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Albanien

Franziska Tschinderle

/ 10 Minuten zu lesen

Seit 2014 ist Albanien EU-Beitrittskandidat. Die Zustimmung der Bevölkerung zur europäischen Integration ist so hoch wie in keinem anderen Westbalkan-Staat. Franziska Tschinderle gibt einen Überblick über Geschichte, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.

AlbanienAuf einen Blick

Hauptstadt: Tirana

Amtssprache: Albanisch; regional: anerkannte Minderheitensprachen

Einwohnerzahl: 2,9 Millionen (2019)

Bevölkerung im Ausland: 1,2 Millionen (2019)

Ethnische Gruppen: 82,6 Prozent Albaner, 0,9 Griechen, 0,3 Prozent Roma, 0,3 Prozent Aromunen, 0,2 Prozent Mazedonier, 0,1 Prozent Balkan-Ägypter, weitere Minderheiten (Volkszählung 2011)

Religionen: 56,7 Prozent muslimisch, 10,0 Prozent katholisch, 6.7 Prozent orthodox, 2,1 Prozent Bektaschi (Volkszählung 2011)

Mitgliedschaften in internationalen Organisationen (Auswahl): NATO (seit 2009), OSZE (seit 1991), Europarat (seit 1995)

Verwaltungsgliederung: 12 Regionen (qark)

Anteil der Stadtbevölkerung: 60,3 Prozent (2018)

BIP pro Kopf (kaufkraftbereinigt): 14.496 US-Dollar (Deutschland: 56.278; 2019)

Währung: Lek (1 EUR = 123,77 ALL, 2021)

Arbeitslosigkeit: 15,1 Prozent (2019)

Jugendarbeitslosigkeit: 32,7 Prozent (2019)

Quellen: UN, UN DESA, IOM, World Bank, ILO

Geschichte

Albanerinnen und Albaner sehen sich als Nachkommen der antiken Illyrer und somit als eines der ältesten Völker Europas. Das Gebiet stand zunächst unter römischer, byzantinischer, venezianischer und slawischer Herrschaft. Interner Link: Ab Ende des 14. Jahrhunderts war es Teil des Osmanischen Reiches. Interner Link: Erst 1912 wurde Albanien unabhängig. Damit erfolgte die Gründung des albanischen Nationalstaats im Vergleich zu manchen Nachbarländern relativ spät.

Im Interner Link: Balkankrieg (1912/13) wurde Albanien in Teilen von montenegrinischen, serbischen und griechischen Truppen besetzt, im Interner Link: Ersten Weltkrieg von Italien, Frankreich sowie der österreichisch-ungarischen Armee. Albanien wäre wohl von der Landkarte verschwunden, hätten nicht die Großmächte Italien und Österreich-Ungarn interveniert. Die Habsburger wollten verhindern, dass sich Serbien bis an die Adria ausdehnt und ihren strategisch wichtigen Hafen in Triest gefährdet. Es sollte bis 1920 dauern, bis Albanien sein Territorium vollständig kontrollierte und Teil des Interner Link: Völkerbundes wurde.

Der zentrale Platz von Tirana hat schon verschiedene Statuen gesehen. 1968 musste Stalin der Figur des albanischen Nationalhelden Skanderbeg, der gegen die Osmanen kämpfte, weichen. Nach dem Tod des kommunistischen Diktators Hoxha 1985 kam dieser als Statue hinzu, wurde jedoch 1991 bei Studentenprotesten wieder gestürzt. Heute hat Skanderbeg den Platz wieder für sich allein. (© Marc-Steffan Unger, n-ost)

Die Gründung von politischen Parteien und Wahlen leiteten in den 1920er Jahren eine kurze demokratische Phase ein. Allerdings vertraten die Abgeordneten weniger das Volk als eine schmale Schicht von Großgrundbesitzern. Auch Innenminister Ahmet Zogu stammte aus einer einflussreichen Adelsfamilie. 1928 krönte er sich selbst zum König und regierte an der Spitze einer autoritären Monarchie. Im Interner Link: Zweiten Weltkrieg wurde Albanien zuerst von Italien besetzt. Teile Montenegros, des heutigen Nordmazedoniens sowie beinahe der gesamte Kosovo wurden Albanien angegliedert. Nach dem Sturz Benito Mussolinis und der Kapitulation Italiens 1943 wurde Albanien von der deutschen Wehrmacht besetzt. Hitler, der Sympathien für das "Volk der Skipetaren" (Albaner) hegte, installierte eine deutschlandfreundliche Regierung. Viele Albanerinnen und Albaner lehnten sowohl den Faschismus als auch die Besatzer ab und schlossen sich Widerstandsgruppen an. Im November 1944 gelang es den von Großbritannien und Jugoslawien unterstützten Partisaninnen und Partisanen, die Deutschen zum Abzug zu zwingen.

Nach dem Krieg übernahm der kommunistische Diktator Enver Hoxha die Macht. Er orientierte sich eng an seinem Vorbild Interner Link: Stalin: Opposition und Privateigentum wurden verboten, und der Marxismus-Leninismus als Staatsideologie in der Verfassung festgeschrieben. Regimegegner landeten in Arbeitslagern, Tausende wurden exekutiert. Außenpolitisch vollzog Hoxha mehrere Kehrtwenden: Vom Nachbarland Jugoslawien distanzierte er sich, nachdem Tito mit Stalin gebrochen hatte. 1961 – mehrere Jahre nach Stalins Tod – trat Albanien aus dem Interner Link: Warschauer Pakt aus und brach mit der Sowjetunion. Daraufhin wandte sich Hoxha für mehrere Jahre China zu – bis er Albanien ab 1978 in die völlige Abschottung führte.

Hoxha starb 1985. Das Regime – fortgeführt unter Ramiz Alia – begann jedoch erst Anfang der Neunziger zu bröckeln. Im Juli 1990 suchten tausende Albanerinnen und Albaner Zuflucht in ausländischen Botschaften in der Hauptstadt Tirana und erbaten Asyl. Aus Angst vor weiteren Protesten ließ die Partei sie nach Italien oder Deutschland ausreisen. Ein halbes Jahr später führten Studentenproteste zum endgültigen Sturz des Regimes. Fortan waren Oppositionsparteien zugelassen. Symbolischer Höhepunkt der Wende war der 20. Februar 1991, als eine wütende Menge die Statue des ehemaligen Diktators am Skanderbeg-Platz in Tirana vom Steinsockel riss. 1992 gewann mit der Demokratischen Partei erstmals eine neue Kraft die Wahlen. Ihr Vorsitzender Sali Berisha regierte Albanien in den folgenden Jahren zunehmend autoritär.

Eine skurriles Erbe des kommunistischen Albaniens: Überall verteilt im ganzen Land befinden sich diese Kleinstbunker, die der Diktator Hoxha aus Angst vor einem Angriff auf sein isoliertes Land errichten ließ. Hier am Strand von Qeparo im Süden des Landes. (© Marc-Steffen Ungers, n-ost)

Nach einer Phase der wirtschaftlichen wie politischen Stabilität traf Albanien 1997 eine weitere tiefe Krise. Nachdem viele Einwohnerinnen und Einwohner Albaniens durch betrügerische Pyramidenspiele ihr Vermögen verloren hatte, kam es zu Aufständen, bei denen u. a. die Waffendepots des Landes gestürmt und erbeutet wurden. Die staatliche Ordnung brach zusammen. Eine multinationale Militärmission unter der Leitung von Italien ("Operation Alba") sowie OSZE-Verhandlungen konnten einen Bürgerkrieg verhindern.

Politisches System

Nach dem politischen Umbruch und den ersten pluralistischen Wahlen 1991 wurde zunächst eine provisorische Übergangsverfassung verabschiedet, mit der u. a. Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung verankert wurde. 1998 erfolgte, mit Unterstützung der OSZE, eine umfassende Novellierung. Nach der bis heute gültigen Verfassung ist Albanien eine parlamentarische Republik auf der Grundlage von Menschenrechten sowie freier und gleicher Wahlen. Mit der neuen Verfassung wurde die Macht des Präsidenten beschnitten. So kann dieser nicht mehr wie zuvor an Regierungssitzungen teilnehmen oder dem Parlament ein Referendum vorschlagen.

Der Präsident wird alle fünf Jahre für maximal zwei Amtszeiten vom Parlament gewählt. Er hat das Vorschlagsrecht für den Ministerpräsidenten, das Oberkommando der Streitkräfte und ernennt die Verfassungsrichter. Das Parlament hat 140 Abgeordnete, die auf vier Jahre gewählt werden. Für alle Parteien galt bislang eine Drei-Prozent-Hürde, nach einer Änderung des Wahlrechts im Herbst 2020 genügt künftig ein Prozent der Stimmen, um ins Parlament einzuziehen.

Von einer konsolidierten Demokratie kann dennoch nicht die Rede sein. Die US-amerikanische Nichtregierungsorganisation "Freedom House" klassifiziert Albanien als hybrides Regime und als "teilweise frei". Indizien dafür sind regelmäßige politische Krisen, ein geschwächtes Parlament sowie wiederkehrende Boykotte der Parlamentsarbeit oder der Wahlen durch die Opposition. Unabhängige Medien stehen unter Druck. 2019 verabschiedete das Parlament ein umstrittenes Gesetz, das der Regierung ermöglicht, Online-Medien stärker zu kontrollieren.

Ein weiteres Problem ist der Einfluss der regierenden Parteien oder krimineller Gruppen auf die Justiz. 2016 hat das Parlament auf Druck der EU eine Justizreform verabschiedet: Seit 2018 werden alle Richter und Staatsanwälte von einer Kommission überprüft und müssen unter anderem ihr Vermögen offenlegen. Als Folge sind bereits einige hochrangige Justizbeamte freiwillig zurückgetreten, was zu einem Personalmangel geführt hat. Verfassungsgerichtshof und Oberster Gerichtshof waren über Monate handlungsunfähig. Eine unabhängige Justiz gilt als Schlüsselkriterium zur Aufnahme von EU-Beitrittsverhandlungen. Im Korruptionswahrnehmungsindex von "Transparency International" lag Albanien 2019 auf Platz 106 von 180 untersuchten Ländern – hinter China, Äthiopien oder der Türkei.

Innenpolitik

Albaniens Parteienlandschaft ist polarisiert: Seit 1990/91 stehen sich mit der "Sozialistischen Partei Albaniens" (Partia Socialiste e Shqipëris, SP) und der "Demokratischen Partei Albaniens" (Partia Demokratike e Shqipërisë, PD) zwei verfeindete Parteien gegenüber. Beide zeichnen sich durch einen Mangel an Dialog- und Kompromissbereitschaft aus und haben deshalb auch noch nie miteinander regiert. Charakteristisch für die politische Kultur des Landes sind gegenseitige Anschuldigungen sowie Boykotte der Wahlen und des Parlaments. Die SP dominiert traditionell im Süden, die PD im Norden des Landes. 2004 ist mit der "Sozialistischen Bewegung für Integration" (Lëvizja Socialiste për Integrim, LSI) zwar eine dritte politische Kraft entstanden, allerdings gilt diese lediglich als "Königsmacherin", da sie mal Demokraten, mal Sozialisten zur Mehrheit verhilft.

Ideologisch lassen sich Albaniens Parteien nur schwer einordnen. Die SP ist zwar Teil der Sozialistischen Internationale, betreibt aber eine unternehmerfreundliche und sogar gewerkschaftsfeindliche Politik. Nicht Ideologien und Parteiprogramme entscheiden Wahlkämpfe, sondern Klientelnetzwerke und persönliche Vorteile. So ist es bei Machtwechseln üblich, auch große Teile der Verwaltung auszuwechseln. Damit verbunden sind tausende Arbeitsplätze.

Im Oktober 2018 demonstrierten Studenten in Tirana für Verbesserungen im Bildungssystem. Angesichts einer beträchtlichen Abwanderung, gerade der jungen Generation, forderten sie von der Regierung wirkungsvolle Reformen. (© Michał Siarek, n-ost)

Ministerpräsident ist seit 2013 Edi Rama von den Sozialisten, ein Künstler und ehemaliger Basketballspieler, der zuvor elf Jahre Bürgermeister von Tirana war. Seit den Parlamentswahlen von 2021 ist er auf keinen Koalitionspartner mehr angewiesen. Die PD seines Rivalen Lulzim Basha hatte im Vorfeld der Wahlen zum Boykott aufgerufen. Die innerpolitische Polarisierung zeigt sich auch in den Medien, die entweder Sozialisten oder Demokraten nahestehen.

2019 spitzte sich die Situation ein weiteres Mal zu. Die Opposition verließ das Parlament, boykottierte die Kommunalwahlen und mobilisierte ihre Anhänger auf der Straße. Parallel dazu entwickelte sich ein Machtkampf zwischen Premierminister Rama und Präsident Ilir Meta, vormals Vorsitzender der LSI, nachdem Meta den Termin für die Kommunalwahlen annulliert hatte. Die Sozialisten leiteten ein Amtsenthebungsverfahren ein, das mittlerweile jedoch fallengelassen wurde. Eine Versöhnung der Lager ist nicht in Sicht. Bisher ist es keiner neuen Kraft gelungen, das bipolare Parteiensystem aufzubrechen. Im April 2021 sicherte sich Edi Rama von der Sozialistischen Partei eine dritte Amtszeit – ein Novum in Albanien. Seit dem Ende des Kommunismus war dies keinem Politiker gelungen.

Seit Herbst 2021 ist Albaniens Oppositionspartei PD gespalten. Ein Lager steht dem politischen Urgestein und Parteigründer Sali Berisha nahe, der wegen Korruptionsverdacht mittlerweile mit einem Einreiseverbot in die USA belegt wurde. Der zweite Flügel versammelt sich hinter dem deutlich jüngeren, bei den Wahlen wiederholt gescheiterten Lulzim Basha.

Außenpolitik

Seit 2014 ist Albanien Interner Link: EU-Beitrittskandidat. Erst nach einer Reform des Beitrittsprozesses, gaben die 27 Europaministerinnen und -minister im März 2020 grünes Licht für die Eröffnung von Beitrittsverhandlungen. Umfragen zufolge unterstützen 86 Prozent der Bevölkerung die EU-Integration, was der mit Abstand höchste Wert unter den Westbalkan-Staaten ist. Für die USA gilt Albanien als der treueste Verbündete auf dem Balkan und entsendete Soldaten in den Irak und nach Afghanistan. Seit 2009 ist Albanien NATO-Mitglied.

Albanien unterhält gute Beziehungen zum Interner Link: Kosovo, für dessen Aufnahme in die UNO sich das Land einsetzt. Die Vereinigung beider Länder zu einer Art "Großalbanien" ist zwar realpolitisch keine Option, aber nie ganz aus der öffentlichen Debatte verschwunden. Mit Interner Link: Serbien knüpft Albanien wirtschaftliche Beziehungen, etwa mit der Erklärung, eine "Mini-Schengenzone" für den Westbalkan bilden zu wollen.

Die Beziehungen mit Interner Link: Griechenland waren in der Vergangenheit angespannt, insbesondere während der Amtszeit des Demokraten Sali Berisha. Die Gründe gehen bis in das Jahr 1914 zurück, als Griechenland Teile Südalbaniens (Nordepirus) annektierte. Heute wird nicht mehr über das Territorium, sondern Minderheitenrechte diskutiert. Albanerinnen und Albaner stellen die größte Einwanderungsgruppe in Griechenland (ca. 800.000), umgekehrt sind Griechinnen und Griechen die größte ethnische Minderheit in Albanien (ca. 50.000). Beide Seiten werfen einander vor, die Zahlen nach unten zu korrigieren. Während Albanien mit zweisprachigen Ortstafeln, griechischsprachigen Schulen, Baugenehmigungen für orthodoxe Kirchen und dem Einführen von doppelten Staatsbürgerschaften erste Schritte gesetzt hat, werden Albaner in Griechenland bis heute stigmatisiert und diskriminiert. Viele nehmen einen griechischen Vornamen an oder konvertieren zum orthodoxen Glauben, um von den Behörden nicht benachteiligt zu werden oder einen Job zu finden.

Die Namazgja-Moschee in Albaniens Hauptstadt Tirana wurde von der Türkei mitfinanziert. Sie soll die größte Moschee auf der Balkanhalbinsel werden. (© picture-alliance, imageBROKER | F. Scholz)

Mehrere islamische Länder, darunter die Türkei und die Golfstaaten, versuchen ihren Einfluss in Albanien auszubauen. Der türkische Präsident Erdogan hat 2015 in Tirana den Grundstein für die größte Moschee auf dem Balkan gelegt. Ab 2013 hat Albanien auf Bitte der USA rund 3.000 Mitglieder der iranischen Oppositionsbewegung Volksmudschahedin aufgenommen, die in ihrer Heimat als Terroristen verfolgt werden. Das iranische Staatsoberhaupt bezeichnete Albanien daraufhin als "kleines, aber teuflisches Land". Die albanische Regierung begrüßte wiederum die Tötung des iranischen Generals Soleimani im Januar 2020.

Wirtschaft

Obwohl sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) seit 1990 mehr als verzehnfacht hat, zählt Albanien noch immer zu den ärmsten Ländern Europas. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 15,1 Prozent, unter Jugendlichen sogar bei 30 Prozent. Das monatliche Durchschnittseinkommen lag im Jahr 2019 bei 424 Euro. Viele Albanerinnen und Albaner sind deshalb von Überweisungen ihrer Verwandten im Ausland abhängig. Diese Transfers sind seit der Finanzkrise in Griechenland stark zurückgegangen, der Anteil der Rücküberweisungen betrug 2020 aber immer noch rund 9,4 Prozent des BIP.

Wichtigster Handelspartner Albaniens ist Italien. Die wichtigsten Exportgüter waren im Jahr 2018 Schuhe, gefolgt von Bekleidung, Erdöl, Gemüse und Früchten sowie Mineralien. Obwohl Albanien reich an Öl und Mineralien ist, wird nur ein kleiner Teil davon gefördert. Die Investoren kommen aus dem Ausland: Bankers Petroleum Ltd., der größte Öl-Produzent im Land, befindet sich seit 2016 in chinesischer Hand. Mehr als 3.000 Menschen arbeiten im Öl-Sektor. Das sind deutlich weniger als zur Zeit des Kommunismus, als es noch rund 25.000 waren. Ein ähnlicher Rückgang ist in der Chrom-Industrie zu verzeichnen. In Bulqizë, der größten Mine des Landes, kam es 2019 zu tagelangen Protesten der Arbeiter wegen niedriger Gehälter und mangelnder Sicherheitsstandards.

Fast die Hälfte der Erwerbstätigen arbeitet im Agrarsektor, der Großteil davon als Selbstversorger, etwa als Ackerbauern oder Schafhirten. In Bergregionen ist das Sammeln von Heilkräutern eine wichtige Einnahmequelle. Im Allgemeinen bringt man Albanien dennoch mit einer anderen Pflanze in Verbindung: Das Land gilt als wichtiger Cannabisproduzent. 2014 stürmte die Polizei das südalbanische Dorf Lazarat, in dem laut italienischer Finanzpolizei bis zu 900 Tonnen Cannabis im Jahr geerntet wurden.

Schattenwirtschaft, ungeklärte Eigentumsverhältnisse und Korruption hemmen bis heute Investitionen aus dem Ausland. Die Ausnahme sind Infrastruktur-Großprojekte wie der Bau der Transadriatischen Pipeline (TAP), Wasserkraftwerke, Windparks und Autobahnen. Große Hoffnung wird auf die Entwicklung des Tourismus gesetzt. 2019 haben 6,4 Millionen ausländische Touristinnen und Touristen das Land besucht.

Gesellschaft

Albaniens Bevölkerung schrumpft. Lebten 1990 laut Nationalem Statistikinstitut noch über 3,2 Millionen Menschen im Land, so sind es heute weniger als 2,8 Millionen. Der Grund sind sinkende Geburtenzahlen sowie eine massive Abwanderung. Große albanische Communities leben zum Beispiel in Italien, Griechenland, den USA, Kanada, Deutschland und der Schweiz. Jeden Sommer kehren viele Angehörige der Interner Link: Diaspora nach Hause zurück, weshalb auch die zweite oder dritte Generation, die mitunter in Berlin, Zürich oder Chicago aufgewachsen ist, weiter an ihrer albanischen Identität festhält.

Albanische Siedlungsgebiete auf dem Balkan beschränken sich nicht nur auf Albanien, sondern finden sich auch in großen Teilen des Kosovos; weitere albanische Minderheiten gibt es in Nordmazedonien, Montenegro, Griechenland sowie Serbien.

Laut der Volkszählung von 2011 sind rund 60 Prozent der Bevölkerung Albaniens muslimisch, zehn Prozent katholisch sowie sieben Prozent orthodox. Viele Albanerinnen und Albaner praktizieren ihren Glauben nicht. Während im Sozialismus Religion verboten und Albanien offiziell ein atheistischer Staat war, gilt religiöse Toleranz heute als zentraler Wert in der albanischen Gesellschaft. Symbol dafür ist die Stadt Elbasan, wo eine Moschee, eine orthodoxe und eine katholische Kirche in direkter Nachbarschaft stehen. Interreligiöse Ehen zwischen Muslimen und Christen sind weit verbreitet, das gemeinsame Feiern von religiösen Festen üblich. Die muslimische Mehrheitsbevölkerung legt den Koran sehr locker aus. Frauen sind unverschleiert, Alkohol und Schweinefleisch gehören für viele zum Alltag.

Trotz unterschiedlicher Konfessionen ist Albanien ein ethnisch homogenes Land. Laut albanischem Statistikinstitut sind 98,1 Prozent der Bevölkerung Albaner, 0,9 Prozent Griechen sowie ein Prozent weitere Minderheiten, darunter zum Beispiel Aromunen oder Roma. Die offiziell erhobenen Zahlen sind allerdings umstritten, Roma-Organisationen gehen davon aus, dass bis zu fünf Prozent der Bevölkerung in Albanien ihrer Minderheit angehören. Romnija und Roma sind häufiger von Armut, Arbeitslosigkeit und Analphabetismus betroffen als der Rest der Bevölkerung. Viele von ihnen leben z. B. vom Handel mit Second-Hand-Kleidung oder Abfallstoffen und Plastik.

Auf dem Balkan leben Albanerinnen und Albaner nicht nur in Albanien, sondern sind auf verschiedene Nachbarländer verteilt. Knapp 1,6 Millionen Albaner leben im Kosovo, 0,5 Millionen in Nordmazedonien sowie weitere 800.00 in Griechenland und 470.000 in Italien.

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Franziska Tschinderle, geboren 1994, lebt in Tirana und arbeitet als Südosteuropa-Korrespondentin. Sie hat Journalismus und Zeitgeschichte studiert. Im März 2022 ist ihr Buch "Albanien: Aus der Isolation in eine europäische Zukunft" im Czernin Verlag erschienen – eine Reportage-Reihe über Albanien.