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Verträge und Ausbau der Europäischen Union | Europäische Union | bpb.de

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Verträge und Ausbau der Europäischen Union

Olaf Leiße

/ 7 Minuten zu lesen

Von Maastricht nach Lissabon: diese Verträge formten Europa neu. Mit neuen Rechten, stärkerem Parlament und mehr Integration.

Zeremonie zur Unterzeichnung des Vertrags von Lissabon. (© picture-alliance/ dpa | Lusa Antonio Cotrim)

Ein sichtbares Zeichen für den Anbruch einer neuen Ära ist der Interner Link: Vertrag von Maastricht. Er gilt bis heute als Meilenstein der Interner Link: europäischen Integration. Entstanden ist er in der großen Umbruchzeit Anfang der 1990er Jahre. Der Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989 markiert das Ende des Interner Link: Kalten Kriegs. Die Sowjetunion verlor die Kontrolle über die Länder des östlichen Europas und löste sich schließlich selbst auf. Gleichzeitig begannen auch die Kriege in Südosteuropa, in deren Folge Zehntausende starben und Jugoslawien in zahlreiche Nachfolgestaaten zerfiel. Das Ende der Blockkonfrontation eröffnete neue Möglichkeiten für die europäische Integration, doch gab es auch immense Unsicherheiten. Wie wird sich das neue, nunmehr wiedervereinigte Deutschland entwickeln? Wird es Kriege in Osteuropa geben? Wird die Umstellung von Plan- auf Marktwirtschaft gelingen oder wird die Region verarmen? Was passiert mit den Waffen aus den Zeiten der Hochrüstung?

Mehr Europa: Die Europäische Union

Diese und viele weitere Fragen stellten die europäischen Staats- und Regierungschefs vor große Herausforderungen. Die Antwort lautete: Mehr Europa wagen. Es begann sich die Einsicht durchzusetzen, dass nur ein starkes Europa die vielfältigen Bedrohungen auffangen kann. In der größten Umbruchzeit, von Dezember 1989 bis Dezember 1991, verhandelten die Mitgliedstaaten über einen neuen, zukunftsweisenden Vertrag. Dieser konnte schließlich am 7. Februar 1992 in den Niederlanden unterzeichnet werden und wurde fortan nach dem Ort der Unterzeichnung als Vertrag von Maastricht bezeichnet, auch wenn er offiziell Vertrag über die Europäische Union heißt.

Erst mit diesem Vertrag wurde die bisherige Europäische Gemeinschaft in Europäische Union umbenannt, ein Wunsch, der schon nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geäußert worden ist. Er nimmt direkt auf den alten und noch immer gültigen EWG-Vertrag, später EG-Vertrag Bezug, indem in Artikel A programmatisch formuliert wird: „Dieser Vertrag stellte eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas dar“. Als wichtigste Aufgabe der Union wird festgeschrieben, „die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen ihren Völkern kohärent und solidarisch zu gestalten“.

Bekannt geworden ist die grafische Darstellung der Union in Form eines griechischen Tempels mit drei Säulen. In der ersten Säule befinden sich die bisherigen Europäischen Gemeinschaften, also vor allem der Wirtschaftsbereich. Das Entscheidungsverfahren in dieser Säule wird als Interner Link: supranational bezeichnet, da hier alle Institutionen der Gemeinschaft mitwirken. Die beiden weiteren Säulen bilden die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit. Die Entscheidungsverfahren in diesen Säulen werden als Interner Link: intergouvernemental bezeichnet, da hier nur die Mitgliedstaaten miteinander kooperieren, während die übrigen Institutionen weniger Mitspracherecht haben. Auch gilt hier das Prinzip der Einstimmigkeit. Über diesen Säulen erhebt sich die Europäische Union als Gesamtheit aller Politikformen.

Zum ersten Mal in ihrer Geschichte war es den Mitgliedstaaten nun möglich, gemeinsam unter dem Dach der Europäischen Union außenpolitisch in Erscheinung zu treten. Intern gab es zwei weitere Neuerungen. Zum einen wurden Mehrheitsentscheidungen unter den im Rat vertretenen Mitgliedstaaten ausgeweitet. Das bedeutete, dass Mitgliedstaaten fortan auch Beschlüsse mittragen mussten, wenn sie dagegen gestimmt hatten, aber eine Mehrheit anderer Meinung war. Zum anderen erhielt das Interner Link: Europäische Parlament mehr Mitsprechrechte. Im Verfahren der Mitentscheidung konnte das Parlament nun in vielen, wenn auch nicht in allen Bereichen gleichberechtigt mit dem Rat entscheiden. Zusätzlich wurde auf Drängen Deutschlands der Interner Link: Ausschuss der Regionen eingerichtet, in dem Vertreter der regionalen und kommunalen Ebene sitzen und eine meist beratende Funktion haben. Und schließlich wurde eine Interner Link: Unionsbürgerschaft für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten eingeführt. Wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, also beispielsweiser Deutscher ist, wurde automatisch zur Unionsbürgerin bzw. zum Unionsbürger. Sichtbar wurde dies im Reisepass, bei dem die Europäische Union nun als erstes genannt wurde. Die Unionsbürgerschaft erlaubt freies Reisen innerhalb der Europäischen Union, die Teilnahme an Kommunal- und Europawahlen am jeweiligen Wohnort sowie diplomatischen und konsularischen Schutz in Drittstaaten außerhalb der EU. Darüber hinaus wird auch ein Petitions- und Beschwerderecht beim Europäischen Parlament gewährt.

Amsterdam und Nizza: Gemeinschaftliches Handeln in der Außenpolitik

Auch nachdem der Vertrag von Maastricht in Kraft getreten ist, befand sich die Europäische Union weiterhin in einem dynamischen Reformprozess. Mit dem Interner Link: Vertrag von Amsterdam, in Kraft getreten am 1. Mai 1999, schuf die Europäische Union das Amt des „Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“. Die EU verfügte damit über einen „Außenminister“, der die Gemeinschaft nach außen vertritt und nach innen für die Formulierung einer kohärenten Außenpolitik zuständig war. Mit dem Interner Link: Vertrag von Nizza, in Kraft getreten am 1. Februar 2003, wurde es der EU möglich, im Rahmen der „Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ militärische Kräfte aufzubauen und in einen kriegerischen Konflikt zur Friedensschaffung zu entsenden. Unter dem Eindruck des Interner Link: blutigen Zusammenbruchs Jugoslawiens und der eigenen Ohnmacht, diesen Krieg an den Außengrenzen der EU selbstständig und ohne Hilfe der Amerikaner beenden zu können, baute die Union gemeinsame Krisenreaktionskräfte auf, die bislang vorwiegend in Südosteuropa und in Afrika zum Einsatz kamen. Seit dieser Zeit ist die EU auch militärisch handlungsfähig, wenngleich die Nato das bedeutendere militärische Bündnis bleibt.

Der gescheiterte Verfassungsvertrag

Noch ehe der Vertrag von Nizza in Kraft getreten ist, beschlossen die Staats- und Regierungschefs auf einem Gipfeltreffen in Laeken in der Nähe von Brüssel im Dezember 2001, eine neue Reformära einzuleiten. Die bisherigen Verträge wurden in sogenannten Regierungskonferenzen verhandelt. Meist hinter verschlossenen Türen verhandelten die Vertreter der Mitgliedstaaten über die notwendigen Änderungen und Reformen. Dieses Verfahren der Geheimverhandlungen stieß zunehmend auf Kritik und produzierte auch immer geringere Ergebnisse. Daher beschlossen die Mitgliedstaaten, den nächsten Reformschritt unter großer Beteiligung der Öffentlichkeit zu wagen.

Verfassungskonvent

Der „Konvent zur Zukunft der Europäischen Union“ tagte von Februar 2002 bis Juli 2003 in Brüssel unter dem Vorsitz des ehemaligen französischen Staatspräsidenten Valérie Giscard d’Estaing. Er hatte 105 Mitglieder, die im Monatsrhythmus öffentlich tagten. Es nahmen Vertreter der 15 Mitgliedstaaten teil, 30 Vertreter der nationalen Parlamente, wobei aus Deutschland je eine Person vom Deutschen Bundestag und vom Bundesrat entsandt wurden, ferner 16 Abgeordnete des Europäischen Parlaments aus fast allen Fraktionen. Darüber hinaus wurden auch die 13 beitrittswilligen Staaten Osteuropas eingeladen sowie zwei Vertreter der Kommission. Insgesamt repräsentierte der Verfassungskonvent die Vielfalt Europas und spiegelte die staatliche, ethnische, politische und geographische Diversität des Kontinents. Auch die Arbeit des Konvents selbst unterschied sich deutlich von den Regierungskonferenzen. Erstmals wurden die Möglichkeiten des noch recht jungen Internets genutzt und alle Dokumente eingestellt, so dass die interessierte Öffentlichkeit sich ein Bild von der Arbeit des Konvents machen konnte.

Bürger in Frankreich und den Niederlanden stoppen den Verfassungsvertrag

Als Ergebnis legte der Konvent ein beeindruckendes Werk vor, den sogenannten Interner Link: Verfassungsvertrag. Diese Wortschöpfung meint, dass es sich bei dem Text einerseits um einen zwischenstaatlichen Vertrag handelt, da er von den Mitgliedstaaten auf völkerrechtlicher Basis unterschrieben werden muss. Andererseits handelt es sich bei dem Inhalt um eine Verfassung. Gerade die Befürworter einer vertieften Integration bestanden darauf, eine Verfassung zu verabschieden, obwohl die Europäische Union kein Staatsgebilde ist. Der Inhalt wurde unter großer Einmütigkeit verabschiedet. Doch dann geschah etwas Unvorhergesehenes. In zwei Interner Link: Referenden im Mai und Juni 2005 wurde der Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden abgelehnt. Damit hatte niemand gerechnet und die Politiker in Europa waren zunächst ratlos, wie es weitergehen könnte.

Vertrag von Lissabon: Reformen im zweiten Versuch

Dann hat Deutschland die Initiative ergriffen. Während der deutschen Ratspräsidentschaft unterzeichneten die Staats- und Regierungschefs im Mai 2007 die Berliner Erklärung, in der sie sich verpflichten, den Reformprozess fortzusetzen. Nun wurde unter den Mitgliedstaaten weiterverhandelt. Schließlich gelang es, auf der Textgrundlage des Verfassungsvertrags Interner Link: einen weiteren Vertrag zu erstellen, der bereits im Dezember 2007 in Lissabon unterzeichnet werden konnte. In einem Referendum lehnte im Folgejahr eine Mehrheit in Irland den Vertrag ab, konnte jedoch in einem zweiten Referendum umgestimmt werden. Der Vertrag von Lissabon trat am 1. Dezember 2009 in Kraft und bildet bis heute die Rechts- und Vertragsgrundlage für die Europäische Union.

Der Vertrag von Lissabon sah Reformen in zahlreichen Bereichen vor: Neu geschaffen wurde das Amt des Präsidenten des Europäischen Rates. Dieser leitet die Sitzungen des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs und vertritt die EU nach außen. Darüber hinaus gibt es einen „EU-Außenminister“, dessen offizielle Bezeichnung „Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik“ lautet. Er ist sowohl Mitglied der Kommission als auch Vorsitzender des Rates für Auswärtige Angelegenheiten („Doppelhut“) und leitet den ebenfalls neu eingerichteten Europäischen Auswärtigen Dienst. Für das Europäische Parlament gab es eine erneute Aufwertung. Durch die Einführung eines allgemeinen Gesetzgebungsverfahrens kann es nun gleichberechtigt mit den im Rat vertretenen Mitgliedstaaten über Gesetze entscheiden. Erstmals wurde nun auch in einem Kompetenzkatalog formuliert, in welchen Politikbereichen die EU tätig werden kann. Und schließlich wurde eine europaweite Bürgerinitiative eingeführt, wodurch es den Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern möglich wird, Gesetzesinitiativen auf europäischer Ebene anzustoßen.

Weitere Reformvorschläge

Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ist viel Zeit vergangen. Insbesondere die Finanzkrise erforderte zwischenzeitlich viele Anpassungen. Der französische Staatspräsident Interner Link: Macron hat einige Reformvorschläge unterbreitet, und auch die deutsche Bundesregierung hat Reformpapiere vorgelegt. Sie ist der Überzeugung, dass es einer Reform bedarf, bevor neue Mitgliedstaaten aufgenommen werden können. Dennoch scheuen sich die europäischen Politiker bislang, einen weiteren Reformprozess und damit die Aushandlung eines neuen Vertrags tatsächlich anzuschieben. Zu groß war der Schock über die Ablehnung in einigen Mitgliedstaaten und die Sorge vor einem langwierigen, komplizierten und im Ergebnis unsicheren Prozess.

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Apl. Prof. Dr. Olaf Leiße ist Leiter des Arbeitsbereichs Europäische Studien am Institut für Politikwissenschaft der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Er ist außerplanmäßiger Professor für Europäische Studien und Autor zahlreicher Bücher über die Europäische Union.