Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr
Ukraine-Analysen Nr. 277
Inna LevkovychPetro Pyvovar
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Die effiziente und nachhaltige Nutzung des Bodens ist nicht nur entscheidend für die Entwicklung der Agrar- und Ernährungswirtschaft, sondern für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung der Ukraine. Schon jetzt trägt der Agrarsektor fast 11 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Ukraine bei und ist für knapp 40 Prozent der Gesamtexporte des Landes verantwortlich. Die Ausgestaltung eines funktionsfähigen Bodenmarktes, der im Idealfall eine effektive Nutzung des Bodens ermöglicht, verlief in der Vergangenheit allerdings äußerst schleppend. Bis vor kurzem mangelte es nicht nur an einer Bodenmarktpolitik, die den Kauf und Verkauf landwirtschaftlicher Flächen ermöglicht, sondern auch an einer funktionsfähigen Infrastruktur für die Bodenmarktgestaltung. Dazu zählt beispielsweise ein Bodenkataster, das Informationen über die Zweckbestimmung, mögliche Nutzungseinschränkungen, qualitative Merkmale oder Eigentumsverhältnisse enthält.
Die Landnutzung unterliegt laufend Veränderungen und wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. In der Ukraine war es bisher nicht möglich, die Landnutzung und deren Änderungen in Echtzeit zu verfolgen. Die Nutzung neuer Technologien macht dies jedoch möglich. Das Monitoring der Landnutzungsänderungen gibt politischen Entscheidungsträgern und Wirtschaftsakteuren die Möglichkeit, Engpässe festzustellen und schnell zu reagieren bzw. Anpassungen im Blick auf geänderte Rahmenbedingungen und eigene Ziele vorzunehmen. Daher sind aktuelle Informationen über die Landnutzung ein wichtiger Baustein für ein nachhaltiges Bodenmanagement. Relevant ist aktuelles Wissen über Landnutzungsänderungen in der Ukraine vor allem für die neu gegründeten Territorialgemeinden (Hromadas), die nun lernen müssen, die in ihren Zuständigkeitsbereich fallenden Flächen effizient zu verwalten. Ein Landnutzungsmonitoring ist hier ein zuverlässiges Instrument für die regionale und kommunale Flächennutzungsplanung.
Dieser Beitrag illustriert am Beispiel der westlich von Kyjiw gelegenen Oblast Schytomyr die Veränderungen in der Landnutzung in den Jahren 2016–2022 und gibt einen ersten Einblick, wie sich die verschiedenen Nutzungsansprüche und damit verbundene Herausforderungen auf die Flächennutzung auswirken.
Durch die russische Aggression ist die Oblast Schytomyr stark betroffen, insbesondere der nördliche Teil, der schon in den ersten Kriegstagen besetzt wurde. Infolge des Beschusses wurden dort mindestens 769 zivile Infrastrukturobjekte beschädigt. Daher werden im Beitrag auch kurz die Effekte des Krieges thematisiert.
Zusammenfassung
Die Landnutzung unterliegt laufend Veränderungen und wird durch zahlreiche Faktoren beeinflusst. Die Nutzung neuer Technologien macht das Monitoring der Landnutzungsänderungen fast in Echtzeit möglich und ist heutzutage für nachhaltiges Bodenmanagement unverzichtbar. Insbesondere ist Landnutzungsmonitoring im Rahmen der Implementierung der Boden- und Dezentralisierungsreformen in der Ukraine ein wichtiges Kontroll- und Planungsinstrument und bietet eine Basis für die politische Entscheidungsfindung auf allen Ebenen. Der vorliegende Artikel betrachtet die Veränderungen in der Landnutzung in der Ukraine am Beispiel von der Region Schytomyr in den Jahren 2016–2022 mit Hilfe des "Dynamic World Tool". Darüber hinaus werden mögliche Faktoren, die sich auf die Landnutzung in der Region auswirken, diskutiert.
Einflussfaktoren für den Landnutzungswandel
Die Landnutzung und damit auch deren Wandel werden durch zahlreiche Faktoren wie natürliche Standortfaktoren (wie Boden, Klima bzw. Klimawandel), institutionelle Rahmenbedingungen, wirtschaftliche Entwicklung usw. beeinflusst. Beispielsweise wird die landwirtschaftliche Bodennutzung sowohl durch natürliche Bedingungen als auch die Agrar- und Umweltpolitik geprägt.
Rechtliche Grundlagen
Das wichtigste Dokument, das die Bodennutzung in der Ukraine regelt, ist der sogenannte "Bodenkodex". Dieser präzisiert die verfassungsrechtlichen Normen zur Regelung der Bodenverhältnisse und bestimmt fast alle Institutionen des Bodenrechts. Durch zwei grundlegende Reformen – die Bodenreform 2021 und die Dezentralisierungsreform ab 2014 – wurden umfassende Anpassungen in der ukrainischen Gesetzgebung, unter anderem auch im bereits erwähnten "Bodenkodex", vorgenommen. Insbesondere diese beiden Reformen prägen maßgeblich die rechtlichen Rahmenbedingungen der Landnutzung in der Ukraine der letzten Jahre, wie nachfolgend näher dargestellt wird.
Gesetz der Ukraine Nr. 552-IX "Über die Einführung von Änderungen zu bestimmten Gesetzen der Ukraine über den Agrarbodenverkehr" stärkt Eigentumsrechte und schafft Voraussetzungen für die Entwicklung des funktionierenden landwirtschaftlichen Bodenmarktes. Mit diesem Gesetz wurde eine schrittweise Öffnung ("regulierte Öffnung") des landwirtschaftlichen Bodenmarktes beschlossen. Seit dem 1. Juli 2021 dürfen ukrainische Bürger landwirtschaftliche Flächen bis zu 100 Hektar pro Person kaufen. Erst ab 2024 können unter bestimmten Voraussetzungen auch juristische Personen landwirtschaftlichen Boden erwerben. Ob ausländische Personen den Agrarboden erwerben dürften wird erst ab 2024 am gesamtukrainischen Referendum beschlossen. Neben den erwarteten wirtschaftlichen Effekten wird die Liberalisierung des landwirtschaftlichen Bodenmarktes und die Privatisierung der staatlichen landwirtschaftlichen Flächen für die nächsten Jahrzehnte die landwirtschaftliche Bodennutzung prägen.
Seit 2014 läuft in der Ukraine außerdem eine umfassende Dezentralisierungsreform bzw. Kommunalreform. Dabei handelt es sich sowohl um eine territoriale als auch administrative Umstrukturierung. Die kleinen Kommunen schließen sich zu so genannten Territorialgemeinden (Hromadas) zusammen, die erweiterte politische, administrative und finanzielle Kompetenzen erhalten. Vor allem bekommen die Hromadas erweiterte Kompetenzen in der Verwaltung ihrer kommunalen Flächen. Das im Mai 2021 verabschiedete Gesetz № 2194 regelt unter anderem die Übergabe von Böden staatlichen Eigentums außerhalb von Siedlungen ins kommunale Eigentum.
Am 24. Juli 2021 trat weiterhin das Gesetz der Ukraine № 711-IX "Über die Änderungen des Bodengesetzes der Ukraine und anderer Gesetzgebungsakte zur Flächennutzungsplanung" in Kraft, welches Raumplanung, Bestimmung und Zweckänderung von Grundstücken ändert und neue Anforderungen für die Zwangsveräußerung von Grundstücken aus Gründen des öffentlichen Bedarfs aufstellt. Die gesetzlichen Anpassungen sind unter anderem mit der Entwicklung der Hromadas verbunden. Dies äußert sich in der Einführung einer erweiterten Planungshoheit der vereinigten Hromadas. So können die Hromadas nun transparente Ansätze im Bereich der Landbewirtschaftung und der Raumplanung einführen.
Das Thema "ökologische Nachhaltigkeit" gewinnt in der Ukraine zunehmend an Bedeutung. Zur Erreichung der UN-Klimaschutzziele und im Rahmen des Assoziierungsabkommens mit der Europäischen Union hat sich die Ukraine verpflichtet eine Reihe von Maßnahmen im Bereich Umweltschutz, Artenschutz, Biodiversitätsverpflichtungen zu implementieren. So soll etwa bei der Planung und Durchführung von Infrastruktur-, Bergbau oder einigen Landwirtschaftsprojekten eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden. Die ökologischen Aspekte der Bodennutzung werden in dem Gesetz der Ukraine № 962-IV "Über Bodenschutz" festgehalten. Das Gesetz legt die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundlagen des Bodenschutzes fest, um effiziente Nutzung, die Reproduktion und Verbesserung der Bodenfruchtbarkeit, die Erhaltung der ökologischen Funktionen der Bodenbedeckung und den Umweltschutz zu gewährleisten. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass in der Ukraine die umweltbezogenen Maßnahmen nicht an die agrarpolitischen Instrumente geknüpft bzw. nicht im Rahmen der Agrarpolitik vorgesehen sind. Die Agrarsubventionen zielen vor allem auf die Steigerung der Produktion, z. B. Programme zur Unterstützung der Kleinbauern, Viehzucht, der Obst-, Wein- und Hopfenbau, Erstattung von Kreditzinsen für Agrarproduzenten oder Steuervergünstigungen ab.
Regionale Voraussetzungen und Klimawandel
Die Oblast Schytomyr befindet sich im Norden der Ukraine. Dieses Gebiet ist durch ein flaches Tiefland und großflächige Mischwälder aber auch Feuchtgebiete gekennzeichnet.
Der weltweite Klimawandel beeinflusst auch hier die Landflächennutzung wobei die Intensität des Klimawandels in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen hat. Bereits jetzt sind Temperatur- und Niederschlagänderungen sowie Wetterextreme in der gesamten Ukraine und auch in der Region Schytomyr zu beobachten (siehe Externer Link: Ukraine-Analysen 210). Nach Berechnungen von Schierhorn et al. stiegen die jährlichen Durchschnittstemperaturen von 1985 bis 2018 in der Ukraine um 2,1 °C. Zudem sind die Hitzeperioden im Sommer länger und intensiver geworden und zukünftig ist mit größeren Temperaturanstiegen und stärkeren Extremwetterereignissen in der Ukraine zu rechnen. Wie Schierhorn et al. festgestellt haben, kann die Intensität des Klimawandels in der Ukraine regional unterschiedlich ausfallen. In Bezug auf die Agrarproduktion würde beispielweise der Norden der Ukraine, wo auch die Region Schytomyr liegt, weniger vom Klimawandel benachteiligt. So würden beispielsweise die durchschnittlichen Weizenerträge im Norden steigen, während in südlichen Regionen mit Ertragseinbußen zu rechnen ist. Dies könnte dazu führen, dass Agrarflächen in der Oblast Schytomyr ausgedehnt und intensiver genutzt werden könnten.
Agrarstrukturwandel
Bis ungefähr zum Jahr 2000 erfolgte die Restrukturierung und Privatisierung des Agrarsektors der Ukraine nur schleppend und hatte eher einen formalen Charakter. Mangelnde Reformen, intransparente Regulierungen sowie finanzielle Krisen haben dazu geführt, dass sich immer mehr Agrarunternehmen verschuldeten. Die schlechte finanzielle Lage der Unternehmen führte auch zu einem rückläufigen Einsatz von Betriebsmitteln. Die Agrarunternehmen waren auch nicht in der Lage, die bestehenden Meliorationssysteme, beispielsweise für die Entwässerung, instand zu halten. Viele Agrarflächen konnten nicht bewirtschaftet werden und fielen brach.
Die Reformen der Jahre 2000–2001 zielten auf eine verbesserte Ausübung der bis dahin stark eingeschränkten Eigentumsrechte. Das Privateigentum bei landwirtschaftlichen Flächen wurde anerkannt und entsprechend dokumentiert. Bodeneigentümer erhielten das Recht, entweder eigene landwirtschaftliche Betriebe zu gründen oder das Land zu verpachten und daraus ein Einkommen zu erzielen. Im Zuge des Privatisierungsprozesses hat sich der Staat aus dem unternehmerischen Entscheidungsprozess zurückgezogen. Die Unternehmensschulden aus planwirtschaftlicher Zeit wurden abgebaut bzw. umgeschuldet. Darüber hinaus wurden landwirtschaftliche Unternehmen steuerlich begünstigt. Diese Entwicklungen ermöglichten u. a. das Wachstum von Externer Link: sehr großen integrierten landwirtschaftlichen Unternehmen – sogenannten "Agroholdings", die heute teilweise über 500.000 Hektar bewirtschaften. Die Agroholdings bewirtschaften ihre Flächen in erster Linie über Pachtverträge. Ihr enorm schnelles Flächenwachstum wurde vor allem durch die Akquisition anderer Agrarunternehmen ermöglicht. Somit gewannen die Agroholdings immer weiter an Bedeutung in der Nutzung der landwirtschaftlichen Flächen und wurden, zusammen mit den individuellen Hauswirtschaften, zu den Hauptagrarproduzenten. Nach Schätzung des Ukrainian Agribusiness Club bewirtschafteten die Agroholdings 2018 bis zu 29 Prozent der ukrainischen Agrarfläche. Der Anteil der individuellen Hauswirtschaften an der gesamten Landwirtschaftsfläche betrug 36 Prozent im Jahr 2018.
Daten und Methode: Dynamic World Data für das Monitoring von Landnutzung
Die Anwendung von Bildererkennungssoftware vereinfacht und beschleunigt die Erfassung der Landnutzung. In Zusammenarbeit mit dem World Resources Institute (WRI) stellt Google das sogenannte "Externer Link: Dynamic World Tool" zur Verfügung. Dynamic World ist ein offener und frei verfügbarer Datensatz und kann von Wissenschaftlern, Regierungen und Unternehmen gleichermaßen genutzt werden. Die Datensätze für die Region Schytomyr wurden auf der Google Earth Engine mit dem GOOGLE/DYNAMICWORLD/V1 für den Zeitraum 2016 bis 2022 (Stand Oktober 2022) generiert. Aufgrund der Satellitenbilder bietet Dynamic World detaillierte Echtzeitdaten über den Zustand und die Nutzung von Boden mit einer Auflösung von zehn Metern. Damit lässt sich mit Dynamic World der Zustand und die Veränderungen in der Landbedeckung in einer Region binnen kurzer Zeit quantifizieren und analysieren. Das Dynamic World V1 bietet in der sogenannten "Land use land cover classification" (LULCC) Informationen über folgende Bodenbedeckungstypen: Wasser, Bäume (oder Wald), Gras (Grünland), überschwemmte Vegetation, Feldfrüchte (oder Ackerflächen), Sträucher und Gebüsch, bebaute Flächen, unbedeckter Boden, Schnee und Eis.
Struktur der Landnutzung in der Region
Abbildung 1 verdeutlicht, dass 52 Prozent der Fläche der Oblast Schytomyr von Wäldern bedeckt ist, die sich hauptsächlich im nördlichen und im zentralen Teil der Region entlang des Flusses Teteriw konzentrieren.
34 Prozent des Landes in der Region wird für Pflanzenbau genutzt. Das kultivierte Land verteilt sich hauptsächlich auf drei Gebiete: 1) der südliche Teil der Region (um den Bezirk Berdytschiw); 2) ein zentraler Gürtel mit einer Breite von 40–60 km und 3) im Norden der Oblast Schytomyr – der Owruzkyj-Kamm.
4,4 Prozent der Fläche der Oblast wird von Sträuchern und Büschen bedeckt, welche sich vor allem entlang von Straßen und Gewässern, als auch am Feldrand und am Rande von Siedlungen befinden. Fast 5 Prozent des Territoriums ist von Grünland bedeckt. Der Anteil der bebauten Flächen beträgt 3,7 Prozent. Diese beinhaltet Gebäude, Asphalt- und Betonfläche, sowie Gewächshäuser.
Veränderungen der Landnutzung nach Zweckbestimmung
Der Tabelle 1 ist die Dynamik der Bodennutzung nach Bodenbedeckungsklassen in den Jahren 2016–2022 in der Region Schytomyr zu entnehmen. Die größten Veränderungen traten bei der Kategorie "Feldfrüchte" auf. Innerhalb von 6 Jahren sind die Ackerflächen auf 234 000 Hektar fast um ein Drittel gestiegen. Dagegen sind die Grasflächen, Sträucher und Gebüsche im Laufe der Jahre um 46 Prozent bzw. 39 Prozent gesunken.
Der steigende Anteil der Ackerflächen in der Bodennutzungsstruktur ist auf zwei Entwicklungen zurückzuführen: Erstens sind die Rinderbestände in der Region Schytomyr zurückgegangen. Dies führte zu einem geringeren Bedarf an Futtermitteln und beförderte darüber hinaus die Umwandlung von Grünland in Ackerland. Zweitens beeinflusste die weltweit steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln die Erweiterung von Ackerflächen, vor allem für Getreide, Ölsaaten und Mais. Nach Angaben der lokalen Stakeholder bewegten die steigende Flächenkonkurrenz um landwirtschaftlichen Boden und die deutlich höheren Pachtpreise in den ackerbaulichen Gunststandorten der Zentralukraine die großen Agrarunternehmen zur Expansion nach, mit weniger geeignetem Ackerland ausgestatteten, "Norden". Das spiegelt sich auch in der rasanten Steigerung der Exportkulturen, wie Mais und Sonnenblumen. Nach Angaben des Ukrainischen Statistischen Amtes zeigt sich in der Region Schytomyr eine Vergrößerung der Anbauflächen von Sonnenblumen von 60 600 Hektar in 2015 auf 155 000 Hektar im Jahr 2021. Die Anbauflächen von Mais haben sich im selben Zeitraum fast verdoppelt (von 144 200 Hektar im Jahr 2015 auf 273 000 Hektar in 2021).
Werden die Veränderungen in der Landnutzung aus der Perspektive städtischer und ländlicher Gemeinden betrachtet, ist festzustellen, dass in der Oblast Schytomyr der größte Anstieg der Anbauflächen (um 37,2 Prozent) in den städtischen Gemeinden zu verzeichnen ist. Lokale Experten weisen darauf hin, dass diese Tendenz unter anderem auf die infrastrukturellen Rahmenbedingungen zurückzuführen ist. Die großen landwirtschaftlichen Unternehmen entscheiden sich bevorzugt für Investitionen in Gebiete mit gut ausgebauter Infrastruktur. Vor allem eine gute Anbindung zum Straßen- und Schienennetz mit entsprechenden Lagerungsmöglichkeiten ist bedeutsam, was mit den Logistikkosten der Unternehmen für den Transport von Waren und Ausstattung zusammenhängt. Im Vergleich zum südlichen Teil der Oblast, der über eine relativ gute Bodenqualität verfügt, werden die vergleichsweise geringeren Gewinne aus der landwirtschaftlichen Produktion im nördlichen Teil der Oblast unter anderem durch niedrigere Transportkosten kompensiert.
Wie aus Tabelle 1 ersichtlich, nimmt das Grünland in der Struktur der Bodennutzung der Region Schytomyr ab. Der Rückgang betrug in dem Zeitraum von 2016 bis 2021 durchschnittlich 10 Prozent pro Jahr. Allerdings wurde im Jahr 2022 dieser Trend gestoppt (Abb. 2).
Abbildung 2
Abb. 2: Struktur der Landnutzung und Bodenbedeckung nach Google Dynamic World nach Klassifikation in der Oblast Zhytomyr in 2022
Abb. 2: Struktur der Landnutzung und Bodenbedeckung nach Google Dynamic World nach Klassifikation in der Oblast Zhytomyr in 2022
Nach Interviews mit lokalen Vertretern im Sommer 2022 lässt sich diese Dynamik auf zwei Faktoren zurückführen: Zum einen haben viele ländliche Haushalte in diesem Jahr ihre Ackerflächen in weniger arbeitsintensives Grasland umgewandelt, weil infolge der russischen Aggression die Männer für die ukrainischen Streitkräfte mobilisiert wurden.
Zum anderen hat die russische Aggression zu einer Verknappung bestimmter Nahrungsmittel und zu einem erheblichen Preisanstieg bei einigen Lebensmitteln geführt. Um die eigene Versorgung mit tierischen Produkten zu gewährleisten bzw. um ein zusätzliches Einkommen zu erzielen, entscheiden sich viele ländliche Haushalte die Jungtiere zu behalten. Da die Zunahme des Rinderbestands mehr Futtermittel erfordert, werden mehr Ackerflächen in Grünland umgewandelt.
Bei näherer Betrachtung der Veränderungen der Bodenbedeckung im gesamten Zeitraum zeigt sich, dass nur 31 Prozent der grasbewachsenen Flächen im Jahr 2016 gegenüber dem Jahr 2022 unverändert blieben und 58 Prozent in Ackerflächen umgewandelt wurden. Dieser Trend zeigt eine steigende Intensivierung der Flächennutzung auf.
In den letzten Jahren ist die Fläche der offenen Gewässer um 8,3 % gestiegen. Nach Angaben der lokalen Behörden hängt diese Entwicklung vor allem mit der Niederschlagszunahme in der Region zusammen. Auch auf den Satellitenbildern ist zu erkennen, dass solche Ereignisse, wie das Austrocknen von Flüssen und Bächen, in der Region in den letzten Jahren seltener vorgekommen sind.
Auch die Flächen mit Überschwemmungsvegetation (dazu zählen insbesondere Moorflächen) haben sich in den letzten Jahren und insbesondere im Jahr 2022 um insgesamt 7000 Hektar vergrößert. Diese Entwicklung ist ein positives Zeichen für den Klima- und Umweltschutz, da Moore eine besonders effektive Kohlenstoffsenke sind und eine reiche Biodiversität aufweisen können. So konnten Wissenschaftler der Nationalen Universität Polissia in den Jahren 2021 und 2022 südliche Tier- und Pflanzenarten erfassen, die vorher in der Oblast Schytomyr noch nie beobachtet wurden.
Bewaldete Gebiete sind die Flächen, deren Anteil der Baumbedeckung mindestens 10 Prozent beträgt. Hohe Waldflächenanteile finden sich in siedlungsarmen als auch für eine intensivere Landwirtschaft weniger geeigneten Teilen der Oblast, insbesondere im Norden und Nord-Westen (siehe Abbildung 1). Bei den Waldflächen lässt sich kein eindeutiger Trend über den Analysezeitraum festzustellen. Allerdings ist im Jahr 2022 ein Rückgang der bewaldeten Fläche um 3 Prozent in Vergleich zum Vorjahr zu verzeichnen.
Diese Entwicklung ist auf die rasant steigenden Energiepreise und auf die instabile Versorgungslage mit Gas, Brennholz und Strom zurückzuführen. Da in ländlichen Räumen die Holzheizung eine verbreitete Heizungsart ist, begann die Bevölkerung mit einer kostenlosen und leichtzugänglichen "Holzernte" nach Selbstversorgungsprinzip.
Auch wenn illegaler Holzeinschlag in den Wälder in der Ukraine ein großes Thema ist, haben sowohl die Satellitenbilder als auch die Überprüfung vor Ort gezeigt, dass es sich nicht um die Entwaldung der offiziellen Wälder handelt. Es kam in erster Linie zur Rodung von aus der Nutzung genommener Obstgärten. Auch Feldgehölze und "bewaldete" Hecken entlang von Straßen, Gleisen, Bewässerungskanälen wurden zu einer Beschaffungsquelle für Brennholz. (siehe Abbildung 3). Allerdings kann die weitere Verschärfung der Energieversorgungslage zu einem unkontrollierten Abholzen von Waldflächen führen.
Abbildung 3
Abb. 3: Beispiel für die Veränderung der bewaldeten Fläche im Jahr 2022 im Vergleich zu 2021
Abb. 3: Beispiel für die Veränderung der bewaldeten Fläche im Jahr 2022 im Vergleich zu 2021
Die Abholzung durch die Landbevölkerung erfolgte in den meisten Fällen auf dem Gebiet des kommunalen Eigentums oder Eigentum der staatlichen Wasser- und Energiewirtschaft.
Da die Gemeinden nicht genug finanzielle Mittel für die regelmäßige Gehölzpflege entlang der Straßen oder Energiesystemanlagen haben, wird die Abholzung z. B. brüchiger Bäume nach Meinung der lokalen Stakeholder positiv gesehen. Allerdings ist diese Entwicklung sehr bedenklich aus der Sicht des Naturschutzes und zeigt auch mangelndes Problembewusstsein und Kenntnis auf lokaler Ebene. Die "bewaldeten" Feldhecken und alte Obstbäume tragen im hohen Maße zum Biodiversitätsschutz und Erhalt der Artenvielfalt bei.
Als sichtbare Folge des regionalen Strukturwandels sind die bebauten Flächen in der Region Schytomyr im Betrachtungszeitraum um 10 Prozent zurückgegangen (siehe Abbildung 4).
Abbildung 4
Abb. 4: Die Veränderung in den bebauten Flächen städtischer und ländlicher Gemeinden von 2016 bis 2022.
Abb. 4: Die Veränderung in den bebauten Flächen städtischer und ländlicher Gemeinden von 2016 bis 2022.
Besonders ausgeprägt zeigt sich dieser Rückgang in den ländlichen Gemeinden. Während in den Städten bedingt durch Betriebsaufgaben ehemalige Gewerbe- und Industriekomplexe brachgefallen sind und langsam von Büschen und Bäumen überwuchert werden, sind es in den ländlichen Räumen vor allem ehemals kollektive landwirtschaftliche Gebäude und Anlagen, für die keine Verwendung mehr gefunden wurde.
Ausblick
Am Beispiel der Oblast Schytomyr zeigt sich, dass die Agrarmarktentwicklung, der Strukturwandel und die wirtschaftliche Situation die treibenden Kräfte in der regionalen Landnutzungsänderung in den letzten Jahren zu sein scheinen. So könnten für den Zeitraum 2016–2022 insbesondere die kontinuierlich steigende globale Lebensmittelnachfrage und damit verbundene Preissteigerungen ein wesentlicher Treiber für die Erweiterung der Anbauflächen sein. Zusätzlich sind für das Jahr 2022 kurzfristige und kriegsbedingte Landnutzungsveränderungen zu beobachten, wie etwa die größere Abnahme der Gehölze, die vermutlich zu Heizungszwecken verwendet wurden.
Faktoren, wie der laufende Krieg und wirtschaftliche Entwicklungen, werden die Landnutzungsveränderungen vorerst weiterprägen. Das Ausmaß der Landnutzungsänderungen und deren sozioökonomische Effekte sind jedoch schwer einzuschätzen. Betrachtet man beispielweise landwirtschaftliche Nutzung ist es ungewiss, ob der Anteil der Ackerflächen weiter steigen wird. Schon jetzt stellt sich die Frage, ob Agrarproduzenten in der Lage sein werden, im Frühjahr alle zur Verfügung stehenden Agrarflächen zu bearbeiten. Die größte Herausforderung ist hier nicht nur Säuberung oder Wiederherstellung von kontaminierten Flächen, sondern auch die Beschaffung von Produktionsmitteln und Arbeitskraft, welche aufgrund der sich verschlechternden finanziellen Lage der Agrarproduzenten immer problematischer wird. Angesichts dieser Problematik und den möglichen strukturellen Anpassungen ist es auch fraglich, ob die großen Agrarbetriebe, wie Agroholdings, weiter ihre derzeit bewirtschaftete Flächen beibehalten werden.
Die gegenwärtige sowie die erwartete Verschlechterung der finanziellen Situation der Agrarunternehmen wird sich auch negativ auf die ländlichen Gemeinden auswirken. Die sinkenden Einnahmen von Steuern und Pachtpreisen im Lokalbudget werden z. B. Leistungserbringungen in den Bereichen wie Bildung, Medizin und Infrastruktur deutlich erschweren, was zur Verschärfung sozialer Probleme führen kann.
Für die Hauswirtschafter und Kleinbauern würde die Stilllegung ihrer Anbauflächen aufgrund von Mangel an Finanzen und/oder Arbeitskräften deutliche Einbußen im Einkommen bedeuten. Das gefährdet nicht nur die Sicherung des Lebensunterhalts der ländlichen Haushalte, sondern trägt zur Verschlechterung der Ernährungssicherheit des Landes bei. Immerhin wird bis zu 50 Prozent der Agrarproduktion in der Ukraine von Hauswirtschaftern hergestellt.
Die oben genannten Probleme können die Struktur der Landnutzung ernsthaft beeinflussen indem sich der Landnutzungszweck in Richtung weniger effizienter oder auch weniger nachhaltiger Nutzung (beispielsweise womöglich steigende Abholzung) verändert. Das kann sich negativ auf das Wohlergehen von Gemeinden aber zum Teil auch auf die biologische Vielfalt auswirken. Für die Behebung der negativen sozioökonomischen und ökologischen Folgen würde man Jahre brauchen.
Danksagung Der Beitrag wurde im Rahmen des Projektes "Bodenreform in der Ukraine: neue Perspektiven und Herausforderungen für eine nachhaltige Entwicklung des Agrarsektors und der ländlichen Räume" erfasst. Das Projekt ist durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) aus Mitteln des Auswärtigen Amts gefördert.
Inna Levkovych ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Transformationsökonomien (IAMO). Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Agrar- und Handelspolitik und des internationalen Handels mit Fokus auf der Ukraine und EU-Ländern, sowie auf der Analyse der Wettbewerbsfähigkeit der Agrar- und Nahrungsmittelwertschöpfungsketten. Im Jahr 2010 promovierte sie zum "Außenhandel der Ukraine mit Produkten der Agrar- und Ernährungswirtschaft" an der Martin-Luther-Universität.
Petro Pyvovar ist Leiter des wissenschaftlichen Bildungszentrums für Weltraum- und Geoinformationstechnologien an der Nationalen Universität Polissia (PNU), Schytomyr und außerordentlicher Professor der Abteilung für Computertechnologien und Systemmodellierung. Er forscht auf dem Gebiet der Transformation ländlicher Gebiete. Seine neueste Forschung verbindet GIS-Technologien und die sozioökonomische Entwicklung ländlicher Gebiete. Unter seiner Leitung wurde das Konzept der Geoinvestitionsportale für territoriale Gemeinden entwickelt und getestet.