Fußball als Diskriminierungsagent
Die Situation im Bundesligafußball
Die Problematik in den unteren Ligen
Die zunehmende Vermarktung sowie gesellschaftliche Integration des Fußballs hat neben anderen Entwicklungen für die Etablierung einer Kontrollkultur in den Stadien der Bundesligen gesorgt. Abweichendes Verhalten wird dort kaum noch geduldet und häufig von Gerichten oder den Vereinen mit teils drastischen Strafen wie Stadionverboten oder Zuschauerausschlüssen geahndet.Daneben wird mittlerweile verstärkt auf Diskriminierungen geachtet, die in vielen Stadien nicht mehr ohne Sanktionsgefahr seitens anderer Fans oder der Sicherheitskräfte vorgetragen werden können. In den Ligen unterhalb der Bundesliga, hauptsächlich unterhalb der Profiligen, verhält sich die Situation anders[62]. Die Sicherheitsvorkehrungen sind ebenso wie das gesellschaftliche Interesse geringer, sodass sich an einigen Standorten problematische Fanszenen etablieren konnten[63]. An diesen Orten ist nicht zuletzt die soziale Kontrolle durch Mitfans schwächer ausgeprägt, was abweichende Verhaltensweisen begünstigt.
Die unteren Ligen, besonders die Amateurklassen, stellen daher im Vergleich zur Bundesliga ein ideales Rekrutierungsfeld für rechtsextreme Gruppierungen dar[64]. Je tiefer die Liga, desto handfester wird das Konflikt- und Diskriminierungspotenzial. In den niedrigklassigen Amateurligen wie beispielsweise Kreis- oder Bezirksligen lässt sich sogar die in den Profiligen nur noch selten offen zutage tretende Ethnisierung von Rivalitäten und Konflikten beobachten: Betroffen sind keineswegs nur die Zuschauer, sondern auch die Spieler und Schiedsrichter, wie wir in Studien zu Sportgerichtsurteilen empirisch feststellen konnten[65].
Auch Thaya Vester berichtet im Rahmen einer jüngeren Studie über Gewaltvorkommnisse und Diskriminierungen im Amateurfußball[66]. Dabei stellen die Schiedsrichter eine zentrale Opfergruppe dar[67]. Zudem sind Konflikte häufig von fremdenfeindlichen oder rassistischen Beleidigungen begleitet, die eine Eskalation der Auseinandersetzung beschleunigen.
Kritische Distanz und notwendige Analysen

Wenngleich Diskriminierungen in Bundesligastadien heutzutage verhältnismäßig selten kollektiv geäußert werden, sich Fangruppen und Aktionsbündnisse dagegen engagieren, sind die vorgestellten Kommunikations- und Umgangsformen diskussionswürdig. Durch den rasanten gesellschaftlichen Aufstieg des Fußballs gepaart mit einer umfassenden medialen Berichterstattung sowie einer modernen Sicherheitsarchitektur ist das Stadion nicht mehr einfach ein Paralleluniversum mit subkulturellem Normen- und Wertesystem in den Fankurven. Im 21. Jahrhundert strömen wöchentlich Hunderttausende Fans in die deutschen Profistadien, der Stadionbesuch ist enorm attraktiv – gerade auch für junge Menschen.
Die Fanszenen, vor allem die Ultras, betreiben entsprechend gezielt Nachwuchsarbeit und übernehmen durch ihre hohe Attraktivität für junge Menschen eine wichtige Sozialisationsfunktion im Sinne einer Peer Group-Sozialisation[68]. Dabei verlaufen Sozialisationsprozesse in Peer Groups nicht immer gesellschaftskonform, da es sich nicht um professionelle Sozialisationsinstanzen mit einem Erziehungsauftrag handelt. Risiken liegen etwa in der Überbetonung von Gruppennormen, wenn diese höher gewertet werden als gesellschaftlich anerkannte Regeln, und der De-Individualisierung, d. h. der Unterordnung des Einzelnen unter die Gruppe[69]. Problematisch ist das immer dann, wenn sich eine Kultur der Abwertung in Fangruppen etabliert; Abwertungen und Beleidigungen also als etwas Selbstverständliches und dem Fußball zugehörig aufgefasst werden. Deshalb sind solche Gruppenlogiken und -dynamiken stets zu berücksichtigen, wenn über Diskriminierungen im Fußballfankontext gesprochen wird. .
Gesellschaftliche Normen und Werte werden auch im Fußballstadion ausgehandelt. Fußball lernt nicht nur von der Gesellschaft, er kann vielmehr selbst ein Vorbild für Gesellschaft sein. Insofern erscheint es legitim, grundlegende Fragen nach der Angemessenheit von Fankommunikation zu stellen: Welche Äußerungen sind noch akzeptabel, welche befeuern Ausgrenzungen und Feindseligkeit? Sind heftige Beleidigungen und Bedrohungen von Spielern, anderen Fans usw. hinnehmbar und mit der Struktur des Fußballs begründbar? Der Blick ist ebenfalls auf die Empfängerinnen und Empfänger zu richten: Wie gehen sie (z. B. Schiedsrichter) mit solchen Anfeindungen um?
Aufgrund seiner enormen Popularität ist der Fußball darüber hinaus anfällig für Unterwanderungsversuche rechtsextremer, gewaltbereiter Gruppen. Die HoGeSa-Bewegung knüpft unmittelbar an den Fußball an, Teile der Gruppe rekrutieren sich aus dem Fanumfeld. In Zeiten erheblicher gesellschaftlicher Konflikte etwa um Zuwanderungen oder islamistische Terroranschläge ist erhöhte Sensibilität von allen Akteurinnen und Akteuren für politische Mobilisierungsversuche gefragt.
Parallel dazu ist es ratsam, die eindimensionalen Schemata des Fußballs zu überdenken (zum Beispiel indem der Austausch zwischen Fangruppen sowie die Entwicklung einer bunten Fankultur gefördert werden), die nicht nur Abwertungen erleichtern, sondern Radikalisierungsprozesse beschleunigen können. Dies setzt den Fußball einer ständigen latenten Gefahr aus, "umzukippen". Starke Fanszenen und Fanprojekte sowie motivierte Vereine und Verbände sind deshalb wichtig – nicht zuletzt mit dem Fokus auf junge Fußballfans.
Im Hinblick auf Jugendliche zeigt die Forschung, dass abweichendes Verhalten normaler Bestandteil jugendlichen Aufwachsens ist; nur selten resultieren daraus tatsächlich stabile kriminelle Karrieren im Erwachsenenalter[70]. Junge Menschen suchen Räume, in denen sie sich auch abseits gesellschaftlicher Vorgaben ausprobieren können. Jugendliches Aufwachsen vollständig zu regulieren und zu normieren, unterbindet letztlich eine autonome Entwicklung des Individuums. Notwendig sind deshalb in diesem Kontext eine gute Begleitung und Beratung, die Jugendliche aber auch eigene Erfahrungen sammeln lassen.
Besondere Aufmerksamkeit sollte ferner den Vorgängen im Amateurfußball geschenkt werden. Dort fehlen häufig die notwendigen Strukturen, um der Diskriminierungsproblematik beizukommen. Aufgrund der geringen medialen und gesellschaftlichen Beachtung besteht das Risiko, dass sich engagierte liberale, demokratische Fans beziehungsweise Fangruppen und Vereine alleingelassen fühlen. Es liegt auch an den Verbänden, den Unterbau des deutschen Fußballs nicht abdriften zu lassen. Die sogenannte „Zukunftsstrategie Amateurfußball“ des Deutschen Fußball-Bundes ist deshalb ein wichtiges Signal.
Um solche Fragen und Themen angemessen zu behandeln, ist überdies eine sozialwissenschaftliche Forschung notwendig, die empirisch und theoretisch gehaltvolle Untersuchungen zum Gegenstand "Fußball" vorlegt. An diesen Studien – vor allem im Hinblick auf Diskriminierung – mangelt es jedoch, sodass nur wenige schlüssige und fundierte Konzepte zur Beantwortung obiger und weiterer Fragen existieren.
Abschließend lässt sich festhalten, dass Ausgrenzung im Allgemeinen und Diskriminierungen im Speziellen im Bundesligafußball ein Thema waren, sind und bleiben. Allerdings haben sich Veränderungen ergeben und Gewichtungen verschoben. Es ist wichtig – nicht nur im Fußball –, ein aufmerksamer Beobachter von Interaktionsprozessen zu sein, auf Probleme hinzuweisen und diese klar zu benennen. Wenig hilfreich hingegen sind die stete Aktualisierung alter Forschungsergebnisse und überholter Zustände sowie die Generalisierung von Einzelfällen, um damit die Diskriminierungsanfälligkeit des Fußballs zu untermauern und Vorwürfe an Fußballfans zu legitimieren.
Wenn in manchen Medien zu lesen und zu hören ist, welche Diskriminierungen im Stadion zum Standardrepertoire gehören, dann wird dem Eindruck Vorschub geleistet, dass abweichendes Verhalten eine unveränderliche Konstante im Fußball ist. Dabei muss zur Kenntnis genommen werden, dass sich viel bewegt hat, angestoßen sowohl von den Fans selbst als auch von den Institutionen des Fußballs. Fruchtbare Debatten werden sonst ideologisch überlagert. Stattdessen laufen wir Gefahr, Mythen zu produzieren und zu nähren, deren empirischer Gehalt zweifelhaft ist. Der deutsche Fußball weist sicherlich in vielerlei Hinsicht traditionelle, teils antiquierte und vor allem überaus fragwürdige Strukturen und Umgangsformen auf. Zu begrüßen ist deshalb eine reflektierte, differenzierte Thematisierung, die von seriösen wissenschaftlichen Analysen begleitet wird.
Materialien zum Thema














Initiativen und Netzwerke
- Das Bündnis Aktiver Fußball-Fans (BAFF) ist ein seit 1993 bestehender vereinsübergreifender Zusammenschluss von über 200 Einzelmitgliedern und vielen Faninstitutionen (Inis, Mags, Projekte, Fanclubs, etc.). BAFF ist Teil des europäischen Netzwerks FARE (Football Against Racism in Europe), deren Fangruppen u.a. die „Mondiali Antirazzisti" in Italien oder die englische Video-Aktion „Show Racism the Red Card" organisieren.
- Am Ball bleiben – Fußball gegen Rassismus und Diskriminierung. Eine Initiative der Deutschen Sportjugend
- 2001 wurde die Ausstellung Tatort Stadion vom Bündnis Aktiver Fußballfans (BAFF) entwickelt und seitdem an fast zweihundert Orten gezeigt. Die Ausstellung leistete Pionierarbeit, indem sie Diskriminierung beim Fußball thematisierte.
- FARE: Fußball gegen Rassismus in Europa
- Flutlicht – Verein für antirassistische Fußballkultur
- 'Netz gegen Nazis': Verweise zu rechtsextremistischen Vorfällen u.ä. im Fußball
- Die Mondiali Antirazzisti, die antirassistische Fan-Weltmeisterschaft ist eine Veranstaltung, die 1997 vom Progetto Ultra-UISP Emilia Romagna in Zusammenarbeit mit Istoreco, dem Institut für die Geschichte des Widerstands der Reggio Emilia (gegen die nationalsozialistische Herrschaft in Italien) ins Leben gerufen wurde.
- Mit dem Slogan „Für Fußball – Gegen Rassismus und Diskriminierung“ hat sich die Bunte Kurve, eine Faninitiative im Umfeld der Vereine FC Sachsen und BSG Chemie Leipzig, der Antirassismus- und Antidiskriminierungsarbeit verschrieben. Im Zentrum steht die fortführende Arbeit für Toleranz und gegen jegliche Form der Diskriminierung. Diese soll sich nicht nur auf die Leutzscher Vereine und Fußball beschränken, sondern auch außerhalb des Stadions integrativ wirken.
- Homophobie entgegenwirken möchte die Aktion Fussballfans gegen Homophobie (FfgH) Die Abteilung Aktive Fans des Fußballvereins Tennis Borussia Berlin schickt hierfür in Kooperation mit dem Projekt Soccer Sound des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg ein Banner auf die Reise zu Vereinen, in Fankurven und zu Fußballprojekten in ganz Deutschland.
- Queer Football Fanclubs (QFF) ist ein Netzwerk europäischer schwul-lesbischer Fußball Fanklubs, die zur Fußball Weltmeisterschaft 2006 von den schwul-lesbischen Fanklubs aus Berlin, Stuttgart und Dortmund gegründet wurde. Es werden jährlich zwei Konferenzen abgehalten. Die Vereinigung arbeitet unter anderem mit dem Bündnis aktiver Fußballfans, der FARE, der European Gay and Lesbian Federation und dem Deutschen Fußball Bund zusammen und ist Mitglied bei Football Supporters Europe (FSE).
- F_in Netzwerk Frauen im Fußball ist ein internationaler Zusammenschluss von weiblichen Fans, Fanprojekt-Mitarbeiterinnen, Wissenschaftlerinnen und Journalistinnen, der sich auch gegen Sexismus und Diskriminierung im Fußball engagiert.
- Das Projekt Respect Gaymes wurde im Jahr 2005 ins Leben gerufen und dient der Begegnung zwischen homosexuellen und heterosexuellen Menschen, die sonst keinerlei Berührungspunkte haben. Das Ziel des Projekts ist es, Vorurteile abzubauen und Respekt und Toleranz zu fördern. Die erste Säule ist die Aufklärungsarbeit an Schulen und in Jugendzentren. Die zweite Säule ist das Sport- und Kulturevent Respect Gaymes. Zum Aufwärmen gibt es im Frühjahr die Respect Nights.
- Fachtage VEREINE STARK MACHEN – für Vielfalt im Fußball: Seit 2011 finden in regelmäßigem Abstand Fachtage statt, organisiert vom Berliner Fussball-Verband e.V., dem Bündnis für Demokratie und Toleranz, der Landeskommission Berlin gegen Gewalt und dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg. In verschiedenen Workshops geben Aktive und Fachleute u.a. Handlungsempfehlungen zu den Themen Homophobie im Fussball und Gewaltprävention.
- Die EGLSF - European Gay & Lesbian Sport Federation ist ein Verband, der offen für schwule, lesbische, heterosexuelle und gemischte Sportvereine und –organisationen eintritt. Zur Zeit vereint dieses Netzwerk mehr als 10.000 Mitglieder in über 100 Organisationen und Sportvereinen. Eine der zentralen Aufgaben der EGLSF ist die Vergabe der EuroGames, den europäischen LGBT Meisterschaften.