Die EP Galerie Jürgen Schweinebraden
/ 4 Minuten zu lesen
Eine der bedeutendsten Privatgalerien der DDR in den 1970er Jahren war die EP Galerie von Jürgen Schweinebraden in Berlin, die auch international Furore machte.
Blick aus dem Galeriefenster, 1975: Auf dem Hof Materialien (Gips, Steine), mit denen Guyar Gylasch (Budapest) seinen Ausstellungsbeitrag
vorbereitet.
Im Atelier von Robert Rehfeldt (links) zusammen mit Bert Gerresheim (Düsseldorf), 1976.
Ausstellung von Gerhard Klampäckel (Karl-Marx-Stadt), 1978: Manfred Butzmann und Jürgen Schweinebraden.
Jürgen Schweinebraden in der Galerie vor einer Arbeit von Terk (Steffen Kuhnert), Mitglied der Künstlergruppe „Lücke“ aus Dresden, 1979.
Videoperformance „Achtung Aufnahme“, 1980: Michael Freudenberg (links angeschnitten), A.R. Penck, Wolf Kahlen (sitzend), Jürgen Schweinebraden
(stehend hinter W. Kahlen).
Videoperformance „Achtung Aufnahme“ mit Michael Freudenberg am Saxofon, Wolf Kahlen (Mitte) und A.R. Penck (rechts), 1980.
Die Bedeutung der EP Galerie von Jürgen Schweinebraden, auch als "einzig private Galerie“ der DDR bezeichnet, kann im Kontext des unabhängigen Ausstellungsgeschehenes in der DDR in den 1970er Jahren nicht hoch genug eingeschätzt werden. Denn Schweinebraden stellte nicht nur Künstler aus, die in der DDR kaum Gelegenheiten hatten, ihre Arbeiten öffentlich zu zeigen, sondern er verfolgte beharrlich sein Konzept, zeitgenössische internationale Kunst bekannt zu machen.
Der studierte Psychologe war 1970 aus Dresden nach Berlin in den Prenzlauer Berg gezogen. Seine Wohnung von DDR-üblichen vierzig Quadratmetern erweiterte er durch "Besetzungen“ zweier weiterer Wohnungen im gleichen (Hinter-)Haus, aus denen durch Wanddurchbrüche die Galerie entstand. Noch in den Privaträumen fand 1973 die erste Ausstellung früher Arbeiten von Ralf Winkler – später A.R. Penck – statt, mit dem Schweinebraden seit 1956 befreundet war.
Der professionelle Betrieb der Galerie etablierte sich 1974 mit einer Exposition zum ersten Todestag von Pablo Picasso, die dessen Einfluss auf Künstler in der DDR zum Thema hatte – von Picasso waren zu diesem Zeitpunkt weder Kataloge zu bekommen, noch Werke im Original zu sehen. Es folgten Ausstellungen Dresdner und Leipziger Künstler, unter anderem von Günther Hornig, der an der
Dem Galeristen ging es jedoch nicht nur darum, die "Westkunst“ nach Ostberlin zu bringen: In seiner Galerie waren Ausstellungen jener osteuropäischen Gegenwartskunst zu sehen, die in der DDR weitgehend ignoriert wurde – wie die visuelle Poesie des tschechischen Surrealisten Ladislav Novak und Arbeiten des polnischen Konzeptkünstlers Roman Opalka. Belegt sind siebzig Ausstellungen und etwa vierzig Veranstaltungen – Lesungen, Konzerte, Theaterabende und, auch das ein Novum in der DDR, Performances. Besonderes Aufsehen erregten die des Prager Künstlers Petr Stembera 1976, die Aktionen von Marcel Odenbach und Michelangelo Pistoletto 1978 und zwei Jahre später die erste gemeinsame deutsch-deutsche Videoperformance "Achtung Aufnahme“ des Westberliners Wolf Kahlen unter Beteiligung von A.R. Penck, Strawalde (Jürgen Böttcher), Thomas Ranft, Erhard Monden und anderen. Darüber hinaus entstanden zwölf thematische Verkaufseditionen mit Arbeiten der ausstellenden Künstler, darunter zwei Mappen aus dem Jahr 1976, in denen Schweinebraden jeweils 16 Maler, Grafiker oder Fotografen aus Ost- und Westdeutschland zusammenführte, und die Dokumentation der deutsch-deutschen Aktion mit Fotografien, einem Audiomitschnitt und Übermalungen von Penck, Strawalde, Ranft und Monden.
"Jetzt ist man verblüfft, wie gefährlich denen das erschien."
Dass sich die Staatssicherheit für die offen praktizierten Aktivitäten von Jürgen Schweinebraden interessierte, verwundert also nicht. Die Behörde setzte alles daran, Schweinebradens Tätigkeit zu kriminalisieren und seine "Kreise zu zersetzen“. Zu den zahlreichen Operativ- und Maßnahmeplänen zählten dabei so monströse Anordnungen wie das Beschmutzen des Hausflurs in der Dunckerstraße mit "Gummischutz, Dreck, Kot usw.“, um den Galeristen in seinem Umfeld "moralisch“ zu diffamieren, der Einsatz von etwa siebzig inoffiziellen Mitarbeitern, eine Post- und Telefonüberwachung sowie die Observation der Wohnung durch Videokameras und Abhörwanzen. Die Zermürbungstaktik führte zum Erfolg: Die Suspendierung als Leiter der Ehe-, Familien- und Sexualberatungsstelle in Berlin-Treptow bedeutete für Schweinebraden den Entzug seiner Existenzgrundlage. Er stellte 1978 den Antrag auf die Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR. 1979 wurde der Galerist mit mehreren Ordnungsstrafen belegt, unter anderem deshalb, weil er eine zweite Ausstellung mit A.R. Penck realisiert hatte, die erstmals für die Galerie auch mit einem Plakat beworben wurde. 1980 folgte eine Verurteilung durch das Stadtbezirksgericht Berlin-Lichtenberg zu einer Geldstrafe wegen "Herstellung illegaler Druckerzeugnisse“. Im November desselben Jahres wurde schließlich die Ausreise der Familie in die Bundesrepublik Deutschland genehmigt.
Danach war Jürgen Schweinebraden bei der Nationalgalerie in Berlin und der documenta 8 in Kassel tätig, arbeitete mit Harald Szeemann bei der Eröffnungsausstellung "Zeitlos“ des Hamburger Bahnhofs zusammen und war von 1989 bis 1992 Direktor des Hamburger Kunstvereins. Heute lebt er als freiberuflicher Ausstellungsmacher, Publizist und Verleger in Niedenstein (Hessen).
Weitere Inhalte
Geb. 1965, Kunsthistorikerin, arbeitet als freiberufliche Autorin und Lektorin in Berlin.
Wir laden Sie zu einer kurzen Befragung zu unserem Internetauftritt ein. Bitte nehmen Sie sich 5 Minuten Zeit, um uns bei der Verbesserung unserer Website zu helfen. Ihre Angaben sind anonym.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!