Akteure in der Naturschutzpolitik: Interessenverbände und Organisationen
Annette Zimmer
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Die Organisationen des Umwelt- und Naturschutzes zählen nicht nur zu den ältesten zivilgesellschaftlichen Interessenvertretungen, sondern auch zu den Organisationen, die einen breiten Rückhalt in der Bevölkerung haben. Welche verschiedenen Formen gibt es unter ihnen, wie sind sie strukturiert und wie arbeiten sie?
Engagement im Umwelt- und Naturschutz hat Hochkonjunktur. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes sind fast 18 Millionen Bundesbürger*innen in diesem Bereich aktiv. Der Freiwilligensurvey , die alle fünf Jahre durchgeführte repräsentative Befragung zum bürgerschaftlichen Engagement, weist seit 1999 einen kontinuierlichen Anstieg der Engagementquote im Bereich "Umwelt, Natur- und Tierschutz" auf. Danach waren im Berichtsjahr gut 4 % der Bundesbürger*innen hier engagiert und überwiegend in Organisationen, Verbänden und Initiativen tätig.
Im internationalen Vergleich zeichnet sich Deutschland durch ein breites Spektrum von Natur- und Umweltschutzorganisationen aus, von denen einige bereits im 19. Jahrhundert gegründet wurden. Ihre Tätigkeitsbereiche sind vielfältig und reichen von traditionellem Tier- und Naturschutz über Politikberatung bis hin zu öffentlichkeitswirksamen Kampagnen und Interner Link: Lobbying auf dem Rechtsweg. Die Organisationen unterscheiden sie sich z. T. erheblich hinsichtlich ihrer Strukturen und Strategien der Interessenvertretung. Hinzu kommen weniger formalisierte Gruppen, Ad-hoc Initiativen und in soziale Bewegungen eingebundene Protestaktionen. Insofern gestaltet sich Interessenvertretung im Dienst des Natur-, Umwelt- und Klimaschutzes als ein heterogener Bereich mit vielfältigen Bezügen zu anderen Politikfeldern, wie etwa der Agrar- oder Verkehrspolitik.
Anteile freiwillig engagierter Personen in vierzehn Bereichen 2019 (FWS 2019 gewichtet, eigene Berechnungen (DZA))
Abbildung 2: Anteile freiwillig engagierter Personen in vierzehn Bereichen 2019 (FWS 2019 gewichtet, eigene Berechnungen (DZA)) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Abbildung 2: Anteile freiwillig engagierter Personen in vierzehn Bereichen 2019 (FWS 2019 gewichtet, eigene Berechnungen (DZA)) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Im Folgenden soll Natur- und Umweltschutz als Arbeits- und Aufgabenbereich von Interessengruppen und -organisationen näher in den Blick genommen werden. Hierzu werden die verschiedenen Akteure der Interessenvertretung zunächst vorgestellt. Daran anschließend wird kurz auf den historischen bzw. gesellschaftlich-politischen Kontext der Entstehung von Natur- und Umweltschutzorganisationen eingegangen. Abschließend werden Unterschiede im Aufbau und Management der Organisationen behandelt sowie Arbeitsweisen und Strategien der Interessenvertretung thematisiert.
Begrifflichkeiten und Organisationsformen: Verbände, Vereine, NGOs, NPOs, Stiftungen
Ziel aller Natur- und Umweltschutzorganisationen ist der Erhalt oder die Wiederherstellung einer intakten Umwelt. In der Literatur wird z. T. differenziert zwischen Organisationen des klassischen Naturschutzes und Umweltschutzorganisationen.
Natur- und Umweltschutzorganisationen
Naturschutzorganisationen setzen sich i. d. R. vor Ort für den Tier- und Pflanzenschutz und den Erhalt oder die Wiederherstellung von Öko-Systemen ein.
Umweltschutzorganisationen arbeiten primär als Interessenvertretung und Lobbyisten im Dienst des Erhalts und der Verbesserung unserer Lebensgrundlagen und fordern daher auch eine nachhaltige Gestaltung aller Politikbereiche, wie z. B. der Energie-, Verkehrs- oder Agrarpolitik. Allerdings ist diese Differenzierung zwischen Natur- und Umweltschutzorganisationen inzwischen nicht mehr trennscharf. Umweltschutz und Nachhaltigkeit sind heute zentrale Themen aller in diesem Bereich tätigen Organisationen, Initiativen und Gruppen.
Auch für Natur- und Umweltschutzorganisationen sind eine ganze Reihe von Bezeichnungen üblich. Neben Interner Link: Vereinen und Interner Link: Verbänden finden sich die Anglizismen Interner Link: NGO (non-governmental bzw. Nicht-Regierungsorganisation) sowie NPO (non-profit bzw. gemeinnützige Organisation). Zu den Akteuren des Natur- und Umweltschutzes zählen ferner Stiftungen, Genossenschaften sowie nicht formal organisierte Gruppen. Solche Ad-hoc Zusammenschlüsse werden analog zu anderen Politikfeldern auch in diesem Bereich als Initiativen sowie bei kontinuierlicher Aktivität im öffentlichen Raum als soziale Bewegungen (Umweltbewegung) bezeichnet. Alle hier angeführten Organisationen, Initiativen und Bewegungen des Natur- und Umweltschutzes sind der Zivilgesellschaft als Bereich jenseits von Markt und Staat und gesellschaftlicher Sphäre zuzurechnen, der u. a. die Funktion der Artikulation, Bündelung, Lautverstärkung und Vermittlung von Interessen und Anliegen zukommt.
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Bei vielen der Bezeichnungen für zivilgesellschaftliche Organisationen und Gruppen handelt es sich um umgangssprachliche Begriffe ohne rechtliche Grundlage.
So werden mit Verband umgangssprachlich meist größere und föderal aufgebaute Organisation bezeichnet, deren Tätigkeit sich über mehrere Ebenen (lokal, regional, Landes-, Bundes- und EU-Ebene) erstrecken kann und die über angeschlossene Mitgliederorganisationen verfügen. Ein solcher Verband ist z. B. der Naturschutzbund Deutschland (Externer Link: NABU) mit mehr als 2.000 lokal und regional tätigen Mitgliederorganisationen. Die lokalen Mitgliederorganisationen sind i. d. R. organisatorisch unabhängig und eigenverantwortlich. Überwiegend konzentrierten sie sich gemäß ihrer jeweiligen Vereinssatzung auf die praktische Arbeit vor Ort, ohne weitergehende Zielsetzungen zu verfolgen. Der Deutsche Naturschutzring (Externer Link: DNR) ist dagegen eine Dachorganisation; seine Mitgliederorganisationen sind Natur- und Umweltschutzverbände, wie z. B. der NABU, aber auch Erzeugerverbände oder Natursportverbände; als Spitzenverband der Verbände besteht seine Aufgabe in der Koordination der Interessenvertretungsaktivitäten in diesem Bereich. Die Bezeichnung Verband betont somit den Verbundcharakter einer Organisation. Demgegenüber handelt es sich bei Vereinen umgangssprachlich eher um kleinere, auf individueller Mitgliedschaft basierende und primär lokal tätige Organisationen. Ein solcher Verein ist z. B. der Externer Link: NABU Stadtverband Münster e.V., der eine Geschäftsstelle unterhält und in vielfältige Aktionen vor Ort eingebunden ist.
Eine ganze Reihe der Naturschutzorganisationen können auf eine lange Geschichte zurückblicken, die teilweise bis in das 19. Jahrhundert zurückreicht. Ursächlich für die Organisationsgründungen waren damals zum einen die Romantisierung der Natur, zum anderen kamen, etwa bei den Obst-, Gartenbau- und später auch den Kleingartenvereinen, utilitaristische (anwendungsorientierte) Überlegungen der Schulung und Versorgung der Bevölkerung zum Tragen.
Als Bezeichnung für Organisationen mit primär politischen Zielsetzungen, ohne jedoch direkt in Form der Beteiligung an Wahlen oder durch politisches Mandat in der politischen Verantwortung zu stehen, hatten Verbände lange Zeit ein Alleinstellungsmerkmal. Dies ist jedoch längst nicht mehr der Fall. Inzwischen ist in den Sozialwissenschaften von "organisierten Interessen" die Rede.
Wenn speziell auf die politische Einflussnahme fokussiert wird, ist die Bezeichnung Interessenvertretung üblich, so z. B. wenn der wissenschaftliche Dienst des Bundestages eine Dokumentation über die Interessenvertretung im Bereich Umweltpolitik, -schutz, -technologie und Biotechnologie erstellt. Schließlich findet sich in der populär- und politikwissenschaftlichen Literatur auch zunehmend die Bezeichnung Interner Link: Lobby-Akteur oder Lobbyist.
Die Bezeichnungen Nichtregierungs-(NGO) sowie Nonprofit-Organisation (NPO) sind angelsächsischer Herkunft und ein Indikator (Anzeichen) sowohl für zunehmende Internationalisierung als auch Professionalisierung. Während die Bezeichnung NPO in erster Linie in den Wirtschaftswissenschaften üblich ist , werden als NGOs meist international tätige Organisationen bezeichnet. Im Bereich Natur- und Umweltschutz trifft dies häufig für Chapter bzw. Zweigstellen internationaler Natur- und Umweltschutzorganisationen in Deutschland zu. Beispiele hierfür sind etwa Greenpeace oder der World Wildlife Fund / World Wide Fund for Nature (WWF, Externer Link: www.worldwildlife.org, Externer Link: www.wwf.de). Einige NGOs unterscheiden sich in ihrer Gründungsgeschichte, Arbeitsweise, Finanzierung sowie in ihrem Organisationsaufbau vom klassischen Verband als föderal strukturierte Mitgliederorganisation. Sie sind, wie z. B. Greenpeace, in Anlehnung an Wirtschaftsunternehmen hierarchisch organisiert und werden wie eine Firma von einer kleinen Führungsgruppe Professioneller geleitet. Noch sind die unternehmensförmigen Organisationen im Natur- und Umweltschutz eher die Ausnahme als die Regel.
Wie insgesamt in der Zivilgesellschaft, ist auch in diesem Bereich die überwiegende Mehrheit der Organisationen von der Rechtsform ein eingetragener Verein (e. V.), wie z. B. Robin Wood e. V. (Externer Link: www.robinwood.de). Der Verein als Rechtsform ist ein freiwilliger, auf Dauer angelegter, körperschaftlich organisierter Zusammenschluss von mehreren natürlichen oder juristischen Personen, die unter einem Gesamtnamen bestimmte Zwecke verfolgen. Auch die überregional tätigen Dachorganisationen – die Verbände – sind in Deutschland von ihrer Rechtsform meist als e. V. organisiert, so z. B. auch der Nabu. Beim Verein handelt sich es um eine mitgliederbasierte Rechtsform, wobei die Mitglieder Einzelpersonen sowie Organisationen sein können.
Eher selten sind Organisationen des Natur- und Umweltschutzes als Stiftung organisiert. Bei der Stiftung handelt es sich um eine kapitalbasierte Rechtsform. Prominent herauszustellen ist hier die auf staatliche Initiative hin errichtete Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU,Externer Link: www.dbu.de), die als Stiftung bürgerlichen Rechts über einen erheblichen Kapitalstock verfügt und dessen Erträge im Dienst des Natur- und Umweltschutzes einsetzt.
Aktuell gewinnt die Rechtsform Genossenschaft, die sowohl mitglieder- wie kapitalbasiert ist, für diesen Bereich an Bedeutung, wie sich anhand der Popularität von Energiegenossenschaften ablesen lässt . Genossenschaften sind aber weniger in der Interessenvertretung tätig, sondern dienen eher den individuellen Anliegen ihrer Mitglieder.
Schließlich sind im Natur- und Umweltschutz auch viele Gruppen und Initiativen aktiv, die nicht formal rechtlich organisiert sind. Darunter fällt u. a. ein breites Spektrum von Bürgerinitiativen, die sich häufig punktuell und vor Ort für ein ganz spezifisches Anliegen, z. B. die Verhinderung des Baus eines Windparks, engagieren oder sich gegen die Vermüllung der Landschaft im Nahraum, wie z. B. die Bürgerinitiative Stoppt den Giftmüll e.V. (Externer Link: www.wir-wehren-uns.info), einsetzen. Als ein echter 'Klassiker' ist hier sicherlich die Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V. (Externer Link: www.bi-luechow-dannenberg.de) zu nennen.
Davon zu unterscheiden sind soziale Bewegungen, die im Bereich Umwelt- und Naturschutz auf breiter Front versuchen, auf Politik korrigierend und im Dienst von Nachhaltigkeit einzuwirken. Hierzu bedienen sie sich verschiedener Mobilisierungsstrategien, wie etwa Protest, Blockade, Boykott, und setzen dabei auf die Multiplikatorfunktion der Medien mit der Zielsetzung einer Interner Link: Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Klassische Beispiele hierfür sind die Anti-Atomkraftbewegung oder die Umweltbewegung . Soziale Bewegungen verfügen häufig über Bewegungsorganisationen, die in ihrem Umfeld entstanden sind, und sich als Infrastruktur und Mobilisierungspotential der Bewegung etablieren. Ein Beispiel hierfür sind u. a. Umweltbüros und -läden. Aber soziale Bewegungen sind keine Organisationen mit Rechtsform und formalisierter Mitgliedschaft. Ferner sind soziale Bewegungen i. d. R. Ausdruck des Zeitgeistes und spiegeln in ihren Zielsetzungen politische Anliegen von hoher Dringlichkeit und gesellschaftlicher Relevanz wider, die aber nicht oder nur bedingt im politischen Raum Berücksichtigung finden. Viele der heutigen Interessenvertretungen im Bereich Natur- und Umweltschutz haben ihren Ursprung in sozialen Bewegungen. Dies wird deutlich bei einem Blick auf die Geschichte und insbesondere heutige Entwicklung der Organisationen.
Naturschutz- und Umweltorganisationen (gestern und) heute
In der Literatur wird retroperspektiv (rückblickend) auf "größere Wellen" von Organisationsgründungen im Bereich Umwelt- und Naturschutz verwiesen. Anlass der Entstehung war jeweils die Kritik an den herrschenden Verhältnissen in Wirtschaft und Politik,
die eine Gefahr für Flora und Fauna darstellen,
dem Wachstum der Wirtschaft erste Priorität einräumen
und dadurch zur nachhaltigen Erosion bis hin zur völligen Zerstörung der ökologischen Grundlagen unseres Zusammenlebens beitragen.
Das Gründungsgeschehen war jeweils eingebettet in sozial-gesellschaftspolitische Kontexte. Diese waren entweder eher wertkonservativ und von einem kulturpessimistischen Zeitgeist geprägt, oder aber Natur- und Umweltschutz wurde mit sozial-reformerischen Konzepten und Ansätzen einer ökologischen Modernisierung der Wirtschaft verbunden. Es lässt sich daher zwischen einer eher "konservativ-rechten" und einer eher "reformerisch-linken" Tradition der Organisationen und Bewegungen des Natur- und Umweltschutzes unterscheiden. Eine erste Gründungswelle wird bereits auf die Mitte des 19. Jahrhunderts und eine zweite auf Interner Link: die 70er und 80er Jahre des 20. Jahrhunderts datiert.
Diese unterschiedlichen Traditionen hatten lange Zeit Auswirkungen auf das Selbstverständnis, die Zielsetzungen und Strategien der Organisationen. Doch heute verstehen sich die Natur- und Umweltschutzorganisationen durchgängig, einschließlich der traditionellen Verbände, als politisch tätige Interessenvertretungen, die im Dienst einer nachhaltigen Entwicklung arbeiten. Die Zielsetzung mit der Orientierung auf Umweltschutz kommt bereits im Namen zum Ausdruck, wie z. B. bei dem 1975 gegründeten und mitgliederstarken Bund für Umwelt und Naturschutz e. V. (BUND, Externer Link: www.bund.net). Auch hatte das Thema zwischenzeitlich an Schubkraft verloren, doch durch die soziale Bewegung Fridays for Future (Externer Link: https://fridaysforfuture.de) ist in jüngster Zeit eine neue Dynamik ausgelöst worden.
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Die Organisationen sehen sich heute eingebunden in einen Kontext, der durch Globalisierung und Europäisierung geprägt ist und insofern internationale Vernetzung und weltweite Zusammenarbeit erfordert.
Die Zusammenarbeit mit und Mitgliedschaft in internationalen Natur- und Umweltschutzorganisationen, wie z. B. Friends of the Earth (Externer Link: www.foei.org), ist inzwischen ebenso üblich, wie die deutschlandweite Präsenz von Natur- und Umweltschutzorganisationen internationaler Provenienz,beispielsweise dem WWF. Neben einer stärkeren Orientierung auf Umwelt- und Klimaschutz als umfassende Aufgabe haben sich in den letzten Dekaden auch Veränderung im Hinblick auf das Management und das Strategierepertoire der Organisationen ergeben.
Analog zu anderen Bereichen der Zivilgesellschaft haben sich die Organisationen des Natur- und Umweltschutzes weitgehend professionalisiert. Die Mehrheit ist immer noch mitgliederbasiert und als e. V. organisiert, aber neben der freiwilligen Mitarbeit und des bürgerschaftlichen Engagements hat die beruflich-bezahlte Tätigkeit, wie insgesamt in der Zivilgesellschaft, auch bei den Naturschutz- und Umweltorganisationen an Bedeutung gewonnen. Damit ging eine Veränderung der Finanzierung einher, die nicht mehr ausschließlich auf Mitgliederbeiträge, sondern in beträchtlichem Umfang auf Spenden, Sponsoring, Einnahmen aus wirtschaftlicher Tätigkeit (z. B. in Form der Erstellung wissenschaftlicher Expertisen) sowie auf öffentlicher Förderung basiert.
Als weitere Neuerung ist die Adaption unternehmerischer Leitungsstrukturen zu nennen. Dies trifft insbesondere auf die in Deutschland tätigen Chapter internationaler Natur- und Umweltschutzorganisationen zu, wie z. B. auf Greenpeace oder die Tierschutzorganisation Peta Deutschland e. V. (People for the Ethical Treatment of Animals, Externer Link: www.peta.de bzw. international Externer Link: www.peta.org/international). Diese sind keine auf Basis von vielen lokalen Vereinen bottom-up entstandene und föderal strukturiere Verbände. Vielmehr sind sie top-down, hierarchisch gesteuerte Organisationen, die wie Unternehmen geführt werden. Sie verfügen auf lokaler Basis i. d. R. über mit der Zentrale lose verbundenen Gruppen, die aber nicht demokratisch in die Gesamtorganisationen eingebunden sind und daher auch keinen Einfluss, z. B. auf Strategieentscheidungen oder Rekrutierung des Führungspersonals, haben. Diese Organisationen sind überwiegend spendenfinanziert und insofern in hohem Maße abhängig von einem positiven Image in der allgemeinen Öffentlichkeit. Professionelles Fundraising, gekoppelt mit langfristig angelegter strategischer PR-Arbeit , gehören daher zu zentralen Managementbereichen dieser typischen Vertreter der zweiten Gründungswelle der Organisationen des Natur- und Umweltschutzes.
Hierzu zählen auch die Forschungsinstitute und Think Tanks (Denkfabriken), die speziell zu den Themen Umwelt und Ökologie arbeiten. Als Pionier in diesem Feld ist das Institut für angewandte Ökologie (Öko-Institut e.V., Externer Link: www.oeko.de) mit Hauptsitz in Freiburg zu nennen, das 1977 im Umfeld der Anti-Atomkraft-Bewegung als kritische Alternative zum damaligen wissenschaftlichen Mainstream gegründet wurde. Das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (Wuppertal Institut, Externer Link: https://wupperinst.org), das 1990 seine Arbeit aufnahm und sich als Think Tank an der Schnittstelle von Wissenschaft, Politik und Wirtschaft versteht, ist von seiner Rechtsform unternehmensförmig als gemeinnützige GmbH (kurz gGmbH) organisiert. Das Institut ist ein Indiz dafür, dass auch im Bereich Natur- und Umweltschutz Interessenvertretung durch wissenschaftliche Expertise nachhaltig an Bedeutung gewonnen hat.
Im selben Jahr, ausgestattet mit einem erheblichen Stiftungskapital, das aus den Erlösen des Verkaufs eines öffentlichen Unternehmens stammt, wurde die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) errichtet. Diese ist als unabhängige Stiftung in einem breiten Themenspektrum tätig und fördert praxisnahe Projekte u. a. mit engem Wirtschaftsbezug; ferner leistet sie Aufklärungsarbeit im Bereich Natur- und Umweltschutz. Think Tanks und wissenschaftliche Institute sind im Umwelt- und Naturschutz, analog zu anderen Bereichen, inzwischen zu wichtigen Akteuren der Interessenvertretung avanciert; sie dienen als neutrale Quelle der Information für Bürger*innen und ihnen kommt eine zentrale Rolle bei der Politikberatung zu.
Insofern zeichnet sich der Bereich der Natur- und Umweltschutzorganisationen heute durch Pluralität und Diversität aus. Neben den klassischen Organisationen, deren Erfolg auf dem kontinuierlichen bürgerschaftlichen Engagement ihrer Mitglieder vor Ort basiert, setzen die neuen unternehmensähnlichen Organisationen eher auf Kampagnen und Medienwirksamkeit, während Stiftungen und Think Tanks Interessenvertretung für den Natur-, Umwelt- und Klimaschutz mittels Politikberatung sowie der Erarbeitung und Verbreitung von Expertisen betreiben.
Für die Zukunft ist von einer weiteren Zunahme der Interessenvertretungsorganisationen auch in diesem Bereich auszugehen, da insgesamt ein Differenzierungsprozess der Verbände eingesetzt hat. So sind im Zuge der erstarkenden Orientierung auf Ökologie und Nachhaltigkeit auch in bisher eher nicht mit dem Natur- und Umweltschutz in Verbindung gebrachten Bereichen, wie etwa der Interessenvertretung im Politikfeld Verkehr, neue Organisationen entstanden, die sich, wie z. B. der Verkehrsclub Deutschland e.V. (VCD, Externer Link: www.vcd.org) oder der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC, Externer Link: www.adfc.de), einer im Sinne des Umweltschutzes nachhaltigen Entwicklung verpflichtet fühlen. Ein weiteres Beispiel ist die Agrarwirtschaft. Der hier als Interessenvertretung lange Zeit dominante Deutsche Bauernverband e.V. (DBV, Externer Link: www.bauernverband.de) hat inzwischen erheblich Konkurrenz bekommen durch eher an den Zielen einer nachhaltigen Landwirtschaft orientierten und damit auch dem Natur- und Umweltschutz verpflichteten Verbände, wie z. B. dem Bundesverband ökologischer Weinbau e. V. (Externer Link: www.ecovin.de) oder dem Bund ökologische Lebensmittelwirtschaft e. V. (BÖLW, Externer Link: www.boelw.de).
Parallel zur Entwicklung eines vielfältigen Akteursspektrums ist eine Differenzierung der Arbeitsweisen und Strategien der Natur- und Umweltschutzorganisationen erfolgt. Diese sind heute auf allen Ebenen des politischen Systems – lokal, regional, national, europäisch und international – tätig. Die Dachverbände und NGO-Zentralen entsenden ihre Vertreter*innen zu internationalen Konferenzen und sind z. T. akkreditiert bei internationalen Organisationen, wie z. B. bei der Interner Link: UNO. Die Projekttätigkeit vor Ort, z. B. im Rahmen des Tierschutzes, nimmt nach wie vor einen wichtigen Stellenwert ein und bietet viele Möglichkeiten des bürgerschaftlichen Engagements und der freiwilligen Mitarbeit im Dienst des Natur- und Umweltschutzes. Gleichzeitig bedienen sich die Organisationen eines breiten Spektrums von Lobby-Instrumenten und -strategien, das vom sog. Inhouse-Lobbying über öffentlichkeitswirksame Kampagnen, gerade auch unter Einsatz des Internets, bis hin zur Organisation von Boykotts reicht.
Inhouse-Lobbying bezieht sich auf die nicht-öffentliche Interessenvertretung mit den Adressaten (Ministerial-)Bürokratie bzw. Kommission auf EU-Ebene, Regierung und Parlament. Die Interessenvertretung erfolgt durch Kommunikation und Informationsaustausch sowie über die Zurverfügungstellung von Expertise vonseiten der Natur- und Umweltschutzorganisationen. Ihre Vertreter*innen sind z. B. Mitglieder von Kommission und Gremien der Ministerien und damit indirekt an der Gesetzgebung beteiligt. Sie pflegen gute Kontakte zu Abgeordneten ihrer Themenfelder wie auch zu den Stabsstellen und Mitarbeiter*innen der thematisch relevanten Ministerien und sie werden zu Anhörungen im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren oder von der EU-Kommission zu regelmäßigen Konsultationen geladen. Inhouse-Lobbying ist die klassische Form der Interessenvertretung.
Davon abzugrenzen sind neuere Instrumente, wie langfristig angelegte Kampagnen, die erst durch ihre mediale Vermittlung wirksam werden. Diese haben sich seit etwa der 1980er Jahre etabliert. Vorreiter einer Interessenvertretung, die die Medien als Lautverstärker und Multiplikator nutzen, waren die Natur- und Umweltschutzorganisationen, allen voran Greenpeace mit seinen spektakulären Aktionen. Als ein vergleichsweise neues Instrument der Interessenvertretung ist der Boykott zu nennen. Das bekannteste Beispiel ist der Aufruf von Greenpeace, nicht mehr bei Esso oder Shell zu tanken und damit den Ölfirmen ökonomisch zu schaden. Es handelte sich hierbei um eine Aktion, die sich am Beispiel der Verschrottung der Bohrinsel Brent Spar in der Nordsee gegen das umweltschädigende Verhalten der Ölfirmen richtete. Auch Proteste und Aktionen zivilen Ungehorsams zählen nach wie vor zum Aktionsspektrum der Interessenvertretung in diesem Feld. Dass der Gang auf die Straße und ziviler Ungehorsam immer noch ein wirksames Mittel der Interessenvermittlung ist, zeigt der Erfolg der Schülerbewegung Fridays for Furture. Dank ihrer Aktionen ist die Dringlichkeit des Themas mit dem Fokus auf Klimaschutz weltweit an prominenter Stelle auf die politische Agenda gerückt.
Schließlich sind es wiederum die Natur- und Umweltschutzverbände, die frühzeitig den Gang über die Gerichte bzw. die Interner Link: Justizialisierung der Interessenvertretung als wirksames Instrument für ihre Arbeit entdeckt haben und zunehmend zielgenau einsetzen. Eine Vorreiterrolle hat diesbezüglich in Deutschland die Deutsche Umwelthilfe (Externer Link: www.duh.de), die das Instrument der Verbandsklage mit der Zielsetzung einsetzt, dass die von der EU festgelegten Emissionsgrenzwerte in den Städten eingehalten werden. Als bisher größter Erfolg der Interessenvertretung auf dem Rechtsweg ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutzgesetz von 2021 einzuschätzen. Unter Bezugnahme auf Generationengerechtigkeit wurde der Klage stattgegeben, weil das Gesetz keine weiteren Maßnahmen für die Jahre nach 2031 vorsieht und insofern nicht mit den Grundrechten der jüngeren Generation vereinbar ist (Interner Link: Bundesverfassungsgericht 2021). Da Erfolg Schule macht, steigt die Bereitschaft der Natur- und Umweltschutzorganisationen, auf dem Weg über die Gerichte Politik zu beeinflussen.
Bundesverfassungsgericht – Beschluss vom 24. März 2021: Urteil zum Klimaschutzgesetz
Leitsätze
1. Der Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schließt den Schutz vor Beeinträchtigungen grundrechtlicher Schutzgüter durch Umweltbelastungen ein, gleich von wem und durch welche Umstände sie drohen. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates umfasst auch die Verpflichtung, Leben und Gesundheit vor den Gefahren des Klimawandels zu schützen. Sie kann eine objektivrechtliche Schutzverpflichtung auch in Bezug auf künftige Generationen begründen.
2. Art. 20a GG verpflichtet den Staat zum Klimaschutz. Dies zielt auch auf die Herstellung von Klimaneutralität.
a. Art. 20a GG genießt keinen unbedingten Vorrang gegenüber anderen Belangen, sondern ist im Konfliktfall in einen Ausgleich mit anderen Verfassungsrechtsgütern und Verfassungsprinzipien zu bringen. Dabei nimmt das relative Gewicht des Klimaschutzgebots in der Abwägung bei fortschreitendem Klimawandel weiter zu.
b. Besteht wissenschaftliche Ungewissheit über umweltrelevante Ursachenzusammenhänge, schließt die durch Art. 20a GG dem Gesetzgeber auch zugunsten künftiger Generationen aufgegebene besondere Sorgfaltspflicht ein, bereits belastbare Hinweise auf die Möglichkeit gravierender oder irreversibler Beeinträchtigungen zu berücksichtigen.
geb. 1954, studierte Politikwissenschaft, Geschichte und Philosophie in Heidelberg und Mannheim. Sie war Professorin für Sozialpolitik und Vergleichende Politikwissenschaft und ist seit 2020 Seniorprofessorin am Institut für Politikwissenschaft der Universität Münster. Sie arbeitet zu den Themen Zivilgesellschaft und Nonprofit-Organisationen, und speziell Fragen des Managements und der Governance sowie der politikfeldspezifischen Einbettung von NPOs und NGOs.
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