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Was kostet der Umbau der Infrastruktur für die Energiewende?

Hanna Decker

/ 7 Minuten zu lesen

Stromleitungen, Transportnetze für Wasserstoff, CO2 und Fernwärme: Die Infrastruktur für die Energiewende ist teuer. Noch teurer wird es allerdings, wenn die globale Erderwärmung nicht begrenzt wird.

Für die Energiewende muss das Stromnetz ausgebaut werden. Zwischen Wessel und Düsseldorf in Nordrhein-Westphalen bauen Monteure an einem Strommast für eine Leitung im Übertragungsnetz. (© picture-alliance)

Deutschland hat sich ehrgeizige Ziele für die Transformation des Landes hin zur Klimaneutralität gesetzt. Das Land möchte in nur 20 Jahren klimaneutral werden. Ab dem Jahr 2045 dürfen netto keine Treibhausgasemissionen mehr ausgestoßen werden. Das heißt, es dürfen maximal so viele Treibhausgase in die Atmosphäre gelangen, wie ihr entnommen werden. Damit möchte das Land seinen Beitrag zur Erfüllung des Interner Link: Pariser Klimaschutzabkommens leisten, die globale Erderwärmung möglichst Interner Link: auf 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen.

Gesamtinvestitionen in die Energiewende

Um das Klimaziel zu erreichen, müssen Emissionen in allen Sektoren gesenkt werden – also nicht nur in der Interner Link: Energiewirtschaft, sondern auch im Verkehr, beim Heizen und Kühlen, in der Industrie und in der Landwirtschaft. Die Externer Link: Denkfabrik Agora Energiewende zum Beispiel beziffert den nötigen Investitionsbedarf auf die gigantische Summe von 11,3 Billionen Euro – das wären 540 Milliarden Euro jedes Jahr bis 2045. Zum Vergleich: Der Staatshaushalt des Bundes betrug 2024 etwa 477 Milliarden Euro. Verschiedene Forschungsinstitute imExterner Link: Kopernikus-Projekt Ariadne gehen hingegen von „nur“ 116 bis 131 Milliarden Euro notwendigen jährlichen Investitionen aus.

Diese Unterschiede ergeben sich durch unterschiedlich definierte Szenarien sowie Rechenmodelle, welche die Energiesysteme in den Studien jeweils optimieren. Zum Beispiel sind im Ariadne-Projekt nur die Mehrkosten von Elektroautos im Vergleich zu Autos mit Verbrennungsmotor einberechnet, in der Agora-Studie hingegen die kompletten Kosten eines Autos. Die unterschiedlichen Ergebnisse verdeutlichen auch, dass langfristige Szenarien jeweils nur eine von vielen möglichen Entwicklungen beschreiben, da sich viele Einflussfaktoren – zum Beispiel die Stromnachfrage – anders entwickeln können als angenommen.

Verteilung der Investitionen

In der Agora-Rechnung entfällt ein Großteil des Investitionsbedarfs auf den Verkehr (4,7 Billionen Euro) und Gebäude (4,3 Billionen Euro). 683 Milliarden Euro sind für Energieinfrastruktur vorgesehen, also Strom-, Wasserstoff-, CO2-Transport- und Wärmenetze. Das wären bis 2045 jedes Jahr rund 33 Milliarden Euro beziehungsweise 1,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes – die Hälfte davon zu tragen von der öffentlichen Hand, die andere Hälfte von Privatleuten oder Unternehmen. Die Ariadne-Studie kommt bei den nötigen Investitionen in die Energieinfrastruktur auf ähnliche Größenordnungen.

Knapp drei Viertel der 11,3 Billionen Euro nötigen Investitionen für die Energiewende müssen laut Agora „sowieso“ investiert werden – zum Beispiel, weil das alte Auto oder die Heizung nach einer bestimmten Zeit kaputtgehen. Doch bei der Infrastruktur ist das anders: 81 Prozent der nötigen Investitionen sind rein klimaschutzbedingt. So müssen die Stromnetze verstärkt und ganz neue Leitungen für Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid errichtet werden. Ein Teil davon könnte aus dem neuen Sondervermögen Infrastruktur bezahlt werden. Doch warum ist der Umbau hin zur Klimaneutralität so teuer?

Investitionen in die Stromnetze

Die erneuerbaren Energien müssen in den kommenden Jahren stark ausgebaut werden. Nur so kann der geplante Kohleausstieg kompensiert werden und das System dem steigenden Strombedarf durch Wärmepumpen, Elektroautos und Rechenzentren gerecht werden. Für die Stromnetze hat der Ausbau erneuerbarer Energien gravierende Konsequenzen.

Denn der Strom wird in Zukunft nicht mehr dort erzeugt, wo die großen Kohle- oder Kernkraftwerke standen, sondern dezentral über die ganze Republik verteilt. Die neuen Ökostromproduzenten und -verbraucher müssen also an die Netze angeschlossen werden. Um beispielsweise den Windstrom aus dem Norden der Republik zu den großen industriellen Ballungszentren in den Westen und Süden zu transportieren, müssen viele große Stromleitungen im sogenannten Übertragungsnetz neu gebaut und bestehende ertüchtigt werden.

Auch auf den niederen Spannungsebenen, im sogenannten Verteilnetz, welches zum Beispiel Wohnhäuser erreicht, müssen die Stromleitungen verstärkt werden, um Photovoltaikanlagen, Batteriespeicher, Wärmepumpen, Elektroautos oder auch Rechenzentren einzubinden.

Höhe der Investitionen

Laut einer Externer Link: Studie des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) müssen bis zum Jahr 2045 schätzungsweise 651 Milliarden Euro in den Ausbau der Stromnetze investiert werden. Dieser Betrag verteilt sich etwa hälftig auf die überregionalen Übertragungsnetze und die Verteilnetze vor Ort.

Das bedeutet, dass sich die jährliche Höhe der Investitionen bis zum Jahr 2037 mehr als verdoppeln muss: Jedes Jahr müssten demnach 37 Milliarden Euro für den Ausbau der Stromnetze ausgegeben werden, im Zeitraum 2038 bis 2045 21 Milliarden Euro. Zum Vergleich: 2024 waren es 18 Milliarden Euro.

Getragen werden diese Investitionen von den Netzbetreibern, die in Deutschland von der staatlichen Bundesnetzagentur reguliert werden. Hierzulande gibt es mit Amprion, Tennet, 50Hertz und TransnetBW vier Übertragungsnetzbetreiber und knapp 900 Verteilnetzbetreiber.

Diese reichen die Kosten für den Betrieb und Ausbau der Stromnetze an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiter, also an Unternehmen und die privaten Haushalte: Verbraucherinnen und Verbraucher finden diese als „Netzentgelte“ bezeichneten Kosten auf ihrer Stromrechnung wieder.

Stromnetze werden über Netzentgelte finanziert

Aktuell machen die Netzentgelte 11,4 Cent je Kilowattstunde beziehungsweise 28 Prozent des durchschnittlichen Strompreises aus. Hinzu kommen die Kosten für Beschaffung und Vertrieb sowie weitere Steuern, Abgaben und Umlagen. Ökonominnen und Ökonomen des Externer Link: Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität zu Köln gehen davon aus, dass die Netzentgelte bis zum Jahr 2045 auf 18 Cent je Kilowattstunde für Haushaltskunden sowie 15,2 Cent für Gewerbe- und 7 Cent für Industriekunden steigen könnten. Das Externer Link: IMK nennt etwas weniger stark steigende Zahlen.

Die jeweiligen Angaben beruhen auf Szenarien, deren Zahlen in der Realität abweichen können. So könnten die Kosten höher als geschätzt ausfallen, wenn Rohstoffe wie Kupfer und Aluminium teuer werden als geplant oder Lieferengpässe bei manchen Komponenten entstehen. Die Kosten könnten aber auch niedriger als geschätzt ausfallen, wenn Batteriespeicher oder auch ein flexiblerer Stromverbrauch in Zukunft dafür sorgen, dass die Netze nicht ganz so stark ausgebaut werden müssen wie heute angenommen.

Ansätze, um Kosten zu senken

Die Tendenz ist jedoch klar: Der Ausbau der Stromnetze ist der mit Abstand teuerste Baustein der Energiewende. Immer wieder gibt es deshalb Diskussionen, wie die Kosten gesenkt werden könnten.

So fordern die vier Übertragungsnetzbetreiber, auf teure Erdkabel zu verzichten und große Stromleitungen oberirdisch zu bauen. Freileitungen sind aber bei manchen Bürgerinnen und Bürgern optisch unbeliebt. Andere fordern, dass der Bund einen Zuschuss zu den Netzentgelten gibt und so den Strom günstiger macht. Ein weiterer Vorschlag ist, nicht nur die Verbraucher, sondern auch die Erzeuger von Strom an den Netzkosten zu beteiligen, zum Beispiel die Betreiber von Windrädern, Solaranlagen, Speichern oder Elektrolyseuren zur Herstellung von Wasserstoff.

Investitionen in das Wasserstoff-Kernnetz

Ein weiterer Kostentreiber der Energiewende in Deutschland ist klimaneutral erzeugter Wasserstoff. Hierbei handelt es sich um ein Gas, welches manche als „Allzweckwaffe“ bezeichnen, weil es sich sauber verbrennen, speichern und transportieren lässt. Gerade in der energieintensiven Industrie Interner Link: ruhen große Hoffnungen auf dem Gas, weil es manche Prozesse gibt, die sich nicht elektrifizieren lassen, etwa bei der Herstellung von Stahl, der Produktion von Chemie und Düngemitteln oder in Raffinerien. Außerdem soll künftig in Gaskraftwerken Wasserstoff statt Erdgas verbrannt werden, um daraus Strom zu produzieren.

Damit der Wasserstoff zu den Verbraucherinnen und Verbrauchern transportiert werden kann, müssen die Gasnetzbetreiber die nötige Infrastruktur bauen. Die Bundesnetzagentur hat die Planungen genehmigt. Bis zum Jahr 2032 soll das sogenannte Externer Link: Kernnetz stehen, also die wichtigsten Leitungen. Schon 2025 sollen die ersten Leitungen in Betrieb gehen. Etwa 40 Prozent der Leitungen sollen neu gebaut werden. Bei dem Rest handelt es sich um nicht mehr benötigte Erdgasleitungen, die auf den Betrieb mit Wasserstoff umgestellt werden sollen.

Wie wird das Wasserstoffnetz finanziert?

Der Bau und Betrieb des Wasserstoffnetzes soll von den Verbraucherinnen und Verbrauchern – zum Beispiel der Industrie –bezahlt werden. Da zu Beginn nur wenige Unternehmen das grüne Gas nutzen werden, wären die Netzentgelte sehr hoch, wenn es allein von ihnen finanziert würde, und Wasserstoff entsprechend teuer. Da dies politisch nicht gewollt ist, werden die Entgelte in den Anfangsjahren künstlich gedeckelt.

Damit die Netzbetreiber trotzdem ausreichend Geld für den Bau und Betrieb des Wasserstoffnetzes erhalten, wird ein sogenanntes Amortisationskonto eingerichtet. Hierfür gibt die staatliche Förderbank KfW einen Kredit über 24 Milliarden Euro. Damit werden jährliche Ausgleichszahlungen an die Netzbetreiber finanziert.

Erhöht sich die Zahl der Verbraucherinnen und Verbraucher und damit die Einnahmen der Netzbetreiber auf einen bestimmten Betrag, wird dieser Kredit zurückgezahlt.

Das Netz soll 2032 gut 9.000 Kilometer umfassen und die Importterminals und Produktionsanlagen mit den Großverbrauchern verbinden. 18,9 Milliarden Euro Investitionen haben die privatwirtschaftlichen Netzbetreiber für den Bau vorgesehen, finanziert von den anfangs gedeckelten Entgelten der Nutzer. Noch offen ist, ob und wie die 1,9 Millionen mittelständischen Industriebetriebe angebunden werden, die aktuell am Gasverteilnetz hängen.

Investitionen in das CO2-Netz

Vermutlich werden auch noch nach 2045 Treibhausgasemissionen in Deutschland entstehen. In bestimmten Industrien zum Beispiel sind manche Emissionen aus heutiger Sicht technisch nicht zu vermeiden. Dies gilt etwa für die Zement- und Kalkherstellung sowie die Müllverbrennung. Denkbar ist, das entstehende CO2 abzuscheiden und in geologisch geeigneten Formationen im Meeresboden einzulagern. Der Fachbegriff für dieses Verfahren lautet „Carbon Capture and Storage“ (CCS).

Bislang gibt es aber noch keine Leitungen, über die das Kohlenstoffdioxid transportiert werden könnte. Vermutlich wird die Große Koalition das ändern, entsprechende Pläne liegen im Bundeswirtschaftsministerium schon vor.

Was das kosten soll, ist noch unklar. Nach dem Willen des Bundes sollen die Investitionen aber von der Privatwirtschaft stammen, möglicherweise gefördert vom Bund. Ein entsprechendes Gesetz hat der Bundestag noch nicht verabschiedet.

Investitionen in Nah- und Fernwärme

Im Gebäudesektor sollen in den kommenden Jahren klimafreundlichere Heizungen verbaut werden, das bedeutet: Wärmepumpen und Anschlüsse an Wärmenetze lösen alte Öl- und Gasheizungen ab. Die Wärmenetze haben den Vorteil, dass das zum Heizen genutzte Wasser zentral erhitzt und per Leitungen transportiert werden kann, zum Beispiel auch an Mehrfamilienhäuser in dicht besiedelten Regionen.

Bis spätestens Mitte 2028 müssen Interner Link: Kommunen Pläne vorlegen, wo sie welche Fernwärme-Leitungen verlegen wollen. Schätzungen des Verbandes kommunaler Unternehmen zufolge könnten bis zum Jahr 2045 3,6 Millionen Wohngebäude mit Fernwärme versorgt werden. Für den Ausbau und die Erweiterung der Netze sowie neue Anschlussleitungen könnten demnach gut 70 Milliarden Euro fällig werden.

Fazit

Ob Stromleitungen, neue Netze für Wasserstoff und Kohlenstoffdioxid oder die Fernwärme: In Summe muss in den kommenden Jahren sehr viel Geld investiert werden, um Deutschland für die Energiewende fit zu machen. Doch nichts zu tun, ist aus der Sicht vieler Ökonominnen und Klimawissenschaftler keine Alternative. „Es muss immer wieder betont werden, dass die Kosten eines eskalierenden Klimawandels deutlich höher sein werden als die Transformation zu einer dekarbonisierten Wirtschaft“, Externer Link: sagt etwa Andreas Fink, Professor für Meteorologie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT).

Dabei dürfte es mittlerweile nur noch um Schadensbegrenzung gehen: Ob das 1,5-Grad-Ziel aus dem Pariser Abkommen langfristig erreicht werden kann, wird von vielen Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern mittlerweile bezweifelt. Schon im vergangenen Jahr hatte die globale DurchschnittstemperaturInterner Link: mehr als 1,5 Grad über dem vorindustriellen Zeitalter gelegen. 2024 war damit das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen.

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ist Wirtschaftsjournalistin. Nach dem Abitur studierte sie Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft in Münster und Lyon. Außerdem absolvierte sie die „Journalistische Nachwuchsförderung“ der Konrad-Adenauer-Stiftung. Nach zwei Jahren als Wirtschaftsredakteurin bei FAZ.NET wechselte sie nach Köln, wo sie sich am Energiewirtschaftlichen Institut (EWI) und im Masterstudium „Economics“ an der Universität mit Strom- und Gasmärkten, Instrumenten der Dekarbonisierung und Pfaden hin zur Klimaneutralität beschäftigte. Im März 2023 kehrte sie in die Wirtschaftsredaktion der F.A.Z. zurück und berichtet seither über Energie-Themen.