Bereits vor dem
Kroatien (ohne die meisten Küstengebiete) und Bosnien-Herzegowina wurden zum "Unabhängigen Staat Kroatien" (Nezavisna Država Hrvatska, NDH), einem NS-Satellitenstaat unter der Führung der faschistischen Ustaša, eingesetzt von Hitler und Mussolini. Im Gegensatz zu anderen NS-Kollaborationsregimen, die die Verfolgten an Nazideutschland auslieferten, errichtete und betrieb das Ustaša-Regime unter Ante Pavelić selbständig Todeslager. Das größte Ustaša-Lager war das KZ Jasenovac, nur 100 Kilometer südöstlich von der Hauptstadt Zagreb. Dort wurden bis zu 100.000 Serbinnen und Serben, Romnja und Roma, Jüdinnen und Juden sowie politische Häftlinge ermordet.
Das "Protektorat" Serbien wurde unter NS-Militärverwaltung gestellt und ein Marionettenregime unter Ministerpräsident Milan Nedić installiert. Dies war eines der Gebiete, auf denen die Wehrmacht schwerwiegende Verbrechen an der dortigen Zivilbevölkerung beging. Slowenien wurde in eine deutsche, italienische und ungarische Besatzungszone aufgeteilt.
Wechselnde Bürgerkriegsfronten im Zweiten Weltkrieg
Gleichzeitig mit dem Weltkriegsgeschehen tobte auf jugoslawischem Boden ein Bürgerkrieg mit wechselnden Fronten, dem viele Zivilistinnen und Zivilisten zum Opfer fielen. Die serbischen Četnici (deutsch: Tschetniks) bemühten sich um die Wiedererrichtung des Königreichs und galten zunächst als Widerstandskämpfer. Später kollaborierten sie mit den italienischen Faschisten im Kampf gegen die vom Kommunisten Tito geleiteten Partisaninnen und Partisanen.
Die Četnici massakrierten vor allem zehntausende Bosniakinnen und Bosniaken, aber auch Kroatinnen und Kroaten – obwohl sie auf keine staatlichen Strukturen zurückgreifen konnten, begingen sie systematisch Verbrechen. Das Ustaša-Regime kämpfte – teils zusammen mit den Četnici – gegen die Partisaninnen und Partisanen und ging brutal gegen deren mutmaßliche Unterstützerinnen und Unterstützer vor. Mobilisiert durch den antisemitischen Mufti von Jerusalem, Amin Al-Husseini, traten bosnische Muslime 1943 der eigens aufgestellten bosnisch-muslimischen 13. SS-Division "Handschar" bei. Einzig Verhandlungen zwischen Ustaše und Partisaninnen bzw. Partisanen, die in einem Moment die Četnici als gemeinsamen Feind ansahen, führten nie zu einer Koalition.
Schließlich befreiten die Partisaninnen und Partisanen unter der Führung Titos Jugoslawien weitgehend selbst, nur im Falle der Hauptstadt Belgrad und Nordjugoslawiens nötigte sie Stalin zu einer gemeinsamen Befreiungsaktion zusammen mit der Roten Armee. Zehntausende Ustaše, Angehörige der NDH-Armee, slowenische Weißgardisten, sowie NS-Kollaborateure und Zivilistinnen wie Zivilisten, aber auch Wehrmachtssoldaten versuchten zu Kriegsende, in die britische Besatzungszone nach Österreich zu flüchten. Dies führte zu Kampfhandlungen mit den Partisaninnen und Partisanen, die sie daran hindern wollten, die Grenze zu überschreiten. Nachdem die britische Armee, die zu diesem Zeitpunkt bereits Südösterreich kontrollierte, gemäß internationalen Bestimmungen bei einem Treffen in Bleiburg eine Kapitulation der NDH-Verbände abgelehnt hatten, wurden Zehntausende von ihnen auf slowenischem Gebiet und auf Märschen zurück ins Landesinnere ohne Gerichtsverfahren ermordet.
Erinnerungspolitik in Titos Jugoslawien
Eines der Mittel, mit denen Tito nach 1945 seine kommunistische Partei als Alleinherrscherin über das
Das Narrativ der "Brüderlichkeit und Einigkeit" dominierte die jugoslawische Erinnerungspolitik. Der Fokus lag auf dem gemeinsamen antifaschistischen Kampf, für den monumentale Denkmäler errichtet wurden, und den "Opfern des Faschismus", wie es allgemein formuliert hieß. Um Tito entstand ein
Die Erinnerungskultur war penibel vorgegeben: In der Aufzählung der Opfer wurden immer Angehörige aller jugoslawischen Nationen genannt, also Serbinnen und Serben, Kroatinnen und Kroaten, Musliminnen und Muslime, Sloweninnen und Slowenen etc. Ebenfalls wurde darauf geachtet, dass in der Aufzählung der Täterinnen und Täter solche aus allen Nationen vertreten waren, also Ustaše, Četnici, slowenische Weißgardisten und so weiter. Dadurch wurden die Unterschiede zwischen dem Ustaša-Regime, das selbständig Todeslager betrieben hatte, und jenen verwischt, die in Banden ohne staatliche Strukturen Verbrechen begingen – ebenso wie die Unterschiede zwischen systematisch verfolgten Opfergruppen und politischen Häftlingen.
Mit diesem Narrativ des multiethnischen Jugoslawiens unvereinbar war, dass die Täterinnen und Täter auch aus rassistischen, antisemitischen und antiziganistischen Gründen gemordet hatten. Deshalb wurde auf dem Gelände des Ustaša-KZ Jasenovac erst in den vergleichsweise liberalen 1960er Jahren zunächst eine Gedenkstätte und dann auch ein Museum errichtet. Bis dahin war die Erinnerung an diese Opfer "rassischer" Verfolgung marginalisiert. Völlig tabuisiert war die Erinnerung an jene, die die Partisaninnen und Partisanen im Zuge der Kriegsendphasenverbrechen ohne Gerichtsprozess getötet hatten. Im kroatischen Exil pflegten Ustaša-nahe Organisationen den Mythos von der Tragödie von Bleiburg (wo sich die Massenmorde nicht zugetragen hatten) und vom britischen Verrat.
Ende der 1960er Jahre wurde das Dogma der "Brüderlichkeit und Einigkeit" von nationalistischen Kräften wie dem Militärhistorischen Institut in Belgrad und dem späteren kroatischen Präsidenten Franjo Tuđman als Direktor des Instituts für die Geschichte der Arbeiterbewegung in Zagreb zunehmend in Frage gestellt. In der repressiven 1970ern wurden diese nationalistischen Stimmen in Jugoslawien wieder in den Hintergrund gedrängt. Ende der 1980er Jahre wurde die nicht aufgearbeitete Vergangenheit jedoch zu einem entscheidenden Mobilisierungsfaktor im sich zuspitzenden Nationalismus.
Der Krieg um die Erinnerung
Neben einer hohen Staatsverschuldung, wirtschaftlichen Ungleichheiten und dem immerwährenden Konflikt um das Verhältnis zwischen Zentralregierung und Republiken war es vor allem der Deutungskampf um die Geschichte, der Ende der 1980er Jahre für eine emotionale Aufladung und Rechtfertigung der Konflikte sorgte. Während 1990 für die Unabhängigkeit Sloweniens tendenziell stärker mit Demokratie und Marktwirtschaft argumentiert wurde, drehte sich in Serbien, Kroatien und Kosovo vieles um nationale Selbstbestimmung.
Unter den Serbinnen und Serben, die nicht nur in Serbien, sondern auch in Bosnien und Kroatien lebten, machte sich der Gedanke breit, dass man um jeden Preis einen neuerlichen Genozid, wie ihn die Ustaše 1941–1945 an den Serbinnen und Serben begangen hatten, verhindern müsse – was dann als Rechtfertigung für Kriegsverbrechen diente. So wurde die Ausrufung eines "Serbischen Autonomen Gebiets Krajina" in Kroatien mit der Abwehr eines neuen kroatischen Genozids begründet – und daraufhin die gesamte nicht-serbische Krajina-Bevölkerung vertrieben. Diese einerseits erklärbaren, andererseits von Slobodan Milošević und regionalen Anführerinnen und Anführern in hetzerischer Absicht geschürten Ängste wurden auf kroatischer Seite befeuert: Der kroatische Präsident Franjo Tuđman und seine Partei, die Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (HDZ), verklärten den kroatischen NDH-Staat als Meilenstein auf dem Weg zur kroatischen Unabhängigkeit. Ferner betrieben zahlreiche Serbinnen und Serben – insbesondere nach Miloševićs Rücktritt 2000 – eine Verklärung der Četnici und ihres Anführers Draža Mihailović, was wiederum von Bosniakinnen und Bosniaken sowie Kroatinnen und Kroaten als Bedrohung erlebt wurde.
Zusammen mit dem jugoslawischen Staat wurde auch das gemeinsame Erbe der Partisaninnen und Partisanen über Bord geworfen und das antifaschistische Narrativ zusammen mit anderen staatssozialistischen Dogmen delegitimiert. Alleine in Kroatien wurden über 3.000 Denkmäler für den antifaschistischen Kampf und die "Opfer des Faschismus" zerstört, teils waren kroatischen Militäreinheiten daran beteiligt. Auch Kinder aus Familien von Partisaninnen und Partisanen identifizierten sich nun kaum mehr mit dieser Erinnerungskultur, sondern vor allem mit den nationalistischen Angeboten, der Verklärung des kroatischen NDH oder der serbischen Četnici. Diejenigen auf allen Seiten, die sich gegen den Nationalismus und Geschichtsrevisionismus aussprachen, wurden auf das heftigste verbal angegriffen und sahen vielfach keine andere Wahl als das Land zu verlassen.
Erinnerung in Jasenovac
Im Fokus der nationalen Mobilmachung stand das Ustaša-KZ Jasenovac. Während bereits zu jugoslawischen Zeiten die Zahl der dort Ermordeten mit 700.000 (statt der heute auf wissenschaftlicher Basis geschätzten bis zu 100.000) bereits viel zu hoch angegeben wurde, etwa um höhere Entschädigungszahlungen von der BRD zu bekommen, sprachen Serbinnen und Serben nun vielfach von einer Million Opfern, dem "Auschwitz des Balkans" und einem "Holocaust an Juden und Serben".
Kroatiens Präsident Tuđman auf der anderen Seite gab die zu niedrige Zahl von 30.000 bis 40.000 Opfern an. Vertreterinnen und Vertreter seiner Partei HDZ setzten in unzähligen Statements Jasenovac mit Bleiburg gleich, das auch als Ort eines "Holocaust" an den Kroatinnen und Kroaten bezeichnet wurde. Tuđman zufolge bedurfte es im 1991 unabhängig gewordenen Kroatien einer "nationalen Versöhnung" aller Kroatinnen und Kroaten, die seiner Interpretation nach alle auf ihre je eigene Art für die "kroatische Sache" gekämpft hätten, die einen an der Seite der Partisaninnen und Partisanen, die anderen an der Seite der Ustaše.
Militärische und paramilitärische Verbände griffen im Krieg auf Symbole der Četnici und der Ustaše aus dem Zweiten Weltkrieg zurück. Die kroatische Währung wurde in "Kuna" umbenannt, wie sie zuvor im Ustaša-Staat geheißen hatte. Die 1990er Jahre waren ferner von starken Männern und semi-autoritären Staatsformen geprägt. Erst mit Tuđmans Tod Ende 1999 und Miloševićs Rücktritt, der im Jahr 2000 durch Massenproteste erzwungenen worden war, konnte eine Konsolidierung der Demokratie einsetzen, die aber stark vom Krieg und dem autoritären Erbe der 1990er geprägt war.
Das 21. Jahrhundert
In Slowenien wurde der Geschichtsrevisionismus später als in Serbien und Kroatien zu einem
Kroatien hingegen "versäumte" aufgrund der Folgen des Krieges und der Demokratiedefizite die große EU-Osterweiterung 2004. Nach einem sozialdemokratischen Intermezzo an der Regierung 2000 bis 2003 kam wieder die ehemalige Tuđman-Partei, die HDZ, an die Macht. Die
Die Gedenkstätte Jasenovac, die kriegsbedingt 1991 geschlossen und von kroatischen wie serbischen Militäreinheiten zweckentfremdet worden war, öffnete 2006 wieder das Museum. Als Leiterin setzte der HDZ-Kulturminister eine Kunsthistorikerin mit US-Auslandserfahrung ein. Das Museum orientierte sich in der Ästhetik an Holocaust-Museen wie jenem in Washington, D.C.: dunkle Räume und ein Fokus auf die Namen der Opfer, ihnen zuordenbare Objekte und Zeugnisse von Überlebenden. Die Ustaše wurden zwar als Täter benannt, aber ihnen wurde wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Die einfachere Identifikation mit den Opfern dominiert dort bis heute vor der selbstkritischen Auseinandersetzung mit den Verfolgungsgründen und Täterinnen und Täter. Die ethnische Zuordnung der Verfolgten steht in den Diskussionen um Jasenovac nach wie vor im Vordergrund, während andere noch wenig erforschte Themen wie die Inhaftierung von Prostituierten kaum Beachtung erfahren.
Die Vorbereitungen der an internationalen Vorbildern ausgerichteten Jasenovac-Dauerausstellung dienten als eines der Zugpferde in die EU. Die EU-Beitrittsverhandlungen waren in dieser Zeit gefährdet, weil Kroatien nicht beweisen konnte, dass es alles tat, um den ehemaligen Befehlshaber der kroatischen Streitkräfte, Ante Gotovina, an den Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) auszuliefern.
In Serbien erlitt die Konsolidierung der Demokratie mit der Ermordung von Premierminister Zoran Đinđić 2003 einen schweren Schlag. Das Land ist bis heute zwischen den Anhängerinnen und Anhängern des zunehmend autoritär regierenden Präsidenten Aleksandar Vučić und seinen Gegnerinnen und Gegnern gespalten. 2004 stellte das serbische Parlament die Četnici mit den Tito-Partisaninnen und -Partisanen rechtlich gleich. 2015 rehabilitierte der Oberste Gerichtshof den Četnic-Anführer Draža Mihailović. Wenig Aufmerksamkeit erhält hingegen die Frage der Mitverantwortung des Nedić-Kollaborationsregimes für den Holocaust in Serbien, da unter Holocaust vor allem der Mord an den jüdischen und serbischen Opfern in Jasenovac verstanden wird. Im Zuge der EU-Beitrittsbemühungen Serbiens geriet vor allem das ehemalige KZ Staro Sajmište in Belgrad ins Blickfeld, an dessen Ort immer noch keine Gedenkstätte eingerichtet werden konnte. Als Signal an die EU ist die im Museum der jugoslawischen Geschichte 2012 gezeigte Ausstellung "Holocaust in Serbia" zu werten, die auch auf den Antisemitismus der Nedić-Kollaborationsregierung einging.
In Bosnien-Herzegowina, wo im Krieg in den 1990er Jahren bei weitem die meisten Opfer zu beklagen waren, bleibt die Erinnerung dreigeteilt: die Geschichte hat eine bosniakische, kroatische und serbische Version. Alle drei Gruppen begreifen sich zuweilen "als die neuen Juden" von heute, wobei diese Tendenz unter den Bosniakinnen und Bosniaken am ausgeprägtesten ist. Dadurch werden für manche Bosniakinnen und Bosniaken und Kroatinnen und Kroaten "die Serben" zu "neuen Faschisten", während auf serbischer Seite die Verhinderung eines erneuten Genozids für die Rechtfertigung von Verbrechen herhalten muss. Wie angesichts solcher Gleichsetzungen ein friedliches Zusammenleben dauerhaft möglich sein soll, bleibt fraglich. Gefährlicher als solche historischen Parallelen ist jedoch unzweifelhaft die einen gemeinsamen Staat sabotierende Zuwendung vor allem des serbischen, aber zum Teil auch des kroatischen Landesteils zum jeweiligen Mutterland.
Im Gegensatz dazu gibt es aber auch verschiedene Ausprägungen der "Jugo-Nostalgie", von einem unpolitischeren Hype jugoslawischer Symbole und Produkte bis zu einer Sehnsucht nach der alten Stabilität, Sicherheit und "friedlichen Zeiten".
In Reaktion auf diese Entwicklungen wird oft eingewandt, dass es auch in Deutschland und Österreich lange dauerte, bis man sich kritisch mit der eigenen Verantwortung auseinandergesetzt hat und man deshalb vom "Balkan" zu viel erwarte. Dies erweckt erstens den Eindruck, mit der Aufarbeitung gäbe es im deutschsprachigen Raum mittlerweile keinerlei Probleme. Zweitens hilft das nicht all jenen, die sich auf dem Gebiet Ex-Jugoslawiens um eine selbstkritische Aufarbeitung der Vergangenheit bemühen und engagieren.