Spätestens seit dem Atomunfall von Tschernobyl Ende der Achtzigerjahre wird darüber gestritten, wie Energie erzeugt werden soll. Lange Zeit galt Deutschland beim Ausbau der erneuerbaren Energien international als Vorreiter. Wo stehen wir heute? Wo wollen wir hin? Und warum ist der Energiesektor so zentral für den Klimaschutz?
Vier Prozent des deutschen Strombedarfs – mehr können erneuerbare Energieträger wie Sonne oder Wind niemals decken. So die Einschätzung deutscher Stromversorger in einer Anzeigenkampagne im Jahr 1993. Drei Jahrzehnte später sind es bereits über 40 Prozent – also zehnmal so viel. Das ausgesprochene Ziel heute: eine zu 100 Prozent erneuerbare Energieversorgung bis spätestens 2045. Das heißt, dass nicht nur Strom, sondern auch Wärme und Kraftstoffe ausschließlich aus grünen Energiequellen erzeugt werden sollen. Wie kann das gelingen?
Der Energiesektor spielt auf dem Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft und Wirtschaft eine Schlüsselrolle. Denn ein klimaneutraler Energiesektor ist die Grundvoraussetzung für Klimaneutralität in allen anderen Sektoren, das heißt in den sogenannten Verbrauchssektoren Interner Link: Landwirtschaft, Interner Link: Mobilität, Interner Link: Gebäude und Interner Link: Industrie. Das liegt daran, dass zunehmend auch Bereiche, die bisher mit anderen, fossilen Energieträgern versorgt werden, zukünftig mit Strom betrieben werden: zum Beispiel Autos, Wärmepumpen zur Gebäudebeheizung und verschiedene Industrieprozesse.
Für einige Bereiche der Industrie und auch im Verkehr (zum Beispiel für Flugzeuge) wird zukünftig außerdem grüner Wasserstoff benötigt werden. Dessen Herstellung erfordert ebenfalls große Mengen an erneuerbarem Strom. Es müssen also nicht nur bestehende Stromerzeugungs-Kapazitäten durch Erneuerbare ersetzt, sondern noch neue Kapazitäten zugebaut werden – und zwar in einem hohen Tempo, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Nur wenn das gelingt, können auch alle anderen Sektoren klimaneutral werden.
Wie wird der Energiesektor klimaneutral?
Um den Energiesektor klimaneutral zu gestalten, muss die Energiebereitstellung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen wie Wind, Sonne, Wasserkraft oder Geothermie erfolgen. Dabei gibt es einige Herausforderungen zu berücksichtigen. Folgende Strategien können zu deren Überwindung beitragen.
Da der Wind nicht immer weht und die Sonne nicht immer scheint ("Dunkelflaute"), kann im Gegensatz zu konventionellen Kraftwerken keine kontinuierlich gleich hohe Stromversorgung gewährleistet werden. Ein vollständig erneuerbares Stromsystem muss eine solche Volatilität ausgleichen können. Um eine stabile Energieversorgung zu gewährleisten, werden ausreichend Stromspeicher benötigt, wie beispielsweise Batterien oder auch Wasserstoff. Wenn gerade mehr Strom erzeugt als verbraucht wird, können die Batterien geladen oder der überschüssige Strom zur Herstellung von grünem Wasserstoff mittels Elektrolyse verwendet werden. Herrscht eine "Dunkelflaute", wird der gespeicherte Strom aus den Batterien zurück ins Netz geführt. Der erzeugte Wasserstoff kann entweder von den Verbrauchssektoren direkt genutzt werden Interner Link: (zum Beispiel in der Industrie) oder er wird wieder zurück in Strom umgewandelt und ins Stromnetz eingespeist.
Kurzzeit- und Langzeitspeicher
Bei Speichertechnologien wird nach ihrer Anwendung zwischen Kurzzeit- und Langzeitspeichern unterschieden.
Kurzzeitspeicher können innerhalb eines Tages mehrfach Energie aufnehmen und wieder abgeben. Sie bieten in der Regel nur ein begrenztes Speichervolumen.
Langzeitspeicher müssen dagegen in der Lage sein, elektrische Energie über mehrere Tage oder Wochen zu speichern, um zum Beispiel Phasen einer langen Windflaute, in der die Sonne kaum scheint, zu überbrücken.
Der Forschungs- und Entwicklungsstand der Speichertechnologien ist unterschiedlich. Bei bereits auf dem Markt etablierten Speichern geht es oft um Effizienz und Wirtschaftlichkeit. Wasserstoff etwa ist ein relevanter Bestandteil in der Debatte um eine nachhaltige Energieversorgung. Interner Link: Doch die Umsetzung steht vor Herausforderungen in verschiedenen Sektoren.
Eine weitere Strategie, um mit der Volatilität der Erneuerbaren umzugehen, liegt in der Flexibilisierung der Nachfrage. Das heißt, zum Beispiel große Stromverbraucher wie Industrieunternehmen passen ihren Stromverbrauch flexibel an das Angebot an, entlasten so den Strommarkt bei geringem Energieangebot und profitieren außerdem von günstigen Strompreisen, wenn gerade ein Überangebot an Strom besteht (Externer Link: Kunz 2019).
Erneuerbare Energien
Der Energiesektor spielt auf dem Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft und Wirtschaft eine Schlüsselrolle. Ein Überblick über verschiedene erneuerbare Energien.
Solarmodule einer Photovoltaikanlage stehen auf dem Dach der Frankfurt School mit der Skyline der Stadt im Hintergrund. Die Energiewende
voranzutreiben ist eine der drängendsten Aufgaben, um dem Klimawandel entgegenzuwirken und unabhängiger von fossiler Energie zu werden. Eine
zentrale Rolle dabei spielt Solarenergie.
In Essen sind auf den Dächern von Mehrfamilienhäusern Solaranlagen angebracht. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) zielt auf den Ausbau von
erneuerbaren Energien und ab und will dabei ihre Kosten durch Massenproduktion senken.
Eine weitere Herausforderung eines vollständig erneuerbaren Energiesystems besteht in der notwendigen Anpassung der Stromnetze. Die Energiewende bedeutet eine Umstellung von einer sehr zentralisierten Stromerzeugung in wenigen großen Kraftwerken auf eine stark dezentralisierte Stromerzeugung mit vielen kleinen Solaranlagen und einzelnen Windrädern, die alle ins Stromnetz einspeisen. Hinzu kommt, dass Energieangebot und -nachfrage örtlich auseinanderfallen: In Küstenregionen sind die Potenziale für Erneuerbare besonders hoch, insbesondere für Offshore-Wind. Hohe Verbräuche finden sich jedoch vor allem weiter inländisch in Großstädten und Industriegebieten. Letztere sind historisch eher in Kohleregionen gewachsen und somit für eine fossile Stromversorgung günstiger gelegen als für eine erneuerbare. Um eine optimale Stromversorgung zu gewährleisten, müssen die Netze entsprechend aus- und umgebaut werden (Externer Link: UBA 2020). Dabei gilt jedoch: Je stärker die Potenziale einer dezentralen Stromerzeugung ausgeschöpft werden, zum Beispiel, indem auf möglichst vielen Dächern Photovoltaikanlagen gebaut werden, und je mehr Energie insgesamt eingespart werden kann, desto weniger neue überregionale Netze benötigen wir.
Versorgungsunsicherheiten im Stromnetz
Ein Blackout ist ein unkontrolliertes und unvorhergesehenes Versagen von Netzelementen. Das führt dazu, dass größere Teile des europäischen Verbundnetzes oder das gesamte Netz ausfallen (sogenannter Schwarzfall). Ein solches Ereignis könnte beispielsweise auftreten, wenn in einer angespannten Last- und Erzeugungssituation zusätzlich schwere Fehler an neuralgischen Stellen des Übertragungsnetzes auftreten. Ein Blackout ist also grundsätzlich kein durch eine Unterversorgung mit Energie ausgelöstes Ereignis, sondern bedingt durch Störungen im Netzbetrieb.
Demgegenüber steht der sogenannte (kontrollierte) Brownout. Dieser kann notwendig werden, wenn im Vergleich zur nachgefragten Menge zu wenig Strom produziert werden kann, z. B. aufgrund eines Brennstoffmangels für Kraftwerke oder einer allgemein zu geringen Erzeugung, beispielsweise auch durch Nichtverfügbarkeiten von Erzeugungsanlagen. In diesem Fall ist es notwendig, die Nachfrage soweit zu reduzieren, dass das Angebot die Nachfrage wieder vollständig decken kann. Nur so kann die Versorgung mit Strom weiterhin stabil und zuverlässig gewährleistet werden.
Ein 100 Prozent erneuerbarer Energiesektor bedeutet im Umkehrschluss, dass sämtliche nicht-erneuerbare Energiequellen vollständig aus dem Strommix genommen werden müssen. Insbesondere die Kohleverstromung als CO2-intensivste Form der Stromerzeugung sollte möglichst schnell beendet werden. Erdgas ist lange als klimaschonendere Alternative (zur Kohle) gehandelt worden, die auf dem Weg zur Klimaneutralität als Übergangslösung dienen könne. Doch auch Erdgas ist ein fossiler Energieträger, der mit erheblichen Treibhausgasemissionen verbunden ist, und kann in einem klimaneutralen Energiesektor keine Rolle mehr spielen. Werden die Methanemissionen, die bei der Förderung, Lagerung und beim Transport von Erdgas entstehen, mit eingerechnet, kann Erdgas unter bestimmten Umständen sogar genauso klimaschädlich sein wie Kohle (Externer Link: Brauers et al. 2021). Hinzu kommt, dass Erdgas (wie andere fossile Energieträger auch) stark mit geopolitischen Konflikten verbunden ist: Deutschland bezog mehr als die Hälfte seines Erdgases (55 Prozent) aus Russland (Stand 2020, Agora Energiewende 2022, S. 5).
Was ist denn mit Atomenergie?
Die Bundesregierung hat im Jahr 2011 nach dem Reaktorunglück von Fukushima den Ausstieg aus der Atomenergie bis 2022 beschlossen. Viele andere Länder, darunter auch große EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich, setzen hingegen weiterhin auf Nuklearstrom als klimafreundliche (Übergangs- oder sogar langfristige) Lösung. Die Einstufung als solche ist innerhalb der EU stark umstritten. Bei der Erzeugung von Atomstrom fallen zwar deutlich weniger Emissionen an als bei der Stromerzeugung durch Kohle oder Erdgas. Uran ist allerdings im Gegensatz zu Solar- oder Windenergie kein erneuerbarer Energieträger und über den gesamten Lebenszyklus der Kernenergie (vom Uranabbau bis zur Endlagerung) entstehen signifikante CO2-Emissionen.
Aufgrund der Gefahr von Nuklearunfällen und der bis heute ungelösten Endlagerfrage stellt die Nutzung von Atomenergie auch unabhängig von ihren CO2-Emissionen ein sehr hohes Risiko für Menschen, Wirtschaft und Ökosysteme dar. Auch ist Strom aus Atomkraftwerken äußerst teuer – selbst dann noch, wenn das Risiko eines Unfalls und die vollen Kosten für die Endlagerung nicht eingepreist sind. In liberalisierten Strommärkten bauen Konzerne Atomkraftwerke derzeit nur noch, wenn die Staaten ihnen feste Abnahmepreise für mehrere Jahrzehnte garantieren. Wind- und Solarstrom werden hingegen immer günstiger.
In einigen Ländern wird an einer "neuen Generation" von Kernkraftreaktoren geforscht, die die Sicherheitsrisiken minimieren und keinen Atommüll mehr produzieren soll. Noch ist jedoch unklar, ob eine solche Technologie in Zukunft verfügbar sein wird, ob sie auf dem Weg zur Klimaneutralität noch rechtzeitig kommt und ob sie sich wirtschaftlich am Energiemarkt durchsetzen kann. Auch werden große Sicherheitsrisiken aller Voraussicht nach auch bei diesen Reaktoren bestehen bleiben. Dies betrifft nicht zuletzt die Gefahr, dass es in Folge von Stromausfällen durch Cyberangriffe oder militärische Konflikte zu einem Atomunfall kommt. Auch könnten Staaten oder terroristische Gruppen Reaktoren nutzen, um sich Plutonium für Atomwaffen zu beschaffen.
Angesichts des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine und der damit verbundenen Energiekrise in Europa, wurde die Debatte um den Ausstieg aus Erdgas beschleunigt. Die Bundesregierung zielt auf die Unabhängigkeit fossiler Energie aus Russland ab, die zuvor einen Großteil der deutschen Energieversorgung ausmachte. Die aktuelle Situation stellt die Bundesregierung vor aufgeladene klimapolitische Debatten, wie die Fortsetzung von Energieerzeugung aus Kohle oder Atomkraft.
In diesem Zuge beschloss die Bundesregierung eine Externer Link: Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. So sieht die Änderung des Atomgesetzes einen befristeten Weiterbetrieb mehrerder AKWs bis zum 15. April 2023 vor, statt der Externer Link: geplanten Abschaltung Ende 2022. Am gesetzlich festgelegten Kohleausstieg bis spätestens 2038 hält die Bundesregierung fest. Ihn nach Möglichkeit auf 2030 vorzuziehen ist ein ausgesprochenes Ziel der Ampelkoalition. Allerdings stehen Kohlekraftwerke, die 2022/23 außer Betrieb gehen sollten, auf Abruf und dürfen Externer Link: im Notfall weiterbetrieben werden.
Mit dem Wort "Energiewende" verbinden die meisten Menschen den Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energiequellen. Die Krisenlage macht allerdings deutlich, wie wichtig es ist, gleichzeitig auch Maßnahmen zu ergreifen, um Energie einzusparen und den Verbrauch insgesamt möglichst stark zu reduzieren. Hierfür gibt es zwei grundlegende Strategien, die für eine erfolgreiche Energiewende im Stromsektor ebenso zentral sind wie die Umstellung der Energieerzeugung: Effizienz und Suffizienz. Beide haben zum Ziel, den Energiebedarf in den Verbrauchssektoren zu senken. Die Steigerung der Energieeffizienz bedeutet, dass weniger Energie für dieselbe Leistung benötigt wird. So kann zum Beispiel mit geringerem Energieeinsatz ein energieeffizienter Kühlschrank Lebensmittel ebenso frisch halten, eine LED-Lampe das Zimmer ebenso hell beleuchten oder eine moderne Heizung kombiniert mit einer guten Fassadendämmung die Wohnung ebenso warmhalten wie ihre weniger effizienten Vorgänger.
Suffizienzstrategien zielen darauf ab, Energie und Ressourcen absolut einzusparen, indem nicht-nachhaltige Strukturen und Verhaltensweisen verändert werden – zum Beispiel durch den Kauf von weniger und dafür langlebigerer Kleidung oder durch den Umstieg vom privaten Pkw auf Car-Sharing, den ÖPNV und das Fahrrad. Je mehr Energie durch Effizienz und Suffizienz eingespart wird, desto weniger Windräder und Solaranlagen müssen gebaut werden. Deswegen ist es für eine erfolgreiche Energiewende sinnvoll, diese Strategien vorrangig zu verfolgen.
Welche Chancen und Herausforderungen sind mit der Energiewende verbunden?
Die Energiewende ist notwendig, um den Klimawandel einzudämmen und auch zukünftigen Generationen ein gutes Leben zu ermöglichen. Doch sie bringt auch viele weitere Vorteile. Wenn Kohlekraftwerke durch Windräder und Solaranlagen ersetzt werden und weniger, dafür mit grünem Strom angetriebene Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sind, wirkt sich das zum Beispiel positiv auf die Luftqualität und somit auf die menschliche Gesundheit aus. Das wiederum entlastet das Gesundheitssystem.
Außerdem können die negativen Effekte, wie die des Braunkohletagebaus auf den Lebensraum von Tieren und Menschen sowie auf das Grundwasser gestoppt werden. Niemand muss mehr umgesiedelt werden, um die Abbaugebiete auszuweiten. Kosten für Renaturierung und Stabilisierung des Wasserhaushalts entfallen. Die großen Sicherheitsrisiken und Konflikte um die Endlagerung von Atommüll können dank zügigem Atomausstieg minimiert werden.
Der Ausbau der Erneuerbaren schafft außerdem viele Arbeitsplätze und kann für neue regionale Wertschöpfung sorgen, insbesondere auch in ländlichen Regionen. Auch bietet die Energiewende Chancen für mehr ökonomische Teilhabe: Ein dezentrales Energiesystem ermöglicht eine breitere Verteilung der wirtschaftlichen Gewinne aus der Energieproduktion, zum Beispiel in Form von Bürgerenergiegenossenschaften (Externer Link: Nagel et al. 2019).
Gleichzeitig wird Deutschland weniger abhängig von Energieimporten, wenn Erdöl und -gas aber auch Uran und Steinkohle ihre wichtige Rolle in unserem Energiesystem verlieren. Die Energieversorgung und -preise werden somit weniger anfällig für politische Krisen und Konflikte in den Exportländern, wie oben am Beispiel russischer Erdgasimporte aufgezeigt wurde. Mittel- bis langfristig dürfte sich die Energiewende auch positiv auf die Energiekosten der Stromverbraucher*innen auswirken (Externer Link: Energy Brainpool 2021, Externer Link: Energy Watch Group 2021, Externer Link: Fraunhofer ISE 2021): Die Betriebskosten von Erneuerbaren sind gering und die konsequente Umsetzung von Energieeffizienz- und Suffizienzmaßnahmen kann den Stromverbrauch der Haushalte deutlich reduzieren.
Trotz der klimapolitischen Dringlichkeit und der genannten Vorteile ist die Energiewende noch längst kein Selbstläufer. Sie bringt massive Veränderungen mit weitreichenden Auswirkungen mit sich – und diese stoßen auch auf Hindernisse und Widerstände. So steht die Umsetzung von Energieeffizienzmaßnahmen vor vielseitigen Problemen, beispielsweise hinken die energetischen Sanierungen im Interner Link: Gebäudesektor den politischen Zielsetzungen hinterher.
Und nicht alle profitieren von der Energiewende. Große Energieunternehmen, deren Geschäftsmodelle über Jahrzehnte auf Basis fossiler Energie aufgebaut und optimiert wurden, haben sich lange gegen die Energiewende gestellt. Heute investieren sie selbst stark in Erneuerbare. Dennoch ist es meist in ihrem unternehmerischen Interesse, die Stilllegung ihrer fossilen Kraftwerke noch möglichst eine Weile hinauszuzögern, um den Wertverlust bereits getätigter Investitionen zu minimieren. Ebenso haben Beschäftigte in fossilen Branchen wie dem Kohlebergbau ein berechtigtes Interesse daran, ihren Arbeitsplatz zu erhalten. Ihnen müssen neue Perspektiven eröffnet werden. Besonders betroffene Regionen wie etwa die Lausitz als zweitgrößter Braunkohleregion Deutschlands müssen beim voranschreitenden Strukturwandel von Bund und Ländern unterstützt werden (Externer Link: Bundesregierung 2020). Auch der Ausbau der Erneuerbaren, insbesondere der Windkraft an Land, stößt immer wieder auf lokale Widerstände.
Die grundsätzliche Unterstützung der Energiewende in der Bevölkerung ist groß, doch häufig wehren sich lokale Interessensgruppen aus verschiedenen Gründen (zum Beispiel um das Landschaftsbild zu erhalten und bestimmte Vogelarten zu schützen) gegen den Bau von Windrädern, was die ohnehin schon zähen Genehmigungsprozesse zusätzlich verlangsamt und erschwert. Hier kann zum Teil auch der sogenannte NIMBY-Effekt ("Not In My Back Yard") zu tragen kommen. Oft haben Anwohner*innen aber auch einfach das Gefühl, dass ihnen von außen etwas aufgezwungen wird, ohne sie ausreichend zu beteiligen oder Alternativen zu prüfen (Externer Link: Local Energy Consulting 2020). Als Antwort auf diese Bedenken führten einige Bundesländer Abstandsregelungen ein, die die minimale Entfernung von Windkraftanlagen zu Siedlungen festlegen. Auf diese Art soll die Akzeptanz für Erneuerbare erhöht werden – doch die Effektivität solcher Maßnahmen ist umstritten, und das Potenzial für den Windkraftausbau an Land wird dadurch signifikant eingeschränkt (Externer Link: Hübner & Pohl 2015; Externer Link: Stede & May 2019).
Was macht die Politik?
Das wichtigste Instrument der Energiewende ist in Deutschland das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG). Es zielt darauf ab, den Ausbau von erneuerbaren Energien voranzutreiben und dabei ihre Kosten durch Massenproduktion zu senken, sodass sie wettbewerbsfähig werden. Das Gesetz hat seine Mission erfüllt und gilt weltweit als Erfolgsgeschichte: Seit seiner Einführung gingen die Kosten für Photovoltaik und Windkraftanlagen erheblich zurück, sodass die Stromgestehungskosten für letztere heute niedriger sind als die für Kohle- und Erdgaskraftwerke (Externer Link: Fraunhofer ISE 2021). Auch können Erneuerbare inzwischen den größten Teil des deutschen Strombedarfs decken.
Allerdings brachten die Reformen des EEGs, zusammen mit schleppenden Genehmigungsverfahren und fehlenden Flächen aufgrund der neuen Abstandsregelungen, den Windkraftausbau in den späten 2010er Jahren massiv ins Stocken. Auch die Solarenergie kommt seit ihrem Boom vor zehn Jahren nur noch langsam voran. Die Ampelkoalition plant nun, den Ausbau von Wind und Solar massiv zu erhöhen und bis 2030 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen zu decken. Bis 2035 soll der deutsche Strom schließlich nahezu vollständig aus erneuerbaren Energien stammen.
So funktioniert das EEG:
Das EEG besteht aus zwei zentralen Elementen. Zum einen verpflichtet es Netzbetreiber Erneuerbare-Energie-Anlagen unverzüglich an das Stromnetz anzuschließen und ihren Strom vorrangig abzunehmen (Einspeisevorrang). Zum anderen garantiert es für Strom aus erneuerbaren Quellen Vergütungssätze, die unabhängig vom Strompreis – und in der Regel höher – sind. Der Differenzbetrag zwischen Strompreis und Vergütungssatz wird als sogenannte EEG-Umlage von allen Stromkund*innen bezahlt, mit Ausnahme der energieintensiven Unternehmen. Ursprünglich wurden die Vergütungssätze staatlich festgelegt und für eine Dauer von 20 Jahren garantiert. Dabei nahmen sie jedes Jahr ab, das heißt, je später eine Anlage ans Netz ging, desto geringer war die garantierte Einspeisevergütung.
Inzwischen wurde dieses Modell von einem Ausschreibungsverfahren abgelöst: Die Regierung legt Höchstmengen für die zu fördernde Neuinstallation der einzelnen erneuerbaren Energien fest und schreibt diese aus. Wer am wenigsten für den wirtschaftlichen Betrieb einer Erneuerbaren-Energie-Anlage fordert, bekommt den Zuschlag. Trotz seines großen Erfolges wurde das EEG immer wieder dafür kritisiert, dass es die Strompreise für Verbraucher*innen in die Höhe treibe. Das stimmt jedoch nur teilweise. Denn neben der EEG-Umlage sorgte in den letzten Jahren auch die Erhöhung der Mehrwertsteuer für steigende Stromrechnungen. Auch konnten die Stromversorger durch den zunehmenden Anteil an erneuerbaren Energien ihre Einkaufspreise senken, gaben diese Kostenreduktion jedoch nicht an die Kund*innen weiter (Externer Link: Energy Brainpool 2013).
Darüber hinaus ist ein Großteil der (Folge-)Kosten der fossilen Energieerzeugung (zum Beispiel durch den Klimawandel oder durch Luftschadstoffe) nicht im Strompreis enthalten und muss von der Gesellschaft getragen werden (Externer Link: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung et al. 2018, S. 87, Umweltbundesamt 2021). Die Energiewende spart also auch Kosten an anderer Stelle. Die Ampelregierung hat im Frühjahr 2022 zudem beschlossen, das EEG dahingehend zu reformieren, dass die EEG-Umlage zukünftig nicht mehr von den Stromkund*innen bezahlt werden würde, sondern aus dem Bundeshaushalt durch die Einnahmen aus den Emissionshandelssystemen gedeckt wird.
Um parallel zum Ausbau der erneuerbaren Energien die Stromerzeugung aus Kohleenergie zu reduzieren und absehbar zu beenden, beschloss der Bundestag 2020 nach langen gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen einen Kohleausstieg per Gesetz. Während dieser ursprünglich erst bis spätestens 2038 vollzogen sein sollte, plant die Ampelregierung inzwischen die Kohleverstromung "idealerweise" bis 2030 zu beenden, da Deutschland ansonsten das Pariser Klimaziel sicher verfehlen würde. Neben dem EEG und dem Kohleausstiegsgesetz unterstützt auch der Externer Link: Europäische Emissionshandel (EU-ETS ) den Interner Link: Umstieg von fossilen auf erneuerbare Energieträger. Denn mit dem steigenden CO2-Preis werden die Fossilen immer unrentabler.
Die deutsche Politik konzentrierte sich bisher stark auf den Wechsel der Energieträger. Während der Primärenergieverbrauch in den letzten Jahren nur leicht zurückgegangen ist, soll er laut "Energieeffizienzstrategie 2050" bis 2050 gegenüber 2021 um 40 Prozent sinken. Damit das tatsächlich gelingen kann, fordern Externer Link: Expert*innen von der Politik, die Rahmenbedingungen so zu setzen, dass klimafreundliche und ressourcenschonende Verhaltensweisen für Bürger*innen und Unternehmen die attraktiveren werden.
Die letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass das Potential der Erneuerbaren um ein Vielfaches höher ist, als große Stromversorger zunächst glaubten. Zahlreiche Studien (zum Beispiel Externer Link: Agora Energiewende 2021, Externer Link: Energy Watch Group 2021, Externer Link: Umweltbundesamt 2019) belegen, dass eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien nicht nur technisch möglich, sondern auch ökonomisch vorteilhaft ist. Nun gilt es, die Energiewende deutlich zu beschleunigen. Wenn uns das als gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit vielen verschiedenen Akteuren – von Bürger*innen über Kommunen bis zu Unternehmen – gelingt, haben wir nicht nur eine Chance, die Klimakrise abzumildern, sondern auch, für mehr Energiedemokratie zu sorgen.
Was ist Energiedemokratie?
Energiedemokratie umfasst unter anderem folgende Aspekte:
die räumlich und sozial faire Verteilung von Kosten und Nutzen, die im Zusammenhang mit der Produktion von Strom, Wärme und Kraftstoffen entstehen;
die angemessene Einbindung aller gesellschaftlichen Gruppen in politische und unternehmerische Entscheidungsprozesse, die die Energieproduktion, -verteilung und -nutzung betreffen;
der ausreichende und bezahlbare Zugang zu Energiedienstleistungen und die Beseitigung von Energiearmut;
die Organisationen von Energieinfrastrukturen und -versorgungsunternehmen in einer Art und Weise, dass sie dem Gemeinwohl statt den Interessen einzelner dienen. (Externer Link: Siehe zum Beispiel Weis et al., 2015)
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Studium der Umweltwissenschaften, Nachhaltigkeitswissenschaften und Bildungswissenschaften; derzeit Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung "Zukünftige Energie- und Industriesysteme" am Wuppertal Institut. Sie arbeitet vorwiegend zu den Themen Kohleausstieg und Just Transition.
Studium des Sustainabillity Managements, M. Sc.; derzeit Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsbereich Strukturwandel und Innovation am Wuppertal Institut. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Industriedekarbonisierung.