Ihre Ankündigungen sprühten vor visionären Ideen: EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von Solarfarmen in der Sahara, die über gigantische Stromtrassen Energie nach Europa liefern, und von grünem Wasserstoff aus Namibia, der die europäische Energiewende beflügeln solle. Von einem neuen Miteinander mit Afrika sprach sie: nachhaltig, wertegeleitet und auf Augenhöhe, so lautete das Leitmotiv aus Brüssel.
Vier Jahre ist es her, dass die EU-Kommission ihr Investitionsprogramm Global Gateway ins Leben rief. Mit einer Investitionsoffensive wollte die Kommission nicht weniger als eine neue Ära im Handel mit den Ländern des Globalen Südens in Afrika, Asien und Lateinamerika anbrechen. Bis 2027 versprach die EU Investitionen von rund 300 Milliarden Euro in nachhaltige Infrastrukturprojekte. Damit verfolgte sie zwei Ziele zugleich: den globalen Klimaschutz voranzutreiben und Chinas wachsende Dominanz im Bereich der Infrastrukturinvestitionen herauszufordern.
Denn bereits acht Jahre zuvor hatte China mit der „Interner Link: Neuen Seidenstraße“ das bislang größte Infrastrukturprogramm der Geschichte gestartet – in Anlehnung an die antike Handelsroute, die einst das alte China mit Europa verband. Rasch zeigte sich, dass Chinas Ambitionen weit über die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur in Zentralasien hinausgingen: Auch maritime Routen nach Südasien, Afrika und Lateinamerika wurden erschlossen. So benannte die chinesische Führung bald ihr Programm in Belt and Road-Initiaive (BRI) um, wobei mit „Belt“ die Landwege und mit „Road“ die maritimen Handelswegegemeint sind. Straßen, Schienen, Stromnetze, Pipelines, Tiefseehäfen, Logistikzentren und ganze Wirtschaftskorridore – mehr als eine Billion US-Dollar hat China inzwischen in über 100 Ländern investiert.
Vor diesem Hintergrund ist es ein ambitioniertes Unterfangen der EU-Kommission, mit Global Gateway ein Gegengewicht zu Chinas wachsendem globalen Einfluss zu schaffen. Die Bilanz bislang ist eher ernüchternd.
Nachhaltiger Ansatz bei Europas Global Gateway
Gemeinsam mit der Europäischen Investitionsbank (EIB) hat die EU in den vergangenen beiden Jahren insgesamt 218 Projekte gestartet. Rund 100 Milliarden Euro sind seit dem Start von Global Gateway geflossen, weitere 46 Projekte sollen 2025 folgen. Zu den sogenannten Leuchtturmprojekten gehören:
der Ausbau von Häfen auf den Kapverdischen Inseln vor der Nordwestküste Afrikas;
Wasser- und Solarkraftwerke sowie Stromkorridore auf dem Balkan;
die Medusa-Unterwasser-Glasfaserverbindungen zwischen Europa und Nordafrika;
der Aufbau von Produktionsstandorten für Impfstoffe in Ruanda und im Senegal: Unter anderem hat das Mainzer Unternehmen Biontech Ende 2023 die erste Produktion für mRNA-Impfstoffe in Ruanda eingeweiht;
Projekte für erneuerbaren Wasserstoff in Chile, Kasachstan, Namibia und weiteren Ländern;
der Ausbau von Verkehrswegen und Wertschöpfungsketten für kritische Rohstoffe in der Demokratischen Republik Kongo und Sambia mit einer Anbindung an den Hafen von Lobito in Angola;
die 2024 vereinbarte Partnerschaft mit den fünf zentralasiatischen Ländern Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan: Sie erhalten zwölf Milliarden Euro aus dem Topf der Global-Gateway-Initiative für den Ausbau von Infrastruktur.
Einige Projekte wie etwa die Produktionsstätten für Impfstoff sind in Betrieb, die meisten Infrastrukturprojekte angelaufen. Der Vorsitzende im Handelsausschuss des Europarlaments, Bernd Lange (SPD) lobt an Global Gateway den nachhaltigen Ansatz – im Gegensatz zu vielen chinesischen Projekten, die oft zu Verschuldung und wenig nachhaltigen Ergebnissen führen würden. Als Beispiel nennt er die teure Autobahn in Nairobi, für die Kenia einen hohen Kredit bei China aufnehmen musste. Die Europäer hingegen hätten in Nairobi gemeinsam mit der Stadt und der Regierung von Kenia ein System für Elektrobusse entwickelt, was über Global Gateway finanziert wurde. Trotz dieser positiven Beispiele wachsen die Zweifel, ob Global Gateway der chinesischen BRI wirklich Konkurrenz machen kann.
Die Finanzierung ist das zentrale Problem. Die EU ist bislang weit davon entfernt, die angekündigten 300 Milliarden Euro bis 2027 tatsächlich zu mobilisieren. Die Mittel stammen zum Teil aus dem EU-Haushalt, aus den Entwicklungsbudgets der Mitgliedstaaten und aus privaten Investitionen. Gerade die Einbindung von Privatkapital bleibt hinter den Erwartungen der EU-Kommission.
Zwar hat sie Strukturen wie etwa die Business Advisory Group geschaffen, eine Expertengruppe der Europäischen Kommission, deren Aufgabe es ist, die Privatwirtschaft stärker einzubinden. Doch gerade für kleine und mittlere Unternehmen sind die Prozesse oft zu kompliziert – sie zögern, sich in Entwicklungs- und Schwellenländern zu engagieren, solange Risiken und bürokratische Hürden hoch bleiben.
Was die Finanzierung zusätzlich erschwert: Viele europäische Länder kürzen derzeit ihre Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit. Entscheidend für die Zukunft von Global Gateway wird der nächste Mehrjährige Finanzrahmen der EU ab 2028 sein, dessen Vorbereitungen bereits laufen.
Zu schleppend, zu unübersichtlich und zu unkoordiniert
Unternehmer und Experten auch in Europa kritisieren die EU-Initiative als zu schleppend, zu unübersichtlich und zu unkoordiniert. „Man ist sich an der Spitze der Kommission schon klar darüber, dass es noch große Defizite gibt, insbesondere bei der zu langsamen Umsetzung von Projekten und der Einbindung des Privatsektors“, sagt etwa Gunnar Wiegand, der bis zum vergangenen Jahr Leiter der Asienabteilung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS) war und nun für den German Marshall Fund arbeitet. Für eine Externer Link: Studie der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung hat er die Global Gateway-Initiative evaluiert. Die Beschleunigung der Verfahren und mehr Flexibilität seien notwendig, „um im globalen Wettbewerb mit China und angesichts des massiven Abbaus von US-Entwicklungshilfe gemeinsam mit gleichgesinnten Ländern bestehen zu können“, fordert er.
Wiegand empfiehlt der EU, ihre Unterstützung für die nationalen Entwicklungsziele ihrer Partnerländer stärker strategisch auszurichten. Ziel sollte es sein, europäische Interessen – etwa beim Ausbau von Infrastruktur sowie bei der Sicherung der Versorgung mit kritischen Rohstoffen und Energie – gezielt zu fördern.
Auch übermäßige Bürokratie ist bei Global Gateway ein Problem, schreibt der Analyst Jacob Mardell, der für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung Externer Link: die Initiative mit der Neuen Seidenstraße verglichen hat. Mardell stellt fest, dass Projekte der Europäischen Investitionsbank mit dem langfristigen EU-Finanzplan und den festen Programmen abgestimmt werden müssen. Sie seien auf diese Weise nicht flexibel, spontane Änderungen nur schwer möglich. Mardell rät dringend, lokalen Akteuren mehr Entscheidungsmöglichkeiten zu geben.
Für Deutschland empfiehlt Wiegand die Schaffung eines Global Gateway-Koordinators, der die verschiedenen Akteure verbindet und die Umsetzung beschleunigt. Reinhard Bütikofer, bis 2024 langjähriger EU-Abgeordneter der Grünen und China-Experte, unterstützt diese Forderung: Es gehe ja um die Koordinierung ganz unterschiedlicher Bereiche: Investitionen, Technologie, Han-del, Entwicklung, Außenpolitik und dazu natürlich die Einbindung der Privatindustrie. Bütikofer bedauert, dass Kanzler Friedrich Merz (CDU) gerade etliche Beauftragte der Bundesregierung abgeschafft hat – „viele sicherlich zu Recht“, sagt der erfahrene Politiker. „Obwohl im Koalitions-vertrag der Regierung Global Gateway nur am Rande als „geopolitisches Instrument“ erwähnt wird, wäre hier auch für die europäische Einbindung ein Sonderbotschafter nötig.“
Wertebasierter Ansatz schränkt Reichweite ein
Ein zentrales Alleinstellungsmerkmal von Global Gateway ist der wertebasierte Ansatz. Die EU betont Transparenz, Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte und internationale Standards. Die Projekte sollen ausdrücklich nachhaltig und von hoher Qualität sein und den Partnerländern einen klaren Mehrwert bieten. Doch dieser Ansatz stößt nicht überall auf Zustimmung. Manche Partnerländer empfinden die strikten Vorgaben als Bevormundung und kritisieren, dass westliche Staaten ihre Werte als universell darstellen, mit zweierlei Maß messen. Sie sehen ihre Souveränität durch die Bedingungen der EU eingeschränkt.
China hingegen stellt bei der BRI keine solchen Anforderungen. Peking verfolgt mit der Finanzierung von Infrastrukturprojekten offen wirtschaftliche und geopolitische Interessen. Das macht die BRI für viele Länder attraktiver, weil sie weniger Auflagen fürchten müssen. Die Reichweite spricht für sich: Beim BRI-Gipfel im Oktober 2023 nahmen rund 4.000 Delegierte aus etwa 140 Staaten teil, darunter mehr als 20 Staatschefs. Beim Global Gateway-Forum der Europäischen Union, der fast zeitgleich in Brüssel stattfand, reisten Vertreter aus nur etwa 40 Ländern an.
Der Schluss läge also nahe, dass sich die EU stärker als Partner auf Augenhöhe verstehen und wirtschaftliche Chancen suchen sollte, statt primär moralischen Verpflichtungen zu folgen. Interessenpolitik und europäische Werte schlössen sich nicht unbedingt aus, schreibt Analyst Mardell. Doch in einer multipolaren Welt mit Alternativen wie China könne Europa seine Werte nicht mehr diktieren, sondern müsse deren Nutzen überzeugend belegen.
Der Grünen-Politiker Bütikofer sieht das ähnlich. „Statt sich in ideologischen Debatten zu verfransen, weil strategische Fragen dogmatisiert werden, sollte Global Gateway auf eine überschaubare Zahl sichtbarer Leitprojekte fokussieren, die echten Mehrwert schaffen.“ Das würde den beteiligten Ländern eine stärkere industrielle Entwicklung ermöglichen und der EU den Zugang zu wichtigen Rohstoffen außerhalb chinesischer Kontrolle sichern.
EU muss pragmatischer, flexibler und partnerschaftlicher agieren
Als Beispiel für „möglichen Pragmatismus“ nennt Bütikofer die Zusammenarbeit mit rohstoffreichen Regionen, um dort Verarbeitungsindustrien aufzubauen. Das würde den Ländern stärkere industrielle Entwicklung ermöglichen, der EU aber zugleich Zugang zu wichtigen Rohstoffen außerhalb chinesischer Kontrolle sichern. Derzeit ist die Verarbeitungskapazität kritischer Rohstoffe weitgehend von China monopolisiert – was den Rest der Welt erpressbar macht. „Wir erhalten die verarbeiteten Rohstoffe nur, wenn wir uns aus Sicht Chinas gut benehmen“, so Bütikofer. Kooperationen etwa mit Namibia könnten beiden Seiten nutzen: Das Land könnte einen Industriesektor aufbauen, während Europa Zugang zu Rohstoffen und umweltschonender Technologie erhält. Bütikofer: „So könnte Global Gateway geopolitische und geoökonomische Wirkung mit Kooperationsprojekten erzielen, von denen beide Seiten profitieren, unsere gleichgesinnten Partner und wir.“
Global Gateway bleibt ein ambitioniertes Projekt. Es unterstreicht Europas Anspruch, als globaler Akteur eine nachhaltige, wertebasierte Alternative zu Chinas BRI zu bieten. Wichtige Leuchtturmprojekte hat die Initiative auf den Weg gebracht. Doch bleibt sie in der Umsetzung hinter den Erwartungen zurück. Die Finanzierung ist nicht gesichert, die Verfahren sind häufig zu langsam, die Einbindung des Privatsektors bleibt schwach.
Will die EU mit Global Gateway eine geopolitische und geoökonomische Wirkung erzielen, muss sie pragmatischer, flexibler und partnerschaftlicher agieren. „Wir dürfen nicht mit erhobenem Zeigefinger auftreten“, sagt auch der EU-Parlamentarier Lange. Zugleich verweist er auf internationale Standards, etwa gegen Kinderarbeit oder zum Klimaschutz, die fast alle Länder unterschrieben haben. „Wichtig ist, dass wir die Bedürfnisse der Partnerländer ernst nehmen“, sagt Lange. „Es geht darum, gemeinsame Ziele gemeinsam zu erreichen, nicht um einseitige Vorgaben.“