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Kosovo

Adelheid Wölfl

/ 10 Minuten zu lesen

Kosovo erklärte sich im Februar 2008 für unabhängig und ist damit der jüngste Staat Europas. Die internationale Anerkennung ist die größte außenpolitische Herausforderung des Landes. Adelheid Wölfl gibt einen Überblick über Geschichte, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

KosovoAuf einen Blick

Hauptstadt: Pristina

Amtssprache: Albanisch, Serbisch; regional: anerkannte Minderheitensprachen

Einwohnerzahl: 1,78 Millionen (2020)

Ethnische Gruppen: 92,9 Prozent Albanier, 1,5 Prozent Serben, 1,5 Prozent weitere (Volkszählung 2011)

Verwaltungsgliederung: 38 Gemeinden

BIP pro Kopf (kaufkraftbereinigt): 11.971 US-Dollar (Deutschland: 56.278; 2019)

Währung: Euro (Fremdwährung)

Quellen: Kosovo Agency of Statistics, World Bank

Geschichte

Das Gebiet des heutigen Kosovo war zunächst Teil des Römischen, dann des Byzantinischen Reichs. Dazwischen lagen relativ kurze Phasen der Zugehörigkeit zu südslawischen Staaten, etwa dem mittelalterlichen Serbien. Im 14. Jahrhundert eroberten die Osmanen den Zentralbalkan. Danach wurde Kosovo gleichzeitig von den Osmanen und dem serbischen Adel verwaltet. Erst Mitte des 15. Jahrhunderts kam die Region endgültig unter osmanische Verwaltung.

Im 19. Jahrhundert fiel es den osmanischen Behörden zusehends schwerer, sich als Machthaber durchzusetzen. Die christlich-orthodoxe Bevölkerung sah ihre Zukunft im neu gegründeten Staat Serbien. 1912, während des Ersten Balkankrieges, eroberten serbische und montenegrinische Truppen Kosovo. Nach dem Ersten Weltkrieg gehörte Kosovo zum neugegründeten "Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen" (SHS), obwohl schon damals nur ein Drittel der Bevölkerung im Kosovo Serbinnen und Serben und die große Mehrheit Albanerinnen und Albaner waren. Die serbisch dominierte Regierung beabsichtigte, die albanische Bevölkerung zu assimilieren und siedelte serbische Familien in der Region an. Im Zweiten Weltkrieg wurde der überwiegende Teil Kosovos Albanien zugesprochen, damals ein Satellitenstaat Italiens. Die Machtverhältnisse kehrten sich um: Den Albanerinnen und Albanern wurden weitreichende Selbstverwaltungsrechte zugestanden, die Serbinnen und Serben gewaltsam vertrieben.

Im neuen föderalistisch organisierten, kommunistischen Jugoslawien bekam Kosovo ab 1945 den Status eines "autonomen Gebiets" innerhalb der Teilrepublik Serbien. Serbinnen und Serben innerhalb des Kosovo wurden im Staatsapparat jedoch bevorzugt. Im Jahr 1968 kam es zu Unruhen der albanischen Bevölkerung. In der Verfassung von 1974 erhielt Kosovo dann den Status einer "autonomen Provinz" und wurde dadurch rechtlich den sechs Teilrepubliken fast gleichgestellt.

Es folgte eine Phase der Modernisierung – Straßen, Schulen, Amtsgebäude, Sportanlagen und Fabriken wurden gebaut. Albanerinnen und Albaner blieben jedoch bis in die 1970er Jahre in höheren Bildungseinrichtungen und anderen Institutionen unterrepräsentiert. 1981 forderten Studenten erneut den Republik-Status für Kosovo. Die Regierung schlug die Unruhen mit Gewalt nieder. 1988 rückte die serbische Sonderpolizei im Kosovo ein, und die kosovo-albanische Parteiführung trat zurück. Hunderttausende Menschen protestierten gegen die Unterwerfung der Parteikader durch den serbischen Präsidenten Slobodan Milošević. Die Autonomie der Provinz wurde schrittweise eingeschränkt und 1990 auch formal aufgehoben.

Im Sommer 1990 riefen kosovo-albanische Abgeordnete die Republik Kosova aus, woraufhin Serbien den Ausnahmezustand verhängte. In der Industrie, Verwaltung und im Handel wurden Albanerinnen und Albaner entlassen. Albanische Politiker riefen daraufhin zum Boykott aller serbischen Institutionen auf. Durch Spenden der Diaspora wurde ein paralleles Bildungs- und Gesundheitssystem errichtet. Der pazifistische Widerstand unter der Führung des Schriftstellers Ibrahim Rugova erhielt aber international nicht die erhoffte Aufmerksamkeit.

Anfang der 1990er Jahre wurde die Kosovarische Befreiungsarmee UÇK gegründet, die ab 1996 mit Angriffen auf Mitglieder der Sozialistischen Partei und auf serbische Polizisten begann. Die serbische Regierung reagierte mit äußerster Härte auch gegen die Zivilbevölkerung.

Das Denkmal "Newborn" wurde am 17. Februar 2008 eingeweiht, dem Tag der kosovarischen Unabhängigkeitserklärung von Serbien. Es ist zu einem Symbol für den jungen Staat und die Hoffnung auf eine positive Zukunft geworden. (© picture-alliance/dpa, Valdrin Xhemaj)

Um eine humanitäre Katastrophe zu verhindern, berief die sogenannte Balkan-Kontaktgruppe (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Russland und die USA) im Februar 1999 eine Konferenz in der französischen Stadt Rambouillet ein, an der auch Vertreter der Kosovo-Albaner und der serbischen Regierung beteiligt waren. Ziel war der Abzug der serbischen Sicherheitskräfte aus Kosovo und die Stationierung einer von der NATO geführten Friedenstruppe. Weil die serbische Delegation die Unterschrift verweigerte, entschloss sich die NATO auch ohne UN-Mandat zum militärischen Eingriff: Vom 24. März bis 10. Juni wurden in über 10.000 Lufteinsätzen strategische Zielen in Serbien und Montenegro sowie Kosovo bombardiert. Mit dem Abkommen von Kumanovo zog die serbische Armee aus dem Kosovo ab. In der Folge vertrieben Angehörige der UÇK Serbinnen und Serben sowie Romnija und Roma.

Die UN-Resolution 1244 vom Juni 1999 war die Grundlage für die Einrichtung der Übergangsverwaltungsmission der UNO (UNMIK), durch die eine Zivilverwaltung im Kosovo etabliert wurde. Für die Sicherheit und die Überwachung der Entmilitarisierung wurde die internationale Sicherheitstruppe KFOR stationiert. Trotzdem kam es im März 2004 zu gewaltsamen und tödlichen Ausschreitungen von kosovo-albanischen Gruppen gegenüber der serbischen Minderheit.

Ab 2005 begannen mit der Kosovo-Kontaktgruppe (Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, USA, Russland) Verhandlungen über den Status des Kosovo. Der UN-Vermittler Martti Ahtisaari schlug 2007 eine international beaufsichtigte Unabhängigkeit vor. Die kosovo-albanische Seite nahm den Plan an, die serbische Regierung lehnte ab. Am 17. Februar 2008 erklärte sich Kosovo für unabhängig.

Politisches System

Die 2008 verabschiedete Verfassung, die auf dem Ahtisaari-Plan von 2007 beruht, definiert Kosovo als eine multiethnische Gesellschaft. Amtssprachen sind Albanisch und Serbisch. Türkisch, Bosnisch und Romanes gelten in Teilen Kosovos als offizielle Sprache auf Gemeindeebene. Lokalen Verwaltungen werden weitreichende Kompetenzen zugestanden. Religiöses und kulturelles Erbe – etwa auch die serbisch-orthodoxen Klöster – stehen unter einem besonderen Schutz. In der Verfassung ist außerdem festgeschrieben, dass der Kosovo keine territorialen Ansprüche gegenüber anderen Staaten erheben und keine Vereinigung mit anderen Staaten suchen soll. In Bevölkerung und Politik stößt die Idee einer Vereinigung mit Albanien aber durchaus auf Zustimmung.

Kosovo ist eine parlamentarische Demokratie. Der Staatspräsident wird vom Parlament auf fünf Jahre gewählt und übernimmt vor allem repräsentative Aufgaben. Er verkündet Gesetze, die vom Parlament verabschiedet wurden oder kann diese zur nochmaligen Beratung an das Parlament zurückweisen. Der Premierminister wird auf Vorschlag des Präsidenten vom Parlament gewählt. Jeweils ein Minister muss der serbischen, ein weiterer einer anderen Minderheit angehören.

Die 120 Abgeordneten des Parlaments werden nach Verhältniswahl in einem landesweiten Wahlkreis gewählt. Mindestens zehn Parlamentssitze sind für Angehörige der serbischen Minderheit reserviert, weitere zehn für andere Minderheiten (Roma, Aschkali, Balkan-Ägypter, Bosniaken, Türken und Goraner). Die UN-Mission UNMIK hat seit der Unabhängigkeitserklärung Kosovos 2008 an Bedeutung verloren. Nach wie vor sind aber die NATO-geführte Kosovo-Truppe KFOR und ein kleiner Teil der EU-Rechtsstaatsmission EULEX vor Ort.

Innenpolitik

Älteste Partei des modernen Kosovo ist die bereits 1989 gegründete Demokratische Liga des Kosovo (Lidhja Demokratike e Kosovës, LDK). Sie ordnet sich selbst rechts der Mitte im politischen Spektrum ein und war bereits an mehreren Regierungen beteiligt. Inzwischen gibt es neben den etablierten Kräften der Partei auch einen Reformflügel unter Vjosa Osmani, die im Februar 2020 Parlamentspräsidentin wurde. Seit November 2020 übernahm sie kommissarisch das Amt als Staatspräsidentin, nachdem Hashim Thaçi aufgrund eines Prozesses wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen in Den Haag von seinem Amt als Präsident zurückgetreten war.

Neben der LDK etablierten sich nach dem Krieg zwei weitere Parteien, die aus lokalen Größen der UÇK hervorgingen: Die stärkste Partei war lange Zeit die Demokratische Partei Kosovos (Partia Demokratike e Kosovës, PDK) unter der Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten (2008-2014) und Präsidenten (2016-2020) Hashim Thaçi. Sie hat ihr Machtzentrum in der Region Drenica. Die Allianz für die Zukunft des Kosovo (Aleanca për Ardhmërinë e Kosovës, AAK) von Ramush Haradinaj dominiert im Westen des Kosovo. Haradinaj, ebenfalls ein ehemaliger UÇK-Kommandant, war zwei Mal Premierminister. Haradinaj musste sich in zwei Prozessen vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien verteidigen, wo er jedoch wegen Mangels an Beweisen jeweils freigesprochen wurde. Sowohl die PDK als auch AAK sind stark klientelistisch orientiert und punkten bis heute mit der Glorifizierung des Befreiungskampfs der UÇK während des Kosovo-Kriegs.

Die Gedenkstätte Gazimestan erinnert an die an die "Schlacht auf dem Amselfeld" zwischen serbischen Heer und Osmanen im Jahr 1389 und ist von zentraler Bedeutung für den serbischen Nationalmythos. Heute befindet sich Gazimestan auf dem Territorium des Kosovo. (© Nemanja Jovanovic, n-ost)

Die Regierung wird von der linksnationalistischen Partei „Selbstbestimmung“ (Lëvizja Vetevendosje, VV) des ehemaligen Studentenführers Albin Kurti gestellt, die aus den Parlamentswahlen im Februar 2021 als deutliche Siegerin hervorgegangen war. Insbesondere junge und gebildete Kosovarinnen und Kosovaren erhoffen sich von der VV, dass sie die verkrusteten klientelistischen Strukturen aufbricht und entschieden gegen Korruption vorgeht. Von internationaler Seite wurde wiederholt kritisiert, dass die VV einen Zusammenschluss mit Albanien befürwortet.

Die Srpska Lista wird vor allem von Serbinnen und Serben gewählt und steht unter der Kontrolle der serbischen Regierungspartei SNS unter Aleksandar Vučić. Insbesondere im überwiegend von Serbinnen und Serben bewohnten Nordkosovo übt Belgrad weiterhin starken Einfluss aus. So werden zum Beispiel Renten weiterhin aus Serbien bezahlt und auch die Schulen werden finanziert. Gegen Serben, die mit den kosovarischen Institutionen zusammenarbeiten, wird immer wieder Gewalt ausgeübt.

Kosovo hat eine lebendige und von Pluralismus und einer wachen Zivilgesellschaft geprägte Demokratie. Die Medien sind im regionalen Vergleich relativ frei in ihrer Berichterstattung. Auch im Parlament werden kontroverse Debatten geführt. Die innenpolitische Auseinandersetzung drehte sich in den vergangenen Jahren oft um das Sondergericht für Kriegsverbrechen in den Jahren 1998-2000, das im Jahr 2016 in Den Haag geschaffen wurde. Dieses hat etwa gegen den ehemaligen Präsidenten Hashim Thaçi sowie den früheren Parlamentspräsidenten Jakup Krasniqi Anklage erhoben.

Außenpolitik

Die größte außenpolitische Herausforderung Kosovos ist die internationale Anerkennung der Unabhängigkeit des Landes. Bislang haben über 100 Staaten den Kosovo als Staat anerkannt. Fünf EU-Staaten – Griechenland, Rumänien, die Slowakei, Spanien und Zypern – haben sich, teilweise aus Sorge vor separatistischen Bestrebungen im eigenen Land, nicht zu diesem Schritt entschlossen. Einen politischen Erfolg konnte Kosovo verbuchen, als 2010 der Internationale Gerichtshof (IGH) in einem Gutachten zu dem Ergebnis kam, dass die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo nicht gegen das Völkerrecht verstößt.

Kosovo ist seit Juni 2009 Mitglied im Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbankgruppe. Seit November 2012 gehört es der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) an. Beitritte zu Europol und der Unesco wurden bislang von Serbien verhindert.

Deutsche Soldaten der internationalen Friedenstruppe KFOR bewachen im Dezember 2012 in Zupce (Kosovo) eine Straße. Die KFOR wurde nach der Beendigung des Kosovokrieges stationiert und ist heute noch mit rund 3.800 Soldatinnen und Soldaten aus 28 Staaten im Einsatz. (© picture-alliance/dpa, Axel Schmidt)

Zu den wichtigsten außenpolitischen Zielen des Kosovo gehört die Mitgliedschaft in den Vereinten Nationen und anderen internationalen Organisationen sowie die Annäherung an die EU. 2016 ist ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU in Kraft getreten. Allerdings wurde Kosovo noch keine Visaliberalisierung zugestanden – obwohl die kosovarische Regierung alle technischen Voraussetzungen dafür erfüllt hat. Die Kosovarinnen und Kosovaren sind damit die einzigen Bürger auf dem westlichen Balkan, die für die Einreise in den Schengenraum ein Visum brauchen.

Die EU moderiert seit 2011 einen Dialog zwischen Kosovo und Serbien, der zu einer “Normalisierung der Beziehungen” beider Länder führen soll. 2013 wurde eine weitreichende Einigung (“Brüsseler Abkommen”) erzielt. Das Abkommen sieht vor, dass die serbischen Sicherheitskräfte und die Justiz im Norden in die kosovarischen Strukturen integriert werden. Der Kosovo bekam außerdem eine eigene internationale Telefonvorwahl. Die EU fordert ein umfassendes internationales Abkommen, das die Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien beinhaltet. Seit dem Eingreifen der Nato im Kosovo-Konflikt gelten die USA als Schutzmacht gegenüber dem Kosovo. Neben den USA und der EU ist die Türkei eine wichtige politische und wirtschaftliche Akteurin im Kosovo. Zu den Nachbarstaaten auf dem Westbalkan gibt es innerhalb der Freihandelszone Cefta regionale Kooperationen. Besonders enge Beziehungen bestehen aufgrund der gemeinsamen Sprache und Kultur zu Albanien.

Wirtschaft und Arbeitsmarkt

Obwohl das Wirtschaftswachstum des Kosovo in den letzten Jahren durchschnittlich bei knapp vier Prozent lag und damit höher als jenes der Nachbarstaaten war, reicht es nicht aus, um ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen, insbesondere nicht für Frauen und junge Menschen. Bereits vor dem Ausbruch der Pandemie 2020 lag die Arbeitslosenrate bei rund 25 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt sogar bei über 50 Prozent. Gleichzeitig führt die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte – etwa im Gesundheitsbereich – zu Engpässen. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf stieg von 918 Euro im Jahr 2000 auf 3723 Euro im Jahr 2019. Trotzdem bleibt Kosovo gemessen am Pro-Kopf-BIP eines der ärmsten Länder in Europa.

Die Schuhfabrik "Solid" in Suhareka stellt als Familienunternehmen mit rund 270 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern täglich über eintausend Paare Lederschuhe her, vor allem für den einheimischen Markt. Ein wachsender Anteil wird aber auch exportiert – nach Albanien, Mazedonien, Italien oder Deutschland. (© Armend Nimani, n-ost)

Dienstleistungen stellen mit einem Wertschöpfungsanteil von mehr als 50 Prozent am Bruttoinlandsprodukt (BIP) den größten Wirtschaftszweig dar. 2019 machte die Landwirtschaft 8,7 Prozent des BIP aus. Der Privatsektor ist stark unterentwickelt, viele Jobs liegen im informellen Bereich, und das Handelsbilanzdefizit ist mit 26 Prozent des BIP das höchste in der Region. Auch der Anteil der Warenexporte liegt hinter anderen Balkanländern zurück, ebenso der Anteil der ausländischen Direktinvestitionen. Die Steuerbehörden sind ineffizient, die Einnahmen bleiben rund 10 Prozent unter dem regionalen Durchschnitt. Das Haushaltsdefizit blieb in den letzten Jahren unter der vom IWF festgesetzten Obergrenze von zwei Prozent. Auch der Bankensektor gilt als gesund und solide. Die Staatsverschuldung war zuletzt (April 2020) mit 17,6 Prozent gering. Eine Belastung für den Haushalt sind jedoch die Ausgaben für Kriegsveteranen, die in keiner Relation zu anderen Sozialleistungen für bedürftige Gruppen stehen.

Gesellschaft

Über 17 Prozent der Bevölkerung leben an der Armutsgrenze. Weil das Sozialsystem schwach ausgebildet ist, sind viele Kosovarinnen und Kosovaren auf die Hilfe ihrer Familie angewiesen. Die Überweisungen aus der Diaspora – etwa 700.000 kosovarische Staatsbürger oder Menschen mit kosovarischer Herkunft leben im Ausland – lagen 2018 bei über einer Milliarde Euro. Besonders armutsgefährdet sind im Kosovo laut Weltbank Haushalte, die von alleinstehenden Frauen geführt werden oder deren Bildungsniveau niedrig ist. Der Wunsch nach einer Ausbildung oder Arbeit in der EU ist deshalb weit verbreitet. Nach einer Auswanderungswelle 2014 und 2015, während derer Tausende Kosovarinnen und Kosovaren in der EU um Asyl ansuchten, sind die Zahlen aber rückläufig. Viele EU-Staaten sind dazu übergegangen, Arbeits-Visa für Kosovarinnen und Kosovaren auszustellen.

Der Busbahnhof in Pristina: Hier beginnt für viele Kosovarinnen und Kosovaren die Reise in die neue Heimat. Etwa 700.000 kosovarische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger oder Menschen mit kosovarischer Herkunft leben im Ausland. (© Armend Nimani, n-ost)

Laut Zensus aus dem Jahr 2011 leben im Kosovo mehr als 1,7 Millionen Menschen. Davon zählen sich 93 Prozent zur albanischen Volksgruppe. Weil die Volkszählung von der serbischen Bevölkerung im Norden des Landes boykottiert wurde, ist unklar, wie viele Menschen tatsächlich im Kosovo leben und wie groß der Anteil der serbischen Minderheit ist. Weitere Minderheiten im Land sind Bosniaken (Muslime), Türken sowie die Gemeinschaften der Roma, Ashkali und Ägypter. Der Kosovo hat die jüngste Bevölkerung Europas, etwa die Hälfte ist jünger als 25 Jahre. Die Geburtenrate sinkt zwar und liegt nun bei etwa 2 Kindern pro Frau, bleibt aber trotzdem weit über dem europäischen Durchschnitt.

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Quellen / Literatur

Oliver Jens Schmitt (2008): Kosovo. Kurze Geschichte einer zentralbalkanischen Landschaft. Köln: Böhlau.
Erich Rathfelder (2010): Kosovo. Geschichte eines Konflikts. Berlin: Edition Suhrkamp.
Wolfgang Petritsch, Robert Pichler (2004). Kosovo-Kosova. Der lange Weg zum Frieden. Klagenfurt: Wieser Verlag.

Fussnoten

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Adelheid Wölfl für bpb.de

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Weitere Inhalte

Adelheid Wölfl ist Südosteuropa-Korrespondentin für die österreichische Tageszeitung "Der Standard", lebt in Sarajevo und bereist regelmäßig alle Staaten der Region. Wölfl studierte in Wien und Maastricht.