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Panzerkreuzer Potemkin | Der Filmkanon | bpb.de

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Panzerkreuzer Potemkin Bronenosez Potemkin

Rainer Rother

/ 6 Minuten zu lesen

Kaum ein Werk hat den Film als Kunstform so nachhaltig beeinflusst wie "Panzerkreuzer Potemkin". Die parabelhafte Geschichte der sozialistischen Revolution begründete einen Umbruch der Erzählweise.

Panzerkreuzer Potemkin, 1925



(© Bertz + Fischer Verlag / original copyright holders)

Vielleicht ist "Panzerkreuzer Potemkin" (Bronenosets Potyomkin, R: Sergei M. Eisenstein, 1925) der berühmteste Film überhaupt. Jedenfalls ist sein Ruf unvergleichlich, und das nicht nur, weil er auf keiner der vielen Listen mit den so genannten besten Filmen der Welt je gefehlt hat und dabei häufig auf dem ersten Platz landet. Er besitzt diesen besonderen Ruf auch nicht allein deswegen, weil er Regisseure, Kameraleute und Cutter auf der ganzen Welt nachhaltig beeinflusste. Sondern "Panzerkreuzer Potemkin" gewann diese herausragende Stellung in der Filmgeschichte vor allem, weil er 1925 wahrhaft neu war und tatsächlich eine ästhetische Revolution des Films bedeutete. Mit wenig anderen Filmen verknüpft sich so sehr die Vorstellung des Beginns einer neuen Epoche der Filmkunst. Der Stummfilm vor Eisensteins Werk und der Stummfilm nach ihm stehen sozusagen für zwei verschiedene Kapitel der frühen Filmgeschichte.

Das realisierten schon die Zeitgenossen, gerade in Deutschland. Ja man kann sagen, dass der internationale Siegeszug des Films erst durch die enthusiastische Reaktion insbesondere der linksgerichteten Intellektuellen in der Weimarer Republik seinen besonderen Schub bekam. Walter Benjamin schrieb damals, dass "der große Erfolg des 'Potemkin' in Deutschland entschieden wurde, ist ja bekannt". Ihn hat Eisensteins Film zu weit reichenden Thesen über die neuen Möglichkeiten des Films inspiriert – "wirklich entsteht mit ihm eine neue Region des Bewusstseins. Er ist – um es mit einem Wort zu sagen – das einzige Prisma, in welchem dem heutigen Menschen die unmittelbare Umwelt, die Räume, in denen er lebt, seinen Geschäften nachgeht und sich vergnügt, sich fasslich, sinnvoll, passionierend auseinander legen."

Der Film, ein Produkt des ausgehenden 19. Jahrhunderts, wurde also mit Eisenstein, mit dem damals so genannten "Russenfilm", und auch dem amerikanischen Slapstick, mehr als das Massenmedium des 20. Jahrhunderts: Er wurde die Kunstform, die der Moderne entsprach.

Als Eisenstein Ende der 20er Jahre in die USA reiste, begrüßten ihn dort die weltberühmten Stars wie ihren Lehrmeister – Douglas Fairbanks ebenso wie Charles Spencer Chaplin. Mit "Panzerkreuzer Potemkin", so war damals international die Überzeugung, hatte die noch junge Kunst einen entscheidenden Schritt getan, ja war sie vielleicht erst wirklich zur Kunstform geworden. Dies bestimmt auch heute den Ruf des Films, nämlich den eines Exempels, mit dem ein anderes Verständnis der filmischen Grundlagen offenbar geworden sei.

"Panzerkreuzer Potemkin" ist dabei das Beispiel der in den 20er Jahren in der jungen Sowjetunion aufblühenden Filmkunst, die als russischer Revolutionsfilm berühmt wurde. Die Oktoberrevolution von 1917 wurde zwar erst mit den Zehnjahresfeiern zum Zentrum der filmischen Bemühungen um historische Stoffe. Doch die Vorgeschichte der russischen Revolution, auch andere Episoden der revolutionären Bewegungen, wie sie sich vom bolschewistischen Standpunkt aus darboten, gerieten in den Blick der jungen Regisseure, die einer neuen Gesellschaft mit filmischen Mitteln eine historische Perspektive geben wollten. Eisenstein hatte mit "Streik" (Statchka, 1925) den Anfang gemacht, Pudowkins "Mutter" (Mat, 1926), Dowshenkos "Arsenal" (1928) und Kosinzew/Traubergs "Das neue Babylon" (Nowy Wawylon, 1929) folgten.

Der russische Revolutionsfilm, eindeutig "Tendenzfilm", war so gesehen stark von historischen Themen dominiert. Gerade sie schienen eine Rechtfertigung der Revolution und der neuen Sowjetordnung zu ermöglichen – in der Kritik an der Zarenherrschaft, an Unterdrückung und Ausbeutung hatten die Regisseure die Folie gefunden, vor welcher der gewaltsame Umsturz und die Etablierung eines neuen Systems gerechtfertigt erschien. Demgegenüber blieben die Versuche vor allem Dsiga Vertovs, die Realität der jungen Sowjetunion in filmischen Werken zu feiern, international vergleichsweise weniger bekannt und entfalteten auch keine vergleichbar nachhaltige Wirkung, wie sie mit "Panzerkreuzer Potemkin" untrennbar verbunden ist.

Vor allem das "Dynamit der Zehntelsekunden" (Walter Benjamin) bestimmte den Eindruck des russischen Revolutionsfilms. Die Möglichkeiten der Montage praktisch und theoretisch zu erkunden, stand für alle Vertreter der russischen Avantgarde im Mittelpunkt ihrer Bemühungen um eine neue Filmsprache. Sergej Eisenstein, der zeitlebens großes Interesse an theoretischen Fragestellungen hatte und sie sowohl als Publizist wie als Lehrender immer wieder behandelte, konzipierte "Panzerkreuzer Potemkin" konsequent von der Montage der Einzelbilder her. Nicht der Fluss der Erzählung, wie sie sich gleichzeitig im anderen großen kinematografischen Modell, dem klassischen Hollywood-Kino, entwickelte, stand daher im Vordergrund, sondern die nach rhythmischen Prinzipien, auf Kontrast, Konflikt, Steigerung oder Verlangsamung zielende Montage selbst. Mit der Dynamik, die Eisenstein in den Kulminationspunkten der Handlung entwickelte, war daher damals kein anderer Filmtyp vergleichbar.

Entsprechend dem Credo, dass die Geschichte nicht von Einzelpersonen, sondern von den Massen gestaltet werde, verließ Eisenstein die eingeführten Wege der Filmerzählung. "Panzerkreuzer Potemkin" besteht aus fünf "Akten", die durch Zwischentitel voneinander abgehoben sind und Stationen der dramatischen Handlung kondensieren. In jedem der Akte gibt es die Steigerung hin zu einem Höhepunkt, jedoch vermittelt zwischen ihnen keine Hauptfigur.

Auf ein Zitat von Trotzki, das nach Stalins Sieg über alle Konkurrenten in der Partei schon bald darauf durch eines von Lenin ersetzt werden musste, folgt in weiteren Zwischentiteln eine knappe Beschreibung der Ausgangssituation im Jahr 1905. Die Niederlage im Krieg gegen Japan hatte das Zarenreich geschwächt, die gewaltsame Niederschlagung eines Protestmarsches Unruhen im ganzen Reich zur Folge. Hier setzt die Filmhandlung auf dem Panzerkreuzer ein. Der erste Akt zeigt das Aufkeimen der Unzufriedenheit. Die Matrosen Wakulintschuk und Matjuschenko, die beiden Figuren, die noch am ehesten individuelle Züge tragen, sprechen über die Unruhen in ganz Russland. Der Protest gegen verdorbenes Fleisch, vom Schiffsarzt trotz sichtbaren Madenbefalls als genießbar erklärt, eskaliert. Alle Matrosen weigern sich, die Suppe zu essen. Im zweiten Akt befiehlt der Kapitän die Mannschaft auf Deck und lässt die bewaffnete Wache aufmarschieren. Die Matrosen ziehen sich daraufhin zum Geschützturm zurück, eine Gruppe aber wird am Bug festgehalten und soll exekutiert werden. Dies wird das Signal zum Aufstand. Wakulintschuk wird vom Ersten Offizier erschossen, aber seine Kameraden überwältigen die Offiziere und werfen sie ins Wasser. Wakulintschuks Leichnam wird in einem Beiboot an Land gebracht. Der dritte Akt zeigt die Anteilnahme der Bevölkerung Odessas. In einer endlos scheinenden Prozession ziehen die Menschen am aufgebahrten Wakulintschuk vorbei. Bevölkerung und Aufständische solidarisieren sich, die Menschen winken der am Mast aufgezogenen roten Fahne zu. Der vierte Akt bringt den unbestrittenen Höhepunkt des Films. Eine Flotte von verschiedensten Booten läuft aus und bringt den Matrosen Lebensmittel. Von der Treppe Odessas aus winkt die Menge zum Schiff herüber. Diese Menschenmenge wird von Kosaken, die im Gleichschritt drohend die Stufen herabkommen, niedergeschossen. Hier hebt die Montage einzelne Opfer hervor: die Mutter, die den Kosaken ihren erschossenen Sohn entgegenträgt und ebenfalls von einer Salve niedergestreckt wird; die Lehrerin, die den Soldaten mit der Bitte um Einhalt begegnet und ebenso getötet wird wie die Mutter, die sich schützend vor ihr Baby stellt, das dann hilflos im Kinderwagen die Treppenstufen herunterstürzt. Ein Schuss des Panzerkreuzers setzt dem Morden ein Ende. Der letzte Akt scheint auf die unausweichliche Konfrontation der Potemkin mit der Flotte zuzusteuern. Doch weigern sich die Matrosen auf den anderen Schiffen, das Feuer aus den Bordgeschützen zu eröffnen; die Potemkin entkommt.

Eisensteins Film beruhte zwar auf einem historischen Ereignis, doch wirkte der Film vor allem durch die symbolische Fassung, die er diesem gab. Anhand des Aufstands der Matrosen entwickelt Eisenstein sozusagen eine Revolutionsgeschichte, in der die Solidarität der Massen trotz blutiger Gewalt triumphiert. Das offene Ende ist weniger ein Ausweichen vor historischer Korrektheit als eine Folge der Symbolik selbst: Der Aufstand der Matrosen und der Menschen von Odessa soll ein Exempel sein, kein historisches Datum.

Obwohl vor allem und zu Recht die Montage gerühmt wurde, und bei ihr wiederum die dynamische Zuspitzung, tragen die stillen Episoden zur Wirksamkeit des Films entscheidend bei. Der dritte Akt beginnt mit wunderschönen Aufnahmen des Hafens im Nebel. Aus dieser Einleitung entwickelt sich allmählich der Vorbeimarsch der Bevölkerung am Märtyrer Wakulintschuk. Gerade dieser Spannungsaufbau gibt den imposanten Schlussbildern ihre Kraft. Ganz ähnlich sind auch in den anderen Akten jeweils ruhigere Szenen zu Beginn zu beobachten. Die Aufnahmen, die in den dynamischen Abschnitten gelegentlich nur noch knapp aufblitzen, sind hier auch in ihrer fotografischen Schönheit bemerkenswert.

Mit "Panzerkreuzer Potemkin" erreichte der russische Revolutionsfilm seinen Höhepunkt. Die Experimentierlust und das Interesse an formalen Fragen, kennzeichnend für Eisenstein und allgemein die russische Avantgarde der 20er Jahre, galten bald darauf, unter der stabilisierten stalinistischen Herrschaft, als verpönter, wenn nicht gefährlicher Formalismus. Ein letztes Mal konnte Eisenstein seinen Film als typischen Ausdruck der russischen Revolution behaupten, als Goebbels 1933 – in seiner ersten Rede als Propagandaminister vor den Spitzen der deutschen Filmwirtschaft – den "Panzerkreuzer Potemkin" als einen zwar politisch feindlichen, aber in seiner Wirkung nachgerade vorbildlichen Film nannte. Der Forderung nach einem deutschen (nämlich nationalsozialistischen) Potemkin begegnete Eisenstein mit Sarkasmus, wohl wissend, dass zu diesem Zeitpunkt auch in der Sowjetunion ein neuer "Panzerkreuzer Potemkin" bereits nicht mehr realisierbar gewesen wäre.

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Fussnoten

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Nach der Promotion 1988 wurde er Leiter der Kinemathek des Deutschen Historischen Museums und Ausstellungskurator. Zahlreiche Veröffentlichungen zur Filmgeschichte, u.a. "Leni Riefenstahl. Die Verführung des Talents" und "Der Weltkrieg 1914-1918. Ereignis und Erinnerung". Seit 2001 ist er Mitglied der Auswahlkommission für den Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele Berlin und seit 2006 künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek und Leiter der Retrospektive der Berlinale.