumsreihen als auch aus dem Plenum. Wenn das Instrument Internet richtig genutzt werde, biete es viele Möglichkeiten für die Beteiligung der Bürger. In Trier zum Beispiel seien über den online-basierten Bürgerhaushalt wesentlich mehr Menschen erreicht worden als mit herkömmlichen Verfahren. Mehrere Teilnehmende im Publikum stimmten jedoch Eisel zu, dass eine ausschließlich online stattfindende Bürgerbeteiligung viele Bürgerinnen und Bürger ausschließen würde. Die Beteiligung müsse daher eine medienübergreifende Strategie verfolgen. Man müsse dabei immer hinterfragen, welche Zielgruppe man mit welchem Medium erreiche. Die kürzlich ausgezeichnete Dresdner Debatte wurde als Beispiel für eine medienübergreifende Bürgerbeteiligung genannt. Auch Lohmann betonte, dass das Internet andere Beteiligungsformen nicht ersetzen sondern ergänzen und unterstützen solle. Eisel gab jedoch zu bedenken, dass auch Multi-Kanal-Strategien problematisch seien, wenn die Informationen dazu ausschließlich online zu finden sind.

Wie können unterrepräsentierte Gruppen eingebunden werden?

Die Frage nach der Einbindung unterrepräsentierter gesellschaftlicher Gruppen zog sich durch die gesamte Diskussion. Neben einer Kombination aus Online‑ und Vor-Ort-Angeboten wurde im Plenum zusätzlich der Vorschlag eines geschlechtergerechten Bürgerhaushaltes laut, woraufhin Externer Link: Unterlagen der Stadt Freiburg zu Gender Budgeting empfohlen wurden. Zur Einbindung der älteren Generationen wurden, wie in Trier schon angeboten, kostenlose Volkshochschulkurse zum Internet am Beispiel Bürgerhaushalt empfohlen. Bezüglich der Einbindung bildungsferner Gruppen äußerte Behrendt allerdings die Vermutung, dass möglicherweise nicht das Internet sondern vielmehr fehlendes politisches Interesse für die geringe Beteiligung verantwortlich sei.

Auch wenn die „soziale Selektivität“ von online-basierten Bürgerhaushalten kritisch gesehen wurde – es wurde auch betont, dass man nicht schon in den Kinderschuhen online-basierter Verfahren zu viel erwarten dürfe. Die Probleme der sozialen Selektivität bestünden auch bei herkömmlichen Verfahren, und Bürger müssten sich erst daran gewöhnen, gefragt zu werden: „Engagement lässt sich lernen.“ Auf die Bemerkung von Eisel, dass selbst innerhalb der Piratenpartei Open-Source-Software wie Adhocracy nur von wenigen genutzt werde, protestierten mehrere Publikums-Teilnehmer, dass viele dort entwickelte Vorschläge von der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft eins zu eins übernommen wurden, die Online-Beteiligung also durchaus wertvoll war.

Evaluationskriterien von Bürgerhaushalten: Eine Zahlenfrage?

Viel drehte sich in der Diskussion um Zahlen. Dabei ging es im Kern um die Frage, welchen Wert Bürgerhaushalte haben, wenn sie keine repräsentative Menge von Bürgern erreichen. Eisel hält dies für gefährlich, da so eine „pseudo-demokratische Legitimität“ entstehe, die von einer Internetaffinen Minderheit dominiert werde. Lohmann unterstrich den Ansatz des konsultativen Verfahrens, bei dem es nicht um absolute Entscheidungsmacht sondern lediglich um das Einholen von Ideen gehe: „Frage ich gar keinen, komme ich nur auf eine Idee. Frage ich drei, habe ich schon ein paar mehr Ideen.“ Je mehr mitmachen, desto mehr Ideen. Aber auch wenige Teilnehmende könnten sehr hilfreiche Vorschläge machen, betonte Behrendt. Es gehe nicht nur um Quantität sondern auch um die Qualität der Beiträge. Hierzu wurde aus dem Publikum bemängelt, dass online-basierten Verfahren oft zu stark nach quantitativen Kriterien bewertet würden, da im Gegensatz zu Vor-Ort-Veranstaltungen die Zahlen online direkt einsehbar seien. Auch Knopp konstatierte: „Wir müssen wegkommen von dem rein statistischen Zahlenjonglieren“. Politik müsse Kriterien zum Gelingen eines Bürgerhaushaltes festlegen, und dabei sei die Beteiligungsquote nur eins von vielen. Auf Nachfrage aus Publikumsreihen, ob eigentlich auch die Meinung der Bürger als Evaluationskriterium abgefragt werde, wurde eine Umfrage zum Bürgerhaushalt Worms vorgestellt, in der die Bürger vor allem eine nachvollziehbare Umsetzung der Vorschläge und eine intensive Öffentlichkeitsarbeit für wichtig befanden. In vielen anderen Städten werde das Feedback der Bürger allerdings bislang gar nicht eingeholt.

Bezüglich der Auswertung von Online-Verfahren bemängelte Eisel, dass oft kommerzielle Interessenskonflikt im Spiel seien, da Durchführung und Auswertung nicht entkoppelt seien. Eine unabhängige, wissenschaftliche Auswertung sei hier angebracht, so wie sie Externer Link: von der Stadt Köln im Jahr 2010 durch die Universität Bielefeld durchgeführt wurde. Dafür fehle oft das Geld, gaben mehrere Stimmen aus Publikum und Podium zu bedenken. Dies brachte gegen Ende auch die Frage mit sich, was Bürgerbeteiligung kosten dürfe. Lohmann betonte, dass es immer gelte, Kosten und Nutzen abzuwägen.

Bürgerhaushalte sind lernende Verfahren

Und das Fazit? Gäbe es eine Wordcloud für Sektion 6, wäre das Wort „Lernprozess“ wohl ganz groß geschrieben. „Wir müssen dieses Instrument üben“, sagte Lohmann. Man müsse schrittweise vorwärts gehen. Und auch aus dem Plenum kommen ähnliche Worte: „Bürgerhaushalt ist ein lernendes Verfahren“, „auch die Politik kann lernen, und durch Zuhören das Verfahren verbessern“. Dabei sei die Kooperation zwischen Verwaltung, Politik und Bürgern gefragt. Und natürlich müsse das Lernen vom Wollen begleitet werden, so Knopp. Aus dem Plenum kam der Wunsch: „Wir sollten den Raum hier nutzen, um zu überlegen, wie wir aus Fehlern lernen können.“

In einem scheinen sich alle einig: Das Internet ist kein Wundermittel. Es ist ein Instrument, dessen Verwendung noch erprobt werden muss. Während Eisel allerdings die demokratischen Innovationspotentiale des Internets ausschließlich in der Rolle als Informations‑ und Diskussionskanal sieht, sehen Lohmann, Behrendt und Knopp auch große Chancen im Internet als Beteiligungskanal. Eisel hält dies mit Blick auf die soziale Selektivität und die fehlende Repräsentativität für gefährlich und spricht sich für einen stärkeren Fokus auf ehrenamtliches Engagement und Parteiarbeit aus. Knopp hält dies für „old-fashioned“; durch das Parteiensystem würden sich viele – auch sie – nicht mehr angemessen vertreten fühlen. Lohmann wägte ab: Der Bürgerhaushalt erreiche Bürgerinnen und Bürger, die in die politischen Prozesse sonst nicht eingebunden sind. Er ergänze, aber ersetze nicht verfassungsgemäße Entscheidungsprozesse in einer Demokratie.* Zuletzt bleibt es wohl eine Ermessensfrage: Welche Demokratie wollen wir? Wie viel direkte Mitbestimmung brauchen wir dafür? Vom Internet die Demokratierettung zu erwarten, wäre sicherlich zu viel verlangt; aber richtig genutzt kann es zumindest einen Teil dazu beitragen. Sektion 6 des Bundeskongresses hat dafür einige wichtige Impulse gegeben.

Das Netzwerktreffen Bürgerhaushalt ist eine gemeinsame Veranstaltung der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (Engagement Global) und der Bundeszentrale für politische Bildung. Eine detaillierte Dokumentation des Treffens erfolgt durch dieVeranstalter und kann in Kürze kostenlos als pdf und als Printversion über die Webseite Externer Link: www.service-eine-welt.de oder Externer Link: www.buergerhaushalt.org bezogen werden.

Links:

*An diesen Stellen wurden am 14.08.2012 von der Redaktion kleine Änderungen und Ergänzungen vorgenommen.

Workshop am 23. Mai 2012

Um die Zukunft von Bürgerhaushalten ging es im zweiten Teil des Netzwerktreffens Bürgerhaushalt 2012, der am 23. Mai im Rahmen des Bundeskongresses Politische Bildung „Zeitalter der Partizipation“ im Berliner Congress Center stattfand. Gäste aus dem In‑ und Ausland tauschten sich intensiv dazu aus, wie das Instrument Bürgerhaushalt genutzt werden kann, um die kommunalen Haushaltsplanungen offener und zugänglicher zu gestalten, und diese um Vorschläge und Hinweise der Bürgerinnen und Bürger zu bereichern. Dabei wurde vor allem diskutiert, welche Potentiale und Risiken vom Modell des budgetorientierten Bürgerhaushalt ausgehen, wie eine erfolgreiche Institutionalisierung von Bürgerhaushalten gelingen kann, und was deutsche Kommunen von Bürgerhaushalten im Ausland lernen können.

Nach kurzer Vorstellung der Referierenden wurde für jeden der drei Themenschwerpunkte – Budgetorientierung, Institutionalisierung, Internationale Trends – eine Arbeitsgruppe gebildet.

Die Gruppe zu budgetorientierten Bürgerhaushalten wurde von Toni Loosen-Bach, Koordinator für Bürgerbeteiligung im Büro des Oberbürgermeisters Stadt Trier, sowie Ralf-Peter Hennig, Dezernent für Finanz‑ und Ordnungsangelegenheiten der Stadt Bernau, eingeleitet. Sie stellten die Trierer Ortsteilbudgets sowie den zentral organisierten Bernauer Bürgerhaushalt vor.

Das Thema Institutionalisierung von Bürgerhaushalten wurde in der Gruppe um Ernst-Ulrich Reich, Leiter des Steuerungsdienstes im Bezirksamt Berlin-Lichtenberg, und Heinrich Klausgrete, Stadtkämmerer und Amtsleiter Amt für Finanzservice Stadt Hilden, diskutiert. In Berlin-Lichtenberg solle nach acht Jahren Bürgerhaushalt das Verfahren neustrukturiert und stärker in die Gemeinwesenentwicklung eingebunden werden, berichtete Reich. Klausgrete präsentierte den ausgeglichenen Bürgerhaushalt der Stadt Hilden, die im Jahr 2011 bereits ihren zehnten Bürgerhaushalt durchgeführt hat.

Internationale Inspirationen fanden die Teilnehmenden der dritten Arbeitsgruppe vor allem dank der aus Spanien und Portugal angereisten Gäste. Giovanni Allegretti, Center for Social Studies (CES) der University of Coimbra (Portugal), der sowohl an einem Bürgerhaushaltsprogramm von neun portugiesischen Kommunen als auch an Weltbank-Projekten zu Bürgerhaushalten in Afrika beteiligt ist, berichtete über Trends und Best-Practices von Bürgerhaushalten in den USA/Kanada, Asien, Afrika, Lateinamerika und Europa. Carles Agustí und Laia Vilademunt vom International Observatory for Participatory Democracy (IOPD) in Barcelona berichteten einerseits über Bürgerhaushalte in Spanien, andererseits vom internationalen Netzwerk International Observatory on Participatory Democracy (IOPD), durch das Kommunen und Institutionen aus aller Welt sich zum Thema Bürgerhaushalte austauschen können, bei dem deutsche Kommunen allerdings bislang fehlen.

Die Diskussion innerhalb der Gruppen war angeregt und inspirierend. Nach einer Pause, die dazu genutzt wurde, um untereinander vertieft ins Gespräch zu kommen, fand ein Austausch zwischen den Arbeitsgruppen statt. Beim World Café wechselten alle Teilnehmer bis auf je einen Gastgeber die Gruppen und konnten so Erkenntnisse aus der einen in die andere Gruppe übertragen und neue Impulse erhalten. Die Kernerkenntnisse der verschiedenen Gruppen wurden in einem abschließenden Resümee kurz vorgestellt.

Budgetorientierte Bürgerhaushalte: Vor‑ und Nachteile gegenüber konsultativen Verfahren

Obwohl in Deutschland die bis dato meisten Bürgerhaushalte fast immer konsultativ sind, also nicht budgetorientiert sondern eher vorschlagsorientiert, war die Stimmung gegenüber den verbindlicheren Bürgerhaushalten, in denen den Bürgern ein bestimmtes Budget zur direkten Verfügung gestellt wird, keineswegs ablehnend. Die Gruppe rund um budgetorientierte Bürgerhaushalte fasste die Chancen und Risiken solcher Bürgerhaushalte so zusammen: Problematisch sei, dass eine direkte Entscheidung durch eine nichtrepräsentative Anzahl von Bürgern zum einen schwer mit den Grundsätzen einer repräsentativen Demokratie zu vereinbaren sei, und damit zusammenhängend zum anderen den Minderheitenschutz nicht gewährleiste. Auch würden Folgekosten bei der Vorschlagsabgabe durch den Bürger oft nicht berücksichtigt, und sowieso könne sich eine Stadt einen solch ausgabeorientierten Bürgerhaushalt nicht immer leisten, was zu Enttäuschungen bei den Bürgern führen könne. Andererseits betonten die Gruppenteilnehmer, dass die Bürger durch einen budgetorientierten Bürgerhaushalt ein Verständnis für Finanzen entwickeln würden und dass durch die politische Beteiligung ihre Kompetenzen als verantwortliche Bürger gestärkt würden. Außerdem könne Verwaltung und Politik vom Expertenwissen der Bürgerschaft profitieren, Bürger würden das Vertrauen anderer Bürger genießen und allgemein werde die Demokratie gestärkt. Diskutiert wurde zudem, inwieweit ein sparorientierter Bürgerhaushalt sinnvoll wäre. Das Herunterbrechen auf Stadtteilebene wurde außerdem empfohlen, da dies „näher dran am Bürger“ sei.

Institutionalisierung von Bürgerhaushalten: der „nächste wichtige Schritt“

Dass die Institutionalisierung von Bürgerhaushalten in Deutschland der „nächste wichtige Schritt“ hin zu einem nachhaltigen, zukunftsfähigen Bürgerhaushalt sei, betonte die Gruppe zur Institutionalisierung. Erfolgsfaktoren für einen langlebigen Bürgerhaushalt seien Einigkeit zwischen Politik und Verwaltung, positiv gestimmte Medien und gute Öffentlichkeitsarbeit sowie politische Bildungsarbeit. Negativ auswirken würde sich vor allem eine negative Berichterstattung und zu hohe Erwartungen der Bürgerinnen und Bürger. Umso wichtiger sei es, in allen Phasen transparent und ehrlich zu sein und auch Fehler zu kommunizieren. Feedback sollte möglichst konkret und individuell zu einzelnen Vorschlägen gegeben werden und das Verfahren müsse dynamisch bleiben und nicht durch Regeln zu festgefahren. Die Verfahren müssten nachhaltig in politisch-administrative Prozesse und eine Gesamtstrategie zu Bürgerbeteiligung eingebunden werden. Diskutiert wurde zudem die Rolle neuer Medien, die laut einiger Teilnehmender den Dialog zwischen Bürgern, Verwaltung und Politik vereinfachen.

Internationale Trends: “Germans, where are you?”

Auch in der Arbeitsgruppe zu internationalen Trends wurden die Themen Budgetorientierung und Institutionalisierung intensiv diskutiert. Im Gegensatz zu Deutschland sind budgetorientierte Bürgerhaushalte in Südamerika und auch anderen europäischen Ländern sehr weit verbreitet. Laut Allegretti würden bei budgetorientierten (bzw. in seinen Worten „co-decisional“) Bürgerhaushalten mehr Bürgerinnen und Bürger mitmachen, da sie echte Entscheidungskompetenzen erhielten. Außerdem sei ein Mix der verschiedenen Modelle oft hilfreich; zum Beispiel könnten wenige Teilnehmende Vorschläge ausarbeiten, über die dann von einer repräsentativen Anzahl an Bürgerinnen und Bürgern per Referendum abgestimmt wird. So sei auch der Minderheitenschutz gewährleistet. Bezüglich der Institutionalisierung von Bürgerhaushalten sei in anderen Ländern vor allem die Entwicklung von Bürgerbeteiligungs-Chartas erfolgreich. In Peru und der Dominikanischen Republik gäbe es sogar nationale Gesetze zur Bürgerbeteiligung am Haushalt. Eine enge Kooperation mit Universitäten zur Evaluation von Bürgerhaushalten sowie die Einbettung des Verfahrens in schon existierende soziale Projekte und Bildungsangebote speziell zu Bürgerhaushalten wurden empfohlen. Auch per Öffentlichkeitsarbeit könnten klare Anreize gegeben werden, nicht nur beim ersten Bürgerhaushalt mitzumachen, zum Beispiel indem die Erfolge des letzten ins Zentrum gerückt werden. Zuletzt riefen die internationalen Gäste deutsche Kommunen dazu auf, verstärkt in den Dialog mit Kommunen anderer Länder zu treten und sich in internationalen Netzwerken einzubringen. Die nächste Chance dazu bietet sich bei der Jahreskonferenz der portugiesischen Nichtregierungsorganisation Externer Link: IN-Loco. Allegretti lud die deutschen Kommunen herzlich zur Teilnahme an dieser Konferenz ein, an der es hauptsächlich um den Austausch von Kommunen und Netzwerken zu Bürgerhaushalten aus verschiedenen Ländern gehen wird. Auch die Mitgliedschaft deutscher Kommunen im IOPD wird begrüßt. Vielleicht erhalte dann eine deutsche Kommune sogar den nächsten IOPD-Preis für gute Partizipation (IOPD Distinction for Best Practice in Citizen Participation).

Insgesamt ermöglichte das diskursive, interaktive Format des Workshops einen intensiven und konstruktiven Austausch. Das Netzwerktreffen 2012 hat gezeigt: Die Erkenntnis, dass Bürgerhaushalte nachhaltig in politisch-administrative Prozesse integriert werden müssen, ist da. Der Wille auch. Ob sich Bürgerhaushalte, insbesondere auch budgetorientierte Bürgerhaushalte, in Zukunft in Deutschland durchsetzen werden, bleibt abzusehen. Der ein oder andere Blick ins Ausland könnte dafür wichtige Impulse geben.

Das Netzwerktreffen ist eine gemeinsame Veranstaltung der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (Engagement Global) und der Bundeszentrale für politische Bildung. Eine detaillierte Dokumentation des Treffens erfolgt durch dieVeranstalter und kann in Kürze kostenlos als pdf und als Printversion über die Webseite Externer Link: www.service-eine-welt.de oder Externer Link: www.buergerhaushalt.org bezogen werden.

Weitere Informationen zum Netzwerktreffen Bürgerhaushalt auf der Website des Bundeskongresses für Partizipation:

Externer Link: http://www.bundeskongress-partizipation.de/wiki/index.php/Workshop_13:_Netzwerktreffen_B%C3%BCrgerhaushalt

Fussnoten

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