Fußball als Diskriminierungsagent
Die Situation im Bundesligafußball
Fan-Initiativen haben maßgeblich zu einer gemeinschaftlichen Positionierung gegen Diskriminierung im Fussball beigetragen. Warum bleiben kritische Äußerungen im Stadion immer noch ein Thema und welche Rolle spielt das männlich geprägte Freund-Feind-Schema des Fußballs?
Die gesellschaftlichen Hintergründe
Bei Diskriminierungen im Fußballstadion handelt es sich keinesfalls um ein reines Fußball- oder Sportphänomen, wenngleich der Fußball Konstellationen aufweist, die solche Verhaltensweisen begünstigen (siehe unten). Vielmehr wird aus einem gesellschaftlichen Vorrat geschöpft, der Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmechanismen bereithält, denn Gesellschaft findet sich – wenn auch in abgeänderter Form – im Stadion wieder. Deshalb ist es zunächst sinnvoll, Diskriminierungen gesellschaftlich einzuordnen, um einen Überblick über die Phänomene zu erhalten. Erst dann bietet sich eine Diskussion der Bedeutung von Diskriminierung für den Fußball unter Berücksichtigung historischer Gesichtspunkte an.Bereits der Blick auf die etymologische Herkunft des Begriffs zeigt, dass Diskriminierungen eine Distinktionsfunktion übernehmen: Diskriminierung stammt vom lateinischen Wort "discriminare“ ab, was so viel wie "absondern“ und "trennen“ bedeutet[1]. Ursprünglich wertneutral verwendet, ist der Begriff heute negativ belegt. Diskriminierungen können entweder einzelne Personen oder Gruppen herabwürdigen und dabei ganz unterschiedliche Formen annehmen. Sie müssen nicht zwangsläufig offen artikuliert werden oder sich gar in feindseliges, gewalttätiges Handeln niederschlagen, wie wir es im Rechtsextremismus erleben, sondern können genauso Teil menschlicher Einstellungen sein. In diesem Beitrag spielen Einstellungen allerdings nur bedingt eine Rolle.
Adressaten diskriminierender Herabsetzungen sind sowohl Personen beziehungsweise Gruppen anderer ethnisch-kultureller Herkunft als auch Angehörige der eigenen ethnisch-kulturellen Gruppe. So tauchen neben sehr bekannten Diskriminierungsmustern wie Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus auch solche auf, mit denen zum Beispiel Homosexuelle (Homophobie), Frauen (Sexismus) oder Behinderte (Abwertung von Behinderten) ausgegrenzt werden[2]. Ausgehend von der sozialen Ungleichheit der Menschen im Hinblick auf Status, Herkunft, Aufstiegschancen etc. können gesellschaftliche Verschiebungen (zum Beispiel Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage, Zunahme des Konkurrenzkampfes) zu Verschärfungen solcher Ungleichheiten führen. In der Folge kann die Ideologie der Ungleichwertigkeit[3] als Bewertungs- und Hierarchisierungsinstrument „eine Legitimationsfunktion für Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt" gegenüber schwachen Gruppen übernehmen[4]. Menschen werden demnach zum Beispiel im Hinblick auf ihre kulturelle und religiöse Herkunft oder wirtschaftliche Nützlichkeit bewertet.
Die gesellschaftliche Sensibilität für derlei Diskriminierungen hat sich in den vergangenen Jahren erheblich erhöht und wird darüber hinaus durch rechtliche Maßnahmen begleitet. Im Jahr 2006 wurde beispielsweise die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingerichtet und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (umgangssprachlich: Antidiskriminierungsgesetz) verabschiedet[5]. Offene Diskriminierungen sind daher nicht nur gesellschaftlich weitestgehend unerwünscht, sondern werden auch gesetzlich verfolgt. Zudem haben sich in der Gesellschaft wesentlich liberalere Umgangsformen mit Blick auf Minderheiten etabliert, sodass heutzutage beispielsweise homosexuelle Spitzenpolitiker oder solche mit Migrationshintergrund vielfach akzeptiert werden[6]. Ebenso haben Untersuchungen zur institutionellen Diskriminierung (vor allem in Schulen) zu einer Diskussion über die Benachteiligung verschiedener Bevölkerungsgruppen in institutionellen Kontexten geführt[7].
Studien[8] zeigen allerdings, dass diskriminierende Einstellungen in verschiedenen Bevölkerungsschichten durchaus vorhanden sind – wenngleich in unterschiedlichem Maße. So wies die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Christine Lüders, im Frühjahr 2012 darauf hin, dass beispielsweise Rassismus nicht zu einem reinen Randphänomen verklärt werden sollte, da er auch in der sogenannten Mitte der Gesellschaft auftaucht[9].
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"Rassismus ist kein Randphänomen"
Quelle: Antidiskriminierungsstelle des Bundes 2012
So gibt es in verschiedenen Gesellschaftsgruppen – nicht nur in radikalen Szenen – zumindest eine erhebliche Skepsis gegenüber Zuwanderern und Zuwanderinnen sowie damit verbunden eine Diskriminierung. Dies belegen die Proteste des islamkritischen Pegida-Bündnisses in verschiedenen Städten Deutschlands. Aber auch die massiv gestiegene Anzahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte (z. B. Brandanschläge) im Jahr 2015 geben Anlass zur Sorge[10]. Die Flüchtlingsbewegungen aus Kriegs- und Notstandsgebieten stellen nicht nur für Deutschland, sondern für ganz Europa eine nicht nur politische, sondern auch gesellschaftliche Herausforderung dar, entlang derer sich erhebliche Konflikte entzünden.
Von diesen Vorgängen ist auch der Fußball nicht unberührt. Insbesondere die sogenannte HoGeSa-Bewegung (Hooligans gegen Salafisten) ist gegenwärtig darum bemüht, die Konflikte um Zuwanderung (z. B. Schüren von Ängsten vor ''Islamisierung“) mit dem Fußball zu verbinden. Doch auch losgelöst von der extremen HoGeSa-Gruppierung taucht in gesellschaftlichen Debatten immer wieder das Fußballstadion als idealer Nährboden für Beleidigungen, Diskriminierungen und Feindseligkeiten von und gegenüber Minderheiten auf. Insbesondere das fußballspezifische Setting hat einen begünstigenden Einfluss auf Ausgrenzungen und Abwertungen. Es lohnt deshalb, dieses Setting zu betrachten, um die Rolle des Fußballs im Kontext von Diskriminierungen zu verstehen.
Fußball als bipolares Konfliktsystem
Wie viele Sportarten ist der Fußball durch das Aufeinandertreffen zweier konkurrierender Mannschaften gekennzeichnet, für die es vor allem um eines geht: den Sieg. Schon den Kinder- und Jugendabteilungen vieler Amateurvereine ist dieses System immanent. Siege verschaffen Erfolgserlebnisse und Ehre, Niederlagen hingegen bedeuten Frust und Enttäuschung. Diese Erfahrungen werden unterschiedlich verarbeitet und können sich in Aggressionen, Gewalt und Diskriminierungen niederschlagen.
Verschärft hat sich diese Bipolarität in den vergangenen fast 50 Jahren seit der Gründung der Fußball-Bundesliga im Jahre 1963, in denen der Fußballsport eine beispiellose Professionalisierung und Kommerzialisierung erlebt hat. Waren noch in den Vorkriegs- und unmittelbaren Nachkriegsjahren Sieg oder Niederlage nicht existenziell bedeutsam, hat sich dies erheblich verändert. Heute können im Bundesligafußball Siege große finanzielle Gewinne einbringen und Niederlagen schwere Verluste bescheren, die Vereine an den Rand des Abgrunds führen können. Gerade auch in den europäischen Wettbewerben wie der Champions League werden enorme Summen umgesetzt und Einnahmen getätigt. Kurzum: Im Fußball – vor allem im Profibereich – zählt nur der Sieg. Der Konflikt zwischen zwei Mannschaften ist daher in der Struktur des Spiels verankert. Entsprechend ruppig sind mitunter die Umgangsweisen auf dem Spielfeld. Es wird gekämpft, gefoult, gebrüllt und beleidigt – alles im Dienste des Erfolgs der eigenen Mannschaft und der Niederlage des Gegners. Damit passt sich der Fußball dem vorherrschenenden Wettbewerbs/Konkurrenz-Modell des Marktes im Kapitalismus an, wo Leistungs- und Erfolgsorientierung bedeutsame Eigenschaften sind, um sich im Konkurrenzkampf zu behaupten.

Die aus der bipolaren Kategorisierung resultierenden Konflikte finden sich nicht nur auf dem Platz, sondern auch auf den Zuschauerrängen. Dort treffen die jeweiligen Anhänger im Rahmen des sportspezifischen Settings[11] aufeinander und unterstützen ihre Mannschaft. Die Bipolarität begünstigt im Besonderen die Ausbildung von Feindbildern[12], die mancherorts derart tief verankert sind, dass von "Hassgegner" oder "Erzfeind" gesprochen wird. Dass es sich dabei nicht nur um inhaltsleere Worthülsen handelt, zeigen zum einen Zuschauerausschreitungen rivalisierender Vereine[13]. Zum anderen werden Sprechchöre und Gesänge eingesetzt, um den Gegner zu attackieren. Derlei Artikulationen haben einen Vorteil: Sie sind – im Gegensatz zu dem für körperliche Auseinandersetzungen benötigten, unmittelbaren Gegner sowie der erforderlichen Körperkraft – immer verfügbar und schaffen klare Orientierungen. Durch solche Gesänge wird das Freund-Feind-Schema verstärkt, das in ''Wir'' und ''Die'' einteilt. Es entsteht eine klare Interaktionsordnung zwischen den Fans auf den Rängen[14].
Der sogenannten "Theorie der sozialen Identität" zufolge entwickeln sich Ingroups und Outgroups, wodurch sich Fangruppen eindeutig voneinander abzugrenzen versuchen[15]. Indem sich Menschen einer Gruppe zuordnen und diese Mitgliedschaft verinnerlichen, dokumentieren sie interne Homogenität (Zusammenhalt, Zugehörigkeit) bei externer Heterogenität (Abgrenzung nach außen): Fußballfans bilden aufgrund der Zugehörigkeit zu ihrer Fangruppe eine soziale Identität aus, die über Intergruppen-Vergleiche mit anderen Gruppen eine selbstwertsteigernde, ordnungsstiftende Funktion übernehmen kann. Heftige Beleidigungen und mitunter Diskriminierungen sind probate Instrumente, um gegnerische Fangruppen oder Spieler wirksam abzuwerten und gleichzeitig die eigene Gruppe aufzuwerten[16]. Dabei ist die Intensität, mit der Abwertungen vorgetragen und Feindbilder tradiert werden, nicht immer gleich gewesen. Obwohl es im Fußball eine Abwertungstradition gibt, unterliegen Formen und Inhalte solcher Äußerungen gesellschaftlichen Entwicklungen, denen sich der Fußball nicht entziehen kann.