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Regionale Kooperation in Südosteuropa

Christina Griessler

/ 12 Minuten zu lesen

Trotz einer schwierigen Ausgangssituation nach dem kriegerischen Zerfall Jugoslawiens hat sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit in der Region in den letzten Jahren institutionalisiert.

"Open Balkan" wurde die Wirtschaftszone von Albanien, Nordmazedonien und Serbien getauft. Als Vorbild dient der Schengen-Raum: Ab 2023 sollen die Grenzkontrollen im Personenverkehr wegfallen, zukünftig freier Warenverkehr folgen. (© picture-alliance/AP, Boris Grdanoski)

Regionale Kooperation und grenzüberschreitende Zusammenarbeit in Südosteuropa finden im Rahmen einer Reihe von unterschiedlichen Organisationen und Initiativen statt. Sie haben sich trotz einer schwierigen Ausgangssituation nach dem kriegerischen Zerfall Jugoslawiens in den letzten Jahren dauerhaft etabliert und institutionalisiert. Das kann zum einen durch den EU-Beitrittsprozess erklärt werden, der die Staaten der Region zu verstärkter Zusammenarbeit verpflichtet. Gleichzeitig initiieren regionale Akteure transnationale Kooperation – gerade im zivilgesellschaftlichen Bereich.

Ausgangsituation

Nachbarschaftspolitik ist für jeden Staat bedeutend, immerhin müssen sich angrenzende Staaten oft gemeinsamen Herausforderungen stellen. Das gilt gerade in Südosteuropa, wo viele Staaten relativ klein sind und von einer engen regionalen Zusammenarbeit politisch und wirtschaftlich besonders profitieren können. In der Region bestanden politische Beziehungen zu den Nachbarstaaten auch vor und während der kommunistischen Zeit. "Regionale Kooperation" wurde jedoch erst nach dem Ende der Jugoslawienkriege zum Schlagwort einer europäischen Politik in Südosteuropa. Sie wurde als Strategie der politischen Stabilisierung und der Konfliktbewältigung von den internationalen Akteuren ins Spiel gebracht.

Ab Mitte der 1990er Jahre initiierten externe Akteure wie die EU aufgrund der instabilen politischen Situation regionale Kooperationsinitiativen. Die sogenannten Westbalkanstaaten mussten gute nachbarschaftliche Beziehungen und die Stärkung regionaler Zusammenarbeit als Bedingung für einen möglichen EU-Beitritt akzeptieren. Mittlerweile haben sich die Länder der Region jedoch eigenständig organisiert und bemühen sich selbst um eine stärkere regionale Zusammenarbeit, teilweise auch mit externer Unterstützung. Die regionale Kooperation in Südosteuropa umfasst eine Vielzahl an politischen und themenspezifischen Initiativen, Aktivitäten und Organisationen. Dieser Text gibt einen Überblick über die regionale Zusammenarbeit in der Region seit den 1990er Jahren, deren Ziele, Erfolge sowie Hindernisse.

Ziele der regionalen Zusammenarbeit

Nach den Kriegen auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawiens musste zunächst ein politischer Dialog zwischen den Politikerinnen und Politikern der ehemaligen Kriegsparteien aufgebaut werden. Dies wurde durch die Gründung regionaler Organisationen unter der Mithilfe von internationalen Akteuren gewährleistet (u. a. in Zusammenarbeit mit der OSZE und dem Europarat). Die EU initiierte z. B. bereits 1995 den Royaumont-Prozess, um den politischen Dialog zwischen den ehemaligen Konfliktparteien und den Nachbarstaaten in der Region zu fördern. In den letzten Jahren hat sich auch die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit in der Region verstärkt. So bemühen sich beispielsweise unterschiedliche zivilgesellschaftliche Organisationen, im Rahmen von regionalen Netzwerken auch Fragen der Kriegsvergangenheit aufzugreifen und den Austausch untereinander zu fördern.

Die ursprüngliche Motivation der internationalen Gemeinschaft, insbesondere der EG bzw. EU, war und ist bis heute die Stabilisierung der Region. Hinsichtlich zukünftiger EU-Beitritte der Westbalkanstaaten verfolgt die EU den Ansatz, bestehende zwischenstaatliche Konflikte vor einem EU-Beitritt zu lösen. Positive Entwicklungen in den vergangenen Jahren waren zum Beispiel die Einigung im Namensstreit zwischen Nordmazedonien und Griechenland (Prespa-Abkommen 2018) sowie der seit 2011 laufende Pristina-Belgrad-Dialog, durch den die Beziehungen zwischen Serbien und Kosovo normalisiert werden sollen.

Die EU verfolgt mit der Strategie der regionalen Kooperation auch eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen auf politischer Ebene. Die Aussöhnung unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen innerhalb und zwischen den Staaten soll gefördert werden. Gleichzeitig sollen Spannungen zwischen Nachbarn – beispielsweise aufgrund von strittigen Souveränitätsfragen, territorialen Ansprüchen und ungelösten Grenzstreitigkeiten – abgebaut werden. Innerhalb der Länder liegen die Herausforderungen im Bereich der Integration, Gleichbehandlung, Gewährleistung der politischen Partizipation sowie dem Schutz von Minderheiten.

Was ist der Westbalkan?

"Westbalkan" ist ein politischer Begriff, der 1998 beim EU-Gipfel zur Anwendung kam, um die Staaten Südosteuropas zu benennen, die eine EU-Beitrittsperspektive haben. Sechs Staaten werden derzeit zu der Region Westbalkan gezählt: Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. Kroatien und Slowenien werden seit ihren EU-Beitritten nicht mehr zum Westbalkan gezählt.

Im wirtschaftlichen Bereich zielt die Zusammenarbeit darauf ab, die Wirtschaft zu stärken, Arbeitsplätze zu schaffen und Wohlstand zu fördern. Das Handelsvolumen der südosteuropäischen Staaten untereinander ist relativ gering, der Außenhandel entfällt vor allem auf die EU. Trotzdem wird im Bereich des Handels, der Infrastruktur und des Energiewesens verstärkt zusammengearbeitet, um gemeinsam die anstehenden Probleme in diesen Sektoren zu lösen. Der Abbau von Handelsschranken zwischen den Staaten sowie einer Harmonisierung der Handelsprozesse und –normen ist u. a. das Ziel des Mitteleuropäischen Freihandelsabkommen (CEFTA). Die Einrichtung eines regionalen Wirtschaftsraums soll den wirtschaftlichen Austausch der Staaten durch den freien Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapitel fördern. Im April 2019 konnte in einem regionalen Abkommen über Roaming-Kosten von Mobiltelefonen eine Einigung erzielt werden, die ab 1. Juli 2021 die den Westbalkan zu einer Roaming-freien Zone machten.

Überblick über regionale Organisationen und Initiativen

Politische Zusammenarbeit

Zentraleuropäische Initiative (Central European Initiative, CEI)

Die Zentraleuropäische Initiative (CEI) wurde bereits 1989 unter dem Namen "Quadrogonale" als regionale Organisation von Italien, Österreich, Ungarn und Jugoslawien in Budapest gegründet ("Pentagonale" nach dem Beitritt der Tschechoslowakei, "Hexagonale" nach dem Beitritt Polens). Die CEI besteht derzeit aus 17 Mitgliedsstaaten. Ziel ist es, die europäische Integration sowie eine nachhaltige Entwicklung zu fördern.

Die Arbeit erfolgt einerseits auf einer politischen Ebene, z. B. im Rahmen von Regierungsgipfeln, und andererseits durch die Koordination von länderübergreifenden Projekten in den Bereichen der guten Regierungsführung, Wirtschaftsförderung, interkulturellen Kooperation, Medienfreiheit, des Umweltschutzes sowie des akademischen Austauschs. Gefördert werden u. a. Projekte zur Vernetzung von lokalen Investoren, der Erarbeitung einer langzeitlichen Wirtschaftsstrategie und der Förderung des Ausbaus von Fernlehre und E-Learning in den Mitgliedsländern. Aufgrund der geographischen Breite – die CEI umfasst Regionen vom Baltischen Meer, über das Adriatische Meer bis hin zum Schwarzen Meer – und der Entstehung mehrerer makroregionaler Strategien der EU hat die CEI den Anspruch, als Bindeglied zwischen diesen verschiedenen Regionen zu agieren.

Südosteuropäische Kooperationsinitiative (South-East European Cooperative Initiative, SECI)

Die Südosteuropäische Kooperationsinitiative wurde 1996 auf Initiative der USA gegründet, um die Umsetzung des Dayton-Friedensabkommens zu begleiten. Die Initiative setzte auf grenzüberschreitende Kooperation in den Bereichen von Infrastruktur, Handel, Sicherheit, Energie, nachhaltige Entwicklung, aber auch die Unterstützung im Kampf gegen das organisierte Verbrechen. SECI-Mitglieder sind Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Griechenland, Kroatien, Moldau, Montenegro, Nordmazedonien, Rumänien, Serbien, Slowenien, Türkei und Ungarn. Neben der USA unterstützten weitere europäische Partner die Initiative, darunter Deutschland, Österreich und Italien. SECI war in den letzten Jahren weniger aktiv, jedoch gibt es derzeit neue Projekte in den Bereichen Infrastruktur, Investitionen und erneuerbare Energien.

Die Aktivitäten von SECI im Kampf gegen die transnationale organisierte Kriminalität machten die Gründung einer spezialisierten Organisation notwendig. Im Mai 1999 wurde das "Regional Centre for Combating Transborder Crime" gegründet. Im Dezember 2009 folgte die Unterzeichnung des Abkommens zur Einrichtung des "Southeast European Law Enforcement Centre (SELEC)". Das Zentralbüro der Organisation befindet sich in Bukarest.

Südosteuropäischer Kooperationsprozess (South-East European Cooperation Process, SEECP)

Der Südosteuropäische Kooperationsprozess wurde 1996 von Bulgarien initiiert. Die Mitglieder sind Albanien, Bosnien-Herzegowina, Bulgarien, Kroatien, Kosovo, Montenegro, Griechenland, Nordmazedonien, Moldau, Rumänien, Serbien, Slowenien und die Türkei. Es handelt sich um eine politische Plattform: Die Staatschefs der Region treffen sich regelmäßig im Rahmen von Gipfeltreffen. Zusätzlich finden Treffen der Außenminister/-innen statt. Die Regierungen einigten sich u. a. auf eine gemeinsame regionale Strategie für die Region Südosteuropa mit dem Schwerpunkt der Schaffung von Arbeitsplätzen und Wohlstand (SEE2020). Die Einigung über die "Charta für gutnachbarschaftliche Beziehungen, Stabilität, Sicherheit und Kooperation Südosteuropa", ist ebenfalls ein Beispiel für die Arbeit des SEECP. Seit 2008 agiert der Regionale Kooperationsrat (RCC) als operationaler Arm des SEECP. Die Mitglieder des SEECP sind gleichzeitig auch Mitglieder im Entscheidungsgremium des RCC.

Stabilitätspakt für Südosteuropa (Stability Pact for South-East Europe, SPSEE)

Nach dem Kosovokonflikt im Frühjahr 1999 erarbeitete die EU einen neuen politischen Ansatz, um die Region wirtschaftlich und politisch zu unterstützen. Beim EU-Gipfel in Köln im Juni 1999 wurde der Stabilitätspakt für Südosteuropa initiiert, der seine Aktivitäten auf drei Arbeitsbereiche erstreckte – erstens auf Menschenrechte und Demokratie, zweitens auf wirtschaftlichen Wiederaufbau, Entwicklung und Zusammenarbeit, und drittens auf Justiz und Inneres, Verteidigung und Sicherheit. Die Aktivitäten dieser drei Arbeitsbereiche wurden in enger Zusammenarbeit mit der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) umgesetzt.

Aus dem SPSEE heraus entstanden z. B. der Graz-Prozess, eine Bildungsinitiative für Jugendliche in Südosteuropa und der Szeged-Prozess, der in der damaligen Bundesrepublik Serbien die Zusammenarbeit von Zivilgesellschaft und demokratischen Kräften unterstützen sollte. Um Überschneidungen mit anderen regionalen Organisationen zu vermeiden, wurden die Aufgaben des Stabilitätspakts 2008 vom Regionalen Kooperationsrat (RCC) übernommen und der SPSEE aufgelöst.

Regionaler Kooperationsrat (Regional Cooperation Council, RCC)

Der seit 2008 bestehende RCC kann als operativer Arm des SEECP verstanden werden und war gleichzeitig der Nachfolger des Stabilitätspakts für Südosteuropa (SPSEE). Der RCC kontrolliert und unterstützt die regionalen Kooperationsaktivitäten in Südosteuropa in vielfältigen Bereichen, z. B. Wirtschaft, Energie und Infrastruktur, Justiz und Sicherheit. Zusätzlich werden die parlamentarische Kooperation, Medienentwicklung, Geschlechtergleichstellung und die Einbindung der Zivilgesellschaft als Querschnittsthemen gefördert. Der RCC hat seinen Sitz in Sarajevo, Bosnien-Herzegowina.

Adriatisch-Ionische Initiative (Adriatic and Ionian Initiative, AII)

Die Adriatisch-Ionische Initiative wurde von Italien initiiert und im Jahr 2000 in Ancona gegründet. Mitglieder sind die Staaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Griechenland, Italien, Kroatien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien und Slowenien. Übergeordnetes Ziel der Initiative ist die Unterstützung der Westbalkanstaaten beim EU-Beitrittsprozess. Durch die 2014 gegründete EU-Strategie für die Region Adria-Ionisches Meer (EU Strategy for the Adriatic and Ionian Region, EUSAIR) nimmt die Bedeutung der Initiative ab. Schwerpunkte der makroregionalen Strategie sind ein "blaues Wachstum", also eine nachhaltige Entwicklung der Meereswirtschaft, der Ausbau der Verkehrs- und Energienetze innerhalb und mit der Region, die Sicherung der Umweltqualität und die Förderung eines nachhaltigen Tourismus.

Brdo-Brijuni Prozess

Der Brdo-Brijuni Prozess ist ein regionales politisches Forum der Nachfolgestaaten Jugoslawiens sowie Albaniens. Im März 2010 begründeten der damalige Premierminister Sloweniens Borut Pahor und die damalige Premierministerin Kroatiens Jadranka Kosor im Rahmen einer gemeinsamen Konferenz in Brdo pri Kranju in Slowenien den sogenannten Brdo-Prozess. Dieser sollte einen informellen politischen Rahmen bieten, um sich in regelmäßigen Treffen über den europäischen Integrationsprozess auszutauschen. Die Initiative wurde ab 2013 im Brdo-Brijuni Prozess weitergeführt. Ziele sind der Austausch auf höchster politischer Ebene sowie die Förderung von Versöhnung zwischen den Ländern der Region und die Erarbeitung von gemeinsamen Lösungen für die bestehenden bilateralen Konflikte.

Makroregionale Strategien der EU

Im Jahr 2009 wurde die erste makroregionale Strategie der EU für den Ostseeraum (EUBSR) verabschiedet, im Jahr 2011 folgte die Donauraumstrategie (EUSDR) und danach die Alpenstrategie (EUALP) und die Adriatische-Ionische Strategie (EUSAIR). Die Strategien haben alle im Grunde ähnliche Ziele, wie die Förderung der Infrastruktur, die Schaffung eines nachhaltigen Wohlstands, Umweltschutz, Stärkung der Region oder auch die Förderung eines nachhaltigen Tourismus. Die Nicht-EU Staaten sind als vollwertige Mitglieder neben den EU-Staaten in die Strategie eingebunden. Die Mitgliedsstaaten sollen mit der vorhandenen Infrastruktur und Mitteln gemeinsam Projekte im Rahmen der makroregionalen Strategien durchführen. Die Staaten Südosteuropas sind zu einem großen Teil in der Donauraumstrategie (u. a. Bulgarien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Montenegro, Serbien, Slowenien, Rumänien) bzw. der Adriatischen-Ionischen Strategie (Albanien, Bosnien-Herzegowina, Griechenland, Italien, Kroatien, Montenegro, Nordmazedonien, Serbien und Slowenien) zu finden.

Wirtschaftliche Zusammenarbeit

Mitteleuropäisches Freihandelsabkommen (Central European Free Trade Agreement, CEFTA)

Das Mitteleuropäische Freihandelsabkommen ist ein Beispiel für regionale Kooperation im Bereich des Handels. Die Organisation wurde 1992 von Polen, der damaligen Tschechoslowakei und Ungarn gegründet. In den folgenden Jahren sind Slowenien, Rumänien, Bulgarien und Kroatien dem CEFTA beigetreten. Für all diese Länder endete die CEFTA-Mitgliedschaft mit dem Beitritt zur EU. Derzeit umfasst CEFTA die sechs sogenannten Westbalkanstaaten und die Republik Moldau. Ziel der Organisation ist es, Handelsschranken zwischen den Mitglieder abzubauen, Handelsstandards zu harmonisieren und den Handel von Gütern und Dienstleistungen zu intensivieren.

Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation (Black Sea Economic Cooperation, BSEC)

Diese wirtschaftliche Kooperationsinitiative wurde 1992 gegründet. Unter den Mitgliedsstaaten befinden sich die sechs Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres – die Ukraine, Rumänien, Bulgarien, die Türkei, Georgien und Russland – sowie Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Griechenland, Moldau, Nordmazedonien und Serbien. Bedeutend ist die Region aufgrund ihrer Rohstoffe, besonders der Öl- und Gasvorkommen, und aufgrund ihrer strategischen Lage als Transitregion. Die Region ist politisch durch ihre langwierigen bilateralen Konflikte geprägt, somit ist die Gründung der BSEC als eine positive Entwicklung zu bewerten. Seit 1994 verfügt die BSCE über ein Sekretariat in Istanbul.

Open Balkan (ehem. "Mini-Schengen")

Im Oktober 2018 wurde in Novi Sad (Serbien) von Albanien, Nordmazedonien und Serbien eine Freihandelszone nach Vorbild der Schengen-Zone diskutiert. Im November 2019 wurde die Einrichtung einer Freihandelszone bestätigt, in der die vier Freiheiten – freier Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapitel – gelten sollten. Für die Staatsbürger/-innen der beteiligten Länder soll das Reisen zwischen den Ländern vereinfacht werden. Außerdem sollen gegenseitige Arbeitsgenehmigungen ausgestellt werden. Bei einem Treffen der Premierminister der drei Staaten in Juli 2021 in Skopje wurde beschlossen, die Grenzen zum 1. Januar 2023 zu öffnen. Die anderen drei Westbalkanländer wurden eingeladen, sich dieser Initiative anzuschließen.

Regionaler Wirtschaftsraum (Regional Economic Area, REA)

Die Umsetzung einer Regional Economic Area (REA), die die wirtschaftliche Vernetzung der sechs Westbalkanstaaten fördern soll, wurde 2017 von den Westbalkanstaaten in Triest beschlossen. Aufgrund der Diskussionen um die "Open Balkan"–Initiative erhielt das REA-Projekt eine neue Ausrichtung.

Beim Gipfeltreffen in Sofia im November 2020 wurde entschieden, zur weiteren Vertiefung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den sechs Westbalkanstaaten und der EU einen regionalen Wirtschaftsraum (Common Regional Market) einzurichten. Dieser soll (wie auch die "Open Balkan"-Initiative) die vier Grundfreiheiten – freier Verkehr von Gütern, Dienstleistungen, Kapitel und Personen – umfassen sowie Bereiche der Digitalisierung, Investment, Innovation und Industriepolitik als Prioritäten stärken.

Zivilgesellschaftliche Initiativen

Für die Entwicklung regionaler Kooperationen in der Region sind die zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich in den letzten Jahren etabliert haben, von wesentlicher Bedeutung. Diese legen einen Schwerpunkt auf den Umgang mit der kriegerischen Vergangenheit und der Aussöhnung zwischen den Gesellschaften in der Region. Dabei wird insbesondere der Austausch von Jugendlichen gefördert, um durch persönliche Kontakte das Verständnis und Vertrauen untereinander zu verbessern.

Igman-Initiative (2000-)

Die Igman-Initiative besteht seit November 2000 und hat sich zum Ziel gesetzt, die Zusammenarbeit zwischen den Unterzeichner-Staaten des Dayton-Abkommen zu fördern und zu erleichtern. Der Fokus der Arbeit liegt auf gesellschaftlicher Aussöhnung und der Pflege gutnachbarschaftlichen Beziehungen. Die Initiative verfolgt einen Bottom-up-Ansatz, wobei Projekte auf der Mikro- und Makroebene umgesetzt werden. Das "Center for Regionalism" in Novi Sad ist das zentrale Sekretariat der Initiative.

RECOM-Netzwerk

Die "Regionale Kommission zur Ermittlung von Fakten über Kriegsverbrechen und andere schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen – RECOM" ist ein Netzwerk von NGOs aus vier Westbalkanstaaten – Serbien, Kosovo, Bosnien-Herzegowina und Kroatien – und wurde im Jahr 2008 in Kosovo gegründet. Ziel ist es, die Kriegsverbrechen zwischen 1991 bis 2001 aufzuarbeiten. RECOM möchte außerdem durch vertrauensbildende Maßnahmen einen Betrag zur Überwindung gesellschaftlicher Gräben und zur Versöhnung in der Westbalkanregion leisten. Dafür fordert RECOM mehr Unterstützung von staatlicher Seite.

Regionales Jugendkooperationsbüro (Regional Youth Cooperation Office, RYCO)

Das Jugendkooperationsbüro RYCO wurde 2016 im Rahmen des Berliner Prozesses von den sechs sogenannten Westbalkan-Staaten gegründet. Die Organisation soll Jugendliche aus der Region zusammenbringen und damit Versöhnung fördern, Verständnis und Vertrauen schaffen und die Zusammenarbeit sowie den Dialog unterstützen. Die sechs Westbalkanländern finanzieren RYCO gemeinsam mit der EU und weiteren Geldgebern. Die Zentrale der Organisation ist in Tirana, jedoch bestehen lokale Büros in den Hauptstädten der Region.

Jugendinitiative für Menschenrechte (Youth Initiative for Human Rights, YIHR)

Erwähnenswert ist auch die Jugendinitiative YIHR, ein regionales Netzwerk aus NGOs, das seit 2003 in Serbien, Kroatien, Montenegro und Bosnien-Herzegowina aktiv ist. Ziel ist es, die Vergangenheit in einem kontinuierlichen Prozess aufzuarbeiten, um damit die Grundlage für eine dauerhafte friedliche Zukunft in der Region zu schaffen. Politische Bildung ist ein wichtiger Aspekt der Arbeit des YIHR, da nicht nur die Vergangenheit aufgearbeitet, sondern auch die demokratische Entwicklung der Gesellschaft gefördert werden soll. Die Initiative hat Büros in Belgrad, Zagreb, Sarajewo und Pristina.

Erfolge und Hindernisse

Regionale Kooperation im südöstlichen Europa war in den 1990er Jahren eher auf externe Initiativen zurückzuführen, hat sich aber inzwischen in verschiedenen Formaten – auch aus der Region heraus – dauerhaft etabliert. Die Änderung des politischen Umfelds Anfang der 2000er Jahre und die konkrete Perspektive eines EU-Beitritts ermöglichten es den Staaten in der Region, sich einander politisch anzunähern. Auch die Notwendigkeit einer funktionalen Zusammenarbeit in den Bereichen des Handels, der Infrastruktur und der Wirtschaft wurde ersichtlich. Die Verantwortung für die Umsetzung der regionalen Zusammenarbeit wurde den Vertretern/-innen der Staaten der Region übertragen, die diese mithilfe einer Reihe von größeren Organisationen wahrnehmen. Das kann als positive Entwicklung und Erfolg für die regionale Kooperation gedeutet werden, auch wenn die tatsächliche Umsetzung noch verbessert werden könnte.

Die Initiativen im wirtschaftlichen Bereich, wie z. B. die Schaffung eines regionalen Wirtschaftsraumes und der Open-Balkans-Freihandelszone drohen aufgrund bilateraler Streitigkeiten oder politischer Unstimmigkeiten einzuschlafen. Trotzdem bieten die verschiedenen Initiativen und politischen Foren die Möglichkeit, sich über diese Probleme und Hindernisse auszutauschen und Kompromisse zu finden.

Es sind jedoch die zivilgesellschaftlichen Initiativen, die Anlass für Optimismus geben. Zivilgesellschaftliche Organisationen versuchen mit ihrer Arbeit jene Bereiche und Themen aufzugreifen, die von Politiker/-innen oft ignoriert werden. Auch hier zeigt sich, dass die Initiativen zur Zusammenarbeit verstärkt aus der Region selbst hervorkommen und nicht extern initiiert werden. Positiv zu vermerken ist auch die Gründung des "Western Balkan Fund", nach dem Vorbild des "Visegrad Fund", um Projekte zwischen Institutionen in den sechs Westbalkan-Ländern zu finanzieren.

Hindernisse stellen weiterhin die ungelösten bilateralen Konflikte (z. B. Kosovo) sowie Fragen der Grenzziehungen und der staatlichen Souveränität (z. B. Bosnien-Herzegowina) in der Region dar, die einer politischen Lösung bedürfen, um die Bedingungen für einen EU-Beitritt erfüllen zu können.

Quellen / Literatur

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Simić, Julija (11. Oktober 2019): Three Countries Agree Mini Schengen in the Balkans, Euractiv, abrufbar unter: https://www.euractiv.com/section/enlargement/news/three-countries-agree-mini-schengen-in-the-balkans/ (Stand 11. Oktober 2020).
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Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Bechev, Dimitar (2011): Constructing South East Europe. The Politics of Balkan Regional Cooperation, St. Antony’s Series, London: palgrave macmillian, S. 30-33; Vgl. Lopandic, Dusko / Kronja, Jasminka (2011): Regional Initiatives and Multilateral Cooperation in the Balkans, Belgrade: European Movement Serbia, S. 36-57.

  2. Vgl. Bechev, Dimitar (2011): Constructing South East Europe. The Politics of Balkan Regional Cooperation, St. Antony’s Series, London: palgrave macmillian, S.1.

  3. Vgl. Djolaj, Marika / Nechev, Zoran (5. April 2018): Bilateral Disputes Conundrum, Balkans in Europe Policy Advisory Group, Policy Brief, abrufbar unter: https://biepag.eu/wp-content/uploads/2018/04/ Bilateral-Disputes-Conundrum-Accepting-the-Past-and-Finding-Solutions-for-the-West ern-Balkans.pdf (Stand 29. September 2020).

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Dr. Christina Griessler ist wissenschaftliche Mitarbeiterin für netPOL – Netzwerk für Politische Kommunikation an der Andrássy Universität Budapest.