Migration ist ein sensibles Thema für die Europäische Union, ihre Mitgliedstaaten und viele Bürgerinnen und Bürger in der EU. Die Frage der Zuwanderung beschäftigte die Union erstmals intensiv in den 1990er Jahren, als durch die Interner Link: jugoslawischen Auflösungskriege erste größere Fluchtbewegungen in die EU einsetzten. Seit der Interner Link: Fluchtzuwanderung in den Jahren 2015 und 2016, als über zwei Millionen Flüchtlinge in die EU kamen, ist das Thema auch in den Bevölkerungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. In vielen Mitgliedstaaten ist der Grenzschutz ein Thema, das EU-Bürgerinnen und Bürgern Sorgen bereitet.
Innerhalb der EU ermöglicht das 1995 in Kraft getretene Interner Link: Schengener Abkommen Reisefreiheit und schrankenlosen Grenzübertritt. Personen- und Zollkontrollen sind damit überflüssig geworden. Mit dem Wegfall der Binnenkontrollen gingen verstärkte Maßnahmen zum Schutz der Außengrenzen einher, die Mit Hilfe des Schengen-Informationssystems (SIS) überwacht werden. Gleichzeitig wurden einheitliche Regelungen für die Einreise und den Aufenthalt im Schengen-Raum entwickelt.
Das Dublin-Verfahren und seine Herausforderungen
Mit dem 1997 in Kraft getretenen Interner Link: Dubliner Übereinkommen gab sich die EU ein erstes Regelwerk. Dieses Übereinkommen - ein bereits 1990 geschlossener völkerrechtlicher Vertrag zwischen den EU-Mitgliedstaaten - garantierte jedem Angehörigen eines Drittstaates die Durchführung eines Interner Link: Asylverfahrens. Zudem regelte es, welches EU-Land für die Durchführung eines Asylverfahren zuständig ist; die Verfahren sollten in der Regel in dem Land stattfinden, das der Asylbewerber zuerst betreten hat oder wo sich Familienangehörige aufhalten. Zudem sollte nur ein Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig sein.
Insgesamt steht das Interner Link: Dublin-Verfahren durch die Zunahme der Flüchtlingszahlen und die ungleiche Verteilung der Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten zunehmend in der Kritik und gilt als nicht funktionsfähig – so konnte Medienberichten zufolge z. B. in den Jahren 2023 und 2024 Deutschland nicht einmal jede zehnte Person in das für das Asylverfahren eigentlich zuständige EU-Land übermitteln.
Die Europäische Union setzt regelmäßig Arbeitsprogramme in Kraft, mit denen auf jeweils aktuelle Ereignisse reagiert werden sollte. Mit dem Interner Link: Tampere-Programm (1999-2004) wurde der mit dem Interner Link: Vertrag von Amsterdam 1997 geschaffene Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts konkretisiert. Die Jahre 1999 bis 2004 gelten als "erste Phase" des Interner Link: Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Der Schwerpunkt des Tampere-Programm lag in der Entwicklung einer gemeinsamen Asyl- und Einwanderungspolitik und der besseren Bekämpfung illegaler Einwanderung. Dieses Ziel sollte durch eine Vielzahl einzelner Maßnahmen erreicht werden, darunter die sogenannte Interner Link: Massenzustromrichtlinie (EU-Richtlinie 2001/55/EG), die für Fälle erhöhter Migration entwickelt wurde, die Eurodac-Verordnung, die den Aufbau einer EU-weiten Fingerabdruckdatenbank regelt, sowie die Aufnahmerichtlinie, welche Standards für die Aufnahme von Migranten festlegt.
Zudem wurde die Qualifikationsrichtlinie verabschiedet. Sie schuf einen Anspruch auf Interner Link: subsidiären Schutz jenseits der Anerkennung als Flüchtling nach der Interner Link: Genfer Flüchtlingskonvention. Die Verfahrensrichtlinie legte fest, welche Mindestnormen für die Durchführung des Asylverfahrens in den Mitgliedstaaten gelten. Eine weitere Ergänzung erfolgte durch die Richtlinie zur Sanktionierung von Beförderungsunternehmen, die finanzielle Sanktionen bei der Beförderung von Nicht-EU-Staatsangehörigen vorsieht, welche nicht über die erforderlichen Unterlagen verfügen.
Das Gemeinsame europäische Asylsystem: Schritte zur Harmonisierung
Auf das Tampere-Programm folgte von 2004 bis 2009 das Interner Link: Haager Programm, welches als „zweite Phase“ des GEAS bezeichnet wird. Der Schwerpunkt lag in der Entwicklung eines einheitlichen Asylverfahrens mit gemeinsamen Garantien und einem einheitlichen Status für die Schutzberechtigten. Auch die Lasten der Grenzkontrollen an den EU-Außengrenzen zwischen den Mitgliedstaaten sollten besser aufgeteilt und grenzüberschreitende Kriminalität effektiver bekämpft werden. Mit der Rückführungsrichtlinie wiederum sollten rechtliche Mindestgarantien für die Rückführung und Abschiebung von abgelehnten Asylbewerbern bestimmt werden.
Im Rahmen des Stockholmer Programms (2010–2014) wurde 2013 das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) endgültig eingeführt. Gleichzeitig wurde das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) mit Sitz in Malta ins Leben gerufen um die Entscheidungsprozesse in der Asyl- und Migrationspolitik effizienter zu gestalten.
2015: Der Wendepunkt der EU-Migrationspolitik
Die vielfältigen Maßnahmen verhinderten nicht den Kollaps des Systems während des Fluchtgeschehens 2015, als so viele Flüchtlinge wie nie zuvor in die Europäische Union kamen und die Mitgliedstaaten an ihre Kapazitätsgrenzen brachten. Seitdem gibt es eine Vielzahl an Aktivitäten, die aber auch die gegenläufigen Positionen zwischen den Mitgliedstaaten sichtbar machten. Die Konfliktlinie verläuft insbesondere zwischen Ländern mit einer liberalen und einer eher strikteren Zuwanderungspolitik.
Zu den Sofortmaßnahmen gehört die Interner Link: EU-Türkei-Erklärung vom 18. März 2016, die die irreguläre Einreise von Asylsuchenden in die EU erheblich reduzieren sollte. Im Gegenzug erhielt die Türkei großzügige finanzielle Unterstützung. Die ursprünglich erwartete starke Reduzierung des Fluchtgeschehens bestätigte sich jedoch nicht. Darüber hinaus schloss die Europäische Union Abkommen mit verschiedenen Herkunfts- und Transitstaaten. Dabei ging es vor allem um Verminderung von Fluchtursachen, d.h. den Einsatz von Entwicklungshilfe und humanitärer Hilfe. Deren Ziel sollte es sein, Flüchtlingen und potentiellen Flüchtlingen in ihren Herkunftsstaaten ein besseres Leben zu ermöglichen. In sogenannten Migrationspakten wurden passgenau auf einzelne Staaten zugeschnittene Hilfs- und Unterstützungspakete bereitgestellt. Ebenso aber lag ein Fokus auch auf der Migrationskontrolle, d.h. die Partnerländer durch finanzielle Anreize zur Reduzierung irregulärer Migration zu bewegen und stärker beim Thema Rückkehr zu kooperieren.
Zur Sicherung der Außengrenzen wurde die Interner Link: Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache (Frontex) weiter ausgebaut. Die Agentur mit Sitz in der polnischen Hauptstadt Warschau soll die Mitgliedstaaten in ihrem Grenzmanagement unterstützen. Sie koordiniert gemeinsame Operationen der Mitgliedstaaten an den Außengrenzen, leistet Unterstützung bei der Ausbildung von Grenzschutzbeamten und nimmt Risikoanalysen bezüglich der Außengrenzen vor. Bislang sind Operationen im Mittelmeer sowie Sicherungsaktionen an der östlichen EU-Außengrenze durchgeführt worden. Zur weiteren Grenzsicherung soll bis zum Jahr 2027 eine ständige Reserve von 10.000 Grenzbeamten aufgebaut werden.
Reform 2024: Verschärfung statt Vereinheitlichung?
Das GEAS wurde in den letzten Jahren beständig ausgebaut, dennoch kann von einer Zielerreichung noch keine Rede sein. Zu den Zielen gehören die Festlegung eines in der gesamten EU gültigen einheitlichen Asylstatus für Drittstaatsangehörige sowie eines einheitlichen subsidiären Schutzstatus für Schutzsuchende. Ferner sollen gemeinsame Verfahren und Normen für Gewährung und Entzug des Asylstatus beziehungsweise des subsidiären Schutzstatus entwickelt werden. Zudem soll es zuverlässige Kriterien zur Bestimmung des Mitgliedstaats geben, der für die Prüfung eines Antrags auf Asyl oder subsidiären Schutz zuständig ist. Und schließlich soll die Kooperation mit Drittstaaten zur Steuerung der Migration intensiviert werden.
Bei den Mitgliedstaaten ist das GEAS hoch umstritten. Konflikte entzünden sich an der grundsätzlichen Frage, ob und wie viel Migration gewünscht ist. Einige westliche Mitgliedstaaten gelten hier als liberaler als die östlichen EU-Staaten. Während einerseits die Reduzierung irregulärer Migration bestimmend ist, geht es andererseits auch um die Gewinnung von Fachkräften aus Drittstaaten, beispielsweise über die Blue Card. Aber es gibt auch Konflikte um konkrete Themen. Trotz Mindeststandards sind die Bedingungen für Flüchtlinge in den Mitgliedstaaten mit Blick auf die Aufnahme, Unterbringung und Anerkennung sehr unterschiedlich. Die Flüchtlinge sind unfair auf die Mitgliedstaaten verteilt, die humanitäre Situation in den Erstaufnahme- und Registrierungszentren (Hotspots) wird kritisiert, ebenso Frontex-Einsätze, bei denen es illegale Praktiken beim Zurückdrängen von Flüchtlingen gegeben haben soll. Auch um das Konzept der sichereren Herkunftsstaaten wird gestritten.
LinklisteLinks zu Sicherheit, Justiz und Migration in der Europäischen Union
Am 14. Mai 2024 haben der Rat der EU und das Europäische Parlament eine Interner Link: umfassende Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems beschlossen. Das Asylrecht wird im Vergleich zu vorherigen Regelungen deutlich verschärft. Das Zuständigkeitsprinzip der Dublin-Verordnung soll besser durchhgesetzt, das Verfahren einheitlicher und schneller durchgeführt sowie vermehrt an den sogenannten EU-Außengrenzen durchgeführt werden Migranten aus sicheren Herkunftsländern und mit geringen Aufnahmechancen sollen von den Aufnahmezentren an den Grenzen aus direkt abgeschoben werden.
Insgesamt bleibt die Migrationspolitik eine der größten Herausforderungen in der Europäischen Union. Fraglich ist, ob es bei diesem Thema zukünftig mehr Gemeinsamkeit gibt und die Rolle der EU gestärkt wird, oder ob die Mitgliedstaaten hier weiterhin ihre Souveränität durchsetzen. Die unterschiedlichen und häufig entgegengesetzten Interessen erschweren die Integration und Europäisierung dieses Politikfelds in hohem Maße.