Die Entwicklung des Parteiensystems seit 1945
Von den zwölf Parteien, die in der Anfangszeit der Bundesrepublik eine mehr oder weniger wichtige Rolle gespielt haben, existieren heute nur noch sechs, wobei zwei schon lange nicht mehr relevant sind. Dafür sind einige relevante Parteien neu hinzugekommen.
Von den hier aufgeführten Parteien gilt in der Regel die öffentliche Aufmerksamkeit nur wenigen, als relevant angesehenen Parteien. An den Bundestagswahlen nehmen jedoch sehr viel mehr Parteien teil. Ihre Anzahl variiert von Wahl zu Wahl beträchtlich: Waren es 1972 nur acht, so nahmen an der Bundestagswahl 1998 33 und bei der Bundestagswahl 2017 34 Parteien teil. Insgesamt ist die Zahl seit der Wiedervereinigung immer deutlich höher als in der alten Bundesrepublik.
Im Bundestag sind immer wesentlich weniger Parteien vertreten als an der Wahl teilnehmen, da das Wahlsystem - insbesondere die Fünfprozenthürde - dafür sorgt, dass nur eine begrenzte Anzahl Parteien parlamentarisch repräsentiert ist. Dies ist politisch gewollt, um eine zu große Zersplitterung des Parlaments und damit eine schwierige Regierungsbildung zu vermeiden.
Bei der ersten Bundestagswahl 1949 wurde die Fünfprozenthürde nicht bundesweit angewandt: Eine Partei konnte in den Bundestag einziehen, wenn sie die Hürde in nur einem Bundesland übersprang. Daher waren damals 10 Parteien (sowie drei parteiunabhängige Abgeordnete) vertreten. Die Einführung der bundesweiten Fünfprozenthürde ab 1953 und der Konzentrationsprozess im Parteiensystem führten jedoch schnell zu dem Dreiparteiensystem der 1960er- und 1970er-Jahre aus CDU/CSU (in einer Fraktionsgemeinschaft), SPD und FDP.
Mit der Bundestagswahl 1983 traten die Grünen hinzu, und ab 1990 gab es im Bundestag ein Fünfparteiensystem: Bei der ersten Bundestagswahl nach der Wiedervereinigung 1990 scheiterten zwar die westdeutschen Grünen an der für Ost und West getrennt geltenden Fünfprozenthürde, dafür waren jedoch die ostdeutsche Listenvereinigung Bündnis90/Grüne-BürgerInnenbewegung und die damalige PDS parlamentarisch vertreten.
Die Grünen und das zur Partei umgewandelte Bündnis 90 vereinigten sich 1993 und zogen ein Jahr später als Bündnis 90/Die Grünen in den Bundestag ein. Die PDS scheiterte 1994 zwar an der Fünfprozenthürde, erreichte jedoch vier Direktmandate und konnte so von der Grundmandatsklausel profitieren, die ihren Wiedereinzug in Fraktionsstärke sicherte; 2002 bis 2005 war sie allerdings nur mit ihren beiden Direktmandaten im Bundestag vertreten. Bei der Bundestagswahl 2013 scheiterte die FDP mit 4,8 Prozent an der Fünfprozenthürde und war daher nicht mehr im Bundestag vertreten, 2017 konnte sie jedoch wieder einziehen. Zudem gelang es der AfD, als drittstärkste Kraft in den Bundestag einzuziehen. Damit sind zum ersten Mal seit 1953 wieder sieben Parteien mit - wegen der Fraktionsgemeinschaft zwischen CDU und CSU - sechs Fraktionen im Parlament vertreten.
Erläuterungen zu den dargestellten Parteien
Kurzbezeichnung | Erläuterung |
---|---|
AfD | Alternative für Deutschland (gegr. 6.2.2013, Bundestagswahl 2013: 4,7 Prozent, 2017: 12,6 Prozent). |
B90/Gr | Listenvereinigung Bündnis 90/Grüne-BürgerInnenbewegungen, bestehend aus Demokratie Jetzt, der Grünen Partei (im November 1989 in der DDR gegr.), der Initiative Frieden und Menschenrechte, dem Neuen Forum und dem Unabhängigen Frauenverband; Bundestagswahlteilnahme 1990 im Wahlgebiet Ost (6,2 Prozent) und Berlin (West); mit 8 Abgeordneten im Bundestag. |
B90 | Bündnis 90 (gegr. Ende 1991 durch Konstituierung der Listenvereinigung B90/Gr als Partei, allerdings ohne die Grüne Partei und einen Teil des Neuen Forums).1993 Vereinigung mit der Partei DIE GRÜNEN zur Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN. |
BP | Bayernpartei (bayerische Regionalpartei, 17,9 Prozent bei der Landtagswahl 1950, seit 1966 nicht mehr im Landtag; Bundestagswahl 1949: 4,2 Prozent, seit 1957 marginal, Bundestagswahl 2017: 0,1 Prozent). |
BHE | Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (1952 in GB/BHE umbenannt). |
CDU | Christlich Demokratische Union Deutschlands (angegeben ist, wie bei den anderen Parteien, das Jahr der ersten regionalen Parteigründungen in den Besatzungszonen. Die formelle Konstituierung als Bundespartei erfolgte erst 1950). |
CSU | Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. |
DFU | Deutsche Friedens-Union (Bundestagswahl 1961: 1,9 Prozent, seit Ende der 1960er-Jahre marginal, gab 1984 den Status einer Partei auf). |
Die Linke. | Die Linkspartei.PDS (2005 erfolgte Umbenennung der PDS, um die Zusammenarbeit mit der WASG bei der Bundestagswahl 2005 zu sichern). |
DIE LINKE | DIE LINKE (gegr. 2007 durch Zusammenschluss der Linkspartei.PDS mit der WASG). |
DP | Deutsche Partei (geht auf die Deutsch-Hannoverische Partei zurück, die sich nach Kriegsende als Niedersächsische Landespartei neu konstituierte und 1947 in DP umbenannte. Bundestagswahl 1949: 4,0 Prozent, fusionierte 1961 mit dem GB/BHE). |
DKP-DRP | Deutsche Konservative Partei-Deutsche Rechtspartei (Bundestagswahlteilnahme 1949 in 4 Bundesländern unter unterschiedlichen Namen (DKP, DRP, DKP-DRP) mit 1,9 Prozent). |
DRP | Deutsche Reichs-Partei (Nachfolgeorganisation der DKP/DRP, Bundestagswahl-teilnahmen 1953-1961 mit 0,8 bis 1,1 Prozent). |
DVU | DEUTSCHE VOLKSUNION (1971 zunächst als Verein gegr., 1987 als Partei konstituiert, Bundestagswahl 1998: 1,2 Prozent, durch Parteitagsbeschluss vom 12.12.2010 Zusammenschluss ab 1.1.2011 mit der NPD, zunächst gestoppt aufgrund einer Klage von vier DVU-Landesverbänden, die ihren Widerstand im Mai 2012 jedoch aufgaben). |
FDP | Freie Demokratische Partei (bei der Bundestagswahl 2013 mit 4,8 Prozent an der Fünfprozenthürde gescheitert, 2017 Wiedereinzug mit 10,7 Prozent). |
FREIE WÄHLER | Bundesvereinigung FREIE WÄHLER (wurde am 24.1.2009 zunächst als Bundeswählergruppe „FW FREIE WÄHLER e.V.“ zur Teilnahme an der Europawahl 2009 gegründet und am 20.2.2010 in eine Partei umgewandelt; Bundestagswahl 2017: 1,0 Prozent, seit der bayerischen Landtagswahl 2018 mit der CSU an der Regierung). |
GB/BHE | Gesamtdeutscher Block/BHE (in den 1950er Jahren Bundestagswahlergebnisse von 5,9 bzw. 4,6 Prozent). |
GDP | Gesamtdeutsche Partei (1961 aus dem Zusammenschluss des GB/BHE mit der DP entstanden, seit Anfang 1962 faktisch nur noch der GB/BHE unter neuem Namen, ab Mitte der 1960er-Jahre marginal, umbenannt in Gesamtdeutsche Partei Deutschlands, GPD; Auflösung wahrscheinlich 1981). |
GRÜNE | Kurzbezeichnung für die Partei DIE GRÜNEN (1980 - 1993) bzw. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (seit 1993). DIE GRÜNEN schlossen sich am Tag nach der Bundestagswahl 1990 mit der Grünen Partei der ehemaligen DDR zusammen und vereinigten sich 1993 mit dem B90 zur Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN). |
GVP | Gesamtdeutsche Volkspartei (Bundestagswahlteilnahme nur 1953 mit 1,2 Prozent). |
KPD | Kommunistische Partei Deutschlands (Bundestagswahl 1949: 5,7 Prozent; 1956 verboten). |
NPD | Nationaldemokratische Partei Deutschlands (hervorgegangen aus der DRP; bestes Bundestagswahlergebnis 1969 mit 4,3 Prozent; zum 1.1.2011 Vereinigung mit der DVU, der eigentlich für den Zusammenschluss vereinbarte Name NPD – Die Volksunion wird nicht verwendet; Bundestagswahl 2017: 0,4 Prozent). |
PDS | Partei des Demokratischen Sozialismus (aus der SED der ehemaligen DDR hervorgegangen, 2005 in Die Linkspartei.PDS umbenannt, 2007 Zusammenschluss mit der WASG zur Partei DIE LINKE). |
PIRATEN | Piratenpartei Deutschland (gegr. 10.9.2006; 2011 bis 2017 in vier Landtagen, Bundestagswahl 2017: 0,4 Prozent). |
REP | DIE REPUBLIKANER (bestes Bundestagswahlergebnis 1990 mit 2,1 Prozent, seit 2002 unter 1 Prozent, Bundestagswahl 2017: nicht teilgenommen). |
SPD | Sozialdemokratische Partei Deutschlands. |
WASG | Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit (2004 zunächst als Verein gegr. und 2005 als Partei konstituiert; Bundestagswahlteilnahme 2005 durch Platzierung von WASG-Mitgliedern auf Landeslisten der Linkspartei.PDS, 2007 Zusammenschluss zur Partei DIE LINKE). |
WAV | Wirtschaftliche Aufbauvereinigung (Bundestagswahl 1949: 2,9 Prozent, nur in Bayern angetreten, dort 14,4 Prozent). |
Zentrum | Deutsche Zentrumspartei (Bundestagswahl 1949 noch 3,1 Prozent, danach marginal). |
Datenquellen
Grafik und Text wurden zum einen aus den Angaben des Bundeswahlleiters zu den Bundestagswahlen und zum anderen aus den Informationen der folgenden Handbücher zu den deutschen Parteien zusammengestellt: Decker, Frank/Neu, Viola (Hrsg.), 2018: Handbuch der deutschen Parteien, 3. Aufl., Wiesbaden. Niedermayer, Oskar (Hrsg.), 2013: Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden. Stöss, Richard (Hrsg.), 1983: Parteien-Handbuch, 2 Bände, Opladen.Begriffe, methodische Anmerkungen oder Lesehilfen
Es sind alle Parteien aufgeführt, die - einem in der international vergleichenden Wahlforschung oft verwendeten numerischen Abgrenzungskriterium folgend - bei Bundestagswahlen mindestens einmal mindestens 1 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen erreicht haben (Ausnahmen zur Verdeutlichung der Parteiensystementwicklung: B90 und WASG).An der Wahl teilnehmende Parteien sind Parteien, die an der jeweiligen Wahl mit mindestens einer Landesliste teilgenommen, d.h. sich um die Zweitstimme beworben haben, auch wenn sie keine einzige Stimme bekommen haben sollten. Zusätzlich treten immer noch weitere Parteien nur mit Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten an (2017: acht weitere Parteien). Als im Bundestag eigenständig vertreten werden alle Parteien angesehen, die im Bundestag mit einer Fraktion, Fraktionsgemeinschaft, Gruppe oder mit eindeutig als Parteivertreter gewählten Abgeordneten vertreten sind. Dies bedeutet: Da CDU und CSU immer eine feste Fraktionsgemeinschaft gebildet haben, werden sie als Einheit gezählt, und die PDS wird in der Legislaturperiode 2002-2005 als im Bundestag vertreten gezählt, da - trotzt des Scheiterns an der Fünfprozenthürde und der Grundmandatsklausel - zwei direkt gewählte Parteivertreterinnen im Bundestag saßen.
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