Ein Grund für Stromausfälle sind Unwetter, also Stürme, Gewitter oder auch heftige Schneefälle. Zum Beispiel ließen starke Schneefälle 2005 im Münsterland zahlreiche Leitungen zusammenbrechen und sorgten dafür, dass Kindergärten, Schulen und Geschäfte tagelang geschlossen bleiben mussten. Gravierende Auswirkungen hatte auch die verunglückte Überführung eines Kreuzfahrtschiffes auf der Ems 2006, die über eineinhalb Stunden einen Stromausfall in sechs Ländern verursachte. Immer mal wieder kommt es außerdem vor, dass bei Bauarbeiten Stromkabel beschädigt werden. Die folgenden Stromausfälle sind in der Regel aber lokal begrenzt und in der Regel nach wenigen Minuten oder Stunden behoben.
Sicherheitsmechanismen des Stromsystems
Dass der Strom trotz hohem Ökostrom-Anteil im System nicht häufiger ausfällt, liegt daran, dass es viele Sicherungsmechanismen gibt, die greifen, wenn mehr oder weniger Strom erzeugt oder benötigt wird als geplant. In Deutschland werden Erzeugung und Verbrauch in sogenannten Bilanzkreisen erfasst. Die Verantwortlichen für diese Bilanzkreise – meistens sind das Energieversorger – erstellen jeden Tag Prognosen, wer am nächsten Tag wann wieviel Strom in das Netz ein- oder ausspeist.
Die Bilanz muss jederzeit ausgeglichen sein. Die Bilanzkreisverantwortlichen übermitteln diese Fahrpläne dann an die Übertragungsnetzbetreiber, die sie mit ihren eigenen Berechnungen abgleichen. Denn die Netzbetreiber tragen die Gesamtverantwortung dafür, dass die Systeme jederzeit stabil und sicher laufen.
Regelleistung
Weichen die tatsächlichen Werte von den prognostizierten Werten ab, müssen die Übertragungsnetzbetreiber aktiv werden: Sie kaufen sehr kurzfristig – innerhalb weniger Sekunden oder Minuten – zusätzlichen Strom zu, um die Lücke zwischen Angebot und Nachfrage auszugleichen. Diesen Strom nennt man (positive) Regelleistung. Genauso kann es vorkommen, dass die Netzbetreiber Verbraucher – zum Beispiel Batteriespeicher – dafür bezahlen müssen, kurzfristig Strom zu verbrauchen, weil es davon zu viel gibt. Das nennt man dann (negative) Regelleistung.
Netzreserve
Ein weiterer Teil des Sicherheitsnetzes ist die Netzreserve. Das sind Kraftwerke, die die Betreiber eigentlich schon stilllegen wollten, für den Notfall aber weiterhin bereithalten müssen. Ein Notfall könnte darin bestehen, dass wegen Engpässen im Netz bestimmte Erneuerbare-Energie-Anlagen abgeschaltet und andere Kraftwerke hinter dem Engpass hochgefahren werden müssen. Dieser Vorgang heißt Redispatch.
Das passiert zum Beispiel, wenn sehr viel Wind weht und der Strom aus den vielen Windparks in Norddeutschland nicht in den Süden abtransportiert werden kann. Wenn dafür nicht genügend Kraftwerke zur Verfügung stehen, kommt die Netzreserve zum Einsatz. Die Übertragungsnetzbetreiber entscheiden jedes Jahr neu, welche Kraftwerke für die Netzreserve gebraucht werden, also systemrelevant sind. Die Betreiber dieser Kraftwerke werden dafür vergütet, dass sie ihre Kraftwerke jederzeit bereithalten.
Kapazitätsreserve
Doch was passiert, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert – zum Beispiel ein Unfall mehrere große Kraftwerke lahmlegt und zu wenig Strom zur Verfügung steht, um die Nachfrage zu decken? Auch dafür gibt es einen Plan B: die Kapazitätsreserve. Sie kommt dann zum Einsatz, wenn – wie der Name es andeutet – die Kapazität nicht ausreicht. In anderen Worten: Das Angebot an der Strombörse reicht nicht aus, um die gesamte Stromnachfrage zu decken. Für diesen Fall werden zusätzliche Kraftwerke, aber auch Speicher und Verbraucher vorgehalten. Diese dürfen aber nur aktiv werden, wenn die Übertragungsnetzbetreiber sie ausdrücklich anfordern.
Fehlende Kapazitäten im System
Eine Zwischenbilanz:
Erstens: Solaranlagen und Windräder decken mittlerweile mehr als die Hälfte des Stromverbrauchs in Deutschland.
Zweitens: Deutschland hat eines der stabilsten Stromnetze der Welt.
Drittens: Es gibt mit Regelleistung, Netzreserve und Kapazitätsreserve drei Sicherheitsmechanismen, die im Notfall bereitstehen.
Trotzdem warnen Fachleute davor, dass die Versorgungssicherheit in Deutschland in den kommenden Jahren akut gefährdet sei. So schreibt die Externer Link: Expertenkommission zum Energiewende-Monitoring im März 2025, dass „signifikante Herausforderungen im Bereich der Versorgungssicherheit“ bestünden.
In anderen Worten: Es könnte passieren, dass in Deutschland in bestimmten Stunden nicht genügend Strom zur Verfügung steht. Ein Beispiel sind Dunkelflauten, also Stunden oder Tage, in denen eine hohe Stromnachfrage auf wenig Stromerzeugung trifft, weil die Sonne nicht scheint und der Wind nicht weht. Auch die Kapazitäten zum Import von Strom sind begrenzt. Im Extremfall könnte es passieren, dass dann in einzelnen Regionen und Stunden der Strom abgeschaltet werden muss.
Dieses Szenario droht auch umgekehrt – nämlich dann, wenn mehr Strom produziert als verbraucht werden kann, zum Beispiel an sonnigen Feiertagen. Um das zu verhindern, müssen die Stromnetze in den kommenden Jahren massiv ausgebaut werden.
Netzausbau notwendig
Denn der Strom wird in Zukunft nicht mehr zentral von einigen wenigen Kohle- oder Kernkraftwerken erzeugt, sondern von vielen Windrädern und Solaranlagen (sowie einigen Gaskraftwerken), die sich quer über die ganze Republik verteilen. Diese Anlagen müssen an die Netze angeschlossen werden. Um beispielsweise den Windstrom aus dem Norden der Republik zu den großen industriellen Ballungszentren in den Westen und Süden zu transportieren, müssen viele große Stromleitungen im sogenannten Übertragungsnetz neu gebaut und bestehende ertüchtigt werden.
Auch auf den niederen Spannungsebenen, im sogenannten Verteilnetz, müssen die Stromleitungen verstärkt werden, um Photovoltaikanlagen, Batteriespeicher, Wärmepumpen, Elektroautos oder auch Rechenzentren einzubinden.
Laut einer Studie des gewerkschaftsnahen Externer Link: Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) müssen bis zum Jahr 2045 651 Milliarden Euro in den Ausbau der Stromnetze investiert werden. Doch dieser Prozess läuft nur sehr schleppend. Die Externer Link: Monitoringkommission – ein Gremium aus Energieökonomen, welches die Bundesregierung berät – schreibt, dass die Ampel hier auf „rot“ steht, es also gerade nicht gut läuft. Genauer gesagt: Mit den aktuell absehbaren Maßnahmen wird der Netzausbau als wichtiges Ziel der Energiewende sehr wahrscheinlich nicht erreicht.
Bau neuer Kraftwerke
Ein weiterer Grund, warum die Versorgungssicherheit aktuell verstärkt diskutiert wird, ist, dass immer mehr konventionelle Kraftwerke den Markt verlassen (sollen). Im April 2023 Interner Link: sind die letzten drei deutschen Kernkraftwerke abgeschaltet worden. Auch der Betrieb der besonders klimaschädlichen Braun- und Steinkohlekraftwerke soll enden: Die ehemalige Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte beschlossen, den Kohleausstieg idealerweise von 2038 auf 2030 vorzuziehen. Der Anstieg der CO2-Preise im europäischen Emissionshandel wird zudem dafür sorgen, dass sich der Betrieb von Kohlekraftwerken immer weniger lohnt.
Doch das könnte bald zum Problem werden. Denn im Markt fehlen nach Einschätzung von Energieökonomen und auch der Bundesnetzagentur zunehmend Kraftwerke, um den Strombedarf zu decken. Insbesondere flexible Gaskraftwerke werden gebraucht: Sie sollen dann einspringen, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte deshalb Ausschreibungen zum Bau von 12,5 Gigawatt Gaskraftwerken angekündigt, die zunächst mit Erdgas und später mit klimafreundlichem Wasserstoff betrieben werden sollen. Andere halten noch deutlich mehr Leistung für notwendig. Ein entsprechendes Gesetz ist allerdings noch nicht verabschiedet (Stand März 2025).
Flexible Stromnachfrage für die Zukunft
Damit das Stromsystem resilienter wird – also die Gefahr von Stromausfällen reduziert wird – muss nach Einschätzung von Fachleuten neben dem Netzausbau und dem Bau steuerbarer Kraftwerke noch mehr passieren. Hilfreich wäre es zum Beispiel, wenn die Stromnachfrage flexibler wird. Das bedeutet: Haushalte und Unternehmen müssen den Strom möglichst dann verbrauchen, wenn er erzeugt wird. Das war jahrzehntelang undenkbar – und auch nicht notwendig, weil Strom verlässlich kontinuierlich produziert wurde. Strom kam jederzeit aus der Steckdose, vermeintlich unbegrenzt. In einem System mit einem sehr hohen Anteil erneuerbarer Energien trägt ein flexiblerer Stromverbrauch jedoch dazu bei, den ständigen Ausgleich von Angebot und Nachfrage sicherzustellen.
Das könnte dann zum Beispiel so aussehen: Elektroautos werden dann geladen, wenn besonders viel Strom zur Verfügung steht – also zum Beispiel mittags, wenn die Sonne scheint, oder nachts, wenn insgesamt wenig Strom verbraucht wird. Denkbar ist, dass Elektroautos demnächst in zwei Richtungen laden – also nicht nur Strom aus dem Netz entnehmen, sondern auch Strom in das Netz abgeben – und somit als Stromspeicher agieren (Vehicle-to-Grid). Auch viele Wärmepumpen können sich flexibel verhalten, wenn die erzeugte Wärme gespeichert werden kann.
Weitere Beispiele für flexible Nachfrage: In Stunden mit viel Ökostromerzeugung können Heizstäbe oder Elektrodenkessel anspringen, Strom abnehmen und Nahwärme, Fernwärme sowie Wärme für die Industrie liefern (Power-to-Heat). Auch Elektrolyseure – das sind Anlagen zur Produktion von klimafreundlichem Wasserstoff – sollten nach Ansicht vieler Fachleute idealerweise in den Stunden laufen, in denen der Strom nicht anderweitig genutzt werden kann. Im Sommer ist das vorwiegend tagsüber, im Herbst und im Winter vor allem in Phasen mit starkem Wind.
Zunehmend wichtig werden auch große und kleine Batteriespeicher sowie in kleinerem Ausmaß Pumpspeicherkraftwerke, um den Strombedarf flexibler zu gestalten. Denn je flexibler Speicher und Nachfrager agieren, desto weniger Gaskraftwerke werden benötigt und desto näher rückt die Vision eines Stromsystems, welches zu 100 Prozent auf erneuerbaren Energien beruht.
Herausforderungen der Flexibilisierung
Während der Ausbau von Batteriespeichern derzeit rasant voranschreitet, ist insbesondere das Thema Vehicle-to-Grid noch Zukunftsmusik, das heißt vor allem in Pilotprojekten erprobt. Das liegt auch daran, dass in Deutschland bislang in nur wenigen privaten Haushalten „intelligente“ Stromzähler (Smart Meter) verbaut sind, die in Echtzeit mit dem Stromversorger beziehungsweise Netzbetreiber kommunizieren können. Diese sowie dynamische Stromtarife mit sich minütlich ändernden Preisen sind Voraussetzung, um den Stromverbrauch flexibel anzupassen. Beide sind in Deutschland bislang nur wenig verbreitet. Auch gibt es bislang nur wenige Wallboxen am Markt, die die Batterien in Elektroautos sowohl laden als auch entladen können.
Klimafreundlicher „grüner“ Wasserstoff ist außerdem weiterhin knapp, und die wenigen verfügbaren Mengen können preislich nicht mit „blauem“, aus Erdgas erzeugtem und mit der Abscheidung von CO2 versehenem Wasserstoff sowie konventionellem Erdgas mithalten. Dass die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff in Deutschland so teuer ist, liegt auch an strengen Regeln der EU. Denen zufolge gilt der Wasserstoff nur dann als grün, wenn der eingesetzte Ökostrom von zusätzlich gebauten Solaranlagen oder Windrädern erzeugt wird, und das praktisch zeitgleich.