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Rumänien

Annett Müller-Heinze

/ 12 Minuten zu lesen

Rumänien ist seit 2007 Mitglied der Europäischen Union – und ist der Mitgliedsstaat mit der sechstgrößten Bevölkerung. Viele Rumäninnen und Rumänen leben und arbeiten im Ausland. Annett Müller-Heinze gibt einen Überblick über Geschichte, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

RumänienAuf einen Blick

Hauptstadt: Bukarest

Amtssprache: Rumänisch; regional: anerkannte Minderheitensprachen

Einwohnerzahl: 19,5 Millionen (2019)

Bevölkerung im Ausland: 3,6 Millionen (2019)

Ethnische Gruppen: 83,5 Prozent Rumänen, 6,1 Prozent Ungarn, 3,1 Prozent Roma, 0,3 Prozent Ukrainer, 0,2 Prozent Deutsche, 0,1 Prozent Türken, 0,1 Prozent Lipowaner, 0,1 Prozent Tataren, weitere Minderheiten (Volkszählung 2011)

Religionen: 81,0 Prozent orthodox, 4,3 Prozent römisch-katholisch, 3,0 Prozent reformiert, 1,8 Prozent pfingstlerisch, 0,7 Prozent griechisch-katholisch, 0,6 Prozent baptistisch, 0,3 Prozent muslimisch (Volkszählung 2011)

Mitgliedschaften in internationalen Organisationen (Auswahl): EU (seit 2007), NATO (seit 2004), OSZE (seit 1973), Europarat (seit 1993)

Verwaltungsgliederung: 41 Kreise (județ) und Hauptstadt Bukarest

Anteil der Stadtbevölkerung: 54 Prozent (2018)

BIP pro Kopf (kaufkraftbereinigt): 32.297 US-Dollar (2019; Deutschland: 56.278)

Währung: Leu (1 EUR = 4,87 RON; 2021)

Arbeitslosigkeit: 4,6 Prozent (2019)

Jugendarbeitslosigkeit: 17,3 Prozent (2019)

Quellen: UN, UN DESA, IOM, World Bank, ILO

Geschichte

Der Grundstein für den modernen rumänischen Staat wurde 1862 mit der offiziellen Vereinigung der Fürstentümer Moldau und Walachei durch Fürst Alexandru Ioan Cuza gelegt. Doch schon 1866 musste er wegen einer unbeliebten Agrarreform abdanken. Ihm folgte der deutsche Prinz Karl von Hohenzollern-Sigmaringen, Carol I., unter dessen Herrschaft das Land 1878 von den europäischen Großmächten als unabhängig anerkannt und schließlich zum Königreich (1881) erklärt wurde. Über sechs Jahrzehnte lang war Rumänien eine konstitutionelle Monarchie.

Im Interner Link: Ersten Weltkrieg blieb das Königreich zunächst neutral, schloss sich aber später dem Bündnis von Großbritannien, Frankreich und Russland an. In Folge dieses Strategiewechsels profitierte Rumänien nach Kriegsende und im Zuge der Auflösung Österreich-Ungarns von den Interner Link: neuen Grenzziehungen. Durch die Vereinigung mit mehreren Regionen (u.a. Siebenbürgen, Bukowina, Bessarabien) konnte es sein Territorium und seine Bevölkerung mehr als verdoppeln. Der 1918 entstandene "großrumänische Staat" umfasste alle wesentlichen Siedlungsgebiete ethnischer Rumänen, war aber zugleich ein Vielvölkerstaat geworden. Der Anteil der Minderheiten, allen voran Ungarinnen und Ungarn, Jüdinnen und Juden sowie Deutsche, stieg von fünf Prozent auf etwa 30 Prozent der Bevölkerung.

In den Folgejahren wurden die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Unterschiede zwischen den neuen Gebieten immer deutlicher. Die zentralistisch gesteuerte Verwaltung in Bukarest reagierte in der Zwischenkriegszeit mit einem rücksichtslosen Nationalismus gegenüber den Minderheiten: Wer nicht genügend Rumänischkenntnisse besaß, wurde aus dem Schulwesen und der Verwaltung entlassen, Angehörige der Minderheiten wurden im Wirtschaftsleben marginalisiert. Außenpolitisch sah sich die politische Führung durch die Nachbarstaaten (Sowjetunion, Bulgarien und Ungarn) bedroht, an die das Land nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ab 1940 Teile der neuen Gebiete unwiederbringlich (Bessarabien, Nordbukowina, südliche Dobrudscha) oder zeitweise (Nordsiebenbürgen) abtreten musste.

Eines der größten Gebäude der Welt, eines der berühmtesten und unbeliebtesten Bauwerke Rumäniens: Der Parlamentspalast, wie er heute heißt, wurde von 1983 bis 1989 unter dem Diktator Nicolae Ceaușescu als "Haus des Volkes" errichtet. Für den Bau mussten große Teile der Bukarester Altstadt weichen, Kirchen und Synagogen wurden zerstört oder versetzt. Heute befinden sich in dem Gebäude unter anderem der Sitz der rumänischen Abgeordnetenkammer und des Senats sowie das Nationale Museum für zeitgenössische Kunst. (© picture-alliance/dpa, Henning Kaiser)

Das begünstigte den Aufstieg extremistischer Kräfte, die unter Führung von Marschall Ion Antonescu eine Militärdiktatur (1941-1944) errichteten. Antonescu wurde im Krieg gegen die Sowjetunion zu einem der wichtigsten Verbündeten des Deutschen Reiches. Das Regime wirkte aktiv bei der Durchführung des Interner Link: Holocaust mit. Schätzungsweise 280.000 bis 380.000 Jüdinnen und Juden sowie rund 11.000 Romnija und Roma wurden in rumänisch kontrollierten Gebieten ermordet oder starben während und nach der Deportation an Hunger.

1944 besetzte die Rote Armee das Land. König Mihai I. musste am 30. Dezember 1947 abdanken und ins Exil gehen, und noch am selben Tag rief die neue kommunistische Führung die Volksrepublik Rumänien aus. Das Land schlug bis 1989 einen außenpolitischen Sonderweg unter den Ostblock-Staaten ein. Es beteiligte sich 1968 nicht wie andere Staaten des Warschauer Pakts an der militärischen Niederschlagung des Interner Link: Prager Frühlings in der Tschechoslowakei. Dass Nicolae Ceaușescu, ab 1965 Generalsekretär des Zentralkomitees der Rumänischen Kommunistischen Partei, den Einmarsch der militärischen Bündnispartner öffentlich kritisierte, brachte ihm im Westen politische Beachtung ein. Im eigenen Land baute er dagegen eine totalitäre Diktatur auf. Der Geheimdienst Securitate verhinderte jegliche organisierte Opposition, Dissidenten wurden bespitzelt, isoliert oder zur Ausreise gedrängt, lokale Revolten durch die Securitate blutig niedergeschlagen.

Im Dezember 1989 kam es aus Frustration über die prekären Lebensbedingungen und den autoritären Führungsstil Ceaușescus zu Interner Link: massenhaften Protesten gegen den Diktator, die in Straßenkämpfe umschlugen. Es war die einzige gewaltsame Revolution im Ostblock, die am 25. Dezember 1989 nach einem Schauprozess gegen das Ceaușescu-Ehepaar in dessen Hinrichtung gipfelte. Die Ermittlungen zur Schuldfrage für die über 1.100 Toten der Revolution sind bis heute nicht abgeschlossen.

Nach 1989 gestaltete sich der Übergang zur Demokratie schwierig: Prominente Kader aus der Kommunistischen Partei und dem Geheimdienst hatten weiterhin wichtige Machtpositionen inne. Sie verzögerten Wirtschaftsreformen, den Aufbau eines Rechtsstaates und nutzten ihre Funktionen oft zur persönlichen Bereicherung. Rumänien ist seit 1990 von häufigen Regierungswechseln und politischer Instabilität geprägt.

Politisches System

Im März 1990 entschieden die politischen Kräfte am Runden Tisch die Grundzüge zur Staatsform und zum Staatsaufbau, die sie 1991 in einer Verfassung festschrieben. Rumänien hat ein präsidentiell-parlamentarisches Regierungssystem, der Präsident wird direkt vom Volk gewählt. Seit Dezember 2014 ist Klaus Iohannis rumänischer Präsident.

Im November 2014 wurde Klaus Iohannis, langjähriger Bürgermeister der Stadt Sibiu, Interner Link: zum Präsident Rumäniens gewählt. Er gilt als starker Verfechter der europäischen Idee und wurde Interner Link: 2019 im Amt bestätigt. Hier ist er auf einem Wahlplakat im Zentrum Bukarests zu sehen. (© George Popescu, n-ost)

Der Präsident vertritt das Land nach innen sowie nach außen und ist der Garant des Staates und seiner Verfassung. Er hat keine Befugnis, den Regierungschef zu entlassen; das Parlament kann er nur unter komplizierten Auflagen auflösen. Er darf während seiner Amtszeit keiner Partei angehören und soll als Vermittler zwischen den Staatsgewalten sowie zwischen Gesellschaft und Staat auftreten. Die Frage nach der Machtfülle des Präsidenten und insbesondere seiner außenpolitischen Kompetenzen sorgte in der Vergangenheit für zahlreiche verfassungsrechtliche Konflikte und politische Blockaden, vor allem wenn Präsident und Regierungschef aus politisch gegensätzlichen Lagern kamen.

Das Parlament ist das gesetzgebende Organ des Landes. Das Modell des Zwei-Kammer-Parlamentes — bestehend aus Senat und Abgeordnetenkammer — soll den Gesetzgebungsprozess beschleunigen. Die Regierung leitet je nach Kompetenzbereich den Gesetzentwurf an die entsprechende Kammer weiter. Damit Gesetze in Kraft treten können, bedarf es der Billigung beider Kammern. Auch die Parteien und politischen Vertretungen von 19 Minderheiten sind im Parlament vertreten: Unabhängig von der Stimmzahl, die sie bei der Parlamentswahl erreichen, haben sie ein Recht auf je einen Abgeordnetensitz. Für alle anderen Parteien gilt eine Fünf-Prozent-Hürde.

Die Regierung gestaltet die Innen- und Außenpolitik. Sie ist das oberste Verwaltungsorgan und ernennt in den 40 Kreisen und in der Hauptstadt Bukarest Präfekten, die die Regierungspolitik auf lokaler Ebene vertreten. Auch leiten sie die öffentlichen Dienste der Ministerien und anderer Zentralorgane auf Kreisebene. Sie können eine Entscheidung einer lokalen Behörde blockieren, wenn sie sie für gesetzeswidrig halten. Das Verwaltungsgericht entscheidet dann in der Angelegenheit.

Innenpolitik

Zahlreiche Regierungswechsel und Kabinettsumbildungen ließen die Entwicklung des Landes immer wieder stagnieren. Von 1990 bis 2020 gab es allein 15 Premierminister und eine Premierministerin, die meisten stellte die heutige Sozialdemokratische Partei (Partidul Social Democrat, PSD). Sie ist mit landesweit mehr als 540.000 Mitgliedern die mitgliederstärkste Partei in Rumänien. Ihre Gründer gehörten vor 1989 zur kommunistischen Führungsschicht des Landes. Dass die PSD die Nachfolgepartei der Kommunistischen Partei (Partidul Comunist Român, PCR) sei, streitet die Parteiführung jedoch ab. Die PCR war im Januar 1990 per Dekret aufgelöst worden, da das neue Machtgremium – die Front zur Nationalen Rettung (Frontul Salvării Naționale, FSN) – nicht mehr mit dem Kommunismus in Verbindung gebracht werden wollte. Aus der FSN gingen später verschiedene Parteien hervor, darunter die heutige PSD. Deren aktuelle politische Gegenspielerin ist die 1990 wiedergegründete Nationalliberale Partei (Partidul Național Liberal, PNL), die mit rund 250.000 Mitgliedern nur etwa halb so groß ist.

In der Vergangenheit gab es in allen Parteien unzählige Abspaltungen, Fusionen, Umbenennungen und Überläufer. Der Wahlerfolg der Parteien basiert weniger auf Programmen, sondern auf der gezielten Ansprache verschiedener Gruppeninteressen, vor allem in ärmeren und ländlichen Gegenden, wo rund 44 Prozent der Bevölkerung leben. Bei Parlamentswahlen sind bis heute die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister die wichtigsten Wahlhelfer der Parteien. Im Falle eines Wahlerfolgs erhalten ihre Ortschaften von der Regierung deutlich mehr staatliche Zuwendungen als solche, die von Oppositionsparteien regiert werden.

Drittstärkste Fraktion im Parlament ist die erst 2016 gegründete Union zur Rettung Rumäniens (Uniunea Salvați România, USR): Sie schaffte es in ihrem Gründungsjahr aus dem Stand heraus, ins Parlament einzuziehen. Viele der Abgeordneten sind politische Quereinsteiger, die zuvor in der Wirtschaft, in der Zivilgesellschaft oder in der Wissenschaft aktiv waren und die die Wählerinnen und Wähler nicht mit Korruption verbinden. Die USR ringt bis heute um ihre programmatische Aufstellung, sie spricht vor allem eine urbane, akademisch geprägte Wählerschaft an.

Die ungarische Minderheit ist im Parlament mit einer eigenen Fraktion vertreten: Der Demokratische Verband der Ungarn Rumäniens (Uniunea Democrată Maghiară din România, UDMR) braucht sich nicht auf die Sonderregelung für Minderheiten zu berufen, um ins Parlament einzuziehen, bei allen Wahlen lag das Ergebnis über der gültigen Sperrklausel. Seit 1996 ist er immer wieder mit in der Regierungsverantwortung.

Bei der Parlamentswahl 2020 konnte das ultranationalistische Bündnis für die Union der Rumänen (Alianța pentru Unirea Românilor, AUR) als viertstärkste Kraft ins Parlament ziehen. Es spricht sich beispielsweise gegen Multikulturalismus aus oder gegen Rechte für sexuelle Minderheiten. Es ist nicht die erste extremistische Partei in Rumänien, die massenhaft Wähler anzieht: Die Großrumänien-Partei (Partidul România Mare, PRM) war im Jahr 2000 sogar die zweitstärkste Kraft im Parlament. Auch die etablierten Parteien setzen themenweise auf einen populistischen Diskurs, in der Vergangenheit haben sie wiederholt Überläufer extremistischer Parteien aufgenommen.

In Rumänien hat sich eine starke Zivilgesellschaft etabliert, aus der immer wieder Proteste gegen Korruption in Politik und Verwaltung organisiert werden. Im September 2013 gingen in Bukarest und anderen Städten des Landes Zehntausende auf die Straße, um gegen ein Goldabbauprojekt in Roșia Montană zu protestieren, das schwerwiegende Umweltzerstörungen zur Folge hätte. (© George Popescu, n-ost)

Wichtiges innenpolitisches Thema ist seit Jahren die Reform der Justiz. Immer wieder gab es Versuche, den Anti-Korruptionskampf zu schwächen. Interner Link: 2017 und 2018 gingen zehntausende Menschen gegen die damalige sozialliberale Regierung auf die Straße. Die PSD und ihre Koalitionspartnerin, die "Allianz der Liberalen und Demokraten" (Alianța Liberalilor și Democraților, ALDE) hatten zu diesem Zeitpunkt versucht, Strafgesetze abzuändern, um drohende Verurteilungen von Amtsträgerinnen und Amtsträgern zu verhindern. Wie verbreitet die Korruption in nahezu allen Parteien ist, zeigen seit Jahren auch die Ermittlungsergebnisse der Anti-Korruptionsbehörde DNA. Für einen Teil der Gesellschaft ist die DNA inzwischen eine Art Ersatzopposition geworden, die mit dem Instrument des Strafverfahrens die Mächtigen kontrolliert.

Auffällig ist auch das Erstarken der Zivilgesellschaft. Sie mobilisiert sich über die sozialen Netzwerke und profitiert von einem wachsenden gesellschaftlichen Engagement. Sie ist zu einem wichtigen Korrektiv korrupter und interessengesteuerter Politik in Rumänien geworden.

Außenpolitik

Die beiden wichtigsten außenpolitische Erfolge Rumäniens nach der Revolution waren die Aufnahme in die NATO (2004) und der Beitritt zur EU (2007). Beide Ereignisse wurden von einer großen Mehrheit der Bevölkerung begrüßt. Im Vorfeld des EU-Beitritts hatte Brüssel Justizreformen sowie die Bekämpfung der Korruption und organisierten Kriminalität gefordert. Weil die Ergebnisse aber noch ungenügend waren, wird die Entwicklung in diesen Bereichen weiter in einem jährlichen „Kooperations- und Kontrollverfahren“ geprüft – ein Novum in der Geschichte der EU-Erweiterung. Die Aufnahme in den Schengen-Raum liegt bis heute auf Eis. Die Sympathie für Brüssel ist dennoch ungebrochen: In Umfragen gibt die Mehrheit der Rumäninnen und Rumänen regelmäßig an, mehr Vertrauen in die EU-Institutionen als in die eigene Regierung und das Parlament zu haben.

Gleich nach der 1989er-Revolution hatte die politische Führung noch die Nähe zur Sowjetunion gesucht, zu der das Land jahrelang zuvor auf Distanz gegangen war. Als erster Ostblockstaat unterzeichnete Rumänien im April 1991 einen Grundlagenvertrag mit Moskau, der durch den Zusammenbruch der Sowjetunion aber hinfällig wurde. Das aktuelle Verhältnis zu Russland ist äußerst angespannt. Als Anrainerstaat am Schwarzen Meer verweist Bukarest – anders als beispielsweise sein bulgarischer Nachbar – immer wieder auf eine militärische Bedrohung durch Moskau.

Die Mitgliedschaft in der NATO als auch die engen Beziehungen zur USA bieten dem Land das Gefühl der militärischen Sicherheit. 2005 vereinbarte Rumänien mit den USA eine Nutzung rumänischer Militärstützpunkte durch US-Truppen. 2011 folgte ein Abkommen mit den USA zur Stationierung von US-Abfangraketen. Es war der erste Stützpunkt dieser Art in Osteuropa.

Zum Nachbarn Republik Moldau, dessen Staatsgebiet 1918 bis 1940 zu "Großrumänien" gehörte, gibt es ein gespaltenes Verhältnis. Der frühere Staatschef Traian Băsescu (Amtszeit 2004 bis 2014) hatte eine Wiedervereinigung ins Spiel gebracht. Er versucht sie, mittels seiner im Parlament vertretenen „Volksbewegungspartei“ (Partidul Mișcarea Populară, PMP) weiter auf die politische Agenda zu setzen. Bei der Bevölkerung beider Länder findet das nur teilweise Anklang. Auch zum Nachbarn Ungarn gelten die Beziehungen als historisch bedingt angespannt. Befeuert werden sie durch Autonomieforderungen der in Rumänien lebenden ungarischen Szekler sowie durch millionenschwere Investitionen, die die ungarische Regierung in Wirtschaft und Medien in Siebenbürgen tätigt.

Aus Angst vor Unabhängigkeitsbestrebungen im eigenen Land weigert sich Rumänien, die 2008 ausgerufene Unabhängigkeit des Kosovo anzuerkennen. Bukarest sucht damit den Schulterschluss zum serbischen Nachbarn, dessen EU-Beitritt man befürwortet. So gibt es auf Regierungsebene regelmäßige Treffen, an denen auch Bulgarien beteiligt ist. Im sogenannten Balkan-Quartett (Bulgarien, Griechenland, Rumänien, Serbien) werden gemeinsame Wirtschafts-, Infrastruktur und Energiefragen beraten. Die vier Länder haben sich auch für die Austragung der Fußball-WM 2030 beworben.

Wirtschaft

Die rumänische Volkswirtschaft wuchs nach dem EU-Beitritt deutlich: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) nahm zwischen 2008 und 2018 durchschnittlich real um 2,1 Prozent zu. Nur Polen und die Slowakei hatten unter den östlichen EU-Staaten in diesem Zeitraum eine höhere Wachstumsrate. Zwar liegt Rumänien im Jahr 2020 beim BIP pro Kopf (KKS) immer noch auf einem der letzten Plätze der 27 EU-Staaten, doch rangiert das Land inzwischen gleichauf mit Lettland und vor Bulgarien, Kroatien und Griechenland.

Seitdem die Visabeschränkungen für rumänische Staatsbürger innerhalb der EU wegfielen, sind Millionen Rumäninnen und Rumänen abgewandert, um Geld im Ausland zu verdienen. In den Heimatorten erfüllen sich mit dem Verdienst einige den Traum eines Eigenheims, wie hier in Negrești-Oaș. (© George Popescu, n-ost)

Der Anteil der Industrie am BIP ist mit rund 22 Prozent in den vergangenen Jahren in etwa gleich geblieben, ähnlich anderer osteuropäischer Länder. Führender Industriezweig ist die Automobilbranche: Der französische Konzern Renault lässt die rumänische Marke Dacia produzieren, auch der US-Autokonzern Ford ist mit einem Werk vertreten. Zudem gibt es hunderte Autozulieferfirmen, auch sie produzieren für den Export. Die IT-Branche wächst deutlich (5,5 Prozent des BIP 2019). Die Regierung hatte für sie massive Steuererleichterungen eingeführt. Der Anteil der Landwirtschaft am BIP fällt mit fünf Prozent (2019) inzwischen geringer aus, 2003 lag er noch bei 11,6 Prozent. Ein großer Teil der ländlichen Bevölkerung arbeitet in den Sommermonaten in Westeuropa.

Die öffentlichen Investitionen waren in den vergangenen Jahren teils rückläufig. Auch hat das Land eine niedrige Abrufquote von EU-Fördermitteln. Investoren klagen über spürbaren Fachkräftemangel. Die Gründe für das satte Wirtschaftswachstum liegen im Privatkonsum und in den im EU-Vergleich niedrigen Arbeitskosten. Der Konsum wird auch vom Geldtransfer der Diaspora angeheizt. 2018 schickten die in Westeuropa lebenden Rumäninnen und Rumänen über vier Milliarden Euro nach Hause.

Gesellschaft

Seit der Wende haben rund drei Millionen Rumäninnen und Rumänen ihr Land verlassen. Kein anderer europäischer Staat hat eine größere Interner Link: Diaspora in der EU als Rumänien. Viele Auswandererinnen und Auswanderer fühlen sich ihrer Heimat weiter eng verbunden. Bei den Präsidentschaftswahlen 2014 waren die im Ausland lebenden Rumäninnen und Rumänen sogar die wahlentscheidende Kraft: Mit Hilfe ihrer Stimmen konnte sich Klaus Iohannis in der Stichwahl durchsetzen.

Der Siebenbürger Sachse gehört zur rumäniendeutschen Minderheit, die heute in Rumänien rund 36.000 Mitglieder zählt (2011) von einst rund 633.000 vor dem Zweiten Weltkrieg (1930). Dramatisch gesunken ist auch die Zahl der Jüdinnen und Juden von rund 452.000 (1930) auf gut 3.300. Zahlenstärkste Minderheit sind offiziell die Ungarinnen und Ungarn mit gut 1,22 Millionen (1930: 1,42 Millionen), also 6,1 Prozent der Bevölkerung. Die Gruppe der Romnija und Roma ist mit offiziell gut 621.000 die zweitstärkste Minderheit im Land. Ihre tatsächliche Anzahl wird jedoch auf 1,5 bis zwei Millionen geschätzt. Interner Link: Viele von ihnen werden sozial marginalisiert und leben in Armut. Rassismus gegen sie ist weit verbreitet. Rumänien gilt wegen seiner Vielfalt an Minderheiten als multikulturelles Land, an Schulen und Universitäten wird teils in der Muttersprache unterrichtet, auch gibt es im staatlichen Rundfunk Radio- und Fernsehsendungen in den Sprachen der Minderheiten, sie haben ihre eigenen Gotteshäuser und Moscheen.

Orthodoxe Priester auf dem Weg zu einer Freiluft-Messe, die Externer Link: jedes Jahr im Oktober Hunderttausende Gläubige nach Iași zieht. Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche ist – nach der Russisch-Orthodoxen – die zweitgrößte orthodoxe autokephale Gemeinde der Welt. (© George Popescu, n-ost)

Rund 86 Prozent der Bevölkerung aber ist orthodox. Die Rumänisch-Orthodoxe Kirche erlebt seit 1989 eine überwältigende Renaissance, auch wenn sie sich gegen die Aufarbeitung ihrer eigenen kommunistischen Vergangenheit sperrt und mehrfach in Korruptionsskandale verwickelt war. Dass staatliche Gelder in den Neubau orthodoxer Gotteshäuser fließen, symbolisiert die Nähe zwischen Kirche und Politik. Themen wie Sexualkundeunterricht oder Homo-Ehe sind bis heute im Parlament höchst umstritten, auch weil die orthodoxe Kirche sie vehement zu verhindern sucht. In der urbanen, akademischen Bevölkerung regt sich inzwischen Widerstand gegen so dogmatische Positionen der Kirche, für die Landbevölkerung ist sie dagegen weiterhin eine Instanz, die man nicht kritisieren sollte.

Rumäniens Gesellschaft ist sozial stark gespalten. Stadt und Land entwickelten sich nach der Wende rasch auseinander. Weder die EU-Mitgliedschaft noch das enorme Wirtschaftswachstum haben die soziale Kluft reduzieren können. So gibt es im Land erhebliche Ungleichheiten in der Verteilung der Einkommen. Der Anteil der beschäftigten Armen (working poor) ist mit 15 Prozent (2018) der höchste in der EU.

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Quellen / Literatur

Lucian Boia (2016): Wie Rumänien rumänisch wurde. Berlin: Frank & Timme.
Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde (2019): Durchblick. Politik und Gesellschaft, 69. Jahrgang, Heft 6-8. Berlin: Berliner Wissenschafts-Verlag.
Annelie Ute Gabanyi (2010): Das politische System Rumäniens. In: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Osteuropas. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaft.
Simon Geissbühler (2013): Blutiger Juli. Paderborn: Ferdinand Schöningh.
Keno Verseck (2001): Rumänien. München: C. H. Beck.

Fussnoten

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Annett Müller-Heinze für bpb.de

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Weitere Inhalte

Annett Müller-Heinze pendelt als freischaffende Journalistin zwischen Leipzig und Bukarest. Sie arbeitet u. a. für eurotopics.net, ein Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb.